Laufen zählt zu den beliebtesten Sportarten und kann praktisch überall mit einem Minimum an Equipment ausgeübt werden. Während die positiven Effekte auf das Herz-Kreislaufsystem weithin bekannt sind, werden nicht selten schädliche Einflüsse auf die Gelenke diskutiert. Daher wurde in letzter Zeit immer wieder der sogenannte Vorfußlauf als der „natürliche“ und möglicherweise „schonendere“ Laufstil propagiert. Beobachtungen aus dem Tierreich oder auch die natürlichen Bewegungsabläufe beim Barfußlaufen legen diese These nahe.
Grundlegend können zwei Laufstile voneinander unterschieden werden. Die meisten Läufer (mehr als 85 %) praktizieren den Rückfußlauf (sog. „Rearfoot Strike (RFS)“), bei dem die Ferse der erste Teil des Fußes ist, der den Boden berührt [6, 10]. Andere Läufer bevorzugen den Vorfußlauf („Forefoot strike (FFS)“), bei dem der Mittelfuß oder der Vorfuß den Untergrund zuerst berührt [7]. Natürlich beeinflussen extrinsische Faktoren, wie die Laufgeschwindigkeit, Schuhwerk oder Untergrund, den Laufstil. Bei höheren Geschwindigkeiten ist beispielsweise der Übergang zum Vorfußlauf zu beobachten. Auch neigen Läufer bei einer steilen Anstieg zum FFS, während RFS beim Bergablaufen favorisiert wird [4, 14]. Dennoch kann in den meisten Situationen der Laufstil willkürlich beeinflusst werden. Es stellt sich daher nun beispielsweise für den Hobbyathleten die Frage, ob auch er bei eher moderaten Geschwindig-keiten und ebener Strecke willentlich seinen Laufstil steuern sollte.
Knorpelschäden
Biomechanische Krafteinwirkungen auf die großen Gelenke betreffen letztlich insbesondere den Gelenkknorpel. Diese Gleitschicht ist aufgrund ihrer einzigartigen Struktur enormen Druckkräften angepasst und solange die Belastungen in einem physiologischen Bereich liegen, ist keine dauerhafte Beeinträchtigung der strukturellen Integrität zu erwarten. Allerdings können Schäden durch repetitive Traumata oder chronische Überbeanspruchung sich über die Jahre akkumulieren und die Knorpeldegeneration vorantreiben, die schließlich zur manifesten Arthrose führt [3]. Eine Beziehung zwischen hoher Belastung und Knorpelschaden auf zellulärer Ebene ist belegt. In-vitro-Analysen zeigen, dass insbesondere inadäquate Scherspannungen, sowie sehr hohe Kompressionsbelastungen mit einer hohen Belastungsgeschwindigkeit (z. B. plötzliche Stoßbelastung), zu irreversiblen Knorpelschäden führen, die mit Zelltod (Apoptose, Nekrose) und Rissbildung in der extrazellulären Matrix einhergehen [9,11, 12, 13, 15, 17]. Dies ist insofern von hoher Relevanz, da Gelenkknorpel keine Kapazitäten zur Selbstheilung oder Regeneration besitzen und sich damit deutlich von anderen Strukturen, wie Kapsel-Bandapparat, Muskulatur oder Knochen unterscheiden. Es stellt sich nun die Frage, ob durch Vorfuß- und Rückfußlauf unterschiedliche biomechanische Belastungen auf die großen Gelenke der unteren Extremität resultieren und ob damit die Vitalität und Integrität von Knorpel und anderen Gelenkstrukturen beeinflusst werden kann.
In einer von unserer Arbeitsgruppe durchgeführte Studie [8] wurden die einwirkenden Kräfte auf die Gelenke („Joint Reaction Forces“ (JRF)) der unteren Extremität in allen 3-Raumachsen differenziert betrachtet. Es wurde hierbei ein multimodaler Ansatz mit einem instrumentiertem Laufband durchgeführt. Dies beinhaltete ein mit Kraftmessplatten ausgestattetes fest installiertes Laufband mit einem integrierten 3D-Bewegungsanalyse-System, um die Bewegungsänderungen dreidimensional im Raum zu erfassen (Abb. 1). Diese Kombination aus Messparametern erlaubt die Ermittlung des Belastungsprofil aus den Gelenkreaktionskräfte (JRF) und der Belastungsgeschwindigkeit („Loading rate“ (LR)) in allen drei Raumrichtungen für alle großen Gelenke der unteren Extremität.
Analyse der Laufstile
Sphärische reflektierende Marker wurden an 38 Stellen des Beckens und der unteren Extremitäten in einer standardisierten Anordnung platziert (Abb. 2) [16]. Die Messungen des RFS und FFS erfolgte an 22 Triathleten bei einer Laufgeschwindigkeit von 3,0 m / s. Unter Verwendung der Markerpositionen wurde ein virtuelles biomechanisches Modell jedes Teilnehmers erzeugt, das zu sieben unteren Körpersegmenten (Füßen, Unterschenkeln, Oberschenkeln und Becken) zusammengeführt wurde (Abb. 2). Die durchschnittliche „joint reaction force“ (JRF) und deren jeweiligen 3D-Komponenten (vertikale (V), anterior-posteriore (AP) und medial-laterale (ML) Achse), wurden für jedes Gelenk separat errechnet. Abb. 3 zeigt die für FFS und RFS typischen zeitabhängigen Kraftkurven. Der Vergleich zwischen FFS und RFS basierte auf der Erfassung der maximalen Spitzenkraft („maximum peak force“ (MPF)) (= Maximum der JRF-Kurve) und der maximalen „loading rate“ (LR) (entspricht der größten Steigung des Graphen) für jedes Gelenk in allen drei Ordinaten: Die Größe der MPF repräsentiert den maximalen absoluten Belastungswert der auf das Gelenk in der jeweiligen Richtung einwirkt. Die maximale LR entspricht der größten Steigung des zeitabhängigen JRF-Graphen dar.
In der Kraft-Zeit-Kurve zeigt sich die typische „Doppel-Peak“ Kurve beim Rückfußlauf, die sich durch die Landephase mit der Ferse mit der anschließenden Abroll- /Abstoßbewegung erklären lässt. Hingegen lässt sich beim Vorfußlauf in der Kraftkurve nur einen Kraft-Peak erkennen. Zur Analyse der Laufstile wurden die mittleren Maximalwerte von MPF und LR getrennt für das Sprung-, Knie- und Hüftgelenk in ihren 3D-Komponenten und ihren resultierenden Werten bestimmt. Berücksichtigt man rein die vertikale Kraft, so zeigt sich, dass der Vorfußlauf mit seinem Einzel-Peak letztlich eine sogar signifikant höhere Maximalkrafteinwirkung im Bereich der unteren Extremität aufweist als der Rückfußlauf mit seinen Doppel-Peak. Und dies konnte für alle großen Gelenke der unteren Extremität ermittelt werden. Allerdings kommt es beim Rückfußlauf zu einem steileren Anstieg der Krafteinwirkung über die Zeit („loading rate“). Dies entspricht einer schnelleren Krafteinwirkung (LR) bei geringerer Maximalbelastung (MPF). Werden die 3-dimensionalen Daten für Hüft-, Knie- und Sprunggelenk separat betrachtet, so konnten folgende Ergebnisse ermittelt werden:
Hüftgelenk
- FFS assoziiert mit höherer MPF (AP, V und Gesamt)
- FFS assoziiert mit höherer LR (ML und AP) jedoch geringerer LR (V, Gesamt)
Kniegelenk
- FFS assoziiert mit niedrigerer MPF (AP), aber höherer MPF (V und Gesamt)
- FFS assoziiert mit geringerer LR (V und Gesamt)
Sprunggelenk
- FFS assoziierte mit höherer MPF (AP, V und Gesamt)
- FFS assoziiert mit höherer LR (AP), aber signifikant geringerer LR (V und Gesamt)
Diskussion
Bisher wurde davon ausgegangen, dass beim Laufen die Scherkräfte viel kleiner als die vertikalen Kräfte sind und daher für die Entstehung von Gelenkschäden nicht von Signifikanz seien [1]. Die Daten dieser aktuellen Studie zeigten jedoch, dass die Scherkräfte während des Laufens sehr wohl relevante Werte erreichen. Somit dürfen sowohl die AP- als auch die ML-Komponenten nicht vernachlässigt werden. Scherkräfte müssen nicht unbedingt gleich akute Knorpelschäden oder neue Verletzungen in ansonsten gesunden Gelenken hervorrufen, da der Gelenkknorpel im physiologischen Bereich gut an solche Scherkraftmuster angepasst ist [2, 3].Allerdings können für ein bereits vorbelastetes Gelenk mit bereits bestehendem Knorpelschaden (bestehende Knorpelfissuren) solche relativ geringen Scherkräfte in einer hohen Anzahl an Wiederholungen durchaus von Relevanz sein [5]. Demnach ist es durchaus sinnvoll, auch geringfügige Unterschiede im biomechanischen Kraftmuster zu berücksichtigen. Dabei kann letztlich repetitiver unphysiologischer Belastungsstress nicht nur Knorpelschäden hervorrufen, sondern auch sämtliche anderen anatomischen Strukturen betreffen und auch typische Überlastungssyndrome, wie z. B. das Schienbeinkantensyndrom, nach sich ziehen. Unsere Daten stimmen mit bereits bestehenden Untersuchungen insoweit überein, dass der Vorfußlauf zu höheren Spitzenbe-lastungen in der vertikalen Achse (MPF-V) führt. Wohingegen der Rückfußlauf eine höhere LR nach sich zieht, das heißt eine schnellere Krafteinwirkung im Bereich der
unteren Extremität hervorruft. Dies kann man dadurch erklären, dass beim Vorfußlauf eine kürzere Standphase vorherrscht.
Fazit
Diese Studie zeigt, dass FFS und RFS mit verschiedenen biomechanischen Belastungsmustern im Sprunggelenk, Knie- und Hüftgelenk einhergeht. Hinsichtlich der Gelenkbelastung lässt sich aber kein pauschales Urteil über einen grundsätzlichen Vorteils des Vorfuß- oder des Rückfußlaufstils ableiten. Daher ist die pauschalisierte Aussage, der Vorfußlauf sei gelenkschonender, kritisch zu bewerten. FFS ist in der Regel mit einer höheren MPF (Maximum Peak Force) assoziiert, jedoch einer signifikant niedrigere LR (Loading Rate). Für eine generelle Bewertung wäre in Zukunft noch zu klären, ob die MPF oder die LR für die Integrität des Gelenkknorpels größere Relevanz hat. Bis diese Frage in der Zukunft beantwortet ist, lassen sich aus den bisherigen Daten zumindest zwei Empfehlungen ableiten:
Rückfußlauf ist mit einer geringeren Scherbelastung im Sprunggelenk verbunden und kann daher für Läufer mit einer Bandinstabilität in diesem Bereich empfohlen werden.
Vorfußlauf ist mit niedrigeren AP-Kräften im Kniegelenk assoziiert und kann daher für Läufer mit anteriorem Knieschmerz oder einem insuffizienten sagittalen Bandhalt, wie z. B. bei Kreuzbandverletzungen, empfohlen werden.
Dahingehend sollte man das Laufverhalten an entsprechende Voraussetzungen individualisiert anpassen, um Spätfolgen und Langzeitschäden zu vermeiden.
Literatur
1. Boyer ER, Rooney BD, Derrick TR (2014) Rearfoot and midfoot or forefoot impacts in habitually shod runners. Medicine and science in sports and exercise 46:1384-1391
2. Buckwalter JA (2003) Sports, joint injury, and posttraumatic osteoarthritis. The Journal of orthopaedic and sports physical therapy 33:578-588
3. Buckwalter JA, Anderson DD, Brown TD et al. (2013) The Roles of Mechanical Stresses in the Pathogenesis of Osteoarthritis: Implications for Treatment of Joint Injuries. Cartilage 4:286-294
4. Buczek FL, Cavanagh PR (1990) Stance phase knee and ankle kinematics and kinetics during level and downhill running. Medicine and science in sports and exercise 22:669-677
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8. Knorz S, Kluge F, Gelse K et al. (2017) Three-Dimensional Biomechanical Analysis of Rearfoot and Forefoot Running. Orthopaedic journal of sports medicine 5:2325967117719065
9. Lane Smith R, Trindade MC, Ikenoue T et al. (2000) Effects of shear stress on articular chondrocyte metabolism. Biorheology 37:95-107
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11. Milentijevic D, Torzilli PA (2005) Influence of stress rate on water loss, matrix deformation and chondrocyte viability in impacted articular cartilage. Journal of biomechanics 38:493-502
12. Mohanraj B, Meloni GR, Mauck RL et al. (2014) A high-throughput model of post-traumatic osteoarthritis using engineered cartilage tissue analogs. Osteoarthritis and cartilage 22:1282-1290
13. Morel V, Quinn TM (2004) Cartilage injury by ramp compression near the gel diffusion rate. Journal of orthopaedic research : official publication of the Orthopaedic Research Society 22:145-151
14. Padulo J, Powell D, Milia R et al. (2013) A paradigm of uphill running. PloS one 8:e69006
15. Quinn TM, Allen RG, Schalet BJ et al. (2001) Matrix and cell injury due to sub-impact loading of adult bovine articular cartilage explants: effects of strain rate and peak stress. Journal of orthopaedic research : official publication of the Orthopaedic Research Society 19:242-249
16. S. VSJ (2007) Color Atlas of Skeletal Landmark Definitions. Churchill Livingstone
17. Waters NP, Stoker AM, Carson WL et al. (2014) Biomarkers affected by impact velocity and maximum strain of cartilage during injury. Journal of biomechanics 47:3185-3195
Autoren
ist Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie mit Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Spezielle Unfallchirurgie und Notfallmedizin. Von 2013 an war er leitender Oberarzt und ständiger Vertreter des Leiters der Unfallchirurgischen Abteilung an der Chirurgischen Universitätsklinik Erlangen sowie Koordinator, stellvertretender Leiter und Hauptoperateur des zertifizierten Endo-Prothetik-Zentrums Universitätsklinikum Erlangen. Aktuell ist er Chefarzt Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie am Klinikum Traunstein.
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, ATLS® Provider, DSTC® Zertifikat und war Oberarzt an der Unfallchirurgischen Abteilung an der Chirurgischen Universitätsklinik Erlangen. Aktuell ist der Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, St. Theresien-Krankenhaus Nürnberg.