Die Bewegungsanalyse hat in der orthopädischen Praxis einen wichtigen Stellenwert eingenommen, da Schmerzsyndrome häufig nicht auf Strukturschädigungen – und somit durch eine bildgebende (Schnittbild)-diagnostik nachweisbar –, sondern auf Funktionsbeeinträchtigungen zurückzuführen sind, die nur einer differenzierten Funktionsanalyse zugänglich sind.
Auf dem Markt gibt es verschiedene Anbieter hochspezialisierter Vermessungssysteme, die in der Lage sind, sowohl statische Haltungsanalysen als auch dynamische Bewegungsanalysen durchzuführen, bis hin zu Hochgeschwindigkeitsanalysen, die dann im Hochleistungssportbereich eine Rolle spielen.
Einsatzmöglichkeiten einer solchen Haltungs-/Bewegungsanalyse:
- unspezifische Rückenschmerzen (Sportler/Nicht-Sportler)
- auf- und absteigende Kettenprobleme durch Blockaden (Talusblockade, Fibulaköpchenblockade, ISG-Blockaden)
- nach Prothesenimplantationen (Knie, Hüfte und Sprunggelenk)
- vor und nach Umstellungsoperationen bei Beinachsenstörungen
- Haltungsanomalien im Kindesalter zur Verlaufskontrolle (skoliotische Fehlhaltung/Skoliose)
- z. B. im Rahmen von Kaderuntersuchungen bei jungen leistungsorientierten Sportlern zur Vermeidung von Überlastungsschäden
Rückenschmerz
Insbesondere der unspezifische Rückenschmerz kann durch Funktionsstörungen, wie z. B. der hüftübergreifenden Muskelgruppen, der geraden und schrägen Bauchmuskulatur oder durch Verkürzungen der autochthonen Rückenmuskulatur verursacht werden, entweder durch einseitige Belastungen oder durch fehlerhaftes Training. Als wichtigster Rückenstabilisator nimmt die autochthone Rückenmuskulatur und als Gegenspieler der M. Iliopsoas eine wichtige Rolle ein. Bei ständigem Sitzen kommt es zu Verkürzungen der Iliopsoasmuskulatur, mit einhergehender Abschwächung der autochthonen Rückenmuskulatur, welches unweigerlich zu einer Hyperlordose führt. Hyperlordotische Beschwerden führen zu unspezifischen Kompressionssyndromen der Facettengelenke, aber auch zu Irritationen der austretenden Spinalnerven, sodass der Rückenschmerz durch ein einfaches Auftrainieren der Rückenstützmuskulatur mit einem gleichzeitigen Aufdehnen der Iliopsoasmuskulatur (Entlordosierung) sehr häufig positiv beeinflusst werden kann.
Komplexer wird es, wenn zu den muskulären Beschwerden auch Rotationsfehlstellungen im Bereich der unteren LWS/des ISG zu einer Beckentorsion führen, die dann durch manualtherapeutische/osteopathische Maßnahmen verbesserbar sind. Hier spielt die Wirbelsäulenvermessung eine wichtige Rolle, weil lichtoptisch sowohl die Stellung der Beckenetage als auch eine etwaige Rotationsfehlstellung und Seitverbiegung der unteren Lendenwirbelsäule strahlungsfrei nachgewiesen werden können und der Physiotherapeut die einzelnen Blockaden dann gezielt angehen kann. Die Funktionsanalyse erlaubt eine dezidierte Betrachtung sämtlicher Wirbelkörper, sodass zum einen eine strahlungsfreie Diagnostik erfolgen kann und zum anderen auch eine Überprüfung des manual-/physiotherapeutischen Behandelns möglich ist (Kontrolluntersuchungen).
Der größte Pluspunkt der Bewegungsanalyse ist die Tatsache, dass der Patient mit Hilfe eines individualisierten Trainingsplanes an defizitären/verkürzten Muskelgruppen arbeiten kann und man zusätzlich in der Lage ist, über Apps einen individualisierten Trainingsplan auf das Smartphone des Patienten zu spielen sowie über Wearables dann auch zu messen, ob dieser Trainingsplan in der vorgegebenen Intensität und Frequenz bearbeitet wird. Ein spezifisches Auslesen der über die Wearables erhobenen Daten im Beisein des Patienten (Datenschutzthematik) gibt Rückschlüsse auf durchgeführte Frequenz und Intensität des Trainings und führt zu einer weiteren Motivierung des Patienten. Das lichtoptische System gewährleistet eine strahlungsfreie und somit in regelmäßigen Abständen (sechs- bis achtwöchige Intervalle) wiederholbare Messung. Die detaillierte Auswertung dokumentiert sämtliche veränderten Parameter und kann den Patienten so zusätzlich motivieren, seinen individuellen Trainingsplan weiter zu befolgen. Auch Dysbalancen im Bereich der Brust- und Halswirbelsäule durch Blockaden, Seitausbiegung oder Verkürzung von verschiedenen Muskelgruppen (Rhomboidalmuskulatur, Musculus trapezius, autochthone Rückenmuskulatur der BWS) können dargestellt und Dehnungsübungen bzw. Kräftigungsübungen eingeleitet werden.
Sprunggelenk
Funktionelle Beschwerden des Sprunggelenkes mit einhergehenden Reizungen der Achillessehne oder Abrollstörungen des USG sind bei Stop and Go-Sportlern häufig. Zum einen spielt die Fußstellung, zum anderen aber auch die gesamte Beinachse und die absteigende Muskelkette vom Becken bis zum Sprunggelenk eine wichtige Rolle. Durch die Bewegungsanalyse auf dem Laufband können Fehlstellungen im oberen/unteren Sprunggelenk, aber auch valgische und varische Beinachsendeformitäten bzw. Einschränkungen des Pelvic Drop nachgewiesen und therapeutisch angegangen werden. Zusätzlich zu den funktionellen Einschränkungen steht das Sprunggelenk bei Stop and Go-Sportarten durch seine Anfälligkeit für Supinationstraumata im Fokus der orthopädischen Therapie. Mehrere (intelligente) Stabilisierungsbandagen (z. B. FastProtect Malleo, Fa. Juzo) bieten aktuell durch „intelligente“ Stabilisierungsmaßnahmen die Möglichkeit, ein Sprunggelenk sozusagen prophylaktisch vor einem Umknicktrauma zu bewahren. So ist man in der Lage, den Patienten manualtherapeutisch zu behandeln und durch eigene Trainingseinheiten (Training mit eigenem Körpergewicht) bzw. durch ein Erlernen spiraldynamischer Bewegungsmuster dazu zu bringen, Fehlbelastungen zu reduzieren und das Gangbild zu harmonisieren.
Fazit
Zusammenfassend spielt die statische und dynamische lichtoptische Bewegungsanalyse sowohl beim Normalpatienten zum Nachweis funktioneller Beschwerden eine wichtige Rolle als auch im leistungsorientierten Sportbereich. Hier nicht nur zur Detektion defizitärer Muskelgruppen und zur Leistungsverbesserung, sondern insbesondere zur Prävention eines Auftretens von Überlastungsschäden. Hier gilt, dass die Symmetrie des Muskelmantels den wichtigsten Schutzschild gegen die Entstehung von Verletzungen darstellt. Die Bewegungsanalyse ist als Tool in der modernen orthopädischen Sportmedizin nicht mehr wegzudenken, da neben der althergebrachten Diagnostik von Strukturschädigungen die Funktion immer mehr in den Fokus der Behandler rückt. Eine besonders wichtige Rolle spielt die Bewegungsanalyse sicherlich auch bei der Frage „Return to Motion/Return to Sport“ nach Sportverletzungen. Hier kann durch die Visualisierung von Bewegungsabläufen die Belastungsfähigkeit des Gelenkes insbesondere im Leistungsbereich verlässlich gemessen und somit die Wiedererlangung der Sportfähigkeit ohne die Gefahr eines vergrößerten Re-Injury-Risikos genau eingeschätzt werden.
Autoren
ist Ärztlicher Direktor von Sporthomedic, Sportorthopädische Praxisklinik in Köln, offizielles Medizinzentrum Olympiastützpunkt Rheinland. Er ist Facharzt für Chirurgie mit Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie. Außerdem ist Professor Tobolski Verbandsarzt des Tennisverbandes Mittelrhein sowie ATP-Turnierarzt.