Die S2k-Leitlinie Gonarthrose (Federführender Autor: Prof. Dr. J. Stöve) hat im orthopädischen und sportmedizinischen Praxisalltag eine wichtige und bedeutende Rolle und soll Schlüsselempfehlungen für den Arzt geben [1]. Wir hatten uns schon 2018, kurz nach Erscheinen der Leitlinie, darüber mit Prof. Dr. Stöve, Dr. Flechtenmacher, Dr. Ellermann und Prof. Dr. Herbort unterhalten (sportärztezeitung 04/18 „Experten-Talk Leitlinie Gonarthrose“ [2]).
Die Leitlinie, die noch bis zum 29.11.2022 gültig ist, wird im Herbst ein Update erhalten (siehe dazu HIER). Für uns ist diese Thematik eine Herzensangelegenheit, gerade auch aufgrund der vielen Gespräche mit unseren wiss. Beiräten und anderen Experten auf unseren zahlreichen Fortbildungen, bei denen auch immer wieder Wünsche von Anwendern aufkamen, aus denen wir neue Anregungen, Ansätze und Hinweise erhielten, die wir gerne weitergeben, teilen und somit auch eine Unterstützung anbieten.
Es ist hinreichend bekannt, dass das Potenzial der Sportmedizin bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Dies gilt ebenso für den Einsatz von Sport bzw. dem gezielten Einsatz von körperlicher Aktivität im Bereich Prävention / Prophylaxe und Therapie, aber auch der sportmedizinischen Ernährungsmedizin auf dem Boden wissenschaftlicher Grundlagen. Dr. Patrick Müller, Forscher am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen Magdeburg, betont z. B. in der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin, dass „die fundamental positiven Effekte von körperlicher Aktivität und Sport in der Prävention und Therapie zahlreicher chronischer Erkrankungen wissenschaftlich fundiert bewiesen sind. In diesem Kontext sollte körperliche Aktivität als Medizin mit höchstem Evidenzgrad eingestuft werden.“ Gleichzeitig sagt er, dass das Potenzial von körperlicher Aktivität in der Versorgungsrealität noch weit unterrepräsentiert ist [3].
Sowohl was den therapeutisch-rehabilitativen Bereich angeht als auch das Gebiet der Prophylaxe / Prävention kann die Sportmedizin hier einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag leisten. Gerade in den aktuellen Zeiten unter Corona-Pandemiebedingungen, die sicherlich für alle Menschen in unserem Land erhebliche Schwierigkeiten und Umstellungen mit sich gebracht haben, können Sportmediziner und Therapeuten auf allen Ebenen positiv eingreifen – therapeutisch, konservativ oder operativ, rehabilitativ, prophylaktisch und ernährungsmedizinisch. Dies ist exakt der beste Zeitpunkt, um die Sportmedizin noch konsequenter in die Versorgungsrealität zu integrieren und den Benefit für alle Beteiligten, von Ärzten, Therapeuten und Sportwissenschaftlern / Trainern bis hin zu den Patienten / Sportler zu erhöhen. Hierbei geht es, verkürzt ausgedrückt, um Bewegung als Subform des Sports, Ernährung, konservative und operative Therapieoptionen, Prehabilitation, aber auch einem Umsetzen mentaler und klinisch-psychologischer Interventionen inkl. Entspannungstechniken. Gerade auch die Kombination dieser einzelnen Felder, individuell beim Patienten angepasst, bietet enormes Potenzial und verstärkt die Wirkung als Ganzes.
Dabei geht es nicht darum, Neues zu erfinden. Vielmehr benötigt es die konsequente und effektive Umsetzung altbewährter Strategien in die Praxis. Ein Blick in die Leitlinie Gonarthrose zeigt, dass darin eine Vielzahl sinnvoller und wunderbarer Vorlagen für die Integration und Umsetzung weiterer Innovationen und Therapiekonzepte mit Hilfe der Sportmedizin auf allen Ebenen vorhanden sind. Gerade deswegen möchten wir dies gerne nutzen, um weitere Denkanstöße ins Spiel zu bringen und somit auch die Praktiker aufzurufen, die individuelle Anwendung der Leitlinie zu fördern, sie als sinnvolle Entscheidungshilfe zu nutzen und in den sportmedizinischen Praxisalltag zu integrieren.
Konzentration auf Basisthemen
In diesem kurzen Papier möchten wir uns auf die Bereiche Sport / Bewegung, Gewichtsmanagement, Ernährungsmedizin und Inflammation sowie natural treatment als flankierende Maßnahmen der konservativen Therapie konzentrieren. Aufgrund der Komplexität verzichten wir auf Kommentare und Ausführungen zu Injektionen, PRP / ACP, Hyaluron, Blutderivate / BCS sowie weitere konservativen und operativen Therapieoptionen wie Stoßwellen, Kryotherapie, Laser, elektrophysikalische Therapien/TENS und sonstige physikalische Therapie-Optionen, deren Einsatz auch in der Leitlinie Gonarthrose hinreichend belegt und gut dargestellt ist. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass es gerade auch auf diesen Gebieten extrem positive Entwicklungen gibt, was Gespräche mit unseren wiss. Beiräten und eine Betrachtung der aktuellen Studienlage bestärken (siehe dazu auch Update Leitlinie Gonarthrose). Dies alles an dieser Stelle zu behandeln, würde jedoch den Rahmen sprengen und sollte in späteren Artikeln und Arbeiten weiter bearbeitet und vorgestellt werden. Daher greifen wir zunächst die genannten Basisthemen mit ihren Potenzialen und Wirkungen auf, damit an diesen Stellen noch evidenter und patientenindividueller sowie anwendungsorientierter gearbeitet werden kann.
Die entscheidende Rolle des Arztes und die Deutungshoheit der Sportmedizin und ihrer Akteure darf nicht unterschätzt werden. Ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass dies auch in anderen Bereichen Beachtung findet, so verweist u.a. die Leitlinie S2k-Leitlinie Koxarthrose (Stand 2019) darauf, dass die Empfehlung des Arztes zur Bewegungstherapie für viele Patienten die ausschlaggebende Motivation ist, ein regelmäßiges Training aufzunehmen [4]. Nicht anders verhält es sich im Bereich der Ernährung. Auch hier kann, wenn nicht gar muss der Arzt und ggfls. auch der Therapeut als Empfehlungsgeber ins Spiel kommen, um beispielsweise die positiven Effekte, die Gewichtsreduktion / Gewichtsmanagement mit sich bringen, erst richtig in Gang zu bringen (siehe hierzu auch [5]). Dies immer gemeinsam und in Abstimmung mit dem Sportler / Patienten, denn dieser ist schließlich der größte Teil des Problems und der Lösung – Stichwort Compliance vs. „Patientenfaulheit“.
Begleitet werden muss das wichtige Gewichtsmanagement mit begleitender Bewegungstherapie, Ernährungsumstellung und auch Ernährungsergänzungen nach aktuellen sportmedizinischen, wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das gilt insbesondere für die Spitzensportler, die gerade im Bereich der Ernährung auch unter Nahrungsergänzungsmitteln Leistungspotenzialsteigerungen generieren, aber vor allem auch für ältere Patienten. Ein weiterer Adressat ist das Krankenhaus, mit dem häufig zu optimierenden prä- und postoperativen Ernährungsmanagement, das oft aus Kostengründen auch noch outsourcst ist. Gerade im Hinblick auf den postoperativen Aggressionsstoffwechsel / postoperativer recovery wäre eine optimierte Ernährung der älteren Patienten, auch z. T. nach sportmedizinischen Richtlinien der Spitzensportler, mit Protein- und Vitaminsubstitution indiziert. Dies gilt übrigens nicht nur für den postoperativen Teil, sondern auch für den Bereich Prehabilitation.
Gewichtsmanagement / Ernährung
Um die Bedeutung der Ernährung in diesem Zusammenhang nochmals zu untermauern, sei an dieser Stelle auf das Statement von Prof. Dr. Herbort aus einem Experten-Talk zum Thema Gonarthrose in der sportärztezeitung (04/18) [2] verwiesen, der es auf den Punkt bringt:
„Das Thema Gewichtsreduktion stellt meiner Meinung nach zum einen eines der bedeutendsten Themen und zum anderen auch eines der am häufigsten missverstandenen und unterschätzten Themen dar. Das Potenzial der Gewichtsreduktion wird von den Patienten häufig als „Kleinigkeit“ abgetan. Es sollte jedoch quasi die Grundlage vieler orthopädischer Maßnahmen sein, da sowohl konservative als auch operative Maßnahmen ohne die notwendige Normalisierung des Gewichtes eine dramatische Reduktion der Wirksamkeit erfahren. Die Arthrosetherapie stellt eine Kompensation des degenerativen Prozesses des Gelenkes dar, wodurch trotz teilweise massiver Degeneration die Symptome gering ausfallen können. Ein wichtiger Baustein dieser Kompensation ist sicherlich die mechanische Belastung, die maßgeblich vom Körpergewicht bzw. der physikalischen Gewichtskraft abhängt. Der größte Fehler ist meiner Meinung nur die Bagatellisierung des Gewichtsproblems und dessen Therapie. Die Therapie sollte in professionelle Hände und unter interdisziplinärer medizinischer Kontrolle und vor allem Unterstützung erfolgen. Die Empfehlung, „einfach etwas disziplinierter zu sein“ ist dabei als fahrlässig und unseriös anzusehen.“
Gerade auch bei der Gonarthrose ist dieses Gebiet ein wichtiger Faktor, wie man z. B. auch in der S3-Leitlinie Evidenz- und konsensbasierte Indikationskriterien zur Hüfttotalendoprothese bei Coxarthrose nachlesen kann, in der geschrieben steht, dass es zum Effekt einer Gewichtsreduktion bei Coxarthrose zwar keine direkte Evidenz gibt, allerdings der Effekt für die Gonarthrose nachgewiesen ist und somit auch für die Coxarthrose biomechanisch plausibel erscheint [6]. Im Zuge gemeinsamer Gespräche und Recherchen ist uns hierbei u. a. auch eine kleine, anwendungsorientierte australische Studie aufgefallen, bei der gezeigt wurde, dass videobasierte, telemedizinisch bereitgestellte individuelle Trainings- und Gewichtsabnahmeprogramme / Mahlzeitenersatz, mit Online-Bildungsunterstützung Schmerzen und Funktion bei Menschen mit Kniearthrose und Übergewicht oder Fettleibigkeit verbesserten [7]. Dies ist nur ein Beispiel einer aktuellen Arbeit aus dem Bereich modernen Gewichtsmanagements. Hilfreich könnte in diesem Zuge auch eine BIA-Messung zur Dokumentation der Körperzusammensetzung in Verbindung mit Mahlzeitenersatz sein, wie eine noch nicht veröffentlichte Studie von Dr. Manfred Claussen mit dem Thema Ambulante Gewichtsreduktion durch Mahlzeiten-Ersatz-Therapie in der ärztlichen Praxis (wird in der „Aktuellen Ernährungsmedizin“, Thieme Verlag veröffentlicht), zeigt. Die Ergebnisse dieser Studie werden im nächsten Newsletter der sportärztezeitung vorgestellt.
Diese Empfehlungen sollten natürlich auch in orthopädische und unfallchirurgische Praxen implementiert werden. Wie dies geschehen kann und umsetzbar ist, soll an dieser Stelle ein kleiner Einblick aus der Orthopädischen Praxis (MVZ OCP Kassel Lichtenau gGmbH) sowie der Arbeit als Mannschaftsarzt im Bundesligahandball mit der MT Melsungen zeigen. Gerade im Spitzensport ist es in den letzten Jahren zu einer weiteren deutlichen Leistungssteigerung sowohl bei den Individual- aber auch Mannschaftsportartenarten gekommen. Gründe hierfür sind optimierte Trainingsmethoden und Regenerationszyklen – die im Profisport wegen des Termindrucks leider häufig zu kurz kommen-, die Implementierung des ganzheitlichen Athletiktrainings, die verbesserte sportphysiotherapeutische, sportärztliche Betreuung sowohl orthopädisch- unfallchirurgisch, allgemeinmedizinisch aber auch internistisch / sportkardiologisch. Weitere Leistungssteigerungsmöglichkeiten werden in den letzten Jahren vor allem auch aus individuell abgestimmten sporternährungstechnischen Gründen erzielt und von vielen Sportlern, respektive vor allem Profivereinen mit neuen Ernährungskonzepten umgesetzt. Neben einer inhaltlichen und zeitlichen Optimierung der Ernährung, dem dazugehörigem labortechnischen Monitoring, erfolgt eine gezielte Substitution der Vitamin- und Spurenelementenzufuhr, aber auch vor allem Proteinsupplementierung sowohl auf den Tages- als auch saisonalen Wettkampfrhythmus abgestimmt. Natürlich können diese z.T. auch sehr kostenintensiven Maßnahmen der Hochleistungssportmedizin nicht eins zu eins auf andere Bereiche (wie beispielsweise ältere multimorbide Osteoporosepatienten mit einer Oberschenkelhalsfraktur) übertragen werden. Aber eine große Anzahl der genannten Aspekte lassen sich auch kostengünstig und für viele, gerade ältere Patienten umsetzen, mit präventiver Bewegungstherapie inkl. Sturzprophylaxe bei den Älteren, Übergewichtsberatung mit nachfolgender Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion, ggfls. Eiweißsupplementierung, was sich auch zu Hause und in den Seniorenheimen, auch gut in Gruppenform, umsetzen lässt. Über eine Optimierung in Bezug auf Krankenhausernährung wurde weiter oben schon hingewiesen. In der orthopädisch- unfallchirurgischen Praxis ist es sicherlich empfehlenswert, Patienten, gerade mit symptomatischen Gonarthrosen und Übergewicht, Tipps zur Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung und zur Bewegung zu geben, wie beispielsweise Sportumstellungen, ab 55 vermehrt anteilig auf das Fahrrad anstelle von reinem Laufsport, Besuch von Fitnessstudios und Sportvereinen sowie Training zu Hause mit modernen Bewegungstherapieapps, wie z. B. Ortho Hero App, die über Rezept verordnet werden können und natürlich auch die Verordnung von Rehasport.
Natural Treatment First inkl. Phytopharmaka, Bewegung & Sport
Im gleichen Atemzug kommt die Weiterentwicklung nichtmedikamentöser Therapien ins Spiel. Natural Treatment First inkl. Phytopharmaka dient als Ergänzung und flankierende Maßnahme der klassischen medikamentösen Therapien und deren Gebrauch. Durch diese Erweiterung und die Entwicklungen auf diesem Gebiet, werden solche Optionen in Zukunft noch zielgerichteter angewendet werden können. Hier hat gerade auch der Bereich der Selbstanwendung (self- & homecare), immer in Abstimmung mit dem Arzt und Therapeuten, viel Potenzial, Medikamentenmissbrauch oder auch einfach einem falschen Gebrauch entgegenzuwirken. In den letzten Monaten sind immer mehr Studien aus dem Gebiet der oral enzyme combination und auch in Bezug auf undenaturiertes Typ II Collagen sowie weitere antientzündliche Nahrungsmittel / Phytopharmaka – und Ernährung veröffentlicht worden. Ein Bereich, der ständig wächst und kontinuierlich an Qualität zunimmt. Passend und erwähnenswert sind hierbei überblicksmäßig die Arbeiten von Klein et al. (2006) [8], Egerton et al. (2022) [9] sowie der Artikel von Pöttgen / Hotfiel zu antientzündlicher Ernährung in der sportärztezeitung (2018) [10]. Ebenso empfehlenswert sind die Arbeiten von Liu et al. (2018) [11], sowie die von unserem Beirat Dr. Paul Klein plus Kollegen initiierte Studie zur Wirkung der oralen Einnahme von UC-II auf Schmerz und Funktion bei Patienten mit Gonarthrose im Vergleich zu Placebo. Die Studie wurde am 08.02.2022 durch die Ethikkommission der Universität Witten/Herdecke mit einem positiven Votum belegt und liegt derzeit bei den lokalen Ethikkommission der beteiligten Prüfzentren zur Genehmigung vor. Eine Einblick in die Studie finden Sie HIER, die Ergebnisse dazu werden wir Ihnen in der sportärztezeitung präsentieren.
Das Ganze entfaltet eine noch größere Wirkung kombiniert mit zielgerichtetem Sport (Bewegung), worauf u. a. die Leitlinie Gonarthrose im Abschnitt 5.2 Physiotherapie / Bewegungstherapie, Empfehlung 5.1 hinweist: „Maßnahmen der Bewegungstherapie als Kraft-, Ausdauer- und Beweglichkeitstraining sollen zur primären Behandlung der Gonarthrose angewendet werden.“ [1] Abschnitt 5.2.3 hebt die Bedeutung kombinierter Programme hervor: „Interventionen aus Bewegungstherapie kombiniert mit edukativen Interventionen zur Schmerzbewältigung sollten durchgeführt werden.“ [1] Patienten müssen dabei jedoch professionell angeleitet werden und das Training muss individuell angepasst werden, was in den Aufgabenbereich von Sportwissenschaftlern und spezialisierten Physiotherapeuten fällt. Dies wird u.a. in der Leitlinie Koxarthrose beschrieben: „Die landbasierte Bewegungstherapie ist das Kernelement der konservativen, nichtpharmakologischen Behandlung der Koxarthrose. Das Training sollte zunächst durch einen Physiotherapeuten oder eine andere bewegungstherapeutisch tätige Berufsgruppe angeleitet werden. Bewegungstherapie trägt zur Schmerzlinderung, Funktionsverbesserung und Lebensqualität bei Patienten und Patientinnen mit Koxarthrose bei. (…) Es empfiehlt sich, das Training zunächst professionell anzuleiten.“ [4] Weiter heißt es dort in der Empfehlung 4.4, dass „im Rahmen der Behandlung Instruktionen zum Selbstmanagement vermittelt werden sollen. Anleitung für Techniken und Fähigkeiten zum Schmerzmanagement, Entspannung und Animation zu regelmäßiger Bewegung stellen hierbei die Inhalte für diese Instruktionen dar (Starker Konsens)“ [4] In Australien kommen Exercise Physiologist (Exercise Therapist) bei teilweise noch schwerwiegenderen Erkrankungen als Gonarthrose, wie z. B. auch Krebserkrankungen, als Trainer /Experten nach ärztlicher Verordnung sehr effektiv zum Einsatz und stellen eine weitere gute Option in der Behandlungsstrategie von Patienten dar.
Insbesondere das Thema Sport und Gonarthrose wird jedoch weiterhin häufig falsch dargestellt. So gibt es auch in der Wissenschaft immer mehr Evidenz, dass eine gezielte sportliche Betätigung als positiv für den Verlauf der Gonarthrose gesehen werden kann. Eine longitudinale Untersuchung im Rahmen der sogenannten „OA-Initiative“ zeigte, dass z. B. Joggen kein „Arthrose-Treiber“ ist, sondern dass es sogar positive Auswirkungen auf die Schmerzentwicklung hat [12]. Genauso können auch ältere Arthrose-Patienten noch von Krafttraining der unteren Extremität profitieren [13] und sowohl Schmerz als auch Gelenkfunktion können mit gezieltem Training verbessert werden [14]. Die somit verbesserte Lebensqualität und die Reduktion des Schmerzes von Patienten mit Gonarthrose – ohne Medikamente oder operative Intervention – ist durch viele Meta-Analysen [13, 14] belegt und muss mehr in den ärztlichen und therapeutischen Fokus rücken. So ist es unsere Aufgabe, den positiven Zusammenhang von Sport und Gonarthrose in den Vordergrund zu stellen und alle vorhandenen Modalitäten auszuschöpfen. Gerade die Kombination von individualisiertem Training / Sport und Gewichtsmanagement / Ernährung birgt größte Chancen für die Behandlung der Knie- und Hüftarthrose. Die neue Leitlinie Gonarthrose kann hierfür im Sinne unserer Patienten genutzt werden.
Worauf hier der Schwerpunkt gesetzt wird, welche Arten der Kombination im einzelnen Fall sinnvoll und nützlich sind, muss immer wieder individuell aufs Neue bestimmt werden. Hier spielt vor allem auch das Gespräch zwischen Arzt, Therapeut, Trainer, Patient und Sportler eine ganz entscheidende Rolle. Mit dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) 2020 soll das Arzt-Patienten-Gespräch stärker gefördert werden. Vielen Ärzten ist aber in der Praxis nicht ganz klar, wie Sie diese „sprechende Medizin“ nach Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und EBM abrechnen können. Gute Abrechnungsmöglichkeiten sind jedoch vorhanden, worauf der Virchowbund hinweist [15]. Die Leitlinie Gonarthrose gibt in ihrer qualitativ hochwertigen Ausführung genügend Spielräume – in der Praxis muss dies konkret umgesetzt werden, später dann gegebenenfalls erweitert und ergänzt durch neu gewonnene Erkenntnisse aus Wissenschaft und Anwendung. Dazu sind alle Beteiligten aufgefordert. Lassen Sie uns die Leitlinien (aktuelle sowie Update Leitlinie Gonarthrose) und die hervorragende Arbeit der Ärzte, die an diesen Leitlinien arbeiten, weiter unterstützen, voneinander lernen, Verbindungen schaffen und die Versorgungsrealität durch gute sportmedizinische Anwendungen weiterentwickeln. Unsere Mission ist es, in diesen Bereichen noch konkreter Handlungsempfehlungen geben zu können.
Literatur
[1] S2k-Leitlinie Gonarthrose (Federführender Autor: Prof. Dr. J. Stöve), Stand 18.01.2018
[2] Stöve, Ellermann, Flechtenmacher, Herbort „Leitlinie Gonarthrose – Ein Gespräch unter Experten“ sportärztezeitung 04 /18, S. 6 –15.
[3] Müller P et al. 2021 Physical Activity, Aging and Brain Health. Dtsch Z Sportmed. 2021;72: 327–334. doi:10.5960 /dzsm.2021.506
[4] S2k-Leitlinie Koxarthrose (Federführender Autor: Prof. Dr. G. Matziolis), Stand 08.07.2019
[5] McRae M, Hancock M 2017 Adults attending private physiotherapy practices seek diagnosis, pain relief, improved function, education and prevention: a survey. Journal of Physiotherapy, 63, Issue 4, October 2017, p. 250 –256
[6] S3-Leitlinie Evidenz- und konsensbasierte Indikationskriterien zur Hüfttotalendoprothese bei Coxarthrose (Federführende Fachgesellschaft: DGOU), Stand 24.03.2021
[7] Kim L. Bennell, et al. 2021 Comparing Video-Based, Telehealth-Delivered Exercise and Weight Loss Programs With Online Education on Outcomes of Knee Osteoarthritis – A Randomized Trial. Annals of Internal Medicine (2021: Doi: 10.7326 /M21-2388)
[8] Klein G et al. 2006 Efficacy and tolerance of an oral enzyme combination in painful osteoarthritis of the hip. A double-blind, randomised study comparing oral enzymes with non-steroidal anti-inflammatory drugs. Clin Exp Rheumatol.2006;24(1):25 – 30.
[9] Egerton T et al. 2022 Expert-Moderated Peer-to-Peer Online Support Group for People With Knee Osteoarthritis: Mixed Methods Randomized Controlled Pilot and Feasibility Study. JMIR Form Res 2022;6(1):e32627
[10] öttgen K, Hotfiel T „Alternative zu NSAR/Schmerzmittel – Einsatz und Potenziale entzündungshemmender pflanzlicher Nahrungsergänzung“ sportärztezeitung 03 /18, S.84 – 89
[11] Liu et al. 2018 Dietary supplements for treating osteoarthritis: a systematic review and meta-analysis. Br J Sports Med 2018 52(3):167–175. doi: 10.1136/bjsports-2016-097333.
[12] Lo GH, Musa SM, Driban JB, Kriska AM, McAlindon TE, Souza RB, Petersen NJ, Storti KL, Eaton CB, Hochberg MC, Jackson RD, Kwoh CK, Nevitt MC, Suarez-Almazor ME. Running does not increase symptoms or structural progression in people with knee osteoarthritis: data from the osteoarthritis initiative. Clin Rheumatol. 2018 Sep;37(9):2497–2504.
[13] Liao CD, Chen HC, Kuo YC, Tsauo JY, Huang SW, Liou TH. Effects of Muscle Strength Training on Muscle Mass Gain and Hypertrophy in Older Adults With Osteoarthritis: A Systematic Review and Meta-Analysis. Arthritis Care Res (Hoboken). 2020 Dec;72(12):1703-1718.
[14] Goh SL, Persson MSM, Stocks J, Hou Y, Welton NJ, Lin J, Hall MC, Doherty M, Zhang W. Relative Efficacy of Different Exercises for Pain, Function, Performance and Quality of Life in Knee and Hip Osteoarthritis: Systematic Review and Network Meta-Analysis. Sports Med. 2019 May;49(5):743-761.
[15] So können Sie sprechende Medizin nach GOÄ und EBM abrechnen 2019. Virchowbund. https://www.virchowbund.de/praxisaerzte-blog/so-koennen-sie-sprechende-medizin-nach-goae-und-ebm-abrechnen
Autoren
ist Dipl. Sportwissenschaftler, Gründer und Herausgeber der sportärztezeitung sowie Gründer und Geschäftsführer von thesportgroup GmbH aus Mainz.
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Der Sportmediziner und Chiropraktiker hat eine Zulassung als Durchgangsarzt (D-Arzt) und ist Mitinhaber der Orthopädisch chirurgischen Gemeinschaftspraxis und Praxisklinik OCP Kassel mit dem Schwerpunkt ambulante Operationen. Außerdem betreut Dr. Rauch die 1. Bundesliga Handballmannschaft MT-Melsungen, war gewählter Kongresspräsident des größten europäischen orthopädisch-unfallchirurgischen Kongresses DKOU 2018 in Berlin und wiss. Beirat der sportärztezeitung.
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und ärztlicher Leiter des UKE Athleticum am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf. Er hat seit 2021 eine Professur für Orthopädische Sportmedizin am UKE. Außerdem ist er leitender
Mannschaftsarzt der HSV Fußball AG. Sein klinischer Fokus liegt im Bereich der regenerativen Knorpeltherapie, der Behandlung von Sportverletzungen und Überlastungsschäden. Prof. Welsch ist wiss. Beirat der sportärztezeitung.