Rückenschmerzen weisen sowohl in der Gesamtbevölkerung als auch unter Sportlern eine hohe Prävalenz auf [1]. Insbesondere Schmerzen im unteren Rückenbereich verursachen mehr Lebensjahre mit Behinderung und damit eine höhere individuelle Krankheitslast als jede andere Erkrankung [2]. Vor diesem Hintergrund kommt der Prävention von Rückenschmerzen ein hoher Stellenwert zu.
Zu präventiven Ansätzen gibt es im Gegensatz zur Behandlung von Rückenschmerzen wenig belastbare Evidenz. Dennoch lassen sich spezifische Vorgehensweisen ableiten. Biofeedback stellt eine Möglichkeit dar, der multifaktoriellen Genese von Rückenschmerzen Rechnung zu tragen und kann somit präventive Maßnahmen in Kombination mit weiteren Methoden erfolgsversprechend unterstützen.
Pathogenese
Rückenschmerzen können nicht auf eine singuläre Ursache zurückgeführt werden. Es ist von einem kombinierten Einfluss von physischen, psychosozialen und individuellen Faktoren auszugehen, wobei das exakte Zusammenspiel der beteiligten Einflussgrößen bei der Entstehung und Chronifizierung von Rückenschmerzen noch als unklar zu bezeichnen ist. Eine Möglichkeit, die Rolle dieser drei Faktoren und deren Interaktion abzubilden, stellt das Modell nach Bongers et al. (2002) dar [3] (Abb. 1). Mechanische Belastungen können sowohl auf direktem Weg muskuloskelettale Symptome verursachen als auch im Zusammenwirken mit psychosozialen Anforderungen und den dadurch bedingten Beanspruchungen. Letztere können zu einer physiologischen Stressantwort mit erhöhter Muskelanspannung führen und dadurch muskuloskelettale Symptome begünstigen. Individuelle Faktoren, wie früher bereits aufgetretene Symptome, funktionelle Kapazitäten (z. B. Muskelkraft), maladaptive Kognitionen und Merkmale der Persönlichkeit wirken moderierend auf diese Wirkzusammenhänge ein. Es ist davon auszugehen, dass individuelle psychische Faktoren insbesondere bei der Chronifizierung von Rückenschmerzen eine bedeutsame Rolle spielen [4]. Ein möglicher Wirkpfad zur Interaktion von biomechanischen und psychosozialen Faktoren kann darin gesehen werden, dass psychische Anforderungen wie Zeitdruck über Veränderungen von Körperhaltungen und Bewegungsabläufen die biomechanische Beanspruchung unmittelbar erhöht.
Dieses aus epidemiologischen Daten entwickelte Modell lässt sich auch auf den Bereich des Sports übertragen. So konnte gezeigt werden, dass neben biomechanischen Faktoren, wie einseitigen Belastungen, auch psychosoziale Faktoren zur Entstehung von Rückenschmerzen beitragen [5, 6]. Auch in Bezug auf eine Interaktion von biomechanischen und psychischen Belastungen wurde beispielsweise nachgewiesen, dass ein kognitiver Stressor während hochdynamischer, sportspezifischer Bewegungen zu einer Erhöhung von muskuloskelettalen Belastungen führt [7].
Beitrag von Biofeedback zur Prävention
Präventionsmaßnahmen sollten entsprechend dieser Annahmen multimodal auf den drei Ebenen der körperlichen, psychosozialen und psychischen Faktoren ansetzen. Biofeedback als Methode der angewandten Psychophysiologie ermöglicht es, zentrale oder peripher-physiologische Parameter zu messen und in Echtzeit rückzumelden. Zur Wirkungsweise von Biofeedback lassen sich vor allem zwei Pfade aufzeigen, die mit den Zielfeldern einer verbesserten Reaktionskontrolle sowie einer erhöhten Selbstwirksamkeit korrespondieren [8] (Abb. 2). Unter der Bedingung von Echtzeitrückmeldungen wird gelernt, physiologische Veränderungen bewusst herbeizuführen und hierüber Symptome zu vermeiden bzw. verbessern. So können psychische und psychosoziale Beanspruchungsreaktionen kontrolliert werden. Bei der Auswahl physiologischer Parameter bietet sich hier etwa die Oberflächen-Elektromyografie (EMG) an, bei der Veränderungen der Muskelaktivierung gemessen und sichtbar gemacht werden. Hier zeigt sich, wenn Muskeln sich beispielsweise unter Stress anspannen und durch Einsatz entsprechender Werkzeuge wieder entspannen. Dafür kommen etwa Bausteine der Progressiven Muskelrelaxation (PMR) in Frage. Bei diesem psychologischen Verfahren werden einzelne Muskeln kontrolliert angespannt und die Aufmerksamkeit darauf gerichtet. Anschließend wird die Spannung losgelassen und bei ruhiger Atmung das Gefühl der Entspannung vertieft. Zusätzlich können durch das Wahrnehmen dieser Kontrollmöglichkeit Bewältigungsressourcen wie Selbstwirksamkeitserwartungen gestärkt werden. Die auf dieser Grundlage auch mittelfristig verbesserte Selbstregulationsfähigkeit kann dazu beitragen, künftige Reaktionen auf Stressoren abzumildern.
Diese beiden Wirkmechanismen beeinflussen in dem oben genannten Modell von Bongers (2002) [3] die Ebene der psychosozialen Beanspruchungen und der individuellen Faktoren. Um auch die biomechanische Beanspruchung und deren Interaktion zu psychologischen Faktoren zu berücksichtigen, sollte zusätzlich die Rückmeldung dysfunktionaler Bewegungsabläufe und Körperhaltungen einbezogen werden. Vor diesem Hintergrund kann Biofeedback, eingebettet in ein biopsychosoziales Verständnis, als prädestiniert dafür erscheinen, einen effektiven Beitrag zur Prävention von Rückenschmerzen zu leisten.
Ausgewählte Aspekte zur Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention
Allgemein lassen sich Präventionsmaßnahmen in Abhängigkeit von der Entwicklungsstufe einer Erkrankung in primäre, sekundäre und tertiäre Maßnahmen einordnen. Während primärpräventive Maßnahmen darauf abzielen, Rückenschmerzen zu vermeiden, können sekundärpräventive Maßnahmen eine Chronifizierung akuter Schmerzen verhindern. Ziel der tertiären Prävention ist es, Folgeschäden aus Erkrankungen zu vermeiden und Rückfällen vorzubeugen.
Primärprävention
Da Rückenbeschwerden oftmals früh auftreten, erscheinen primäre Präventionsmaßnahmen bereits im Kindes- und Jugendalter als sinnvoll. In der Praxis zeigen sich bereits bei jungen Athleten High-Responder in Bezug auf muskuläre Aktivierung unter Stressbelastung. Diese gilt es, frühzeitig zu identifizieren und Fehlbelastungen in Trainings- und Wettkampfsituationen zu vermeiden. Unterstützend sollten kognitiv-behaviorale Interventionen zum Einsatz kommen, um allgemein Bewältigungsressourcen auszubauen.
Sekundärprävention: Vermeidung der Chronifizierung von Rückenschmerzen
Bei der Chronifizierung von Rückenschmerzen spielen psychologische Variablen eine bedeutsame Rolle. Auf empirisch gesicherter Grundlage lassen sich, neben sogenannten maladaptiven Kognitionen im Bereich der Schmerzwahrnehmung und unangebrachter Schonung, auch geringe Selbstwirksamkeitserwartungen und Depressivität als bedeutsam hervorheben. Dies spiegelt sich auch in der Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen wider. So konnten Meyer et al. (2018) aufzeigen, dass Hoch-Risikopatienten, zusätzlich zu körperbezogenen Techniken, von kognitiv-behavioralen Maßnahmen profitierten [9]. Ein direkter Vergleich eines kognitiv-behavioralen und eines Biofeedback-Trainings ergab, dass beide Interventionen zu einer Reduktion des Schmerzes führten, wobei in diesem Fall die kognitiv-behaviorale Intervention einer Biofeedback-basierten Maßnahme überlegen war [10]. Biofeedback ist ohnehin nicht als eigenständiges Verfahren anzusehen, sondern als Methode. Es lässt sich in kognitiv-verhaltensorientierte Ansätze problemlos integrieren, wie es in der Praxis durchaus üblich ist. Ein solches Vorgehen erweist sich oftmals als erfolgreich.
Tertiärprävention
Aus praktischer Sicht werden rehabilitative Maßnahmen häufig zu früh beendet. Rückenschmerzpatienten passen häufig ihr motorisches Verhalten an, um zukünftig Schmerzen zu vermeiden [11]. Diese motorischen Anpassungen können sich nach wiedererlangter Schmerzfreiheit fortsetzen. So ist es notwendig, im Laufe rehabilitativer Maßnahmen auch nach erreichter Schmerzfreiheit Muster der motorischen Kontrolle und Muskelaktivierung zu überprüfen und gegebenenfalls weiter zu verbessern, idealerweise auf der Basis von psychophysiologischen Messungen.
Fazit / Empfehlungen für Praxis
Als Komponente multimodaler Präventionsprogramme kann Biofeedback eine vielversprechende Methode darstellen. Künftige Fortschritte bei der Sensorik und Datenanalyse lassen noch differenziertere Möglichkeiten, Feedback zu Stresszuständen und physiologischen Reaktionen sowie zu Haltung und Bewegung zu integrieren, erwarten und erweitern so die Perspektive für individualisierte Präventionsstrategien auf einer systematisierten Grundlage. Die aktuelle Studienlage lässt die Einschätzung zu, dass in der Primär- und Sekundärversorgung eine an die individuellen Merkmale der Patienten angepasste Behandlung sowohl aus klinischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht effektiver ist, als eine ausschließlich an allgemeinen Standards ausgerichtete Behandlung.
Literatur
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[2] Cieza, A.; Causey, K.; Kamenov, K.; Hanson, S. W.; Chatterji, S.; Vos, T. (2020): Global estimates of the need for rehabilitation based on the Global Burden of Disease study 2019: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. In: The Lancet 396 (10267), S. 2006–2017. DOI: 10.1016/S0140-6736(20)32340-0.
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[4] Hasenbring, M.; Hallner, D.; Klasen, B. (2001): Psychologische Mechanismen in Prozess der Schmerzchronifizierung – Unter- oder überbewertet? In: Schmerz 15 (6), S. 442–447. DOI: 10.1007/s004820100030.
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[7] Auer, S.; Krutsch, W.; Renkawitz, T.; Kubowitsch, S.; Süß, F.; Dendorfer, S. (2020): Kognitiver Stress führt zu unphysiologisch erhöhten Kniebelastungen im Profifußball. In: Sports Orthopaedics and Traumatology 36 (2), S. 202–203. DOI: 10.1016/j.orthtr.2020.04.122.
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[9] Meyer, C.; Denis, C.; Berquin, A. (2018): Secondary prevention of chronic musculoskeletal pain: A systematic review of clinical trials. In: Annals of physical and rehabilitation medicine 61 (5), S. 323–338. DOI: 10.1016/j.rehab.2018.03.002.
[10] Hasenbring, M.; Ulrich, H. W.; Hartmann, M.; Soyka, D. (1999): The efficacy of a risk factor-based cognitive behavioral intervention and electromyographic biofeedback in patients with acute sciatic pain. An attempt to prevent chronicity. In: Spine 24 (23), S. 2525–2535. DOI: 10.1097/00007632-199912010-00015.
[11] van Dieën, J. H.; Flor, H.; Hodges, P, W. (2017): Low-back pain patients learn to adapt motor behavior with adverse secondary consequences. In: Exercise and sport sciences reviews 45 (4), S. 223–229. DOI: 10.1249/JES.0000000000000121.
Autoren
ist Professorin für das Lehrgebiet Personalpsychologie an der Hochschule Augsburg. Zu ihren Schwerpunkten gehören der Einfluss von Persönlichkeit auf den Umgang mit psychosozialen Belastungen und die Förderung von Gesundheit am Arbeitsplatz. Gemeinsam mit dem Labor für Biomechanik an der OTH Regensburg untersucht sie ganzheitlich den Einfluss von Stress auf biomechanische, physiologische und psychische Parameter.
ist Geschäftsführer der Gesellschaft für Angewandte Psychologie, Karl Kubowitsch und Partner, Regensburg. Sein Schwerpunkt ist die Förderung von nachhaltiger Leistungsfähigkeit in unterschiedlichen Performance Domänen wie Spitzensport, Luftfahrt und Wirtschaft. Er ist u. a. Biofeedback Therapeut und Supervisor für Biofeedback.