Die Sportart Walking begann ihren Siegeszug bereits in den 1980 iger Jahren. Die Bezeichnung „Walking“ stammt aus dem Englischen und bedeutet zügiges, dynamisches Gehen unter Zuhilfenahme der Arme als Schwungmasse. Der weltweit bekannteste Walking-Guru soll
Gary Yanker sein, der das flotte Gehen in den USA zu einer Bewegungsform mit ausgefeilter Technik entwickelte.
Bereits in den 1950er Jahren versuchten Spitzenathleten aus den Bereichen Langlauf, Biathlon und der Nordischen Kombination eine Trainingsmethode für die schneearmen Sommermonate zu entwickeln. Es entstand der so genannte „Skigang“ – eine Kombination aus Lauf- und Sprungelementen. Erst 1997 wurde die Laufvariante mit Stöcken einem breiten Publikum in Finnland als Nordic Walking (NW) vorgestellt. Noch im gleichen Jahr führte Herbert Steffny die neue Sportart in den deutschsprachigen Markt ein. Diese Sportart erfreut sich unveränderter Beliebtheit und ist aus dem Angebot im Breitensport nicht mehr wegzudenken. Sportwissenschaftler untersuchten in Kooperation mit Trainern Bewegungsverhalten und Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System und entwickelten daraus in diversen Studien die heute bekannte Nordic Walking Technik.
Arteriosklerose bei Diabetes mellitus Typ 2
Typ-2-Diabetiker haben im Vergleich zu Nichtdiabetikern ein erhöhtes Risiko für die frühe Entstehung arteriosklerotischer Gefäßläsionen vergesellschaftet mit einer schlechteren Prognose bei akutem Myokardinfarkt und Schlaganfall [1 – 2]. Ursächlich hierfür ist eine Entzündung der Innenwand der Arterien aufgrund einer komplexen metabolischen Störung mit Hyperglykämie, Hyperinsulinämie, Dyslipidämie, endothelialer Dysfunktion und Alteration des Gerinnungssystems [3]. Lange Zeit galt die Arteriosklerose als eine nicht beeinflussbare, degenerative Erkrankung der Gefäßwand.
Nach heutigem Kenntnisstand ist einer der gestörten Kernprozesse die endotheliale Dysfunktion. Sie tritt bereits in der Frühphase der Arteriosklerose auf. Ein weiterer Aspekt ist der Verlust antithrombogener Eigenschaften des Endothels einerseits und eine erhöhte Thrombogenität der Gefäßwandzellen andererseits [3].
Effekte von Nordic Walking an Myokard und Gerinnungssystem
Eine Myokardischämie ist pathophysiologisch gesehen das Ergebnis aus drei verschiedenen Mechanismen: Koronarstenose, Mikrozirkulationsstörung und rheologischen Veränderungen. Theoretisch können alle drei Komponenten bei stabiler koronarer Herzkrankheit durch körperliches Training wie Nordic Walking bei Typ-2-Diabetes verbessert werden. Die Frage, ob am menschlichen Herzen durch körperliches Training eine vermehrte Kollateralenbildung nach Verschluss eines Herzkranzgefäße induziert werden kann, ist nach wie vor Gegenstand kontroverser Diskussionen [4]. Im Tierversuch ist der Nachweis gelungen [5]. NW trägt zur Verbesserung der Vasodilatationsfähigkeit koronarer Widerstandsgefäße und der Mikrozirkulation bei. Rheologie und Thrombozytenfunktion werden günstig beeinflusst [6]. In der Heidelberger Regressionstudie konnte durch eine bifaktorielle Intervention bestehend aus fettarmer Diät und täglichem körperlichen Training die Progression der koronaren Herzerkrankung (KHK) verzögert werden. In einer retrospektiven Analyse zeigte sich, dass zum Erreichen einer Regression der KHK mindestens 2.200 kcal/Woche (5 – 6 Stunden körperliches Training auf mittlerem Intensitätsniveau) im Rahmen körperlicher Aktivitäten verbraucht werden mussten [7]. Langzeittraining induziert aber nicht nur funktionelle, sondern auch morphologische Veränderungen im Bereich der Mikrozirkulation. White und Mitarbeiter konnten im Tierversuch zeigen, dass körperliches Training die Querschnittsfläche des Gefäßbettes im Myokard nach 16 Wochen um 37 % vergrößert [8]. Dies hatte eine Abnahme des Gefäßwiderstandes und eine Zunahme der maximalen Flussreserve zur Folge.
Körperliche Aktivität wie NW geht bei Patienten mit Typ-2-Diabetes, aber auch bei Gesunden, mit einer Abnahme der Blutviskosität und Verbesserung rheologischer Parameter einher [9]. Akute Belastungsspitzen können bei Untrainierten über eine Erhöhung der Thrombozytenzahl und -aktivität thrombogene Nebenwirkungen entfalten. Dieser Mechanismus wird bei regelmäßigem Ausdauertraining nicht beschrieben [10]. Ausdauertraining wirkt antikoagulatorisch durch Reduktion verschiedener Gerinnungsfaktoren [11].
Große populationsbasierte Studien konnten z. B. zeigen, dass gesunde Individuen mit hs-CRP-Spiegeln, die an der oberen Grenze der Norm liegen, im Vergleich zu Menschen mit Werten an der unteren Grenze der Norm, ein signifikant höheres Risiko für das Auftreten von Myokardinfarkt und/oder kardiovaskulärem Tod haben [12]. Eigene Untersuchungen bei Typ-2-Diabetikern zeigten eine Reduktion des hs-CRP-Wertes unter den Bedingungen einer 14-tägigen Schulung mit vier Stunden Bewegungstherapie pro Woche (inclusive Nordic Walking) und mediterraner Ernährung, wenn initial ein stark erhöhter Serumspiegel dieses Akute-Phase-Proteins bestand [13]. Zusammenfassend betrachtet führt moderat betriebenes NW bei Typ-2-Diabetes zu einer wirksamen Reduktion des thrombogenen Risikos.
Praktische Umsetzung
Aller Anfang ist schwer. So ist es mitunter nicht leicht, Typ-2-Diabetikern eine körperliche Aktivität wie NW schmackhaft zu machen. Der genaue Grund für das hohe Maß an Inaktivität in dieser Population ist unbekannt. Wir haben einen Bewegungsplaner entwickelt, der Freunde, Bekannte, die Familie, ortsansässige Selbsthilfegruppen, Sportvereine, Krankenkassen und sonstige Kostenträger mit einbezieht [14]. Zur praktischen Durchführung sei auf unser umfangreiches NW-Buch verwiesen [15]. Wir führten eine 6-monatige Trainingsstudie mit 30 Typ-2-Diabetikern im Winterhalbjahr Oktober 2004 bis April 2005 durch. Dabei verglichen wir Krafttraining mit Ausdauertraining (Fahrradergometer). Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass mehr körperliche Bewegung ohne Änderung der Essgewohnheiten keine signifikante Verbesserung von Körpergewicht und Stoffwechselparametern bringt [16]. Eine aktuelle Studie mit fünfzehn älteren Typ-2-Diabetikern mit leichtem Übergewicht untersuchte im Rahmen eines 6-monatigen NW-Trainingsprogramms den Einfluss auf den Stoffwechselparameter Blutzucker incl. HbA1c, das Lipidprofil und den Blutdruck. NW wird als geeignete ergänzende Strategie zur Verbesserung des globalen Gesundheitszustandes empfohlen [6]. Die meisten Studien zu NW untersuchten angeleitetes Training von moderater Intensität zwei- bis dreimal wöchentlich. Die Trainingseinheiten erstreckten sich über 45 – 90 Minuten, sodass die von der WHO vorgeschlagene Aktivität von 30 Minuten täglich unterschritten wurde. Auch bei eigenständig durchgeführtem NW wurden 150 Minuten pro Woche nicht erreicht. Dennoch fanden sich in randomisierten, kontrollierten Studien und Metaanalysen positive Effekte wie Gewichtsabnahme, reduzierter Bauchumfang, Senkung des systolischen Blutdrucks, positive Beeinflussung des Lipidprofils und eine Verbesserung des Wohlbefindens [17 – 20]. Eine HbA1c-Senkung von ähnlichem Ausmaß wie eine antidiabetische Therapie wird erst erreicht, wenn der Umfang des Ausdauertrainings 150 Minuten pro Woche übersteigt [21]. Die Intensität von NW bezüglich signifikanter Stoffwechseleffekte wurde in der bahnbrechenden Studie „Make Your Diabetic Patients Walk“ zwei Jahre lang untersucht [22]. Die „Dosis“ von NW muss bei über 10 MET/Stunde/Woche liegen. Ein MET (Metabolisches Äquivalent) entspricht einem Verbrauch von 3,5 ml Sauerstoff pro kg Körpergewicht pro Minute, was 1 kcal / kg / Stunde entspricht. Werden 11 – 20 MET/Stunde/Woche verbraucht, sinken sowohl der HbA1c-Wert als auch die Blutfette signifikant. Das 10-Jahres Risiko für eine koronare Herzerkrankung reduziert sich um etwa 2,6 %.
Fazit
Nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Gewichtsreduktion und körperliche Aktivität sollten an erster Stelle bei der Therapie von Typ-2-Diabetikern stehen. Es besteht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen dem Ausmaß von NW und Effekten auf das Herz-Kreislauf-System. NW führt zu einer endothelabhängigen Dilatation der Herzkranzgefäße. Es erscheint somit denkbar, dass funktionelle Gefäßveränderungen bereits kurz nach Initiierung eines Trainingsprogramms eintreten. Anatomische Veränderungen, wie z. B. eine Vergrößerung des myokardialen Kapillarbettes bzw. eine Verlangsamung der Progression des atherosklerotischen Grundprozesses nehmen wesentlich mehr Zeit in Anspruch. Es besteht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen NW und einem prognostischen Nutzen ab einem Kalorienverbrauch von 10 MET. Die Schwierigkeit liegt nicht bei der Durchführung dieser Sportart, sondern beim Durchhaltevermögen. Deswegen würde ich zu angeleitetem NW z. B. in einer Rehasportgruppe raten.
Literatur
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Autoren
ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologe mit Zusatzbezeichnungen Diabetologe, Hypertensiologe DHL, Sportkardiologe DGK, Sportmediziner, Physikalische Therapie und Balneologie, Rehabilitationswesen. Er ist Chefarzt der Abteilung für kardiologische Rehabilitation und Prävention, Herz-Kreislauf-Zentrum Klinikum Hersfeld-Rotenburg. Außerdem ist Dr. Edel u.a. seit 2007 Vorstandsmitglied der Patientenorganisation Defibrillator (ICD) Deutschland e. V. sowie seit 2015 Leitender Landessportarzt Deutscher Behindertensportverband e.V. – National Paralympic Committee Germany.