Dr. med. Benjamin Stracke, Klinik Bad Aibling; Alexander Linner, GC Beuerberg
Warum spielen (ehemalige) Leistungssportler so schnell gut Golf? Wo sich Hobbysportler abmühen, den schwierigen Ablauf des Golfschwunges zu erlernen, scheint es bei Profisportlern, gleich aus welcher Sportart, deutlich schneller zu gehen. Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung haben wir den myofascialen Bewegungsablauf im Golfsport – auch speziell unter Berücksichtigung der Funktionallinien nach Th. W. Myers – mit dem Bewegungsablauf anderer Sportarten wie Fußball, Tennis, Handball und Volleyball untersucht und verglichen.
Der zentrale Punkt (in Abb. 1 blau) ist bei allen Sportarten der Drehpunkt und befindet sich etwas oberhalb des Steißbeines (LWK 3). Dort kommt es bei einer Bewegung zu einer Ventralisierung des Beckens und in Gegenrichtung zu einer Dorsalisierung der darüber liegenden Wirbelsäulenabschnitte. Das gezielte Training dieses Punkts ist Voraussetzung für einen harmonischen muskulären Bewegungsablauf. Dieser zentrale Punkt wird bei Pilates als Powerhouse bezeichnet und hat im Coretraining wie auch in vielen asiatischen Trainingsmethoden ebenfalls eine wichtige Bedeutung. In der Sportkinesiologie sprechen wir vom Schnittpunkt der 3 Ebenen aus links/rechts, oben/unten und vorne/hinten. Um die einzelnen Ebenen stimmig zueinander zu bekommen, bedarf es eines balancierten Trainings. Profisportler haben diese Balancierung verinnerlicht. Beim Fußball z. B. ist bereits beim Kind das Erlernen der Beidfüßigkeit ein Thema, um die Balancierung zu erreichen. Beim Golf wäre es ebenso notwendig, den Bewegungsablauf beidseitig zu üben, um die körperliche Balance zu verbessern. Da dies üblichweise nicht geschieht, sollte alternativ ein spezielles myofasciales Training zur Vorbereitung angeboten werden (z. B. beidseitiges Training des Stand- und Spielbeins). Das Golftraining beginnt mit dem Erlernen der Technik, allerdings ist die Kombination mit einem gezielten myofascialen Training notwendig. In einem perönlich zugeschnittenen sportkinesiologischen Trainingsprogramm für den Golfschwung, aber auch die Schlagvorbereitung („Pre-Shot-Routine“), lernt der Golfer nicht nur die für ihn passende Technik des Schlages, sondern auch die Körperbalance, die ein Profisportler bereits mitbringt. Diese Übungen müssen in einen Automatismus münden, um daraus eine unumstößliche Fokussierung und Balance für das Platzspiel zu erreichen. Ein Experimentieren technischer Variabilitäten auf dem Platz bringt in keiner Sportart sonderlich viel.
Bilateralität der Gehirnhälften
In der Sportkinesiologie sind den beiden Gehirnhälften verschiedene Parameter zugeordnet. Kurz gesagt übernimmt die linke Gehirnhälfte die Bereitstellung der Aktion, also die aktive Muskelarbeit. Die rechte hat als übergeordneten Parameter die Emotion. Hier spielen auch emotionale Dinge wie Wahrnehmung, Gerüche und Lautstärke eine Rolle, erlerntes Wissen wird abgespeichert. Dieses Areal, manchmal auch Software des Gehirns genannt, speist bei Bedarf die linke Seite. Damit erreicht man eine ausgeglichene gleichbleibende Leistung, weil beide Gehirnhälften sich im Austausch befinden (Shunt). Die Faszienforschung hat uns gelehrt, dass das Bindegewebe als zweites Gehirn fungiert. Das heißt, automatisierte Bewegungsabläufe werden auch hier gespeichert. Die Bilateralität seiner Gehirnhälften ruft der quereinsteigende Leistungssportler ab. Er stellt damit 100 % seines Körpers bereit. Nach Aussagen von Golfern spielt diese Beidseitigkeit eine untergeordnete Rolle. Die Hauptanforderung im Golfsport wird eher in der kinesiologisch definierten rechten Gehirnhälfte gesehen (emotionale Kompetenz). Damit nimmt die linke Gehirnhälfte (analytische Kompetenz) nicht die gleiche Rolle wie beim Leistungssportler-Sportler ein. Der Golfer sieht seine bereitgestellte 80 % selbst als seine 100 % an. Sobald es jedoch zu einer muskulären Anforderung kommt (z. B. sehr hügeliges Gelände) kompensiert er dieses Defizit mit Hilfsmitteln (Caddy), weil er selbst über emotionale Wege seine 100 % nicht steigern kann.
Training, Konzentration & Koordination
Um in Balance zu bleiben, müssen muskuläre Trainings und Dehnungen durchgeführt werden. Damit schafft man es, balanciert den nächsten Golfschwung auszuüben, was regelmäßig zu einem besseren Erfolg führt. Das sportkinesiologische Training kann nach persönlicher Konstitution erfolgen, so dass es nicht zu einer Überforderung kommt. Golf auf dem Platz kann unter sportkinesiologischen Aspekten in zwei verschiedene Phasen eingeteilt werden: 1. der Schwung 2. die Gehstrecke zwischen zwei Schlägen. Zum einen spielt beim Golfschwung die vorausgegangene Konzentration eine sehr wichtige Rolle. Zum anderen ist die Ausführung des Schwungs nur exakt möglich, wenn eine physikalisch-mentale Balance besteht. Die Koordination des Geistes ist die Konzentration, die Konzentration des Körpers ist die Koordination. Die Konzentration besteht aus der notwendigen Fokussierung, die Koordination aus dem Bewegungsablauf. Wenn beide Parameter zusammenspielen, kommt es zur Verbesserung des Spiels. Das Erlernen des Golfschwungs und das Etablieren einer festen Pre-Shot-Routine kann mit sportkinesiologischen Trainingstechniken im myofascialen und psychologischen Bereich ergänzt werden. Wir kennen dies in vielen Sportarten: In der Mitte der zweiten Fußballhalbzeit gibt es die meisten Verwarnungen. Durch Ermüdungserscheinungen kommt es zur Reduktion der emotionalen Kompetenz, die aber zur Kontrolle der analytischen Kompetenz zur Verfügung stehen sollte. Nur hochemotionale Unterstützung wie die Laola-Welle oder die Sprechchöre (der 12. Mann) treibt die linke Gehirnhälfte an. Diese „rettet“ kurzfristig den erforderlichen myofascialen Bewegungsablauf. Beim Golfen wird der Athletic-Sportler nicht so weit gefordert, dass es zu einer Verminderung der muskulären Leistungsfähigkeit kommt, so dass er nicht auf diesen Mechanismus zurückgreifen muss. Der Golfer bedarf vielmehr der ”koordinativen“ Konzentration (Fokussierung). Voraussetzung ist dabei allerdings der im Pre-Shot trainierte balancierte Muskelzustand, so dass er bei Bedarf diese Fokussierung abrufen kann. Die Sportkinesiologie hat hier einige Übungen, um die physikalisch-mentale Balance zu erreichen. Hier zeigt sich der Unterschied zum Profisportler – auch aus anderen Sportarten. Er besitzt bereits oftmals die myofasciale Symmetrie, um schnell die Kunst des Golfspiels zu erlernen. Auch hat er gelernt, mit emotionalen Belastungssituationen umzugehen. Der Golfschlag mit konzentrierter muskulärer Ausführung über den Mittelpunkt des Körpers, ist der eine Teil. Der andere ist die mentale regenerative Phase zwischen den Schlägen, bei der der vergangene Schlag richtig eingeordnet werden muss und aufbauend den nächsten Schlag vorbereitet. Auch dafür hat die Sportkinesiologie zahlreiche Übungen, die mit der jeweiligen Sportart abgestimmt werden können. Natürlich geht man hier auf die Bedürfnisse der Person ein. Eine Zieldefinition des Sportlers ist aber Voraussetzung. Kinesiologisch wird damit der shunt über die Synapsenbrücke der beiden Gehirnhälfte verbessert. Eine Unterbrechung dieses Austausches führt unweigerlich zu einer Verschmälerung des eigenen Könnens und häufig genug zur Frustation.
Fazit
Auf defizitäre Körperareale zugeschnittene myofasciale Trainingseinheiten sind für den Bewegungsablauf beim Golfschwung ein Vorteil. Zusätzlich positiv auswirken können sich spezifische, die Balance fördernde kurze Übungen, welche man zwischen zwei Golfschwüngen durchführen kann. Dies kann schlussendlich zu einer Verbesserung des Handicaps führen. Es ist aber nur dann möglich, die körperliche und mentale Balance eines quereinsteigenden Profisportlers zu erreichen, wenn der Golfer bestrebt ist, auch die myofascialen Voraussetzungen zu schaffen. Dies bedeutet, dass auch das Training der Pre-Shot-Routine und der Rundenvorbereitung beim Amateurgolfer mehr Raum einnehmen sollte.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie mit Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Chirotherpie, Akupunktur und Sportkinesiologie. Er leitet das Ausbildungszentrum für sportkinesiologische Trainingsmethoden in Bad Tölz.