Durch ein individualisiertes präoperatives Trainings- und Edukationsprogramm wird eine optimale Grundlage für die postoperative Rehabilitation geschaffen. Die gezielte körperliche Vorbereitung und patientenspezifische Instruktionen tragen zur Verbesserung der präoperativen Mobilität und Funktionsfähigkeit bei.
Evidenzbasierte Prähabilitationsmaßnahmen können eine schnellere postoperative Erholung fördern, Komplikationen reduzieren und das Rehabilitationsergebnis optimieren. Damit beginnt der Genesungsprozess bereits vor dem chirurgischen Eingriff. Die Prähabilitation, kurz Prähab, stellt in der elektiven Orthopädie eine präoperative, individuell zugeschnittene und multiprofessionelle Intervention dar, die darauf abzielt, das Risiko für perioperative Komplikationen zu minimieren, die Dauer des Klinikaufenthalts zu verkürzen und die Rückkehr in einen selbstständigen Alltag zu erleichtern [1 – 3]. Darüber hinaus wird durch solche Maßnahmen eine nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität sowie die Rückkehr zu anspruchsvollen körperlichen Aktivitäten nach der Operation angestrebt [4, 5]. Es besteht somit ein positiver Zusammenhang zwischen der präoperativen körperlichen Fitness und der postoperativen Wiederherstellung der körperlichen Funktion, wobei Patient/-innen vor Knieprothesen-OP bis drei Monate nach dem Eingriff von einer trainingsbasierte Prähab profitieren [6].
Relevante und evidenzbasierte Ergänzung
Unter Berücksichtigung sportmedizinischer Erkenntnisse wird im Rahmen der Prähab das Ziel verfolgt, die körperliche Leistungs- und Handlungsfähigkeit der Patient/-innen vor dem Eingriff zu erhalten bzw. zu optimieren [7]. Durch die gezielte Vorbereitung kann die körperliche Resilienz gestärkt werden, was nicht nur den Heilungsprozess nach dem Eingriff unterstützt, sondern möglicherweise auch die nachhaltige Funktionsfähigkeit im Alltag der Patient/-innen fördert [6, 8]. Zwar ist die derzeitige Evidenzlage zur präoperativen Vorbereitung noch nicht abschließend und es fehlen bislang international konsentierte Guidelines. Insbesondere bestehet weiterhin Forschungsbedarf hinsichtlich der Frage, welche Subgruppen – Patient/-innen mit erhöhtem Komplikationsrisiko – am meisten profitieren und in welchem Ausmaß die Maßnahmen individuell angepasst werden sollten [9, 10]. Trotzdem lässt sich aus den bisherigen Studienergebnissen ableiten, dass die strukturierte Prüfung eines potenziellen Prähab-Bedarfs bereits jetzt sinnvoll und geboten ist. Bei identifizierbaren, modifizierbaren Risikofaktoren sollte eine Prähab gezielt eingeleitet werden. Damit stellt sie – insbesondere im Rahmen eines modernen, multimodalen Behandlungspfades – kein optionales Add-on mehr dar, sondern eine zunehmend relevante und evidenzbasierte Ergänzung zur perioperativen Standardversorgung.
Das Prähab-Programm am Universitären Zentrums für Prävention und Sportmedizin (UZePS) der Universitätsklinik Balgrist, Zürich, bereitet Patient/-innen gezielt auf eine Knieprothesenoperation vor und begleitet sie präoperativ. Das Programm umfasst eine Voruntersuchung mit Basismessungen der Kniefunktion, physiotherapeutische Assessments und ein individuell angepasstes Training über 4 – 8 Wochen (Abb. 1). Nach der Operation erfolgt eine stationäre Betreuung, gefolgt von ambulanter oder stationärer Rehabilitation. Kontrolluntersuchungen zur Funktionsüberprüfung und Schmerzbewertung erfolgen direkt vor der OP, sechs Wochen, drei Monate und zwölf Monate postoperativ. Das strukturierte Konzept soll den Heilungsverlauf optimieren und eine schnelle funktionelle Wiederherstellung des Kniegelenks fördern.

Präoperative Vorbereitung und Prähabilitation vor Knie-Totalendoprothese: Ein Fallbericht
Eine 72-jährige Patientin mit ausgeprägter beidseitiger Varusgonarthrose stellt sich in der Sprechstunde vor. Bereits im Juli 2024 wurde eine Hüft-Totalendoprothese rechts implantiert, während die linke Hüft-TP vor etwa 15 Jahren erfolgte. Begleitend bestehen eine Claudicatio spinalis infolge einer Lendenwirbelsäulen-Olisthese L3 / 4 und L5 / S1, multiple Bandscheibenprotrusionen im Bereich C5 – C7 sowie eine arterielle Hypertonie mit hypertensiver Herzkrankheit. Im September 2024 stellte sich diese Patientin in der Knieorthopädie mit beidseitigen Kniebeschwerden vor, wobei die Symptomatik links ausgeprägter war als rechts. Zur Verbesserung eines schmerzfreien und hinkfreien Gangbildes war die Patientin auf Unterarmgehstöcke angewiesen. Nach eingehender klinischer und bildgebender Diagnostik wurde die Indikation zur Implantation einer Knie-Totalendoprothese (Knie-TEP) links gestellt, mit geplanter Operation im November 2024.
Testung Sechs Wochen vor dem geplanten Eingriff wurde zur Identifikation von Risikofaktoren und Defiziten die Patientin erstmals einer umfassenden, standardisierten, physiotherapeutischen Testung unterzogen. Die Testreihe umfasst Fragebögen und funktionelle Testungen (u. a. KOOS (Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Score) und Tegner Activity Scale, Treppensteigen und Handkraft (Abb. 2)). Ziel dieser Evaluierung war die Erfassung funktioneller Defizite, damit ein individuell abgestimmtes Trainingsprogramm zusammengestellt werden konnte zur präoperativen Kräftigung und funktionellen Optimierung. Die Teilnahme am Programm soll die Selbstwirksamkeit der Patientin erhöhen und das postoperative Outcome optimieren.
Individualisierte Therapie und Training Im Rahmen der präoperativeÏn Prähabilitation wurde eine gezielte Intervention zur Optimierung der muskulären Voraussetzungen und Funktionsfähigkeit der Patientin durchgeführt. Das Hauptziel bestand darin, die Mobilität ohne Hilfsmittel zu verbessern, insbesondere das Gehen über eine Distanz von 100 m sowie das Treppensteigen über zwei Stockwerke. Wie Studien zeigen, sind präoperative Funktionsdefizite sowie Schwierigkeiten beim Treppensteigen – wie sie die Patientin zeigte – Risikofaktoren für eine nicht zufriedenstellende Rückkehr zu Alltagsaktivitäten nach Einsatz der Knieprothese [11].
Methodik der Prähabilitation Die Patientin absolvierte mehrere physiotherapeutische Sitzungen, in denen spezifische Übungen zur Muskelstärkung und neuromuskulären Anbahnung, Verbesserung der Beweglichkeit sowie zur Schulung des Gangbildes vermittelt wurden. Basierend auf funktionellen Testergebnissen, individuellen Beschwerden und den Erwartungen der Patientin wurde ein personalisierter Trainingsplan erstellt. Dieser adressierte gezielt muskuläre Defizite und passte die Trainingsintensität entsprechend dem Leistungsniveau an.
Muskelstatus und Trainingsintervention Eine ausgeprägte Atrophie der Glutealmuskulatur sowie der vorderen Oberschenkelmuskulatur wurde festgestellt. Zur Kräftigung dieser Muskelgruppen wurden insbesondere folgende Übungen in das Trainingsprogramm integriert:
- Bridging und Side-Lying Turn Out zur Aktivierung und Stärkung der Glutealmuskulatur
- Step-Ups und Squats zur Kräftigung der vorderen Oberschenkelmuskulatur (Abb. 3)
Das Training begann im Bereich der koordinativen Kraft und konnte progressiv bis in die Kraftausdauer sowie teilweise in den Hypertrophiebereich gesteigert werden. Das primäre Ziel der Prähab ist zwar nicht eine Vergrößerung des Muskelquerschnitts, sondern das Schaffen einer soliden Grundlage für einen optimalen Start in die Reha. Das heißt, dass auch bereits niederschwelliges Krafttraining im neuromuskulären Bereich sinnvoll sein kann. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Patienten einen adäquaten Trainingsreiz im Rahmen ihrer aktuellen Möglichkeiten setzten können.

Bedeutung des Heimtrainings, interdisziplinärer Betreuung & edukative Begleitung Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der präoperativen Rehabilitation war ein täglich durchgeführtes Heimübungsprogramm. Die Patientin wurde ausführlich über die Bedeutung der aktiven Mitwirkung und die erwartete Progredienz informiert. Durch diese strukturierte Vorbereitung konnte eine bestmögliche funktionelle Ausgangslage für die postoperative Rehabilitation geschaffen werden, mit dem Ziel, die Erholung nach der Knie-TEP-Implantation zu optimieren und die Mobilität rascher wiederherzustellen. Ein zentraler Bestandteil der personalisierten Intervention war die edukative Begleitung der Patientin. Basierend auf den durchgeführten Tests wurden gezielte Informationen und Handlungsempfehlungen vermittelt, um das Verständnis für die eigene Gesundheit zu fördern und die Therapieeffektivität zu erhöhen.
Ergebnisse standardisierter Assessments und patientenzentrierte Interventionen Im Rahmen der standardisierten Erhebung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität mittels EQ-5D-5L gab die Patientin an, sich im Zusammenhang mit ihrer Knieproblematik „ein wenig ängstlich oder deprimiert“ zu fühlen. Der KOOS wies auf eine ausgeprägte schmerzbedingte Einschränkung der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) hin. Zudem zeigte die Tegner-Aktivitätsskala ein tiefes Aktivitätslevel. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurden im Rahmen der Patient/-innen Education folgende Schwerpunkte gesetzt:
- Perioperatives Management: Detaillierte Aufklärung über den Ablauf von Operation und Rehabilitation zur Förderung der Therapieadhärenz
- Steigerung der Selbstwirksamkeit: Vermittlung praktischer Maßnahmen zur Optimierung des Genesungsprozesses, darunter Ernährungsrichtlinien, Rauchstopp, Mobilisationstechniken und Alltagshilfen (Abb. 4)
- Vertiefendes Wissen: Informationen zu Schmerzmanagement, physiologischen Heilungsprozessen sowie spezifische postoperative Empfehlungen zur Maximierung des funktionellen Outcomes
- Durch die gezielte Berücksichtigung dieser Aspekte konnte eine individuell angepasste, evidenzbasierte Patient/-innen edukation sichergestellt werden.

Evaluierung des Trainingserfolgs & Verlauf der postoperativen Phase Nach einem Zeitraum von vier Wochen wurde die Testreihe erneut durchgeführt, um die Progredienz und den Trainingserfolg zu evaluieren. Die Patientin zeigte in sämtlichen Testparametern eine spürbare Verbesserung. Darüber hinaus konnte durch das tägliche Training eine Reduktion der Schmerzintensität (trotz anfänglicher Schmerzsteigerung) erreicht werden, was auf eine positive Anpassung der muskulären und funktionellen Leistungsfähigkeit hinweist. Der operative Eingriff sowie die ersten sechs Wochen der postoperativen Rehabilitation verliefen ohne Komplikationen. Der Heilungsprozess entsprach den erwarteten physiologischen Regenerationsmechanismen und zeigte eine ungestörte Wundheilung sowie eine kontinuierliche funktionelle Verbesserung. Postoperativ erfolgte zunächst eine Mobilisation mittels zweier Unterarmgehstöcke über einen Zeitraum von vier Wochen unter erlaubter Vollbelastung. Anschließend wurde ein stufenweiser Belastungsaufbau durchgeführt, begleitet von einer schrittweisen Entwöhnung von den Gehhilfen. Die Patientin war jedoch nicht in der Lage, die Unterarmgehstöcke vollständig abzulegen, da sich die Beschwerden im rechten, nicht operierten Knie zunehmend verstärkten. Zur Sicherstellung eines schmerzarmen und stabilen Gangbildes war weiterhin die Nutzung beider Gehhilfen erforderlich. Während das linke, frisch operierte Knie eine schrittweise Reduktion der Unterstützung zugelassen hätte, verhinderte die anhaltende Symptomatik des rechten Knies eine vollständige Entwöhnung.
Physiotherapeutische Betreuung und weitere Testungen Während der ersten sechs Wochen postoperativ erhielt die Patientin eine physiotherapeutische Betreuung sowohl initial in der stationären Rehabilitation als auch im Anschluss wohnortnah. Im Anschluss nach der Operation wurde die initial durchgeführte Testreihe erneut durchgeführt. Die Ergebnisse fielen im Vergleich zur postoperativen Testung schlechter aus, lagen jedoch weiterhin über den Werten der ersten Testung sechs Wochen vor der Operation. Weitere Testungen drei Monate sowie ein Jahr postoperativ wurden bei dieser Patientin bislang noch nicht durchgeführt. Die Planung der Knietotalprothese des rechten Knies ist bereits im Gange. Aufgrund der positiven Erfahrungen mit den Prähabilitationsmaßnahmen vor der ersten Knieoperation hat die Patientin den Wunsch geäußert, vor der zweiten Operation erneut am Prähab-Programm teilzunehmen.
Fazit
Die gezielte Prähabilitation stellt einen essenziellen Bestandteil des modernen perioperativen Managements bei Knie-Totalendoprothesen dar. Durch frühzeitige physiotherapeutische Maßnahmen und ein strukturiertes Heimtraining können postoperativer Outcome und funktionelle Rehabilitation verbessert werden. Eine enge multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Orthopädie, Physiotherapie und den Patientinnen und Patienten ist dabei entscheidend.
Literatur
1. Dutta, S., et al., Rehabilitation Techniques Before and After Total Knee Arthroplasty for a Better Quality of Life. Cureus, 2024. 16(2): p. e54877.
2. Driessens, H., et al., Prehabilitation: tertiary prevention matters. Br J Surg, 2024. 111(3).
3. Su, W., et al., The effects of preoperative rehabilitation on pain and functional outcome after total knee arthroplasty: a meta-analysis of randomized controlled trials. J Orthop Surg Res, 2022. 17(1): p. 175.
4. Gränicher, P., Mulder, L., Lenssen, T., Fucentese, SF., Swanenburg, J., de Bie, R., Scherr, J., Exercise- and education-based prehabilitation before total knee arthroplasty – A pilot study. J Rehabil Med, 2024. 56: p. jrm18326.
5. Punnoose, A., et al., Prehabilitation for Patients Undergoing Orthopedic Surgery: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Netw Open, 2023. 6(4): p. e238050.
6. Gränicher, P.M., L. Lenssen, T. Scherr, J. Swanenburg, J. de Bie, R., Prehabilitation Improves Knee Functioning Before and Within the First Year After Total Knee Arthroplasty: A Systematic Review With Meta-analysis. J Orthop Sports Phys Ther, 2022. 52(11): p. 709-725.
7. Banugo, P., Amoako, D., Prehabilitation. BJA Education, 2017. 17(12): p. 401-405.
8. Bates, A., et al., Preparing for and Not Waiting for Surgery. Curr Oncol, 2024. 31(2): p. 629-648.
9. Gränicher, P., Mulder, L., ‚PREHABILITATION‘: Is It Worth the Effort?, in JOSPT Blog. 2022.
10. Abel, R., Zoth, N, Wilke, C, Schmidt, T, Exercise-Based Prehabilitation In Orthopaedics, Cardiology And Oncology. Rehabilitation, 2024. 63(01): p. 51-64.
11. Turnbull, G.S., et al., Gender and Preoperative Function Predict Physical Activity Levels After Revision Total Knee Arthroplasty. J Arthroplasty, 2019. 34(5): p. 939-946.
Autoren
PT M.Sc, ist stv. Leiterin im Bereich Therapien an der Universitätsklinik Balgrist, Zürich. Sie verfügt über einen Master of Science (MSc) in Sportphysiotherapie sowie über zwei Certificates of Advanced Studies (CAS). Mit ihrer fundierten Ausbildung und ihrer langjährigen Praxiserfahrung engagiert sie sich für eine evidenzbasierte, interprofessionelle Therapie auf höchstem Niveau und bringt gleichzeitig ihre Führungskompetenz in die strategische Weiterentwicklung des Therapieangebots ein.
M.Sc. Sports Physiotherapy, Ph.D. cand., verantwortet am Universitären Zentrum für Prävention und Sportmedizin der Universitätsklinik Balgrist, Zürich, die Entwicklung, klinische Implementierung und wissenschaftliche Evaluation des Prähab-Angebotes vor orthopädischen Eingriffen – mit Promotion an der Maastricht University. Zudem betreut sie im Sportamt der Stadt Zürich die sportwissenschaftlichen Themen mit Fokus auf dem Schulsport. Als Mitgründerin und -inhaberin der science2practice GmbH fördert sie die qualitative Weiterentwicklung der Physiotherapie durch evidenzbasierte Fortbildungen.