Bildlegende: Der Erstautor der besprochenen Studie, Tobias Würfel, behandelt (unter Aufsicht von Prof. Dr. Christoph Schmitz) den Letztautor der besprochenen Studie, Leon Jokinen, mit radialer ESWT. Leon ist nach einem Unfall von C3 an gelähmt, studiert trotzdem sehr erfolgreich an der LMU München Medizin und ist in der Arbeitsgruppe von Prof. Schmitz aktiv in die Forschung zur ESWT eingestiegen. Seit Beginn der Behandlung seiner Spastik mit radialer ESWT braucht Leon keinerlei Medikamente zur Behandlung seiner Spastik mehr, insbesondere keine Injektionen von Botox.
Über die letzten Jahre nahm die Bedeutung der Extrakorporalen Stoßwellentherapie (ESWT) bei der Behandlung von Pathologien des Stütz- und Bewegungsapparats kontinuierlich zu. Über die Hintergründe, warum die ESWT zu den Behandlungserfolgen führt und welche Mechanismen dem zugrunde liegen, bestehen immer noch zahlreiche Unklarheiten. Dieses Systematic Review hat alle relevanten, bisher publizierten grundlagenwissenschaftlichen Arbeiten analysiert und die Ergebnisse übersichtlich zusammengetragen.
(Anmerkung der sportärztezeitung: PD Dr. Hotfiel und Prof. Dr. Nehrer haben in ihrem Artikel Regenerative Therapien – Hilfe zur Selbsthilfe von verletzten Strukturen, erstveröffentlicht im GOTS-Newsletter, erwähnt, dass „Mechanische Stimuli den vierten Eckpfeiler für den Erfolg regenerativer Methoden darstellen. Sie sind entscheidend für die Funktion und Entwicklung von skelettalen Strukturen (…) Eine interessante Anwendung zur Förderung der Knochenregeneration mittels mechanischer Stimuli stellen extra-korporale Stoßwellen (EKSTW) dar, was im Wesentlichen auch eine regenerative Maßnahme ist, um zum Erliegen gekommene Heilungsvorgänge mechanisch durch Stoßwellen neuerlich zu aktivieren. Das Feld mechanischer Stimuli scheint ein guter Nährboden für innovative Reha-Protokolle zu sein und könnte aufgrund der oben erwähnten Mechanismen mehr in den Fokus der Regenerativen Medizin rücken.“ Wir freuen uns in diesem Zusammenhang sehr, von Tobias Würfel an dieser Stelle nun eine Analyse der bisher publizierten grundlagenwissenschaftlichen Arbeiten vorstellen zu dürfen und somit dieser Thematik noch mehr Tiefe geben zu können.)
Die Entwicklung der ESWT als Behandlungsoption am Stütz- und Bewegungsapparat unterscheidet sich grundsätzlich von der Entwicklung von anderen Therapieformen: normalerweise werden bekannte (patho-)physiologische Mechanismen als Ansatzstelle für die jeweilige Therapie identifiziert und anschließend Methoden etabliert, die in diese biologischen Abläufe eingreifen. Die Stoßwellentherapie hingegen wurde ursprünglich als sogenannte „Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie“ für die Behandlung von Nierensteinen entwickelt und nur zufällig wurden die positiven Eigenschaften am Stütz- und Bewegungsapparat entdeckt. Bevor Erkenntnisse entstanden sind, auf welchen Mechanismen der Behandlungserfolg beruht, wurden zahlreiche klinische Erfahrungen gewonnen. Daher ist die Suche nach der Wirkungsweise der ESWT sehr mühevoll und kleinschrittig, weil zudem nur aus den beobachteten, klinisch sichtbaren Effekten mögliche Pathomechanismen abgeleitet werden können, die dann wiederum in Grundlagenstudien überprüft werden müssen.
Kumulative Wirkung
In den zahlreichen, bisher durchgeführten grundlagenwissenschaftlichen Studien zur ESWT sind eine ganze Reihe von Wirkungen auf verschiedenste Gewebearten identifiziert worden. Der Therapieerfolg bei den verschiedenen Indikationen zeigt, dass jeweils unterschiedliche Mechanismen für bestimmte Effekte verantwortlich sein müssen. Viele der entdeckten Mechanismen ergänzen sich gegenseitig, sodass von einer kumulativen Wirkung ausgegangen werden kann. Dabei ist anzumerken, dass verschiedene Gewebe unterschiedlich auf die ESWT reagieren und sogar der Gesundheitszustand des Gewebes eine Rolle spielt. Die Heterogenität der gefundenen Resultate zeigt jedoch auch, dass nicht jede Wirkung auf das Gewebe ursächlich für eine gelungene Behandlung sein kann: die durchblutungsfördernden Eigenschaften und die vermehrte Expression von VEGF sind eigentlich kontraproduktiv für Tendinopathien – trotzdem stellen Tendinopathien mit die wichtigste Indikation für ESWT dar. Also müssen bei dieser Indikation andere Mechanismen ausschlaggebend sein.
Fünf zentrale Wirkmechanismen der ESWT
Dieser Systematic Review identifizierte fünf zentrale Wirkmechanismen der ESWT am Stütz- und Bewegungsapparat, welche für den Behandlungserfolg verantwortlich scheinen:
1. ESWT stimuliert sowohl differenzierte Zellen als auch Vorläufer-/Stammzellen und hat dadurch positive Effekte auf Knochen- und Knorpelpathologien. Die Erzeugung von mikroskopisch kleinen Knochenbrüchen (sogenannte. „microcracks“) durch Stoßwellen und die gezielte Hemmung von Osteoklasten scheinen dabei eine wesentliche Rolle zu spielen.
2. ESWT imitiert die Wirkung von Capsaicin, indem die Konzentration von Substanz P gesenkt wird. Als Neurotransmitter spielt Substanz P eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von Schmerzreizen über C-Nervenfasern und im neurogenen Entzündungskreislauf.
3. ESWT imitiert die Wirkung von Botulinumtoxin, indem Acetylcholinrezeptoren der muskulären Endplatte selektiv zerstört werden. Dadurch sinkt die muskuläre Übererregung, was zu positiven Effekten bei Triggerpunkten, Spastizität und myofaszialen Dysbalancen führt.
4. ESWT zeigt Ähnlichkeiten mit der Wirkung von Neuraltherapie, indem die neuronale Reizweiterleitung eingeschränkt wird und möglicherweise Gate-Control-Mechanismen aktiviert werden.
5. ESWT imitiert manual- und physiotherapeutische Behandlungen, indem der lokale Stoffwechsel, die Mikrozirkulation und der lymphatische Abfluss angeregt werden. Zudem wird die Expression von Lubricin gesteigert, was eine verbesserte Gleitfähigkeit der Faszien aufeinander sowie der Sehnen in den Sehnenscheiden zur Folge hat. Eine mögliche Wirkung auf fasziale Fibrosen wird diskutiert.
ESWT als wirksame Therapieform
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die ESWT allein oder in Kombination mit anderen Behandlungsformen eine wirksame Therapieform darstellt. Nicht zu unterschätzen ist die Möglichkeit, die ESWT als unterstützende Maßnahme bei myofaszialen Ungleichgewichten und funktionellen Bewegungseinschränkungen, die den Pathologien zugrunde liegen, einzusetzen. Für den künftigen Einsatz der ESWT sind weitere Studien, insbesondere klinische Studien, erforderlich. Bislang gibt es noch zu wenige Erkenntnisse über die idealen Behandlungseinstellungen, die Intensität, die Dauer, die Lokalisierung und die angewandte Energie, um die bestmögliche Behandlung zu gewährleisten.
Autoren
ist Assistenzarzt in der Sektion Sportorthopädie am Klinikum Rechts der Isar der TU München. Er hat am Lehrstuhl Anatomie II der LMU über die regenerative Stammzelltherapie bei Sehnendefekten promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) und physikalische Verfahren in der Orthopädie. Zuvor war er in der sportmedizinischen Praxis MedWorks Augsburg tätig.