Verletzungen des medialen Seitenbandkomplexes gehören zu den häufigsten Verletzungen des Kniegelenkes. Obwohl die meisten medialen Kollateralbandrupturen einer erfolgreichen konservativen Therapie zugeführt werden können, gibt es auch Rupturen, die aufgrund ihrer Komplexität oder ihrer Rupturlokalisation akut mittels operativer Refixation versorgt werden sollten.
Insuffizient ausgeheilte Innenbandverletzungen können fatale Auswirkungen haben: So konnten chronische Innenbandinstabilitäten als wichtige Ursache von VKB Rezidivinstabilitäten herausgestellt werden [2]. Der differenzierten Therapie der akuten als auch chronischen Instabilität des Innenbandkomplexes kommt daher eine große Bedeutung zu. Neue Erkenntnisse zur Anatomie des Innenbandkomplexes und zur biomechanischen Funktionsweise der einzelnen Faseranteile dieses Komplexes haben zur Entwicklung einer neuen Rekonstruktionstechnik geführt, welche hier vorgestellt werden soll.
Anatomie
Der mediale Kollateralbandkomplex besteht aus mehreren Anteilen, die sich durch einen besonders flachen und mehrschichtigen Aufbau auszeichnen. Aus diesem Grund ist die Bezeichnung „des medialen Kollateralbandes“ im Singular sehr irreführend und sollte eher vermieden werden. Der Innenbandkomplex kann grundsätzlich in die folgenden Anteile aufgeteilt werden: Oberflächliches mediales Kollateralband (sMCL), tiefes mediales Kollateralband (dMCL), ventraler Kapselbandbereich des tiefen MCL auch Anteromediales Ligament (AML) genannt, Posteriorobliques Ligament (POL) und die posteromediale Kapsel des Kniegelenkes. Wichtig für das Verständnis der Funktionsweise der einzelnen Bandstrukturen ist die genaue Kenntnis der Insertionsanatomie. Eine genaue Analyse der Insertion des sMCL zeigte, dass diese anstatt rund, wie bisher beschrieben, rechteckig ist (Abb. 1). Von dem rechteckigen Insertionsbereich am Femur verläuft das sMCL mit seinem flachen Faserverlauf bis zur Insertion an der medialen Tibia.
Biomechanische Grundlagen
Das komplexe Zusammenspiel der unterschiedlichen Anteile des medialen Seitenbandkomplexes gewährleistet die Stabilität gegen Valgusstress sowie gegen Stress in Innen- und Außenrotation in allen Kniebeugewinkeln. Das Innenband ist flach! Der flache Aufbau des sMCL und seiner Insertion stellt eine wichtige Voraussetzung für die Stabilisierung des Kniegelenkes über den gesamten Bewegungsumfang dar. In einer aktuellen Cutting-Studie konnte unsere Arbeitsgruppe das reziproke Anspannungsverhalten des flachen sMCL mit seinen ventralen, zentralen und dorsalen Faseranteilen aufzeigen [6] (Abb. 2). Während der ventrale Faseranteil in Beugung vermehrt angespannt ist, werden die dorsalen Fasern in strecknaher Position vermehrt angespannt [6].
Das sMCL stellt somit den wichtigsten Stabilisator der medialen Seite gegen Valgusstress im gesamten Beugeumfang des Kniegelenkes dar. Das POL ist nur in maximaler Extension gespannt und verliert bereits bei leichter Beugung schnell seine stabilisierende Wirkung gegen Valgusstress. Es limitiert zudem in tiefer Beugung noch die Innenrotation der Tibia nach posteromedial. Das dMCL ist nicht primär für eine Resistenz gegen Valgusstress verantwortlich, sondern erst, wenn das sMCL bereits verletzt ist.
Anteromediale Rotationsinstabilität
Eine wichtige Entität im Zusammenspiel mit einer VKB Ruptur ist die anteromediale Rotationsinstabilität, welche als Kombinationsverletzung von VKB Ruptur und MCL Ruptur auftreten kann. Aktuelle Arbeiten konnten eine zentrale Bedeutung insbesondere der ventralen Fasern des tiefen MCLs für die Außenrotationstabilität bzw. anteromediale Rotationsinstabilität im Zusammenhang mit einer zusätzlichen VKB Insuffizienz feststellen [3]. Aufgrund des parallelen Faserverlaufes und der synergistischen Wirkung in Bezug auf die Außenrotationsstabilität werden diese Fasern auch sehr treffend als AML (anteromediales Ligament) bezeichnet (Abb. 3). Im unteren Abschnitt beschreiben wir eine neue Operationstechnik zur Rekonstruktion dieser Bandanteile des medialen Seitenbandkomplexes.
Bandrekonstruktion des sMCL und AML bei chronischer Instabilität
Gängige Operationstechniken zur Bandrekonstruktion der medialen Seite verwenden runde Semitendinosus- oder Gracilissehnen mit runden Löchern als Punkt zu Punkt Fixationen. In diesem Artikel wird eine Rekonstruktionstechnik mit flachem Sehnentransplantat beschrieben, welche der Anatomie und den physiologischen Spannungsverhältnissen des Originals näherkommt. Aufgrund der anatomischen Nähe werden als Autografts hauptsächlich gestielte Semitendinosus- oder Gracilissehnen als Transplantat verwendet. Da diese aber einen wichtigen dynamischen Stabilisator gegen Valgusstress darstellen [5], sollte auf die Verwendung der ipsilateralen Sehne zur Rekonstruktion der chronischen medialen oder anteromedialen Instabilität verzichtet werden. Als geeignete Alternativen stehen die Sehnen der kontralateralen Seite, ein Peroneus-„splitgraft“ [22] oder Allografts zur Verfügung.
Transplantatpräparation: Um der flachen Struktur des Innenbandkomplexes näher zu kommen, können die tubulären Sehnentransplantate durch einen einfachen Schritt in ein flaches Sehnentransplantat umformiert werden [1]. Die Sehne wird hierfür in ihrem runden Anteil ausgehend vom Muskelansatz bis zur Hälfte mit dem Skalpell eingekerbt (Abb. 4a) und anschließend mit einem Raspatorium ausgestrichen (Abb. 4b). Ihre mechanischen Eigenschaften werden dadurch nicht verändert [4]. Anschließend wird das Transplantat entweder mittig oder 1/3 zu 2/3 zusammengelegt, je nachdem ob reine Valgusinstabilität (sMCL-Rekonstruktion) oder eine anteromediale Instabilität vorliegt (sMCL und AML-Rekonstruktion) und proximal mit Krackow-Nähten mit einem Adjustable-Loop Button verbunden. Die distalen Enden werden später mit Fadenankern am Knochen fixiert.
Femorale Fixation: Um die breite femorale Insertion des medialen Seitenbandkomplexes zu imitieren, wird mithilfe eines Dilatators oder eines Meißels ein schlitzförmiger Kanal parallel zur Gelenkslinie in voller Streckung angelegt. Hierfür wird primär ein K-Draht im Zentrum des Insertionsareals eingebracht (Abb. 5b), der mit einem 4,5 mm Bohrer über die Gegenkortikalis überbohrt wird (Abb. 5c) [1]. Sind in einer chronischen Instabilitätssituation keine Bandreste zur Orientierung im Insertionsbereich mehr darstellbar, kann ein streng seitliches Röntgenbild mit zwei Hilfslinien das Auffinden des idealen Eintrittspunktes erleichtern. Anschließend wird die Kortikalis mit einem Luer parallel zur Gelenkslinie der Transplantatdimension entsprechend entfernt und der Dilatator (Medacta International, Castel San Pietro, Schweiz) bzw. der Meißel der entsprechenden Größe eingebracht (Abb. 5d) [1].
Isoliertes sMCL: Da das Transplantat hier einfach mittig zusammengelegt wird, ist ein Ausrichten des Transplantates nicht notwendig. Das Transplantat wird femoralseitig mit einem Adjustable Loop Button fixiert (Abb. 5e). Anschließend wird dieses doppelt in 20° Flexion nach unten zum Insertionsbereich distal des Pes Anserinus gespannt und mit 2 Fadenankern fixiert. Durch den Adjustable Loop kann das Transplantat noch nachgespannt werden.
sMCL und dMCL/AML Rekonstruktion: Das Transplantat wird so ausgerichtet, dass der kürzere Schenkel innen und der längere außen zu liegen kommt und mit Hilfe des Buttons am Femur fixiert (Abb. 5e). Der innenliegende Arm des Transplantates wird nun mit zwei Fadenankern mit 1cm Abstand ungefähr 8mm distal der Gelenklinie ventral des sMCL spannungsfrei fixiert. Anschließend wird der Adjustable Loop bei Neutralrotation, streckungsnahe angezogen, bis sich das dMCL/AML spannt. Knapp unterhalb des femoralen Kanals wird dieses noch mit den Weichteilresten des dMCL vernäht. In 20° Flexion und leichtem Varus wird nun noch der oberflächliche Arm des Transplantates im distalen Insertionsbereich des sMCL mit 2 Fadenankern oder einem Staple unter Spannung fixiert (Abb. 5f). Am Ende sollte die freie Beweglichkeit des Kniegelenkes (zumindest zwischen 0° und 120°) und die mediale Stabilität unter arthroskopischer Sicht oder Bildwandler überprüft werden.
Fazit
Der biomechanische Vorteil sowohl der flachen sMCL als auch der zusätzlichen AML Rekonstruktion konnte durch unsere Arbeitsgruppe bereits im Rahmen einer biomechanischen Studie deutlich unter Beweis gestellt werden [3]. Auch in der klinischen Anwendung zeigen sich beeindruckend positive Ergebnisse, welche natürlich in Kürze mit klinischen Daten belegt werden müssen.
Literatur
Abermann E, Wierer G, Herbort M, Smigielski R, Fink C (2022) MCL Reconstruction Using a Flat Tendon Graft for Anteromedial and Posteromedial Instability. Arthrosc Techniques 11:e291–e300
[1] Alm L, Krause M, Frosch K-H, Akoto R (2020) Preoperative medial knee instability is an underestimated risk factor for failure of revision ACL reconstruction. Knee Surgery
[2] Behrendt P, Herbst E, Robinson JR, Negenborn L von, Raschke MJ, Wermers J, Glasbrenner J, Fink C, Herbort M, Kittl C (2022) The Control of Anteromedial Rotatory Instability Is Improved With Combined Flat sMCL and Anteromedial Reconstruction. Am J Sports Medicine 036354652210964
[3] Domnick C, Herbort M, Raschke MJ, Schliemann B, Siebold R, Śmigielski R, Fink C (2015) Converting round tendons to flat tendon constructs: Does the preparation process have an influence on the structural properties? Knee Surg Sports Traumatology Arthrosc 25:1561–1567
[4] Herbort M, Michel P, Raschke MJ, Vogel N, Schulze M, Zoll A, Fink C, Petersen W, Domnick C (2016) Should the Ipsilateral Hamstrings Be Used for Anterior Cruciate Ligament Reconstruction in the Case of Medial Collateral Ligament Insufficiency? Biomechanical Investigation Regarding Dynamic Stabilization of the Medial Compartment by the Hamstring Muscles. American Journal of Sports Medicine 45:819–825
[5] Kittl C, Robinson J, Raschke MJ, Olbrich A, Frank A, Glasbrenner J, Herbst E, Domnick C, Herbort M (2021) Medial collateral ligament reconstruction graft isometry is effected by femoral position more than tibial position. Knee Surg Sports Traumatology Arthrosc
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie/ Unfallchirurgie und spezielle Unfallchirurgie und seit Januar 2019 in der OCM Klinik in München tätig (seit 2021 als Leitender Arzt und Gesellschafter). Seit 2016 ist er Vorstandsmitglied der Deutschen Kniegesellschaft. Außerdem ist Professor Herbort wiss. Beirat der sportärztezeitung.
ist Fachärztin für Orthopädie und Traumatologie. Sie ist seit 2020 in ihrer Wahlarztpraxis bei Gelenkpunkt – Sport- und Gelenkchirurgie Innsbruck sowie der Privatklinik Hochrum als Belegärztin klinisch tätig. Sie hat ihre Ausbildung in Österreich und der Schweiz sowie Fellowships in Frankreich und Kanada mit Spezialisierung für Kniechirurgie und kindliche Sportverletzungen absolviert.
ist Facharzt für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sporttraumatologie und als Mitbegründer am Gelenkpunkt – Sport und Gelenkchirurgie Innsbruck tätig und leitet die Research Unit für Sportmedizin des Bewegungsapparates und Verletzungsprävention, an der Privatuniversität UMIT, Hall. Er war von 2002–2011 Vorstandsmitglied und zwei Jahre Präsident der AGA. Prof. Fink ist außerdem wiss. Beirat der sportärztezeitung.