Das Thema Schlaf und sein Potenzial für die Regeneration und Leistungssteigerung sind in der Sportmedizin längst angekommen. Trainer und Athleten versuchen, die komplexen Zusammenhänge von Schlaf und Sport zu verstehen und für den Spitzensport zu nutzen. Angesichts der Vielfalt der verfügbaren Informationsquellen ist es nicht verwunderlich, dass immer wieder Meinungsmacher mit verführerischen Versprechen die Schlagzeilen beherrschen, was mitunter abstruse Blüten treibt fernab von jeder wissenschaftlichen Grundlage.
Vor diesem Hintergrund ist ein kürzlich erschienener Artikel von internationalen Wissenschaftlern mit dem oben genannten Titel in der Fachzeitschrift „Journal of British Sports Medicine“, einem Tochterjournal des renommierten British Medical Journal (BMJ) erwähnenswert. Die Autoren haben zahlreiche wissenschaftlich fundierte Daten zu Schlaf und Spitzensport zusammengetragen und in einem narrativen review zahlreiche Aspekte der komplexen Interaktion als Experten-Konsensus veröffentlicht. Der Artikel beginnt mit einer fundierten Darstellung der Grundlagen zur Schlafphysiologie und Zirkadianik sowie der technischen Möglichkeiten, Schlafstruktur und Schlafqualität zu messen. Gerade in den letzten Jahren sind eine Vielzahl von tragbaren Messgeräte wie „wearables“ oder „nearables“ auf den Markt gekommen, die versuchen, den Schlaf über dessen physiologische Korrelate anwenderfreundlich oder gar kontaktlos zu messen.
Die Wissenschaftler betonen in diesem Abschnitt, dass nur wenige auf dem Markt verfügbare Geräte validiert sind, die Mehrzahl hingegen nicht und mahnen entsprechend zum vorsichtigen Umgang mit diesen Daten. Nach einer Darstellung zu unmittelbaren Auswirkungen von akutem und chronischem Schlafdefizit auf die Leistungsfähigkeit, wird auf zahlreiche spezifische Aspekte der bidirektionalen Interaktion von Schlaf und Leistungssport eingegangen, z. B. verschiedene Schlafprotokolle mit variierender Schlafdauer und Schlafzeiten und deren Sportarten-spezifischen Auswirkungen, leistungsmindernde Effekte von inadäquatem Schlaf oder unentdeckte schlafmedizinische Erkrankungen. In einem längeren Abschnitt behandeln die Autoren die umgekehrte Frage, welche Effekte der Leistungssport auf den gesunden Schlaf hat und erörtern die Fragen, ob und in welchem Ausmaß Spitzen- oder Leistungssport zu Schlafstörungen führen kann. Dieser Aspekt findet in der oft einseitig geführten Debatte um Leistungsoptimierung durch den Schlaf nur wenig Beachtung.
Die Einflüsse von langen und intensiven Trainingseinheiten, Reisezeiten und zirkadiane Faktoren werden explizit angesprochen. Im zweiten Hauptabschnitt werden Strategien zur Optimierung des Schlafs unter Trainings- und Wettkampfbedingen behandelt. Hier liegt der Fokus auf Planung von Schlaf-Wachzeiten, dem Umgang mit Jetlag, Lichttherapie und Medikamenten. Zudem wird der Zusammenhang zwischen Ernährung und Schlaf besprochen. Herzstück des Artikels ist die von den Autoren entwickelte „sleep toolbox“, die einen praxisnahen Zugang für den Sportalltag auf evidenz-basierte Praxis ermöglicht. Die knapp und präzise formulierten key points umfassen Schlaf-Edukation, einen Screening-Algorithmus bei unzureichendem Schlaf und unerkannten medizinischen Schlafstörungen, Empfehlungen zu Tagesnaps und der Umgang mit bewusster Schlafextension vor Wettkämpfen.
Fazit
Der Artikel grenzt sich wohltuend von den üblichen Generalisierungen und idealisierten Versprechungen zur Leistungssteigerung durch optimierten Schlaf ab und scheut nicht davor, auf die Grenzen und wissenschaftlichen Lücken auf diesem Gebiet hinzuweisen. Die realistische Beschreibung von Chancen und Gefahren von gesunden und gestörten Schlaf im Spitzensport unter Berücksichtigung des individuellen Sportlers und der einzelnen Sportarten machen diesen Artikel zu einem lesenswerten Standardwerk.
Autoren
ist Facharzt für Neurologie und seit 2009 Leiter/Leitender Arzt Schlafmedizin an der Klinik Barmelweid, Schweiz. Zuvor war er u.a. Leiter der EEG-Abteilung, Neurologische Klinik Campus Virchow-Klinikum, Humboldt-Universität, Berlin und Oberarzt an der Neurologischen Klinik, Universitätsspital Zürich. Seine Arbeitsgebiete sind Schlafmedizin, Epileptologie und Geschäftsleitung der Klinik.