Die Basis für die Therapie von Muskelverletzungen bildet einerseits die Physiologie der Muskelheilung, andererseits Verletzungslokalisation und Ausmaß. Für die Beurteilung der Verletzungsschwere werden am häufigsten die „Munich Consensus Classification“ nach Müller-Wohlfahrt sowie die „British Athletics Classification“ verwendet. Während erstere auch ultrastrukturelle Verletzungen mitberücksichtigen, ist zweitere bei den strukturellen Läsionen wesentlich differenzierter.
Sie berücksichtigt unter anderem die Lokalisation innerhalb der Muskulatur und eine mögliche Mitbeteiligung der intramuskulären Sehne und teilt die Verletzungsgröße in Abhängigkeit des Muskelquerschnitts ein. Für die Munich Classification konnte eine Korrelation mit der Ausfalldauer im professionellen Fußball nachgewiesen werden. Bei fehlendem Nachweis einer strukturellen Verletzung ist – insbesondere bei wiederholtem Auftreten- die Abklärung möglicher neuromuskulärer Ursachen oder muskulärer Dysbalancen als Auslöser entscheidend wichtig.
Physiologie der Muskelheilung
In der Physiologie der Muskelheilung unterscheidet man verschiedene Phasen, die teils überlappend auftreten und sich gegenseitig beeinflussen. In der ersten, sogenannten „Degenerationsphase“ werden die zerstörten Strukturen gesteuert abgebaut, gefolgt von einer Entzündungsphase, in der die Myoproliferation beginnt und einer Reparatur- und Regenerationsphase, in der die Myoblasten differenzieren und Myotuben bilden, welche dann zu Myofibrillen verschmelzen und so die verletzten Muskelfasern reparieren. Die zellulären und zytokinen Prozesse der einzelnen Phasen laufen teils konsekutiv, teils aber auch überlappend ab. Entzündungsprozesse treten sowohl in der Frühphase der Verletzung (etwa zwischen Tag 2 – 7) als auch in der Spätphase auf. Die Entzündungsprozesse haben in diesem Rahmen durchaus positive Effekte und sollten daher nach heutigem Wissensstand nicht komplett medikamentös unterdrückt werden. Es wird daher empfohlen, nicht-steroidale Antirheumatika, welche initial zur Schmerzreduktion eingesetzt werden, bereits nach 48 Stunden abzusetzen und durch pflanzliche Präparate (z. B. Wobenzym®, Traumeel®) zu ersetzen.
In der Initialphase der Verletzung sind Kühlung und Kompression die wichtigsten Maßnahmen zur Reduktion des Verletzungsausmaßes und des Hämatoms. Das sogenannte „PRICE“ Schema (Pause = sofortige Unterbrechung der Belastung, Ice = Kühlung, Compression = Kompression, Elevation = Hochlagerung) oder auch „POLICE“ Schema (Pause, Optimal Loading, Ice, Compression, Elevation) ist diesbezüglich etabliert, auch wenn die klinische Datenlage selbst für diese simplen Maßnahmen begrenzt ist. In einer neuen Arbeit von Hotfiel et al. konnte aber sehr schön gezeigt werden, dass über die Kombination aus Kompression und Kühlung eine adäquate Reduktion des Blutflusses erreicht werden kann, ohne anschließenden Reboundeffekt nach dessen Entfernung. Zügige Kompression und unmittelbare Kühlung nach einer Verletzung sind essentiell, um die Entstehung eines Hämatoms – welches wiederum die Heilung kompromittiert – zu verhindern. Die Faustregel „jede Minute verzögerter Therapiebeginn verlängert die Rehabilitation um einen Tag“ verdeutlicht die Wichtigkeit der Therapie innerhalb der ersten halben Stunde nach Verletzung. Die ersten 20 bis 30 Minuten sollte dabei eine maximale Kompression erfolgen, gefolgt von einer moderaten Kompression für die ersten 48 – 72 Stunden. Die Kühlung erfolgt am besten mit in Eiswasser getränkten Schwämmen, später dann im professionellen Sport über kommerziell erhältliche Dauerkühlungssysteme, wie in Game ready® oder den Hilotherm®. Eine Immobilisation erfolgt hingegen nur sehr kurzfristig im Falle einer relevanten Strukturschädigung. Die Punktion eines relevanten Hämatoms sollte so frühzeitig wie möglich erfolgen, idealerweise innerhalb der ersten 36 Stunden. Nach Ansicht der Autorin ist es aber auch zu einem späteren Zeitpunkt ein Punktionsversuch unter streng sterilen Kautelen bei größeren Hämatomen oder Seromen sehr sinnvoll, um eine schnelle Heilung zu erreichen, selbst wenn dies bei koaguliertem Blut ungleich schwieriger durchzuführen ist.
Im Anschluss an die Frühphase erfolgt dann der strukturierte Rehabilitationsprozess, der am subjektiven Schmerzempfinden angelehnt ist und durch spezifische funktionelle Tests dirigiert werden soll. Dies ist beispielsweise für die Hamstringverletzungen im ASPETAR Protokoll sehr schön aufgearbeitet, welches im Internet kostenfrei zum Download zur Verfügung steht.
Unterstützende Therapien
Unterstützende Therapien sind Stützverbände mit Tape oder Bandagen (u. a. Myotrain®), Nährstoffsubstitutionen, physikalische Maßnahmen (Ultraschall, Stoßwellentherapie, Magnetfeld) sowie Infiltrationen. Die gebräuchlichsten Substanzen stellen dabei homöopathische Komplexpräparate wie Traumeel® und Zeel® dar sowie Actovegin®, Myopridin®, Lokalanästhetika und Plättchenreiches Plasma / ACP etc. Klinische Studien zu den verschiedenen Infiltrationstherapien liegen leider weiterhin nur in sehr begrenzten Umfang vor, in vitro Studien zeigen aber die Wirkmechanismen und vielversprechende Heilungsergebnisse im Tiermodell. So steigert Actovegin® die Myoblastenaktivität und die Satellitenzellaktivierung, sodass dessen Einsatz in der Initialphase der Muskelheilung zwischen Tag 3 und 10 empfohlen werden kann, dies jedoch ohne Evidenz aus klinischen Studien und mit dem Hinweis verbunden, dass das Präparat in Deutschland und der Schweiz keine Zulassung besitzt und die Patienten somit über den Off-Label Use aufgeklärt werden müssen.
Traumeel beinhaltet 14 vorwiegend pflanzliche Inhaltsstoffe, unter anderem Arnika, Calendula und Echinacea. Das Präparat zeigte im Tiermodell eine Reduktion der Entzündungsaktivität und eine Stimulation der Reparationsmechanismen durch Stimulation anti-inflammatorischer Zytokine (u.a. TGF-β ↑ (regulatorische T-Zellen) sowie Inhibition pro-inflammatorischer Zytokine (TNF-α, IL-1β, IL-8). Ergänzend kann der hypertone Anteil des Muskels durch lokale Injektion von Muskelrelaxantien und Lokalanästhetika detonisiert werden. Cortisonpräparate sind hingegen obsolet. Bezüglich der inzwischen sehr häufig eingesetzten PRP-Präparate ist nach der aktuellen Datenlage von einer verkürzten Return to Sport – Zeit auszugehen, sodass diese im Profisport aus unserer Sicht durchaus ihre Berechtigung haben. Ob hingegen auch mit besseren Ausheilungsergebnissen oder geringeren Rezidivraten zu rechnen ist, bleibt weiter abzuwarten.
Additiv unterstützten Manualtherapie sowie physikalische Maßnahmen die Detonisierung hypertoner Muskelanteile und den Abtransport von Lymphflüssigkeit. Engmaschige klinische und sonographische Kontrollen sind zu empfehlen, um den Heilungsverlauf zu kontrollieren und auf sich demarkierende (Hämato-)Serome zu reagieren. Gerade bei den rezidivfreudigen Verletzungen und bei Mitbeteiligung der intramuskulären Sehne sollte das strukturelle Remodelling verifiziert werden, um einen sicheren Return to Sport zu ermöglichen. Abschließend sei angemerkt – ohne in diesem Artikel spezifisch darauf einzugehen – dass Präventionsprogramme sehr wirkungsvoll die Häufigkeit von Muskelverletzungen zu reduzieren in der Lage sind – wenn sie denn auch durchgeführt werden. Athleten, Trainier und Staff sollten daher bei jeder möglichen Gelegenheit auf deren Wichtigkeit hingewiesen werden.
Autoren
ist Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und leitende Ärztin am Altius Swiss Sportmed Center in Rheinfelden / Schweiz. Sie ist seit 2007 leitende Verbandsärztin der dt. Nationalmannschaft Paracycling und seit 2017 leitende Ärztin Leistungssport des Deutschen Behindertensportverbandes. Außerdem ist Professor Hirschmüller u.a. Mitglied des Wissenschaftsrates der DGSP, Leiterin des Expertenkomitees „Konservative Therapieverfahren und Rehabilitation“ der AGA sowie Mitglied des GOTS Komitees Muskel/Sehne. 2021 wurde sie GOTSSportärztin des Jahres.