Regeneration im Sport dient der gezielten Wiederherstellung der körperlichen, geistigen und mentalen Leistungsfähigkeit nach Trainings- und Wettkampfbelastungen. Ziel des Regenerationsmanagements ist es, mit geeigneten Messgrößen den gesamtorganismischen Erholtheitszustand objektiv zu erfassen und daraus richtige Ableitungen für den weiteren Trainingsprozess zu treffen.
Dass dies im Leistungs- und Hochleistungssport nicht trivial ist, liegt darin begründet, dass Trainingsreize mit zunehmender Leistungsfähigkeit des Sportlers immer dichter aufeinanderfolgend gesetzt werden und auch intensiver und umfangreicher sein müssen, um wirksam zu werden. Dies führt dazu, dass der durch eine Trainingseinheit ausgelöste akute Ermüdungszustand meist noch bis zur nächsten Trainingseinheit anhält, was im Leistungssport vielfach auch gewollt ist. Der Sportler befindet sich bereits vor Beginn der neuen Trainingseinheit im Zustand der Untererholung oder in einem funktionalen Overreaching (FOR). Die sportliche Leistungsfähigkeit kann in dieser Phase noch durchaus auf hohem Niveau sein, ist aber in der Regel leicht herabgesetzt. Wird das Training ohne Regenerationsphase fortgesetzt, kann es zum nicht funktionalen Overreaching (NFOR) und schließlich zum Übertrainingszustand mit zum Teil erheblichem Leistungsverlust kommen [1].
Aufgrund der Vielzahl stimmungs- und leistungsbeeinträchtigender Symptome beim Übertraining und dem damit einhergehenden schlechten Leistungszustand, sucht die Trainingsforschung nach Frühindikatoren bzw. Risikoprädiktoren des Übertrainingssyndroms. Studien und eigene Erfahrungen mit Hochleistungssportlern deuten darauf hin, dass die zeitlich engmaschige Bestimmung der efferenten Vagusaktivität während eines Lagewechseltests in dieser Hinsicht vielversprechend ist.
Efferente Vagusaktivität
Das autonome Nervensystem (ANS) kann als Hauptintegrationssystem für die Vielzahl von afferenten Signalen aufgefasst werden, die in Ruhe und während sportlicher Aktivität entstehen. Insofern erscheint es sinnhaft, die ANS-Aktivität im Sinne eines Effektparameters während der verschiedenen Trainingsphasen zu erfassen und zum Regenerationsmanagement zu nutzen. Bisherige Studien belegen, dass sich ein guter Erholungszustand in hohen vagalen HRV-Parametern zeigt [2–4] und als Voraussetzung für intensives Training anzusehen ist. Anhand prospektiv randomisiert-kontrollierter Trainingsstudien konnte gezeigt werden, dass mit einem HRV-Monitoring die Leistungsentwicklung in Ausdauersportarten positiv beeinflusst werden kann [5,6]. Retrospektive Trainings- und HRV-Analysen belegen, dass vagale HRV-Parameter geeignet sind, ein funktionales oder nichtfunktionales Overreaching (NFOR) zu detektieren [7]. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass sich die efferente Vagusaktivität in Abhängigkeit vom körperlichen Aktivitäts- bzw. Trainingsstatus eines Individuums in charakteristischer Weise verändert. Dabei ist das Ausmaß der körperlichen Aktivität invers positiv mit der efferenten Vagusaktivität [8] und negativ mit der efferenten Sympathikusaktivität [9] korreliert. Bereits nach einem mehrwöchigen moderaten Ausdauertraining steigt sowohl bei Freizeit- als auch bei Leistungssportlern die Vagusregulation signifikant an. Auch in einer Overloadphase von bis zu drei Wochen kann die vagale Aktivität bei gleichzeitiger vorübergehender Abnahme der Leistungsfähigkeit ansteigen. Man würde dies dann als FOR bezeichnen, sofern die Leistungsfähigkeit nach einer kurzen Regenerationsphase von bis zu einer Woche wieder hergestellt ist oder sogar das Ausgangsniveau übersteigt. Ein FOR würde auch dann vorliegen, wenn in der Overloadphase die vagale Aktivität vorübergehend sinkt und in der Entlastungsphase sofort wieder ansteigt. Dies beobachten wir meist bei sehr gut trainierten Ausdauerathleten, bei denen bereits eine hohe efferente Vagusaktivität vorliegt. Kritisch wird es allerdings, wenn es in der mehrtägigen Entlastungsphase nicht wieder zum Anstieg der efferenten Vagusaktivität kommt und ein NFOR vorliegt. Eine optimale Wettkampfleistung ist dann nicht zu erwarten [7].
Prospektives Regenerationsmanagement
Für ein prospektives Regenerationsmanagement empfiehlt es sich im ersten Schritt, über mehrere Tage die Auslenkung vagaler HRV-Parameter (siehe Tabelle) bei weitgehend regenerativen Trainingsbelastungen zu bestimmen. Nach dieser sogenannten individuellen Baselinebestimmung kann im zweiten Schritt das geplante Trainingsprogramm starten. Entscheidend für den Trainingsfortschritt wird es jetzt sein, den Verlauf der HRV in Bezug zum Training richtig zu analysieren und notwendigen Abweichungen vom erstellten Trainingsplan auf Basis der HRV-Veränderungen vorzunehmen. Korrekturen sollten erst aus einem mehrtägigen Trend oder einem 7-Tage-Durchschnittswert erfolgen. Geringfügige Auslenkungen oder einzelnen Ausreißer über oder unter dem Baselinebereich bzw. dem individuellen Referenzwert (Durchschnittswert aller vorangegangenen Messungen) rechtfertigen keine Trainingsplankorrektur [10].
Ein guter Erholungszustand zeigt sich in einer hohen efferenten Vagusaktivität im Liegen und einer niedrigen im Stehen bezogen auf die individuellen Referenzwerte [11]. Typische trainingsinduzierte Veränderungen lassen sich aus Herzfrequenz-Tachogrammen der Liegend-Stehend-Messung (je 3 min) mit Bestimmung vagaler HRV-Parameter ableiten (Abb. 2). Die obere Grafik (2A) zeigt den Verlauf der Herzfrequenz (Hf) im Liegen und Stehen bei gesunden, ausdauertrainierten und leistungsfähigen Athleten. Die Hf ist niedrig in liegender Position und steigt rasch während des aktiven Aufstehens an. Anschließend erfolgt eine Gegenregulation. Bei guter Kreislaufstabilität bleibt die Hf in stehender Position höher als die HF im Liegen. Im Stehen zeigt sich eine drei- bis vierfache Abnahme der Vagus-HRV-Indizes von den individuellen Referenzwerten im Liegen. Hoch intensives Training über mehrere Tage kann eine verstärkte sympathische Regulation auslösen, was zu einem Anstieg der Hf (Verringerung der Vagus-Aktivität) im Liegen und im Stehen führt (2B). Ein hohes Volumentraining kombiniert mit hoch intensiven Trainingseinheiten über mehrere Tage äußerst sich meist in einem Anstieg der Hf im Stehen. Der Unterschied zwischen der Hf im Liegen und Stehen vergrößert sich (2C). Eine starke Erhöhung des aeroben Volumentrainings über 1 bis 2 Wochen (z. B. Trainingslager) kann starke Veränderungen im Hf-Tachogramm auslösen (2D), was sich in niedrigen Hf-Werten in liegender und stehender Position sowie weitgehend fehlender Gegenregulation während des aktiven Aufstehens äußert. Aufgrund der hohen vagalen Aktivität im Stehen zeigen sich fast keine Hf-Unterschiede zwischen der Liegend- und Stehendmessung. Des Weiteren verändert sich auch die Steilheit des HF-Anstieges nach dem Aufstehen in Abhängigkeit des Erholtheitszustandes [12]. Im Zustand des „Vagusovershoots“ (2D) steigt die Hf langsamer an als im Zustand der „Vagusdepression“ (2B). Festgestellt werden konnte, dass die Hf-Werte und vagalen HRV-Parameter im Stehen eine viel höhere Variabilität zeigen als die Werte im Liegen, das heißt, der Organismus reagiert sensibler bei der Stehendmessung auf Trainingseinflüsse [10].
Fazit
Ein individuelles Regenerationsmanagement auf der Basis objektiver Messdaten ist im Leistungssport empfehlenswert, um optimale Trainingsanpassungen auslösen und Überforderungen vermeiden zu können. HRV-Analysen, die auf standardisierten morgendlichen Ruhe- und Stehendmessungen (Lagewechseltest) basieren sind für ein prospektives Regenerationsmanagement geeignet. In intensiven und umfangreichen Trainingsphasen, klimatischen Extremsituationen, bei Wettkampf- und / oder Reisestress ist eine tägliche EKG-genaue RR-Messung der Herzfrequenz unabdingbar, um aus dem Verlauf der analysierten Werte begründete Entscheidungen für das weitere Trainingsprogramm treffen zu können. In moderaten Trainingsphasen kann eine wöchentliche RR-Messung bereits hinreichende Informationen zum Regenerationszustand des Sportlers liefern. Im Leistungssport sollte die HRV-Analyse ganzjährig genutzt werden, um ein individuelles Profil des Sportlers im Kontext unterschiedlicher Trainingsreizsetzungen erstellen und dessen Verlauf im langfristigen Trainingsprozess verfolgen zu können.
Literatur
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[10] Hottenrott, L. & Hottenrott, K. (2018) . Die Geheimnisse des individualisierten Trainings. Der Orthostatic Test im Ausdauersport. Wissenschaftliche Erkenntnisse und die Gestaltung des eigenen Trainings. ISBN 978-3-98199882-0-8, www.hottenrott.info
[11] Hottenrott, K. & Hoos, O. (2017). Heart Rate Variability Analysis in ExercisePhysiology. Jelinek, H.F., Cornforth, D.J. and Khandoker, A.H. (Eds.). ECG Time Series Variability Analysis: Engineering and Medicine, pp 245–273.
[12] Bellenger, C.R., Fuller, J.T., Thomson, R.L., Davison, K., Robertson, E.Y. & Buckley, J.D. (2016). Monitoring Athletic Training Status Through Autonomic Heart Rate Regulation: A Systematic Review and Meta-Analysis. Sports Med., 46 (10),1461–1486.
Autoren
ist Trainingswissenschaftler am Institut für Sportwissenschaft und Direktor des Instituts für Leistungsdiagnostik und Gesundheitsförderung (ILUG) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er leitet den Arbeitsbereich Sportmedizin und Trainingswissenschaft sowie den Masterstudiengang Sport und Ernährung. Der Autor bietet HRV-Workshops als Grundlagen-und Spezialisierungsseminare für Ärzte, Therapeuten, Trainer, Sportler und Wissenschaftler an und bildet zum HRV-Coach aus. www.hrv-sport.de