Der ESC Kongress 2020 fand als weltweit größter Herzkongress nicht wie geplant in Amsterdam, sondern erstmalig digital statt – The Digital Experience. Einer breiten wissenschaftlichen Öffentlichkeit wurden neue ESC -Leitlinien vorgestellt und zeitgleich im European Heart Journal publiziert.
Die ESC Leitlinie „Sportkardiologie und körperliche Aktivität bei Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung“ gibt spezifische Empfehlungen modifiziert nach Art der Erkrankung und Risikokonstellation. Der ärztliche Wissenstand, um gezielt Patienten und Risikopersonen zu beraten in Hinsicht auf körperliche Aktivität, Freizeit- und Leistungssport und Wettkampfteilnahme, soll durch diesen Expertenkonsens nachhaltig verbessert werden.
Für Herz-Patienten, Personen mit kardiovaskulären Risikofaktoren sowie ältere Menschen gelten dieselben Empfehlungen wie für Gesunde: mindestens 150 Minuten Sport mit moderater Intensität in der Woche oder 75 Minuten Sport mit starker Intensität. Noch besser ist es, dieses Pensum zu verdoppeln. Für Risikopersonen mit metabolischem Syndrom wie Adipositas, Fettstoffwechselstörungen oder Diabetes mellitus und Personen mit gut eingestelltem arteriellem Bluthochdruck, wird ergänzend ein Krafttraining ≥ 3 pro Woche empfohlen. Älteren Personen wird ein Gleichgewichtstraining als Sturzprophylaxe an zwei Tagen pro Woche angeraten. Es wird auf ein breites Spektrum von kardialen Erkrankungen eingegangen wie Hypertonie, koronare Herzkrankheiten (chronische Koronarsyndrome), Herzinsuffizienz, Klappenerkrankungen, Kardiomyopathien, Herzrhythmusstörungen und Kanalopathien. Krankheitsbilder, wie die hochgradige Herzklappenstenose oder die arrhythmogene Kardiomyopathie ARVC, werden aufgeführt, bei denen explizit von einem intensiven Training oder von einer Teilnahme am Wettkampfsport abgeraten wird. Rhythmusstörungen, wie das Vorhofflimmern, treten vermehrt bei ansonsten gesunden Sportlern im mittleren Lebensalter auf, die über lange Zeit ein hochintensives Ausdauertraining durchgeführt haben. Andererseits schützt regelmäßige Bewegung vor dem Auftreten von Vorhofflimmern. Dies zeigt, wie notwendig es ist, eine konkrete, den Sport betreffende, Dosisempfehlung auszusprechen.
Bei allen Erkrankungen wird angegeben, welche Art der Bewegung für den Einzelnen sinnvoll ist und in welchem Umfang Sport betrieben werden kann. Die Vorschläge sollten entsprechend den Wünschen und Zielen des Patienten gemeinsam abgestimmt werden. Allen Vorschlägen ist gemeinsam, dass die individuelle Situation des Patienten berücksichtigt werden soll in Abhängigkeit des Risikos. Auf regelmäßige ärztliche Kontrollen (Beurteilung und Beratung) zur Überprüfung der Compliance und zur Anpassung der Trainingsempfehlungen wird hingewiesen. Die sichere Sportausübung- safety first – wird in den Focus gestellt. Mit Sport begonnen werden sollte nur bei klinisch stabiler und leitliniengerecht optimal eingestellter Erkrankung. Nicht nur für kardial Erkrankte, sondern auch für Personen mit kardiovaskulären Risikofaktoren wird empfohlen, sich einer kardiologischen Untersuchung mit maximaler Belastungstestung zu unterziehen, wenn hochintensive Belastungen geplant sind. Ziel ist es, mögliche Risiken wie Herzrhythmusstörungen und Ischämien frühzeitig zu erkennen und das Risiko für einen sportinduzierten plötzlichen Herztod so minimal wie möglich zu halten. Insbesondere der Untrainierte sollte langsam starten und mit kontinuierlichem Training die Zielvorgabe nach etwa zwei bis drei Monaten erreichen. Gleiches gilt auch für Personen nach einer längeren Sportpause, wie z. B. nach einer abgelaufenen Myokarditis.
Das 80 Seiten umfassende Papier basiert auf vielen Expertenmeinungen, da groß angelegte prospektive Studien oft fehlen. Körperliche Aktivität wird in der individuell angepassten Form für alle empfohlen.
Autoren
ist Fachärztin für Kardiologie, Innere Medizin, Sportmedizin/Sportkardiologie Level 3 mit eigener Praxis (KardioPro) in Düsseldorf. Sie ist Autorin des Buches „Sportherz und Herzsport“. Zusammen mit PD Dr. med. Pascal Bauer (Sprecher der AG32 Sportkardiologie der DGK) und Dr. med Katrin Esefeld (TUM München, Mitglied des Nucleus der AG 32) hat sie als Mandatstragende der Leitliniengruppe die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie-Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK) vertreten.
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