Steffen Kerner, Dr. Olaf Ueberschär,
Fachgruppe Biomechanik am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), Leipzig
Mit der Bewältigung von Rückenschmerzen und der optimalen Vorbereitung auf die täglichen Anforderungen beschäftigen sich Trainer, Physiotherapeuten und Wissenschaftler verschiedenster Fachdisziplinen intensiv sowohl im Kontext von Leistungs-/ Wettkampfsport als auch im Gesundheits-/Rehabilitationstraining (vgl. z. B. das vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft geförderte „Großprojekt Ran Rücken 2011 – 2018: Aktiv gegen Rücken-Schmerz“). Mittlerweile hat sich bei allen Beteiligten die Überzeugung durchgesetzt, dass die muskuläre Absicherung des Rumpfes nicht nur aus der gesundheitlich/präventiven Perspektive notwendig, sondern auch direkt leistungswirksam ist.
Hier besteht jedoch kein Automatismus zwischen der Steigerung der Rumpfkraftvoraussetzungen und der Entwicklung der Wettkampfleistung [5]. Es bedarf offensichtlich spezifischer Reize zur Transformation in die Zielbewegung. Dabei sind die Koordination von Aktivität und Hemmung einzelner Teile der Rumpfmuskulatur und die Abstimmung mit der Extremitätenbewegung entscheidend. Dem kann insbesondere im speziellen Krafttraining damit Rechnung getragen werden, dass zusätzliche Anforderungen an die Rumpfmuskulatur gestellt werden. Beispiele dafür sind intensive Armbewegungen beim Gehen und Laufen (unterstützt von kleinen Zusatzgewichten) oder Zugwiderstände im Bereich der Arme/Schulter.
Leistungsdiagnostische Untersuchungen
Zur Planung von gezielten Trainingsmaßnahmen und zur Kontrolle von deren Wirksamkeit sind entsprechende leistungsdiagnostische Untersuchungen notwendig. Für die Beurteilung der Rumpfkraftvoraussetzungen wurden verschiedene Konzepte entwickelt. Es gibt sowohl die Möglichkeit, sportmotorische Tests [7] als auch apparative Messverfahren zu nutzen [1]. Als besonders zeitökonomisch hat sich die Diagnose am Pegasus (Fa. BfMC) herausgestellt. Hier kann innerhalb von 15 Minuten ein kompletter Basischeck der Kraft- und Beweglichkeit für alle drei anatomischen Hauptebenen des Rumpfes absolviert werden (Abb. 1). Unmittelbar im Anschluss steht ein individueller Report für die Auswertung zur Verfügung. Die Untersuchungen an diesem Gerät konnten für gesunde Sportler folgende Ergebnisse zeigen:
- Im Mittel der in Bezug auf die anatomischen Voraussetzungen (d. h. Körpergröße, Proportionen und Körpermasse) relativierten Kraftwerte zeigen sich Unterschiede zwischen Männern und Frauen vor allem
in der Rotation. Frauen weisen mehr als 10 % geringere Werte in dieser Ebene auf. - Für leptomorphe Sportler ist es deutlich anspruchsvoller, die Rumpfmuskulatur adäquat zu entwickeln, das betrifft wiederum in höherem Maße Frauen.
- Unterschiede in den Sportarten weisen auf ein unterschiedliches Anforderungsprofil hin. So werden im olympischen Leistungssport bei den in Abb. 2 dargestellten Sportarten – männlich wie weiblich – die größten Kraftfähigkeiten der Rückenstrecker im Gewichtheben und Ringen erzielt, die geringsten im Handball und Gehen sowie, geschlechtsspezifisch, bei den Eiskunstläuferinnen. Die beste Ausprägung der Rumpfbeuger (Bauchmuskeln) findet sich bei den Ringern und Judoka, wohingegen die schwächsten diesbezüglichen Kraftvoraussetzungen bei den Triathleten und Skeletoni zu finden sind. Bei der Seitneigung sind es abermals die Gewichtheber und Ringer, welche Bestwerte liefern, während die geringsten Werte bei den Sportarten Gehen, Schwimmen, Triathlon und Handball verzeichnet werden. Bezüglich der Rumpfrotation erreichen wiederum die Ringer, jedoch insbesondere auch die Kanuten und Werfer/Stoßer Spitzenwerte. Die niedrigsten Werte sind in den Sportarten Gehen, Eiskunstlauf und Handball zu finden (Abb. 2, [4]).
- Sportler in Sportarten mit asymmetrischen Beanspruchungen weisen deutliche Seitenunterschiede in der Ausprägung der Rumpfmuskulatur auf (z. B. Canadierfahrer, Werfer). Es zeigt sich meist das folgende Bild: Auf der Antriebsseite ist die Rotation (Ausholbewegung) dominant, während die seitliche Stabilisierung auf der kontralateralen Seite besser entwickelt ist. Da für die Sportler in der Wettkampfphase die Entwicklung der dominanten Antriebsseite leistungsrelevant ist, müssen korrigierende Maßnahmen vor allem in längeren Wettkampfpausen (Vorbereitungsphasen) geplant werden. Es gibt bisher keine Grenzwerte für zu tolerierende Seitenunterschiede.
- Seitenunterschiede sind jedoch auch in vermeintlich symmetrischen Sportarten zu beobachten, vor allem im Zusammenhang mit der Bewegung der oberen Extremitäten z. B. im Schwimmen. Hier wird durch eine einseitige Atmung die Antriebssituation in Richtung eines dominanten Arms verändert. Dies führt sowohl in der Armkraft zu links-rechts-Unterschieden als auch zu den bereits oben beschriebenen Unterschieden in den Rumpfkraftvoraussetzungen. Im Kinder- und Jugendtraining ist durch entsprechende Einflussnahme diesen Effekten unbedingt vorzubeugen.
- Innerhalb eines Trainingsjahrs konnte in einem Nachwuchsteam mit sieben Schwimmerinnen gezeigt werden, dass die in der Rumpfkraftroutine eingesetzten Trainingsmittel relativ wenig entwicklungswirksam sind. Mit dem verstärkten Einsatz von dynamischen Trainingsübungen und Übungen mit Rotationsanteil konnten typische Entwicklungsraten für die Entwicklung der Skelettmuskulatur erreicht werden [3].
- Betrachtet man die Entwicklung der Rumpfkraftvoraussetzungen über die Lebensspanne, so können Kinder bereits sehr gute Rumpfkraftvoraussetzungen erreichen, wenn die Zielwerte auf ihre anatomischen Voraussetzungen relativiert werden. Andererseits zeigen sich aber auch in diesem Altersbereich bereits individuelle Defizite. Im Alter können aktive Senioren die Referenzwerte problemlos erreichen. Defizite entstehen immer dann, wenn die nicht-aktive Rumpfmasse (Fett statt Muskulatur) deutlich steigt und die muskuläre Absicherung der Rumpfbewegungen somit nicht mehr adäquat möglich ist.
- Im Kindesalter sind gute Rumpfkraftvoraussetzungen vor allem mit der Ganzkörperkoordination assoziiert und weniger mit anderen Kraftvoraussetzungen wie Armkraft oder Sprungkraft [9].
Eine Pilotstudie [6] an jugendlichen Leistungssportlerinnen mit chronischen Rückenbeschwerden brachte folgende Aussagen (untersucht wurden Sportlerinnen mit Morbus Scheuermann n=4; Sportlerinnen mit Skoliose n= 8 und Sportlerinnen mit Facettensyndrom n=6):
- Es gab keinen systematischen Unterschied zu altersgleichen, gesunden Sportlerinnen. Im Einzelfall betrugen die Abweichungen jedoch bis zu 50 % von der Norm. Die Gruppe mit Skoliose zeigte eine gute muskuläre Adaptation mit den geringsten Abweichungen. Die Gruppe mit Facettensyndrom zeigte deutliche Kraftdefizite
in der Rumpfbeugung, die Gruppe mit Morbus Scheuermann die größten Defizite in der Rotation. - Die Beweglichkeit war im Mittel nicht eingeschränkt. Es zeigten sich insbesondere keine Gruppenunterschiede. Deutliche Seitendifferenzen in der Beweglichkeit traten bei der Gruppe mit Morbus
Scheuermann in der Seitneigung und in der Gruppe mit Skoliose in der Rotation auf. - Für die Kraft waren in allen Gruppen sehr deutliche Seitendifferenzen messbar, außer in der Gruppe mit Facettensyndrom für die Seitneigung. Besonders auffällig waren die Kraftdifferenzen in der Gruppe mit Skoliose.
- Auf der Basis der individuellen Befunde konnten in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt und dem Physiotherapeuten konkrete Trainingsempfehlungen abgeleitet (und überprüft) werden.
Seitenunterschiede in den Rumpfkraftvoraussetzungen stehen oft auch in Verbindung mit einer schlechteren Ansteuerung einer Bewegungsrichtung. Diese Defizite kann der Sportler in der Regel ohne Feedback nicht erschließen. Dazu ist die Supervision durch einen Trainer/Physiotherapeuten oder durch ein Feedbacksystem notwendig. Wir haben gute Erfahrungen mit einem apparativen Feedback gesammelt. Mit der Vorgabe einer Sinuskurve (oder deren Modulation) können einzelne Bewegungsrichtungen angesteuert werden. Der Sportler „schreibt“ mit seinem Rumpf eine entsprechende Linie auf dem Bildschirm und versucht, die Parameter Zeit und Amplitude den Vorgaben anzupassen. Der Diagnostiker erhält zusätzliche Informationen, wie gut die vorgegebene Bewegungsrichtung eingehalten wurde. Dieses Training dauert im Durchschnitt 20 Minuten und wird von zahlreichen Leistungssportlern mittlerweile regelmäßig genutzt.
Maximierung der Rumpfkraftfähigkeiten & Erhöhung der muskulären Ansteuerung
Neben dem Einsatz in schnellkraftorientierten Sportarten wie Judo und den Wurf-/Stoßdisziplinen (Kugel, Diskus, Speer, Hammer) wurden auch in ausdauerorientierten Sportarten wie Kanu und Rudern Trainingsmaßnahmen durchgeführt. Der Fokus lag neben der Maximierung der Rumpfkraftfähigkeiten in einer Verbesserung der muskulären Ansteuerung. Das Training findet in der Regel über ein bis zwei Monate, mit zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche statt. Grundlage bildet der zu Beginn durchgeführte Maximalkrafttest. Gesteuert wird das Training über die zu erzielende Amplitudenhöhe und die Wiederholungsanzahl. In den Schnellkraftsportarten werden weniger Wiederholungen (6 – 8) mit hohen Intensitäten (bis 95 % der gemessenen isometrischen Maximalkraft) ausgeführt. Der Schwerpunkt der Ausdauersportarten liegt eher in einer Erhöhung der Wiederholungsanzahl (bis 20 Wiederholungen) bei gleichbleibender Amplitudenhöhe (80 %). Steigerungsraten der Rumpfkraftwerte bis zu 20% konnten durch das gezielte Training erreicht werden. Sportler und Trainer berichten gleichermaßen von einem verbesserten Körper- und Ansteuerungsgefühl. Dies zeigt sich in der Sportpraxis in einer stabileren Körpermitte und somit zu einer stabileren Ausführungstechnik. Für die Kanuten und Ruderer zeigte sich zudem eine optisch sichtbare Verringerung der negativ einzuordnenden Bootsbewegung [2].
Aus Sicht der Belastbarkeitssicherung ist die Beobachtung von Schwankungen in der Rumpfkraft von besonderem Interesse. Im Rahmen von regelmäßigen messplatzgestützten Trainingsmaßnahmen werden tagesbedingt Niveauveränderungen sichtbar. Insbesondere nach intensivem GA-II-Training fallen sehr deutliche Reduzierungen der maximalen Rumpfkraftwerte auf, ohne dass die Sportler dies vor Trainingsbeginn erwarten. Sie haben offensichtlich kein intrinsisches Feedback zur reduzierten Belastbarkeit in dieser Situation. Man muss in diesem Zeitraum mit einem erhöhten Verletzungsrisiko rechnen und der Rumpfmuskulatur ebenso wie der Muskulatur der Extremitäten entsprechende Wiederherstellungszeiträume einräumen.
Fazit
Insgesamt kann man feststellen, dass die Diagnose der allgemeinen Rumpfkraftvoraussetzungen wesentliche Informationen für die individuelle Trainingsgestaltung im freizeit- und leistungsorientierten Sport liefern kann. Der dazu erforderliche Aufwand kann so gestaltet werden, dass sowohl Diagnose als auch Intervention in der Routine möglich sind.
Literatur
1. Denner, A. (1998). Analyse und Training der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur: Springer: Berlin.
2. Müller, M. (2016). Der Einsatz von Biofeedbacktraining am Kraftdiagnosegerät Pegasus zur Steigerung der isometrischen Maximalkraft der Rumpfmuskulatur am Beispiel verschiedener Sportarten, Bachelorarbeit, Universität Leipzig, Sportwissenschaftliche Fakultät, IBTW der Sportarten II
3. Otto, N. (2011). Interventionsstudie zum Rumpfkrafttraining mit Anschlusskadern im Schwimmen, Masterarbeit, Universität Leipzig, Sportwissenschaftliche Fakultät, IABTW.
4. Pickardt, S., Kerner, S., Ueberschär, O. Fichtner, I. (2016). Isometric trunk muscle strength of German elite athletes in Olympics disciplines – a quantitative survey. dvs Biomechanik 2016: 11th Joint Conference on Motor Control & Learning, Biomechanics & Training (Proceedings).
5. Prieske, O., Mühlbauer, T. & Granacher, U., (2016). Die Rolle der muskulären Oberkörperkraft für die körperliche Fitness und sportliche Leistung trainierter Probanden: Ein systematischer Überblick und eine Metaanalyse. Sports Medicine
6. Thielbeer, U., (2015). Evaluation der Rumpfkraftdiagnose von jugendlichen Leistungssportlern mit Rückenschmerzen, Masterarbeit, Universität Leipzig, Sportwissenschaftliche Fakultät, IABTW.
7. Tschopp, M., Bourban, P., Hübner, K. & Marti, B. (2001). Messgenauigkeit eines 4-teiligen, standardisierten dynamischen Rumpfkrafttests: Erfahrungen mit gesunden männlichen Spitzensportlern. Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie, 49(2), 67-72.
8. Ueberschär, O., Kerner, S., Pickardt, S., Henschel, K. (2016). Rumpfkraft als leistungs-relevanter Faktor: Sportartspezifik der Anforderungen des nationalen Spitzensports. 1. Duisburger Sportmedizinisches Symposium (Proceedings).
9. Untiedt, K. (2010). Evaluation und Überprüfung der Abhängigkeit zwischen Rumpfkraft und sportmotorischen Leistungsvoraussetzungen bei Nachwuchssportlern anhand ausgewählter sportmotorischer Parameter und eines 3-D-Rumpfkraftmessplatzes. Masterarbeit, Universität Leipzig, Sportwissenschaftliche Fakultät, IABTW.
Autoren
ist Leiterin der Abteilung Biomechanik, Universität Leipzig und hat eine langjährige Erfahrung in der Betreuung und Beratung von Topathleten verschiedener Sportarten in den Bereichen Bewegungsoptimierung, Sicherung der Belastbarkeit und neuromuskuläres Training.