Ein zentrales Problem im Profisport sind Muskelverletzungen, vor allem der Oberschenkelmuskulatur, insbesondere der Hamstring und Biceps femoris. Trotz intensiver Prävention, begleitender physiotherapeutischer Dauerbetreuung und Athletiktraining kommt es in den ersten und zweiten Ligen im Fußball, Handball und Basketball zu einer großen Anzahl von Muskelverletzungen mit entsprechenden Ausfallzeiten. Während die Typ-IIIb-Verletzungen augenscheinlich zu erheblichen Beschwerden mit deutlicher klinischer Symptomatik führen und nach kernspintomografischer Abklärung eine mindestens sechswöchige Pause nach sich ziehen, stellt sich die Frage, wie die wesentlich häufigeren Typ-II- und Typ-IIIa-Muskelverletzungen mit leichten strukturellen Veränderungen (Muskelfaserrisse), insbesondere in zeitlicher Hinsicht, behandelt werden sollen.
Fallbeispiel
In unserem Fallbeispiel (Erstliga-Spieler und Nationalspieler) kam es am 14.08.2017 nach einem Ausfallschritt, bei dem der Spieler weggerutscht war, zu einer typischen IIIa-Verletzung der Oberschenkelmuskulatur im Bereich des Biceps femoris. Sonografisch zeigte sich nur eine geringe Menge Flüssigkeit in der Muskelloge des M. biceps femoris. Zur weiteren Abklärung erfolgte die kernspintomografische Abklärung des Oberschenkels, um eine exakte Diagnose zu stellen. Hierbei zeigte sich eine typische IIIa-Verletzung nach der Klassifikation nach Müller-Wohlfahrt (MW) et al (Abb. 1). Bezüglich der kernspintomografischen Untersuchung ist anzumerken, dass bei einem sehr kurzen Untersuchungsintervall zwischen Verletzung und MRT primär häufig ein erhebliches Begleitödem der Muskulatur besteht und es von unerfahrenen Radiologen zu einer Fehlinterpretation des Verletzungsausmaßes kommen kann.
Die Primärversorgung erfolgte entsprechend dem PECH-Schema, anschließend die Lymphdrainage sowie eine detonisierende manuelle Therapie, Tape sowie medikamentöse antiphlogistische Maßnahmen. Direkt nach der Verletzung wenden wir eine intermittierende Kompression (Bandage, Vitality Flossband 30 – 50 % Zug) neben einer leichten Kühlung – hot ice, Game ready, manuelle Lymphdrainage, Salbenverbänden (Elektrolytsalben) und gegebenenfalls Ruhigstellung und Entlastung an Unterarmgehstützen an. Die Spieler werden aufgefordert, viel zu trinken. Danach kommt die Therapie der „Entzündungsphase (zelluläre Phase)“ mit passiven Maßnahmen, d. h. Salbenverbänden, Lymphdrainage, Vitality Flossing (30 – 50% Zug), Elektrotherapie (z. B. Physiokey) und Kinesiotaping, an aktiven Maßnahmen nur leichte statische Dehnung der betroffene Muskulatur in verschiedenen Positionen (3x 30 Sek./d) Schmerz < NSR 5. Daneben Supplementierung von Vitamin C und E, BCAAs (branched chain amino acids = verzweigtkettige Aminosäuren) wie z. B. Inkosport oder BESTFORM und Mineralien wie Zink und Magnesium sowie gegebenenfalls pflanzliche Antiphlogistika wie z. B. Traumeel und absolute Alkoholkarenz. Mittlerweile gibt es auch gute Erkenntnisse zur Wirksamkeit einer Supplementierung von Vitamin D3+K2 – siehe dazu Artikel Dr. Pöttgen zu Vitamin K2 inkl. Kombination mit D3.
In der Proliferationsphase vom 5. / 7. – 21. Tag erfolgen dann an aktiven Maßnahmen isometrische schmerzadaptierte Belastung mit Progression im Widerstand und in der Dauer, Schmerz < NSR 5 sowie cardiovaskuläres Training am Oberkörperergometer und Ausgleichtraining des Restkörpers. Passiv je nach Befund therapieren wir mit leichten Massagen, Kinesiotape, Vitality Flossing (50 % Zug), FDM. Faszienbehandlung gerätegestützt (z. B. FAZER) Vibrationsmassagen und Elektrotherapie. In der darauffolgenden Konsolidierungsphase erfolgt das aktive early loading mit dynamischen Training im gesamten Bewegungsbereich kon- und exzentrisch langsam steigernd. Passiv werden die gleichen Maßnahmen wie in der Proliferationsphase angewandt, mit 100 % Zug beim Vitality Flossing und Vibrationsmassagen mit Thera Gun.
Laborchemisch fanden sich bei dem Spieler sowohl vor der Saison als auch zum Verletzungszeitpunkt keine Auffälligkeiten, eine Aufstellung der Laborparameter findet sich in der Tabelle. Nur durch die zeitnahe Diagnostik kann darauf dem verantwortlichen Trainer/Physiotherapeuten die voraussichtliche Ausfallzeit und der notwendige Behandlungszeitraum genannt werden. Da in diesem Fall kein größeres Muskelhämatom vorhanden war, war eine Punktion nicht notwendig. Und da es sich nur um eine geringgradige Typ-III-Verletzung handelte, erfolgte somit auch keine sonografisch gesteuerte Injektionstherapie mit PRP oder ACP. Ebenso wurde wegen geringer Schmerzsymptomatik keine detonisierende Injektionstherapie mit Traumeel® durchgeführt. Diese Behandlung führen wir routinemäßig immer bei Typ-IIIb-Muskelverletzungen durch. Die Evidenz der PRP oder ACP-Therapie ist leider noch nicht eindeutig mit größeren wissenschaftlichen Doppelbild-Studien belegt, auch ist das Applikationsschema noch nicht standardisiert. Bei einer allgemeinen Anfrage an die Verwaltungs-BG, auch in Vorbereitung des DKOU-Kongresses 2018, wurde die Kostenübernahme der ACP-/PRP-Therapie für Muskelverletzungen durch die Verwaltungs-BG abgelehnt.
Exkurs: Ist die ACP/ PRP Behandlung bei Muskelverletzungen indiziert und wie sieht es mit weiteren Blutderivaten aus?
Hierzu liegen weltweit nur wenige randomisierte Studien vor, die zudem jeweils nur über geringe Fallzahlen verfügen. In der von Sheth et al. 2017 erschienenen Metaanalyse fließen deshalb nur insgesamt 268 Patienten ein, wobei die Studien das Level 1 und 2 hatten. Zusammenfassend berichten die Autoren, dass die in den randomisierten Studien mit PRP / ACP behandelten Sportler mit Muskelverletzungen eine Tendenz zum schnelleren return to sport bei geringere Re-Verletzungsrate nach mehreren Monaten zeigten. Experimentelle Studien zeigten eine vermehrte Myoblastenfunktion nach PRP-Gabe. Weitere randomisiert Studien mit größeren Fallzahlen sind hier zu fordern, gerade auch im Hinblick darauf, dass die Therapien dann von den Kostenträgern, insbesondere der VBG, übernommen werden. In der Praxis ist die PRP / ACP-Therapie aus dem Alltag der meisten Bundesligaärzte, auch europaweit bei den Sportärzten, nicht mehr wegzudenken. Die PRP/ACP-Therapie wird in der Regel ab Typ III b; III c und gegebenenfalls Typ IV Muskelverletzungen (Klassifikation MW) eingesetzt, um eine bessere und schnellere biologische Regeneration zu erzielen. Die Dosierungsschema sind unterschiedlich, viel Anwender injizieren sonografisch gestützt nach ein bis drei Tagen und dann die 2. PR P/ ACP Injektion nach einer Woche (unser Vorgehen), andere Kollegen injizieren beginnend am 2. Tag nach Verletzung alle drei Tage bis zum 14. Tag. Wichtig ist, dass die Applikation isoliert und gezielt sonografisch kontrolliert mit dem ACP / PRP erfolgt und auf keinen Fall mit einem Lokalanästhetikum gemischt wird, da selbige zum Teil zytotoxische Nebenwirkungen haben und so kontraproduktiv wirken, ebenso wie Cortison. Die Erfahrungen vieler Bundesligaärzte mit dieser Therapie sind durchaus positiv, müssen aber, wie oben dargestellt, noch durch weitere Studien untermauert werden. Zu erwähnen ist, dass auch weitere Blutderivate immer größere Verbreitung und wissenschaftliche Beachtung finden (siehe hierzu: Artikel Dr. Doyscher / Dr. Bartsch: Injizierbare Blutderivate).
Zurück zum Fallbeispiel
Bei unserem Fallbeispiel erfolgte eine gut dreiwöchige Behandlungszeit, der Spieler wurde für diesen Zeitraum aus dem Training herausgenommen. In der ersten Woche wurde eine Teilbelastung durchgeführt, in der zweiten Woche dann die zunehmende schmerzadaptierte Vollbelastung mit dem oben genannten Behandlungsschema, unter besonderer Berücksichtigung der Behandlung der gesamten myofaszialen Bewegungsketten und der Muskulatur sowie ein Dehnungs- und Krafttrainings des Oberkörpers. Ab Beginn der dritten Woche erfolgte ein leichtes Lauftraining mit parallelen Stabilisierungs- und Dehnungsübungen in enger Absprache mit dem gesamten Betreuungsteam und dem verantwortlichen Mannschaftstrainer. Der Spieler wurde alle fünf Tage klinisch und sonografisch kontrolliert.
Am Ende der dritten und mit Beginn der vierten Wochen war der Spieler vollkommen schmerzfrei und konnte vollständig in das Mannschaftstraining integriert werden, sodass er am Ende der vierten Woche am nächsten Wettkampfspiel teilnahm. Hierbei erlitt er nach einem erneuten Ausfallschritt, bei dem er leicht wegrutschte, ein Re-Trauma am ipsilateralen Oberschenkel und zwar nicht an dem primär verletzten Biceps femoris, sondern im Semi-tendinosusmuskel. Die erneute kernspintomografische Abklärung zeigte erneut eine Typ-III a-Verletzung (Abb. 2), die nach dem gleichen Behandlungsschema therapiert wurde, wobei der Zeitraum aus Sicherheitsgründen auf viereinhalb Wochen ausgedehnt wurde, um nicht ein erneutes Re-Trauma der Oberschenkelmuskulatur und damit eine noch längere Ausfallzeit zu riskieren, sodass der Spieler erst ab Beginn der fünften Woche wieder voll im Wettkampfbetrieb schmerzfrei und dieses Mal auf Dauer teilnehmen konnte.
Fazit
Muskelverletzungen stellen ein zentrales Problem im Profisport dar und führen häufig zu langen Ausfallzeiten. Trotz entsprechender Präventionsmaßnahmen und auch unter Kontrolle durch den Mannschaftsphysiotherapeuten und Athletiktrainer lassen sich diese Muskelverletzungen im Profisport nicht ausschließen. Es besteht leider trotz konsequenter Therapie und Behandlungszeitraum von gut drei Wochen bei Typ-IIIa-Verletzungen das Risiko einer Re-Verletzung. Hieraus resultieren dann längere Ausfallzeiten, wie in diesem genannten Fall von insgesamt fast neun Wochen. Gefordert werden sollten in Zukunft evidenzbasierte Studien für die PRP- /ACP-Therapie. Nicht unerwähnt bleiben sollte die hohe Bedeutung der Regeneration und des ausreichenden Schlafes für die Spitzenathleten. Es ist für das gesamte Betreuungsteam mit Trainern, Ärzten, Physiotherapeuten ein fast nicht mehr zu lösender Spagat zwischen der extrem hohen Termindichte an Wettkampfspielen, den Reisestrapazen und der Bereitstellung eines Zeitkorridors für die ausreichende Regeneration des Körpers und damit auch Prophylaxe von Muskel-und Sehnenverletzungen. Der Zeitpunkt des Return-to-competition sollte auch nach Typ-IIIa-Verletzungen sorgfältig gewählt werden, wobei der exakte Zeitpunkt als konsentierte Entscheidung des Physiotherapieteams, des Trainers und letztendlich des Mannschaftsarztes / ärztin anhand der wiedererlangten Muskelfunktion des Spielers / der Spielerin getroffen werden soll. Es ist manchmal sinnvoller, noch eine Woche Ausfallzeit und für die Regeneration und Rehabilitation der Muskulatur einzuplanen, um nicht wie in diesem Fall dann ein Re-Trauma mit einer gut 9-wöchigen Ausfallzeit zu riskieren.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Der Sportmediziner und Chiropraktiker hat eine Zulassung als Durchgangsarzt (D-Arzt) und ist Mitinhaber der Orthopädisch chirurgischen Gemeinschaftspraxis und Praxisklinik OCP Kassel mit dem Schwerpunkt ambulante Operationen. Außerdem betreut Dr. Rauch die 1. Bundesliga Handballmannschaft MT-Melsungen, war gewählter Kongresspräsident des größten europäischen orthopädisch-unfallchirurgischen Kongresses DKOU 2018 in Berlin und wiss. Beirat der sportärztezeitung.