Das Haltungssystem des Menschen spielt in der Regulationsmedizin, damit beim Gesunderhalt (McEwen und Stellar, Allostatic Response, 1993) und letztlich auch bei der Schmerzprävention des Menschen eine wichtige Rolle.
Das Haltungssystem ist dabei verschiedenen wichtigen Einflüssen ausgesetzt: Der Genetik, der Schwerkraft, der gewählten Ernährung mit möglichen Mangelerscheinungen- auch, aber nicht nur während des Wachstums – einer möglichen umweltbedingten Stress- und Schadstoffbelastung, der muskulären Stärke bzw. Schwäche und der Qualität der neurologischen wie mechanischen Gleichgewichtigkeit der wirkenden organisierenden Kräfte, organischen Funktionsstörungen mit haltungsbezogener Bedeutung wie zum Beispiel Darmfunktionsstörungen wie Dysbiosen, Infekten, Narben nach Operationen und nicht zuletzt psychologischen und psychosomatischen Belastungen. Die komplexen Störungen im menschlichen Haltungssystem lassen sich übersichtlich zusammenfassen in der innovativen Diagnose der Haltungskrankheit (Bäumer, C., Die Haltungskrankheit, www.posturalist.com).
Die Faktoren, die die Haltung stören und damit als Verursachung der strukturellen Gründe für Rücken und Gelenkschmerzen gelten dürfen, lassen sich grob einteilen in
– biomechanische Gründe
– biochemische Gründe
– bioenergetische und neurologische Gründe
Der Artikel kann nur ein sehr kurzer Überblick sein und die Zusammenhänge darstellen, bei Interesse steht der Autor für weiteren fachlichen Austausch zur Verfügung (cbaeumer@smartfoot.de).
Die Haltungskrankheit- eine Definition
Die Haltungskrankheit ist das manifeste dysharmonische Haltungsbild mit neuronaler und mechanischer Abweichung vom Lot mit kompensatorischer Veränderung wichtiger Schlüsselregionen des Bewegungssystems des Menschen, zusammen mit den dann auftretenden komplexen „unspezifischen“ Schmerzsyndromen, u.a.:
- Kiefergelenk
- Kopf-Hals Gelenk
- thorakolumbaler Übergang
- lumbosacraler Übergang
- Beckenringfunktionsstörungen mit Torsion mit/ohne variabler Beinlängendifferenz
- Innen-/ Aussenrotationsfehlstellung der Hüftgelenke (Fussposition in Rückenlage, Beweglichkeit)
- Innenrotation und Haltungsvalgisierung Knie, meist asymmetrisch
- Tendenz von Hyperpronation Fuss mit oder ohne Flachfuss
Dieses komplexe Fehlhaltungsmuster ist präzise untersuch- und dokumentierbar im Rahmen einer einfachen und schnellen manuellen Untersuchung. Bei der „manifesten“ Haltungskrankheit hatte oder hat der betroffene Mensch Beschwerden im Bewegungssystem, in Ruhe oder bei Belastung, häufig chronisch rezidivierend, im fortgeschrittenen Stadium dauerhaft in unterschiedlicher Intensität. Die Beschwerden chronifizieren häufig, weil der Körper durch in Fehlstellung schrumpfende Fascienstrukturen in der Fehlhaltung fixiert wird. Ein Muskel, der krankengymnastisch aktiviert eine Fehlhaltung korrigieren soll, arbeitet sich an fehljustierten Fascienstrukturen ab, und werden den Kampf um Korrektur verlieren und durch Überlastung Schmerzen und einen weiteren Teil der Haltungskrankheit ausmachen. Wichtig ist es, eine echte somatische Ursache für die Beschwerden auszuschliessen, wie zB. einen Bandscheibenvorfall, ein Rheuma oder aktivierte Arthrose, oder selten auch einmal eine eine Psychosomatose.
Liegt der Verdacht auf ein Verkettungssyndrom im Sinne einer Haltungskrankheit vor, untersucht man evtl. ergänzend mit einer haltungsmedizinischen Hard- und Software. Der Anspruch des Behandlers entscheidet über den Untersuchungsumfang. (Bäumer, C., Ein Fall für ganzheitliches Denken-Kinderfuss macht Erwachsenenrückenschmerz?, Journal für Funktionelle Myodiagnostik, 1/2020)
Diagnostik Biomechanik:
- Lotabweichung der Wirbelsäule im Stand
- Beckenhochstand mit/ohne Besserung durch mechanischen Ausgleich
- Beckentorsion
- Gewichtsdifferenz zwischen den Beinen li/re mit und ohne Augenkontrolle
- Vergleich der Lastverteilung Vorfuß/Rückfuß nach Quadranten im Stand
- Trittspuranalyse beim Gehen ohne Schuhe (Frage nach Hyperpronation
- lymphatischer Schwellungskomplex oder variköser Symptomenkomplex als Hinweis einer muskulär inaktiven plantaren Venenpumpe
Diagnostik Biochemie:
- Stuhluntersuchung (Dysbiose, Leaky Gut, Silent Inflammation, Parasiten, Fehlverdauung etc.)
- Blutuntersuchung (Entzündung, Rheuma, Immun Status etc. )
- Speicheluntersuchung (Hormondysbalance)
Diagnostik Bioenergetik:
- Herzratenvariabilität (VNS Analyse)
- Mitochondriopathie Ausschluss (Labortest Bioenergetischer Index n. Fr. Prof. König, BHI)
- erweiterte Stressdiagnostik/Psychosomatik
Findet man die Haltungskrankheit, gilt es die zugrundeliegende Verkettung und deren eigentliche Verursachung (biomechanisch, biochemisch, bioenergetisch) zu behandeln. Die Haltungskrankheit ist immer eine „Ganzkörperkrankheit“.
Biomechanische Gründe der Haltungskrankheit
Kinderfüsse sind die Basis der gesunden menschlichen Aufrichtung und dekonditionieren nachweislich neuromuskulär durch das Laufen auf glatten, harten „zivilisierten“ Oberflächen zunehmend. Daraufhin häufig verordnete passiv stützende konventionelle Einlagen verstärken zusätzlich die schon vorhandene Schwächung der fuß- und haltungsstabilisierenden Muskeln bei Kindern (Bäumer, C., FMD Journal, Dezember 2019). Passiv stützende Einlagen für strukturgesunde aber funktionsgestörte Füsse vergrössern das Problem und helfen nicht.
Von 98 % der gesunden Kinderfüsse bei Geburt schaffen es nicht einmal die Hälfte, im Erwachsenenalter ebenfalls noch strukturell und funktionell gesund zu sein (BKK Landesverband Bayern, Kinderfüsse auf dem Prüfstand, www.bkk-bayern.de). Mechanische Modelle (wie das von Newton und das der Biotensegrität nach Graham Scarr (Scarr, G., Biotensegrity- the structural Basis of life, Handspring Publishing Limited, 2014).
Das Zwerchfell ist dabei der häufig übersehene und möglicherweise bedeutsamste Haltungsmuskel mit weitreichenden Folgen, nicht nur für die Atmung was eine Hauptfunktion dieses neurologisch cervicalen Muskels ist. (Bordoni, B., Zander, E., Anatomic connections of the diaphragm: Influence of respiration on the body system, Journal of Multidisciplinary Healthcare, 24.July. 2013).
Biochemische Gründe:
In der oben angesprochenen Veröffentlichung zum Zwerchfell (Bordoni, B.) werden die intensiven neuronalen Vernetzungen des Zwerchfells dargelegt. Durch eine entzündliche Reizung der Organe zwischen Zwerchfell und Beckenboden wird das Zwerchfell, aber auch der M. iliopspas, der M. quadratus lumborum und indirekt auch die Gesäßmuskeln wie der M. glutaeus medius und der M. piriformis angesprochen. Das Zwerchfell ist dabei nach meiner Einschätzung der bedeutsamste Muskel aufgrund seiner weitreichenden Funktion und Vernetzung.
Wir essen minderwertige Lebensmittel, schlechter werdende Grundstoffe mit nachweislich weniger Vitalstoffgehalt, chemisch aufbereitet, mehrfach verarbeitet, mit Antibiotika, Pestiziden wie Glyphosat und hunderten von zugelassenen E-Stoffen angereichert- zur Färbung oder Haltbarmachung, zur Geschmacksveränderung oder einfach wie beim Zucker und Gluten zur Gewichtserhöhung also Gewinnmaximierung. Demnächst sollen noch potentiell nachweislich allergene Beimengungen aus Insekten hinzu kommen.
Das alles macht dem Darm zu schaffen, insbesondere den Mikroben, die bedeutsame Funktionen für unsere Gesundheit haben. Die moderne Biomforschung der letzten Jahre öffnet den Blick in den Mikrokosmos unseres Darminnenraumes, der zur Aussenwelt gehört. Dieses Ökosystem ist sensibel, verletzlich, natürlich auch reparaturfähig, mit Grenzen.
Epigenetische Veränderungen und Belastungen bedingen im Darm Veränderungen wie die sogenannte Silent Inflammation (d.h. die Entzündung ist häufig für den betroffenen Menschen noch nicht spürbar), die das Immunsystem des Menschen beeinträchtigt mit weitreichenden Folgen. 70-80 % aller Immunzellen des Menschen wohnen in den lymphatischen Begleitgeweben des Darmes, den sogenannten Peyer`schen Plaques.
Ist der Darm länger in entzündlichem Zustand, wird die Schleimschicht und der Zusammenhalt der Darmepithelzellen löchrig- das nennt man dann Leaky Gut, was durch Übertritt ungewohnter grösserer Nahrungsmittelbestandteile und damit zu IgG4 vermittelten „Nahrungsallergien“ führen kann.
Ganz nebenbei produziert der Darm noch 80 % des insbesondere im Gehirn benötigten Neurotransmitter Serotonin, das wieder das Melatonin möglich macht. Also sorgt der Darm erst für eine gute Stimmung und dann für guten Schlaf- wenn er gesund ist.
Bioenergetische und neurologische Gründe der Haltungskrankheit:
Die bioenergetischen Gründe sind häufig Folgezustände der biochemischen beschriebenen Probleme. Der chronische Stress mit resultierender Nebennierenschwäche führt irgendwann dann auch zu einer weniger aufrechten und flexibel-elastischen Haltung. Wenn die Balance des vegetativen Nervensystems zwischen Sympathikus und dem Parasympathikus zugunsten der Sympathikus verlassen wird, ist die Haltung angespannt, die Verletzungsgefahr ist erhöht. Wenn das sogenannte Burn-Out da ist, sind weder Sympathikus noch der Parasympathikus mehr in der Lage ihren regulierenden und heilenden Einfluss auszuüben. Diese Zustände werden über die HRV Messung und Blut- wie Speichelproben abgegrenzt.
Therapie
Wenn die Haltungskrankheit gesichert wurde und die Ursachen in ihren drei Bereichen eingegrenzt wurden, ist eine ursachennahe Behandlung möglich. Die akute und subakute symptombezogene Behandlung der mechanischen Gründe für die Haltungskrankheit beinhaltet die ersten Schritte, sind aber nicht ausreichend:
- Manuelle Therapie / Faszientherapie /Osteopathie / Physiotherapie / Anleitung
- Analgesie und Behandlung mit Medikamenten oral/im/iv/intraläsional, auch mit regenerativen Substanzen PRP/Stammzellen und Ioneninduktionstherapie Papimi®
- Hilfsmittelversorgung mit multimodaler Funktionsfußbettung ohne passive Stütze, solange der Fuß nicht stark strukturkrank ist (Bäumer, C., Kinderfußfunktion und spätere Haltungsgesundheit des Erwachsenen, Osteopathische Medizin, S. 18-23, Heft 1/2020, Fussbettung Typ SmartInsole, www.smartfoot.de)
Die nachhaltige Behandlung bezieht sich auf die eigentlichen Verursacher der Haltungsstörung, die meist entzündlich und darmbezogen daherkommen:
- Behandlung des Ökosystems Darm mit Beseitigung der Dysbiose, des Leaky Gut, der Candidose, der Parasitose (immerhin bei 20 – 25 % aller Deutschen vorhanden), z. B. Moderne Mayr Medizin unter besonderer Berücksichtigung der Ioneninduktionstherapie (Papimi®) für Bauch und Ganzkörperanwendung zur effektiven Reduktion der Entzündung und der Beschwerden
- Behandlung der immunologischen Folgen der Silent Inflammation wenn vorhanden (Infektanfälligkeit, fehlende Ausheilung nach Infekten etc.)
- Vitalstoffauffüllung kurzzeitig falls notwendig
- Behandlung der häufig vergesellschafteten erworbenen Mitochondriopathie (ATP Bereitstellungsproblem) mit wissenschaftsbasierten Methoden wie Sauerstoffbehandlung IHHT, Ozontherapie, Intervallfasten, Infusionsbehandlungen, Ioneninduktionstherapie
- Genetische-/epigenetische Beratung, Lifestyleoptimierung, Ernährungsberatung, Trainingssteuerung
Wenn wir diese komplexe Erkrankung der Haltung des Menschen so erfassen und behandeln, werden wir viel Leid ersparen, viel Kosten im System vermeiden und gleichzeitig die Medizin besser machen. Denn die übliche Medizin beschäftigt sich mit der Erkrankung des Menschen zwischen der Feststellung der in der Regel bereits strukturell nachweisbaren Diagnose („Point of no return“) und dem Tod. In meiner Philosophie werden wir uns zwischen „gesund“ und „Point of no Return“ als Beginn der strukturellen Krankheit dem Menschen widmen (siehe dazu auch Salutogenese).
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie mit Zusatzbezeichnung u.a. Spezielle Schmerztherapie, Chirotherapie, Sportmedizin sowie Ärztlicher Osteopath. Seit 2000 ist er in eigener Praxis (Centrum für Orthopädie und Schmerztherapie, Hamburg) mit den Schwerpunkten konservative Orthopädie, Spezielle Schmerztherapie, Haltungsmedizin und komplementäre Medizin tätig. In seiner Akademie bildet er interessierte Ärzte und Physiotherapeuten aus in den Gebieten der Haltungsmedizin und komplementären Schmerztherapie.
cbaeumer@smartfoot.de