Ein 47-jähriger sportlicher Patient klagt über diffuse Beschwerden im Bereich des rechten Kniegelenkes. Bei einem Skiunfall vor fünf Jahren habe er sich das vordere Kreuzband angerissen. Bisher sei er recht zufrieden. Während einer Laufbelastung käme es zu diffusen Beschwerden um die Kniescheibe.
Manchmal habe er auch ein plötzliches Stechen an der Innen- oder Außenseite des Kniegelenkes. Selten habe er eine Unsicherheit im rechten Knie, jedoch bemerke er nach sportlicher Belastung ein Spannungsgefühl um die Kniescheibe. Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich eine leichte Kapselreizung mit minimalem Erguss und eine leichte Streckhemmung. Außerdem kann eine milde Instabilität bei jedoch festem Anschlag des Lachman-Tests und leichtem Shifting beim Pivot ShiftTest festgestellt werden. Zudem findet sich ein deutlicher Druckschmerz über dem lateralen Gelenkspalt. Die Streckmuskulatur des Oberschenkels weist eine Atrophie im Vergleich zur Gegenseite auf.
Auf dem aktuellen MRT des rechten Kniegelenkes wird ein verdicktes vorderes Kreuzband mit Verdacht auf Vernarbung in der Notch festgestellt. Das Kreuzband erscheint ausgedünnt. Zudem wird eine Degeneration des Außenmeniskus und eine Chondromalazie Grad II-III nach Outerbridge im lateralen Kompartiment beschrieben. Nach Abwägung von konservativen versus operativen Therapiemaßnahmen, hat sich der Patient für eine operative Therapie entschieden. Zur Diskussion stehen die Arthroskopie, wie sie seit über 40 Jahren als Standarttechnik benutzt wird oder die so genannte „Nanoskopie“.
Historie
Getrieben von einer Verbesserung der Diagnostik des Kniegelenkes erschien 1913 von Eugen Bircher, einem Schweizer Chirurgen aus Aarau, die erste Veröffentlichung „Zur Diagnostik der Meniskusläsion und des Meniskusabrisses“ mit einem „Zytoskop“. Zur damaligen Zeit waren die Instrumente noch sehr sperrig, hatten keine abgestimmten Stablinsen oder elektrische Kamerasysteme. Durch die Optik wurde mit dem bloßen Auge, wie durch ein Fernrohr geschaut. Bei schlechten Lichtverhältnissen wurde das Gelenkinnere beschrieben. Nur das geübte Auge war in der Lage Pathologien zu erkennen. Die Instrumente haben sich zwischenzeitlich massiv verändert. Bereits 1931 konnte Takagi den Durchmesser um 3,5 mm senken. Sein dünnstes Arthroskop Nr. 11 wies einen Durchmesser von 2,7 mm auf. 1932 entstanden die ersten Schwarz-Weiß Bilder aus dem Inneren des Kniegelenkes und ca. 4 Jahre später folgten die ersten Aufnahmen in Farbe. Im Verlauf wurden auch die Hüft-, Sprung-, Schulter- und Ellenbogengelenke arthroskopiert. Bis in die 70 ger Jahre entwickelte sich die Arthoskopie langsam. Der Grund dafür lag möglicher Weise daran, dass die operativen Konsequenzen arthroskopisch noch nicht gelöst werden konnten und die nicht invasive Diagnostik (z.B. MRT Diagnostik) entwickelte. Schweizer, deutsche und amerikanische Wissenschaftler entwickelten zusammen mit Technikern sukzessive arthroskopische Operationstechniken mit kleinen Instrumenten. 1978 veröffentlichte Hans Rudolf Hensche das erste deutschsprachige Arthroskopiebuch: „Die Arthroskopie des Kniegelenks: Diagnostik und Operationstechniken, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New-York/Paris/Tokio. Erstauflage 1978“. Seit 1990 hat die Arthroskopie und die arthroskopische Chirurgie eine einzigartige Entwicklung genommen und gilt nun seit vielen Jahren als Standardgelenkeingriff. Diese gering invasiven Operationsmaßnahmen verursachen weniger postoperative Schwierigkeiten und die Patienten können schneller genesen. So ist die arthroskopische Chirurgie auch wegweisend für die ambulante Patientenversorgung.
Nanoskopie
2019 wurde ein „Mikroarthroskop“ unter dem Namen „NanoScope“ (Fa. Arthrex) auf den Markt gebracht. Inzwischen gibt es mit dem „NanoNeedle Scope“ bereits ein Nachfolgemodell mit verbesserter Technik. Der Durchmesser des Nanoskopes beträgt 1,9 mm. Im Vergleich zum herkömmlichen Arthroskop ist dies eine Reduzierung des Durchmessers von ca. 55 %. In Summe kann die Invasivität bei der Nanoskopie um ca. 80 % reduziert werden. Das Bildgebungssystem für die Nanoarthroskopie besteht aus der Bildschirmkonsole und dem NanoNeedle Scope. Es ist ein all-in-one-Arthroskopiesystem, welche über eine Kamera und Lichtquelle in einem verfügt. Mittels chip-on-tip-Bildsensortechnologie produziert das Einmalinstrument Bilder. Die Optik erlaubt einen von 120° Weitwinkelblick in das Gelenk. Das NanoNeedle Scope ist flexibel. Bei Bedarf kann eine leicht abgekrümmte Hülse verwendet werden, um den Blick zu erweitern.
Unterschiede Nanoskopie vs. Arthoskopie
- Das NanoNeedle Scope wird direkt ohne Hautschnitt per Stichinzision in das Gelenk eingeführt, somit entfällt die Hautnaht und der Fadenzug
- Es handelt sich um „single use“ Instrumente: höherer Infektionsschutz für den Patienten und weniger Steri-Kosten sowie weniger Organisationsfehler im Prozess (z. B. das Sterilgut ist aus verschiedenen Gründen nicht nutzbar oder es fehlen Instrumente auf dem Sieb etc.)
- Aktuell handelt es sich bei der Nanoskopie nicht um eine GKV Leistung
- Die Instrumente der Nanoskopie sind deutlich kleiner und gewähren damit eine schonendere Operation für den Patienten
- Weniger Spülflüssigkeitsverbrauch bei der Nanoskopie
- Für größere Gelenkkörper muss in bewährter Technik eine Zugangserweiterung erfolgen
- Bei geringer Blutung im Gelenk ist die Sicht nanoskopisch schneller eingeschränkt und der Wasserdruck sollte temporär erhöht werden
- Im Einzelfall kann auch die Nanoskopie nur in Lokalanästhesie durchgeführt werden. Dies spart Narkoseaufwand und erleichtert ggf. weitere Abläufe. Dies gilt insbesondere bei rein diagnostischen Anwendungen mit geringer Intervention, wie bei einer Probeentnahme der Membrana synovialis
- Bei unklarer Diagnosestellung kann der Operateur mittels Nanoskopie die Diagnose sichern und ggf. mittels nanoskopischer Chirurgie direkt lösen
Erfahrung, Ausblick und Indikation zur Nanoskopie
Die Nanoskopie hat das Potenzial, aufgrund der einfachen und filigranen Anwendbarkeit, die klassische Arthroskopie zu ergänzen, erweitern und ggf. in Zukunft möglicherweise zu ersetzen. Technisch werden ständig Verbesserungen vorgenommen. Insbesondere die Bildqualität und das Instrumentarium haben sich in den letzten vier Jahren deutlich verbessert. Zu den aktuellen Nanoskopieindikationen gehören Meniskuschirurgie (z. B. Teilresektion und Refixation), Plicaresektion, Entfernung kleiner Verwachsungen (z. B. nach VKB-Ersatz), „Second look“ z. B. nach Knorpelersatz, Knorpelbeurteilung und kleine Knorpelchirurgie, Probeentnahme, Entfernung kleiner freier Gelenkkörper, nanoskopisch assistierte Infiltrationen, Diagnostik (bildgebende Diagnostik steht nicht im Einklang mit dem klinischen Befund des Patienten), Knie-, Sprung- und Ellenbogengelenke sind nanoskopisch aktuell schon gut zu operieren.
Nachtrag
Der Patient hat sich für die Nanoskopie entschieden. Intraoperativ zeigten sich eingeklemmte Fasern des teilrupturierten Kreuzbandes und eine Außenmeniskusteilruptur. Ebenso zeigte sich eine Chondromalazie IV° des lateralen Tibiaplateaus. Es erfolgte eine Außenmeniskusteilresektion, eine Teilresektion von eingeklemmten Kreuzbandfasern und eine oberflächliche Chondroplastik des lateralen Tibiaplateaus. Die Nachbehandlung wurde entsprechend eingeleitet.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit den Zusatzbezeichnungen Chirotherapie und Sportmedizin. Er leitet die Praxis „Orthopädie und Sport“ mit dem Schwerpunkt konservative und operative Behandlung von akuten und chronischen Beschwerden des Bewegungsapparates. Dr. Enneper ist u. a. Arzt des DLV, seit 2019 Mannschaftsarzt von Fortuna Köln und wiss. Beirat der sportärztezeitung.