Bis vor wenigen Jahren hatte die Homöopathie kein Standbein in der Sportmedizin. Gerade auch im Fußball mussten Schmerzen schnell „weggespritzt“ werden. Ein Problem, das teilweise auch heute noch besteht, wir haben darüber u.a. in der sportärztezeitung 02/17 berichtet. Die schmerzstillende Spritze kurz vor dem Spiel oder Wettkampf oder auch in einer Wettkampfpause war und ist keine Seltenheit. Dies führt oftmals unmittelbar zur scheinbaren Sportfähigkeit, verschlimmert aber langfristig in vielen Fällen die Verletzungen oder führt zu Folgeverletzungen. Durch ein Umdenken in den letzten Jahren haben Naturheilverfahren und dabei besonders die Homöopathie an Stellenwert in der Sportmedizin gewonnen. Wir sprachen darüber mit dem langjährigen Teamarzt des 1. FSV Mainz 05, Dr. med. Klaus Gerlach.
Herr Dr. Gerlach, Sie behandeln seit Jahren Sportler, Leistungssportler und Hochleistungssportler in Ihrer Praxis. Bevor man sich Gedanken über eine Therapie macht, stehen Anamnese und Diagnose im Fokus. Welche Entwicklungen können Sie dabei beobachten?
Für mich ist, nicht nur was die Verletzungen angeht, der Schmerz oder eine Erkrankung der Schrei des Körpers nach fließender Energie. Diesen unterbrochenen Energiefluss gilt es, durch frühzeitige Maßnahmen wieder in Gang zu setzen und nicht den Heilungsprozess zu unterbrechen. Hierzu gehört bei jeder Verletzung oder Erkrankung, also bei Energieblockaden, die Erhebung einer ausführlichen Anamnese und eine intensive manuelle Untersuchung. Bildgebende Verfahren wie Ultraschall oder MRT sind aus der modernen Diagnostik nicht mehr wegzudenken. Man hatte jedoch über Jahre den Eindruck, die Anamnese und die manuelle Untersuchung sei nicht mehr notwendig. Der Sportler ist verletzt und der nächste Schritt – ab zum MRT. In den letzten 2 – 3 Jahren wird auch auf Kongressen häufig diskutiert, dass die manuelle Untersuchung in den Vordergrund rücken sollte. Funktionsuntersuchung, Tonus ertasten, Veränderungen an Haut, Unterhautgewebe, Muskulatur, Sehnen und Faszien realisieren, Temperaturunterschiede der einzelnen Areale erfühlen, das Gleiten der verschiedenen Gewebe untereinander erkennen, den Blick nicht nur auf dem verletzten Bereich wandern lassen. Dies sind nur einige Möglichkeiten, eventuell eine Röntgenuntersuchung mit Strahlenbelastung oder eine aufwändige Kernspintomografie zu vermeiden und eine Diagnose unter Hinzuziehung der Anamnese zu erheben. Untersuchen mit allen Sinnen. Natürlich gehört die bildgebende Diagnostik als Ergänzungsmaßnahme unbedingt zur Sportmedizin dazu. Hier möchte ich aber auch ganz bewusst auf die gerechtfertigte Aufwertung der Sonografie zu sprechen zu kommen, da dies ja auch eine Funktionsuntersuchung ist und eine wunderbare Primärdiagnostik darstellt. Ein portables Ultraschallgerät sollte zur Basisausstattung eines jeden Sportmediziners gehören. Beim MRT hingegen habe ich ja nur eine Momentaufnahme, bei der viele Dinge verloren gehen und Vieles überzeichnet wird. Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich sagen, dass man sich als Arzt nicht unterschiedlichen modernen Methoden hingeben sollte, ohne darüber zu reflektieren.
Beobachten Sie im sportmedizinischen Bereich einen Wandel in Bezug auf
Therapieformen?
In den letzten Jahren kommt es tatsächlich zunehmend zu einem Wandel der Therapieformen in der Sportmedizin. Während vor 15 – 20 Jahren fast ausnahmslos die klassische Schulmedizin in der Behandlung von Sportverletzungen angewendet wurde, geht der Sportler heute sehr sensibler mit seinem Körper um. Schmerzen wurden und werden sehr häufig durch NSAR in der Selbstmedikation unterdrückt, um z. B. an einem Wettkampf teilnehmen zu können. Teilweise findet diese Selbstmedikation noch heute statt. Ein Gros der Sportler ist jedoch auf der Suche nach alternativen Heilmethoden und wendet sich unter anderem der Homöopathie zu. Nicht den Schmerz unterdrücken, sondern das Übel erkennen und den blockierten Energiefluss wieder in Gang setzen ist der Wunsch. Da der Sportler heute viel bewusster mit seinem Körper und seinen Energien umgeht, bietet sich mit der Homöopathie hier ein alternatives Feld, um auf schnelle, unkomplizierte und nebenwirkungsarme Art und Weise Energieprozesse wieder in Gang zu setzen und die Verletzungen oder Erkrankungen zu behandeln. Bei den hohen Intensitäten, die auch schon im Amateursport zu finden sind, gilt es offen zu sein dafür, wie die Homöopathie Überlastungsschäden angehen und vermeiden kann, wie die Regeneration deutlich verbessert werden kann, und wie z. B. das Immunsystem in seiner Funktion unterstützt und der Darm balanciert werden kann.
Nun gibt es gegenüber homöopathischen Mitteln viele Vorbehalte und Kritiker werden nicht leise, dies als nicht wirksam zu bezeichnen.
Wir halten ein Handy in der Hand, telefonieren damit weltweit oder senden Botschaften per SMS, fragen uns aber nicht, wie und warum das funktioniert. Wir legen uns in einen Magnetfeldtomografen und leiten unsere Therapie aus den Bildern ab, die daraus entstehen, fragen aber nicht, wie dies zu erklären ist. Wir sind umgeben von einem Magnetfeld und ignorieren den Einfluss dieser Magnetfelder auf unsere Gesundheit, weil wir noch unfähig sind, diese Vorgänge zu messen. Energiemediziner nutzen die Energiefelder, um Heilungsvorgänge anzustoßen. Die Wissenschaft ist aufgefordert, schlüssige Erklärungen dafür zu liefern, warum z. B. eine Magnetfeldmatte Heilungsvorgänge beschleunigen kann. Die Kritiker der Homöopathie glauben z.B. nicht an die fiebersenkende Wirkung der Globuli, obwohl diese stattfindet. Bei einem Reizhusten tendieren wir dazu, Blocker zu verabreichen, wobei durch die Einnahme von Bryonia D6 die gleichen Erfolge erzielt werden können, ohne schädliche Nebenwirkungen, ohne unsere Energiesysteme zu blockieren, allein durch Einleitung des Energieflusses. Wir vertrauen auf die Gabe von NSAR bei Verletzungen mit Hämatomen, können jedoch bei der Gabe von homöopathischen Mitteln wie z. B. Traumeel fast zuschauen, wie die Schwellung abklingt. Die Wirkung lässt sich wissenschaftlich noch nicht nachweisen, die Anwender können nur mit ihrer Erfahrung dagegenhalten. Die Kritiker sollten nicht einfach wegen vielleicht nicht ausreichenden Anwendungen in eigener Praxis dagegen wettern, sondern den konstruktiven Austausch mit erfahrenen Anwendern suchen. Nur so können Therapien entwickelt, weiterentwickelt und standardisiert werden.
Im aktuellen Weißbuch Konservative Orthopädie und Unfallchirurgie handelt
ein Kapitel auch von Naturheilverfahren. Exemplarisch wird dort auf Pflanzliche Entzündungshemmer (PAR) verwiesen. Wie sehen Sie die Anwendung von PAR und haben Sie auch Erfahrungen mit Enzymtherapie gemacht?
Was die Anwendung pflanzlicher Mittel angeht, so kann ich aus meiner Erfahrung berichten, es gibt einen großen Teil von Sportlern, die regelmäßig zu pflanzlichen Entzündungshemmern greifen und sehr gute Erfahrungen damit gemacht haben. Viele Sportler ziehen PARs den NSAR vor. „Doc, ich konnte sehen, wie die Schwellung zurückgeht“ – das habe ich schon sehr häufig als Rückmeldung erhalten. Für mich persönlich ist es sehr wichtig, direkt im Anschluss an eine Verletzung dem betroffenen Sportler eine nebenwirkungsarme und gut verträgliche Therapie zu empfehlen. Dabei spielen die pflanzlichen Entzündungshemmer eine sehr große Rolle und sind für mich aus der effizienten Therapie des Sportlers nicht wegzudenken. Auch die Enzymtherapie, z. B. mit Wobenzym, gehört unbedingt zur Therapieplanung nach Verletzungen dazu, ohne in Polypragmasie zu verfallen.
Schließen sich Homöopathie und Schulmedizin eigentlich aus?
Dazu ein klares Nein. Sehr häufig ist die Kombination der klassischen schulmedizinischen Behandlung und der homöopathischen Behandlung erforderlich. Hier versuche ich dann, möglichst viele Medikamente einzusparen, die entsprechende Nebenwirkungen machen könnten. Es ist z. B. möglich, bei Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis im freien Intervall die Selbstheilungskräfte des Körpers zu unterstützen, im akuten Schub jedoch mit schulmedizinischen Maßnahmen einzugreifen. Diese Art der Behandlung schätzen sowohl Sportler, als auch der normale Patient sehr.
Setzen Sie Homöopathika auch präventiv ein?
Natürlich haben Homöopathika auch präventiv einen Stellenwert für jeden Arzt. Ich empfehle beispielsweise meinen Patienten drei bis fünf Tage vor Operationen mit der Einnahme von Arnika Globuli zu beginnen, in der Potenz D 30. Hierdurch lassen sich sehr oft postoperative Schwellungszustände und Blutungen vermeiden und es kann so schneller zu einer intensiven frühfunktionellen Behandlung übergegangen werden. Vergessen sollte man auch hier nicht die Sportler, die sich einem zahnmedizinischen Eingriff unterziehen müssen.
Welches Mittel sollte Ihrer Ansicht nach in der Sportmedizin einen festen Platz in der Behandlung haben?
Wenn es sich um Schmerzen handelt, so nimmt Rhus toxicodendron einen festen Platz ein, genauso wie Arnika, das immer bei Schwellungen und präventiv eingesetzt werden kann. Bezüglich der Potenzen kann ich sagen, dass ich in der Prävention mit der D 30 sehr gute Erfahrungen gemacht habe. In der Behandlung sportmedizinischer Patienten mit akuten Verletzungen gehe ich bis auf die Potenz 10000, dies jedoch unter strenger Kontrolle und nur wenn ich den Sportler schon länger kenne und er Erfahrungen im Umgang mit dem Mittel hat. Ansonsten entscheide ich von Fall zu Fall. Im Fall von Rhus Toxicodendron, das es ja jetzt als Arzneimittel mit der Potenz D6 gibt, empfehle ich, den Vorschlägen des Herstellers zu folgen.
Herr Dr. Gerlach, vielen Dank für das Gespräch.
Autoren
ist Facharzt für Allgemeinmedizin mit Zusatzbezeichnung Sportmedizin und manuelle Therapie. Nach seiner Ausbildung an mehreren Kliniken in Chirurgie, Orthopädie
und Innere Medizin promovierte er am radiologischen Institut in Mainz und ließ sich 1988 nieder. Seit 2001 in Gemeinschaftspraxis mit Dr. Stefan Rimoldi. Dr. Gerlach war langjähriger Teamarzt des 1. FSV Mainz 05 und ist Ratgeber für unterschiedliche Medien, z.B. ZDF, SWR, etc. und verfasst regelmäßige Beiträge für Printmedien.