Alle Sportler sind vergleichbaren physikalischen Belastungen ausgesetzt. Die Konstitution, der Trainingszustand und technischen Voraussetzungen sind jedoch unterschiedlich. Eine wesentliche Aufgabe des Sportlers ist es, die physikalischen und physischen Anforderungen und die individuellen Möglichkeiten in Einklang zu bringen.
Gute Ausdauerleistungsfähigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für Verletzungsprophylaxe und Schutz vor Überlastungsschäden z. B. im alpinen Skisport [1]. Eine leistungsfähige und funktionstüchtige Muskulatur ist durch entsprechendes Training und unmittelbar vorbereitende Maßnahmen, wie z. B. Aufwärmübungen zu erreichen und zu erhalten. Die individuelle Zielsetzung ist im Breiten- und Leistungssport ein wesentliches Kriterium der Prophylaxe. Im Leistungssport resultiert die Faszination aus dem Siegeswillen und dem Willen „to push the limits” z. B. zeigt der Skileistungssportler eine überproportional hohe Risikobereitschaft. Der erfolgreiche Rennläufer weiß, in seinem Grenzgang das Risiko zu mangen.
Aktuelles sporttechnisches Trainingskonzept
Grundpfeiler der Prävention sind allgemeines Ausdauer- und Krafttraining, Aufwärmen des Bewegungsapparates vor Sportausübung und nach längeren Pausen. Darüber hinaus braucht es ein sportspezifisches Training zum Erreichen des gewünschten Leistungslevels. Der Trainer schafft dem Sportler kritische Situationen und hilft ihm bei der Lösungsfindung. Durch Ausführung der Bewegung in verschiedenen auch extremen Ausprägungen wird das individuelle Bewegungsoptimum erfahren und erlernt. Fehler werden nicht vermieden, sondern sie helfen, individualisierte Bewegungsstrategien zu entwickeln.
Physiotherapeutische Aspekte der Prävention unter Berücksichtigung der Trainingslehre
Kräftigung der Muskulatur verbessert die aktive Stabilisierung der Gelenke. Die Muskelfunktion basiert auf den myofaszialen Strukturen, welche Stütz- und Hüllfunktion erfüllen und die Gleitfähigkeit gegenüber den umgebenden Gewebeschichten gewährleisten. Aufgabe der myofaszialen Ketten ist effektive Kraftübertragung, während die Gelenke dabei als Umlenkrollen dienen (Abb.1, [2]). Vorbereitend können gezielte mechanische Reize in den zu trainierenden Faszienketten, z. B. über Hautverschiebungen in diversen Richtungen, großflächige Eigenmassage, lokale Kompressionen oder auch Querfriktionen Verletzungen entgegenwirken. Sehr effizient sind Übungen mit der sogenannten Black Roll (Abb. 2).
Faszien- und Kräftigungsübungen zur Prävention im Sport
Faszien- und Kräftigungsübungen vermitteln eine Neuprogrammierung der neuromuskulären Propriozeption. Die Faszienrezeptoren werden als Melder von Position und Bewegung geschult. Durch Anspannung und Entspannung der Faszien entstehen verbesserte zelluläre Hydratation und Fluktuation, entsprechend ist der Flüssigkeitshaushalt zu beachten. Kräftigung der ventralen Rumpf- und die Rückenmuskulatur, Seitsprünge beidbeinig vor und zurück, Mobilisierung der dorsalen und ventralen Rumpfmuskulatur, diagonale Flexion/Extension im Stand mit Rotation, Liegestütz in 60° dynamisch mit Abdruck, Hocke statisch und wippende Kniebeugen (Abb.3) sind als Faszien- und Kräftigungsübungen gut geeignet.
Geschlechtsspezifische Gesichtspunkte
Die biomechanischen Eigenschaften von Sehnen und Bändern unterliegen menstruationsabhängigen Veränderungen, was zu signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschieden führt [3]. Eine Meta-Analyse zeigt, dass die Bandlaxität bei Frauen um den Eisprung am größten und in der Follikelphase am niedrigsten ist [4]. Bei jungen Frauen ist die Sehnensteifigkeit niedriger und die Gelenklaxität größer als bei gleichalten Männern. Prä-pubertär und postmenopausalen gibt es diesbezüglich keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen [5]. Testosteron kann über die Runterregulierung der Relaxin-Expression indirekt die Sehnen- und Bandlaxität und damit das Risiko für Bandverletzungen erhöhen [6]. Bei US High School-Mannschaften wird nach Bandverletzungen regelmäßig ein neuromuskuläres Training absolviert. Das führt bei männlichen Athleten zur Verringerung des Re-Verletzungsrisikos, bei weiblichen Athletinnen dagegen nicht. Verbesserte geschlechts- und sportspezifische präventive Trainingsprogramme werden gefordert [7]. Die Hüft- und Rumpfmuskelfunktion korrelieren bei Frauen ausgeprägter als bei Männern positiv mit der Single Leg Step-Down Leistung. Der Single Leg Step-Down Test ist ein sinnvolles Instrument zur Beurteilung von „Back-to-Play“ bei Frauen [8].
Back to Sports nach Verletzung
Der Heilungsprozess, die physische Rehabilitation und psychische Faktoren beeinflussen die Dauer bis zur erneuten Sportfähigkeit nach einer Verletzung. Prüfung der Muskelfunktion und Sprungperformance wie beim LSI (limb symmetry index) sind jedoch für die valide Feststellung der Sportfähigkeit problematisch, da sie nur Vergleiche zur Gegenseite erfassen. Bei funktionellen Test-Batterien fehlt häufig eine Korrelation des „Back to Sports“ und der Zufriedenheit der Athleten, da psychische Faktoren wie persistierende Verletzungsangst nicht miterfasst werden. Grundsätzlich sollten aber sowohl absolute Werte als auch der LSI bestimmt werden [9]. Ziel sind jeweils 80 – 90 % der isokinetischen Kraft im Vergleich zur Gegenseite [10]. Bezüglich der neuromuskulären Steuerung sind Propriozeptionsdefizite häufig bis sechs Monate nach Verletzung und Operation noch nachweisbar. Propriozeptionsdefizite betreffen häufig auch die kontralaterale Seite, können grundsätzlich aber positiv beeinflusst werden. Die Messung der neuromuskulären Steuerung kann mittels Sprungtests wie dem Single Leg Hop Test, dem Vertical Jump Test oder dem Drop Jump Test erfolgen [10, 11].
Psychische Faktoren
Psychische Faktoren spielen eine wichtige Rolle bei der Rückkehr in den Sport. Eine Untersuchung an 135 Patienten mit Kreuzbandrekonstruktion konnte zeigen, dass nur 46 % auf ihr altes Sport-Niveau zurückkehrten. Hauptargumente gegen Rückkehr waren neben persistierende Kniesymptome (68 %) und verletzungsunabhängigen Life-events (24 %) vor allem Ängste wie Kinesiophobien (52 %). Athleten, die es zurück in den Sport schaffen, haben dagegen keine Anzeichen von Verletzungs- und Bewegungsangst [12].
Schutzkleidung und Orthesen zur Verletzungsprävention
Schutzkleidung und Orthesen im Sport können helfen, Verletzungen zu vermeiden [13]. Neben dem Verletzungsschutz können sie zu einer Verbesserung der konstitutionellen Stabilität dienen und körperlicher Defizite partiell kompensieren [14]. Single-Impact Helme nehmen hochenergetische Einwirkungen einmalig auf und kommen bei Sportarten wie Motorsport, Radrennsport und Ski-Wettkampfsport zum Einsatz. Multiple-impact Helme können mittelenergetischen Stöße mehrfach aufnehmen und so z. B. Eishockey- und American Football-Spieler schützen [15]. Schulterpolster reduzieren die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung durch Däm-pfung und Ableitung der Aufprallenergie beim American Football, Rugby oder Eishockey. Sie reduzieren das Risiko von Schultereckegelenksverletzungen, können derzeit aber nicht vor Frakturen und Schulterluxationen schützen [16]. Der Handgelenkschutz beim Snowboard, Skateboard und Skating nimmt Stöße auf und limitiert die Handgelenksbeweglichkeit. Er reduziert im Snowboard-Leistungssport Handgelenks-Frakturen um bis zu 80 %, kann jedoch die Entstehung von komplexeren proximalen Unterarm-, Ellbogen- und Schulterverletzungen begünstigen [17]. Ein Rückenprotektor schützt beim alpinen Rennsport, Motorradsport und Reitsport vor Rückenverletzungen, Wirbelfrakturen und Rückenmarksverletzungen. Die Effizienz ist durch Studien belegt [18, 19]. Maßgefertigte Knieorthesen gewährleisten im alpinen Renn-sport einen gewissen Distorsionsschutz des Kniegelenkes in Prävention, Rekonvaleszenz und bei Instabilität (Abb. 4). Nach einer Autorenstudie besteht eine deutlich geringere Propriozeption, außerdem ist die Athletenakzeptanz sehr unterschiedlich [20]. Schienbeinschützer schützen im alpinen Rennsport und beim Fußball Weichteile und Knochen des Unterschenkels vor äußerem Aufprall (Abb. 5). Sie liefern allerdings keinen sicheren Schutz vor Tibiafrakturen [21]. Sprunggelenksorthesen wirken prophylaktisch, um eine Verstauchung zu verhindern oder therapeutisch, um Sprunggelenksinstabilitäten zu kompensieren. Es gibt eine hohe Evidenz der Wirksamkeit bei Ballsportarten und in der Leichtathletik [22].
Fazit
Anforderungen im Sport und individuelle Möglichkeiten des Sportlers sollen in Einklang gebracht werden. Geschlechtsspezifische Unterschiede sollen berücksichtigt werden. Bei „Back to Sports“ nach Verletzung sind die Heilung, neuromuskuläre Funktionen und die Psyche zu berücksichtigen. Orthesen reduzieren Verletzungsrisiko, verhindern jedoch nicht Verletzungen.
Literatur
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Autoren
ist Orthopäde und Unfallchirurg. Er ist Chefarzt des Zentrums für Knie-, Hüft- und Schulterchirurgie der Schön Klinik München Harlaching. Seit 1991 ist er Mannschaftsarzt der Deutschen Skinationalmannschaft Alpin. Er war 2003 Mitbegründer der Klinik für Orthopädische Chirurgie (OCM) München und hat eine apl. Professur für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Universität Freiburg. Von 2009 – 2011 war er Präsident der Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA) und 2012 – 2015 Präsident der Deutschen Kniegesellschaft (DKG). Seit 2016 ist er Vorsitzender von ESSKA-ESMA (European Sports Medicine Associates) und Board Member ESSKA (European society of knee-surgery, arthroscopy and sports traumatology).
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er ist Oberarzt des Zentrums für Knie-, Hüft- und Schulterchirurgie der Schön Klinik München Harlaching. Von 2013 –2016 war er Leiter der Sektion Kniechirurgie und Sporttraumatologie der Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Universität München. Als Privatdozent lehrt und forscht er weiterhin an der Universität München.