Akute Rückenschmerzen wie Lumbago sind normalerweise kein größeres medizinisches Problem. Hat man früher eher zur Immobilisierung oder Stufenbettlagerung geraten, empfehlen wir heute eine initiale effektive medikamentöse Analgesie und so weit wie möglich, in Bewegung zu bleiben. Adjuvant kann auch eine Softorthese schmerzauslösende Bewegungen verhindern. Nach 1 – 2 Wochen sind die Beschwerden meist eindeutig rückläufig, sodass keine weitere Therapie erforderlich ist.
Chronische Rückenschmerzen sind die bedeutendste Ursache für qualitativ verlorene Lebensjahre, wie im Report der Global Burden of Disease im Jahre 2014 nachgewiesen wurde. Hier muss zwischen dem sogenannten spezifischen und unspezifischen Rückenschmerz unterschieden werden. Beim spezifischen Rückenschmerz ist in der Regel eine Ursache erkennbar, wie beim axialen Rückenschmerz – neben muskulären und funktionellen Ursachen – die Facettengelenke, der diskogene Schmerz des Faserringes oder auch radikuläre Schmerzen bei Nervenwurzelkompression durch Bandscheibenprotrusion oder auch Vorfälle, seltener Kompression durch Flavumhypertrophie und daraus resultierender Neuroforamenstenose. Demgegenüber finden wir beim unspezifischen Rückenschmerz kein eindeutiges pathomorphologisches Korrelat (oder erkennen es nicht?), sodass hier nur das Konzept der multimodalen Schmerztherapie zu greifen scheint. Allerdings gibt es keine strenge Trennung der Symptome zwischen einem axialen Rückenschmerz und/oder radikulären Beinschmerz. So wurde in einigen Untersuchungen gezeigt, dass auch ein Facettenschmerz pseudoradikulär erscheinen kann und das Sakroiliacalgelenk (SIG) einen ähnlichen topografischen Schmerzverlauf aufweisen kann. Daher müssen häufig Probeinfiltrationen vorgenommen werden, um die Diagnose eines spezifischen Rückenschmerzes zu sichern [1].
Therapeutische Optionen & Studienlage
Therapeutisch kommt zunächst die konservative Therapie mit Physiotherapie, Manueller Therapie, medikamentöser Analgesie in Betracht. Man geht davon aus, dass unabhängig von der genauen Diagnose und Schmerzursache ca. 80 % der Rückenschmerzpatienten damit schmerzarm und wieder zur Teilhabe geführt werden können. In diesem Rahmen kommt der sogenannten segmentalen Stabilisierung eine herausragende Bedeutung zu. Es wird davon ausgegangen, dass der m. multifidus, der m. transversus abdominis, das Diaphragma und die Beckenbodenmuskulatur das einzelne Segment wesentlich effektiver gegen Translationsbewegungen stabilisieren können als die oberflächliche Muskulatur [2]. Der m. transversus abdominis kontrahiert sich demnach bei allen schnellen Bewegungen des Rumpfes oder der oberen und unteren Extremitäten noch bevor die eigentlichen, die Bewegung herbeiführenden Muskeln aktiviert werden [3]. Daneben werden die mm. multifidi unwillkürlich aktiviert, wenn bei Koordinationsübungen Hilfsbewegungen mit den oberen Extremitäten vorgenommen werden [4]. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass Patienten und Sportler mit Rückenschmerzen eine mangelnde Ansteuerung respektive Aktivierung der mm. multifidi zeigen [5, 6]. Außerdem kam es bei Rückenschmerzpatienten zu einer verspäteten Kontraktion der multifidi und des tranversus abdominis sowie war deren Reaktion nur bei schnellen Bewegungen messbar. Eine schnellere Ermüdung und nicht zuletzt auch eine Atrophie der segmentalen Muskulatur war ebenfalls nachweisbar [7, 8]. Dies hat zur Folge, dass es neben einer reduzierten lokalen Stabilität und einer reduzierten Kraft auch zu einer eingeschränkten Information des sensomotorischen Systems kommt. Dies wiederum führt zu einer verlangsamten Reaktion und zu gesteigerten Scherkräfte durch vermehrte Translationsbewegung.
Das Ziel der segmentalen Stabilisierung (SS) ist es dabei, die tiefe Bauch- und tiefe paravertebrale Muskulatur getrennt von der oberflächlichen zu trainieren und somit die Stabilität auf Segmentebene widerherzustellen. Die dazu notwendigen Übungen sind: Übungen zum Training der multifidi und des tranversus abdominis, Übungen zum Training der Beckenbodenmuskulatur und Diaphragma. Allerdings sind Beweise für ihre Effektivität in der wissenschaftlichen Literatur nur unzureichend vorhanden. Dies liegt zum einen an der uneinheitlichen Definition des „Cores“ und zum anderen an der umstrittenen Genauigkeit des klinischen Tests zum Nachweis einer Instabilität in einem Bewegungssegments. Wang et al. stellten allerdings fest, dass Übungen zur segmentalen Stabilisierung bessere Ergebnisse erzielten als allgemeine Übungen während der ersten drei Monate einer Intervention bei lumbalen Rückenschmerzen [9].
In dem bisher ausführlichsten Review zu diesem Thema (29 Studien und n= 2500) konnte jedoch keine gesicherte Evidenz zur Effektivität der SS gefunden werden [10]. Allerdings wurden bei den meisten Studien Patienten mit unspezifischen Rückenschmerz untersucht. Hierbei wissen wir, dass bei diesen Patienten in aller Regel keine spezifische Intervention eine Besserung herbeiführt, sondern lediglich eine komplexe Kombination von Behandlungen wie bei der multimodalen Schmerztherapie. In einer aktuellen prospektiv randomisierten Studie konnte an gesunden Probanden gezeigt werden, dass es bei spezieller segmentaler Stabilisierung nach vier Wochen zu einer signifikanten Kraftsteigerung in speziellen Haltetests und zu einer schnelleren Stabilisierung bei plötzlicher Krafteinwirkung kommt [11]. Ähnliche Ergebnisse fanden auch Coulumbe et al. (2017), welche in fünf Studien mit 414 Probanden mit spezifischem Rückenschmerz eine signifikante Besserung bei Training mit SS im Verglich zu normaler Physiotherapie resultierte [12].
Fazit
Es gibt keine sichere Evidenz für die Effektivität der segmentalen Stabilisierung beim unspezifischen Rückenschmerz. Das Training mit SS erfordert eine hohe Konzentration. Eine gestörte unwillkürliche Bewegungskontrolle auf segmentaler Ebene kann jedoch verbessert werden und es kommt zu reduzierten Ausweichbewegungen. Zumindest beim Athleten sowie Patienten mit spezifischen Rückenschmerzen ist die SS vielversprechend und sollte als Therapie der ersten Wahl angewendet werden.
Literatur
Literatur
[1] Veihelmann et al. 2020
[2] Schellenberg et al., 2007
[3] Cresswell et al. 1999
[4] Moseley et al., 2002
[5] Herbert et al., 2010
[6] Hodges et al., 1996
[7] Hodges et al., 1999
[8] Roy et al., 1990
[9] Wang et al. 2012
[10] Smith et al. 2014
[11] HSU et al. 2018
[12] Coulumbe et al. 2017
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnungen Rheumatologie, Sportmedizin und Chirotherapie. Er ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Orthopädie SRH-Gesundheitszentrum Bad Herrenalb sowie Chefarzt Dept. Wirbelsäule, Sportklinik Stuttgart GmbH. Außerdem ist Prof. Veihelmann Präsident der Deutschen Gesellschaft für Wirbelsäulentherapie e.V. und wiss. Beirat der sportärztezeitung. Er bietet zudem eine Video-Online Sprechstunde unter www.bandscheibestuttgart.com an.