Für Sie gelesen von Dr. Kornelius Kraus
Genau wie der Rest der Welt war die Sportwelt auf COVID-19 nicht vorbereitet. Wie auch, wer konnte damit rechnen? Heute verfügen wir über wissenschaftliche Erkenntnisse und können uns auf ähnliche Szenarien besser vorbereiten. Und genau das ist das Ziel des Beitrags von Martens et al. 2021.
Welchen Einfluss hatte COVID-19 auf das Training und das Verletzungsrisiko?
Beispielsweise hatten Radfahrer eines int. Radteam während des Lockdowns innerhalb von sieben Wochen teilweise über 30 % ihres Trainingumfangs reduziert und dadurch bis zu 19 % ihrer Leistung eingebüßt. Bei Kayak-Sportlern reduzierte sich die Trainingszeit um 27 %. Zudem fanden 60 % des Trainings unterhalb der maximalen Herzfrequenz statt. Solche Belastungen werden den Anforderungen eines Leistungstrainings nicht gerecht, sondern eher eines Abtrainings. Drastisch reduzierte Trainingsbelastung führt zu negativen Anpassungen innerhalb des Muskel-Sehnen-Apparates und damit zu einer Erhöhung des Verletzungsrisikos.
Die Daten aus der Fußball-Bundesliga bestätigen diese Annahme: es zeigte sich nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs eine stark erhöhte Verletzungshäufigkeit. Sie stieg von 0,27 auf 0,84 pro Spiel (+226%). Neben den gesundheitlichen Folgen und dem medizinischen Mehraufwand kommen erhöhte Ausgaben für die medizinische Versorgung der Sportler hinzu. Noch schwerwiegender ist im Einzelfall sicherlich der Ausfall wichtiger Talente. Dies zeigt, wie bedeutend eine verbesserte Vorbereitung und Prävention nach Lockdowns oder ähnlichen Szenarien für einen verantwortungsbewussten Sportbetrieb ist. Denn neben den gesundheitlichen Schäden sind zudem unnötige wirtschaftliche Schäden entstanden.
Wie konnte das geschehen?
Vor COVID-19 verhinderten knappe Ressourcen, die Logistik oder fehlende Motivation die erfolgreiche Umsetzung von Präventionsprogrammen, berichten die Autoren. COVID-19-Maßnahmen habe die Situation entscheidend geändert, indem häusliche Isolation und Kontaktbeschränkungen den Trainings- und Spielbetrieb beeinflusst haben. Neben der unmittelbaren Ansteckungsangst und ihren möglichen Folgen kamen auch Zukunftssorgen hinzu. Die mögliche Absage von Wettkämpfen, unscharfe Trainingsziele und damit verbundene fehlende Trainingsmotivation haben die Compliance für Präventionsübungen nicht erhöht. Zudem hatten Athleten und Trainer Schwierigkeiten, individuelle Defizite objektiv zu messen. Zu einer unspezifischen Diagnostik ist in einigen Fällen der eingeschränkte Zugang zu entsprechendem Trainingsmaterial hinzugekommen. Zudem könnten sich die fehlende individuelle Betreuung und Trainingspartnerschaften negativ auf die Compliance ausgewirkt haben. Außerdem hat COVID-19 bzw. die Pandemiebekämpfungsmaßnahmen den Athleten psychisch zugesetzt. Über 50 % der 692 befragten südafrikanischen Sportler berichteten über Depressionen. Besonders betroffen waren Individualsportler und Frauen. Zudem seien möglicherweise Schlafroutinen, Ernährungs- und Lebensstil während des Lockdowns in Mitleidenschaft geraten. Und medizinische Follow-Up-Untersuchungen haben wohl auch nicht in der Qualität und in dem Umfang stattgefunden wie möglich.
Werfen wir den Blick auf die Gegenwart und Zukunft
COVID-19 ist noch nicht vorbei, da bewegt der Ukraine-Konflikt die Menschheit. Wir wissen nicht, was als nächstes kommt. Eines ist aber sicher: die nächste Herausforderung wird kommen! Die Frage ist nur wann. Damit bleibt uns nur eine Möglichkeit: Wir können uns bestmöglich auf solche Ereignisse vorbereiten, indem wir aus der Vergangenheit lernen und die entsprechenden Maßnahmen, die Infrastruktur und Prozesse etablieren, bevor der Härtefall eintritt. Für die Entwicklung eines Lockdown ähnlichen Szenarios sollte man sich zunächst bewusst machen, dass man drei bis fünf Wochen nach einer vierwöchigen Lockdown-Periode benötigt, um das Fitnessniveau vor Eintritt des Lockdowns wieder zu erreichen. Dies ist wichtig für die Festlegung der Wiederaufnahme des Spielbetriebs. Ferner sollte bei der Gestaltung des Wettkampfplans die Gesundheit des Athleten im Mittelpunkt stellen, fordert das Autorenteam.
Was sollte etabliert werden?
Sportler benötigen ein „Präventions-Survival-Kit“ schlagen die Autoren um Mertens vor. Dieses enthält das wichtigste Trainingsequipment und schafft die nötigen Voraussetzungen, dass Sportler bei einer möglichen Isolation zu Hause Präventionsübungen durchführen können.
Neben dem allgemeinen Gesundheitsrisiko-Assessments sollte:
- ein sportspezifisches Risiko-Assessment und Tele-Prävention etabliert werden, welches allgemeine und sportartspezifische Risiken im Kontext einer Isolation erfasst. Dies kann zentralisiert als auch dezentral stattfinden. Entscheidend sei, dass Referenzdaten bereits vor dem Worst-Case-Szenario vorliegen.
- Für eine schnelle Wiederaufnahme des Trainingsbetriebs sollten Wochentrainingsprogramme, welche der sportspezifischen Fitness und der Prävention dienen, vorbereitet sein.
- Mentale Trainingsprogramme sollten vorhanden sein, die den Athleten helfen, mit akuten oder chronischen Stress besser umzugehen.
- Möglichkeiten für ein videobasiertes Technik- und Taktiktraining sollte geschaffen werden, indem entsprechend einfache Kamera-Systeme und Kommunikation-Apps vorhanden sind.
- Ein digitales Setup für die einfache Präventions- und Leistungsdiagnostik und Trainingsevaluation sollte geschaffen werden. Diesen Anforderungen können Smartphone Apps und Wearables gerecht werden. Zur Erfassung der Sprunghöhe, der Kraftgeschwindigkeitskurve beim Krafttraining oder Koordination können sie zuverlässige Daten liefern.
Mehr zum Autor HIER
Autoren
entwickelt und evaluiert Strategien zur Unterstützung der regenerativen Erneuerung und zum Schutz vor degenerativem Verfall. Dabei hilft ihm seine Erfahrung als wissenschaftlicher Gutachter und sein Können bei der Bewertung von Produkten, Training oder Therapien. Sein praktisches Know-How für den wirkungsvollen Talentschutz und regenerative Talententwicklung bringt Dr. Kraus bei Sportverbänden (IBU, BVDG) und Unternehmen (z. B. Hopital de la Tours) mit ein.