Über die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) wurden mittlerweile über 600 Leitlinien formuliert. Auf der WHO-Tagung Velen/Westfalen 1997 wurde folgende Definition festgelegt, die hilfreich ist, wenn man sich über die Bedeutungen von Leitlinien im Klaren werden möchte:
„Leitlinien sind systematisch entwickelte Feststellungen („statements“), um die Entscheidungen von Klinikern und Patienten über angemessene Gesundheitsversorgung für spezifische klinische Umstände („situations“) zu unterstützen“
Im Rahmen dieser 600 Leitlinien nehmen einige einen besonderen Stellenwert im Bereich der Sportmedizin ein. Hierzu zählt u.a. die Leitlinie Gonarthrose, die aktuell auf S2k Niveau ist und zur Anhebung auf S3 angemeldet ist (Bundesförderung von 354.000 Euro), was voraussichtlich Mitte 2024 der Fall sein wird. Im November dieses Jahres erhält die Leitlinie zunächst ein Update und so war es uns eine besondere Ehre, dass Leitlinienkoordinator Prof. Dr. med. Johannes Stöve einen Vortrag dazu auf unserem 12. Symposium der sportärztezeitung in Pforzheim gehalten hat. Da gerade diese Thematik vor Ort für viel Gesprächsstoff und Nachfragen gesorgt hat, möchten wir Ihnen hier eine kurze Übersicht der wichtigsten Punkte bieten, die Prof. Stöve den Teilnehmern präsentiert hat.
Zunächst sei zu erkennen, dass die Patienten im Bereich der Gonarthrose verunsichert sind. Zum einen über die Ursachen der Schmerzen, der Variabilität und Zufälligkeit der Symptome, aber auch, da Einzelmaßnahmen nur gering wirksam sind. Neben Basismaßnahmen, wie z. B. Muskelkräftigung und Gewichtskontrolle gibt es Therapiemöglichkeiten mit Kann-Niveau Empfehlungen: Biomechanische Hilfen bei Co-Morbiditäten, TENS, Lasertherapie, Elektrophysikalische Therapie, Stoßwelle, Ergotherapie, Akupunktur, Balneotherapien bei Co-Morbiditäten sowie operative Therapie bei Fehlstellungen, Blockaden und kons. Therapieversagern. Die Therapieangebote sind immer individuell, multimodal und evtl. auch kombiniert zu gestalten. Physiotherapie und Selbstmanagement sind jedoch wesentliche Basismaßnahmen, die aktuell noch stark vernachlässigt werden, so wird laut einer aktuellen AOK-Studie definitiv zu wenig Physiotherapie verschrieben, die Potenziale werden dabei nicht ausgeschöpft (Inanspruchnahme Physiotherapie 40,8 % in der Zielpopulation). Die Patienten müssen motiviert werden und sollen sich an der Behandlung beteiligen sowie Behandlungsverantwortung mitübernehmen. Empfehlung: Information durch Arzt / Therapeut – Anleitung zur Übungstherapie – 2 – 3 x pro Woche für etwa 45 Minuten – Überprüfung der Übungen und Auffrischung alle sechs Monate.
Kontroversen und Neues
Die Therapiealternativen, die nach konsequenter Durchführung der Basismaßnahmen infrage kommen, werden neu bewertet. Hier ein kleiner Einblick in einige neue Aspekte bzgl. des Algorithmus der Pharmakotherapie:
- Topische NSAR bei oberfl. Gelenk
- Kein Paracetamol mehr
- Einsatz von Phytopharmaka
- Hyaluronsäure und Glucosamin trotz widersprüchlicher Datenlage zur Wirksamkeit
Gerade auch die Bereiche Hyaluronsäure und PRP werden kontrovers diskutiert. Gleichzeitig sind in den letzten Jahren zahlreiche Artikel zur medikamentösen Therapie erschienen, z. B. zur Bedeutung der Co-Morbiditäten bei der Gabe von konventionellen Schmerzmitteln oder zur Wirksamkeit von Hyaluronsäure und PRP oder aber auch zum Einsatz von Phytopharmaka (siehe hierzu auch Artikel Prof. Tischer „Orthobiologika bei Gonarthrose – PRP – Europäischer Konsensus der ESSKA). Die Bedeutung der regenerativen Therapieoptionen ist auch in diesem Zusammenhang weiter am Wachsen.
Wir möchten auch in Zukunft die Arbeit und Weiterentwicklungen der Leitlinien aktiv und effektiv unterstützen, im Rahmen unserer Fortbildungen der thesportgroup academy als auch in Form von Ergebnissen und Diskussionen unserer Expertengruppen aus der Anwendung. Wir danken an dieser Stelle noch einmal stellvertretend Herrn Prof. Dr. Stöve für die hervorragende Arbeit im Rahmen der medizinischen Leitlinien.
Autoren
ist Dipl. Sportwissenschaftler, Gründer und Herausgeber der sportärztezeitung sowie Gründer und Geschäftsführer von thesportgroup GmbH aus Mainz.
ist Chefredakteur der sportärztezeitung.