Die Atmung ist ein zentraler und lebenswichtiger Prozess in unserem Körper. Durch sie werden die Zellen des Körpers mit Sauerstoff versorgt, während Abbauprodukte (vor allem CO2) ausgestoßen werden [1]. Die menschliche Atmung läuft normalerweise unbewusst ab, jedoch kann sie auch willentlich beeinflusst werden.
In östlichen Kulturen wird diese bewusste Kontrolle der Atmung bereits seit Jahrtausenden im Rahmen meditativer und entspannender Praktiken eingesetzt, aber auch in den westlichen Ländern findet sie inzwischen immer mehr Anwendung [2]. Dabei ist inzwischen aus zahlreichen Forschungen bekannt, dass verschiedene, bewusst eingesetzte Atemtechniken positive Effekte auf zahlreiche physiologische Variablen, die körperliche und geistige Gesundheit sowie die kognitive Leistungsfähigkeit haben. Vor allem die langsame Atmung (im Englischen „Slow-Paced Breathing“) zeigt sich über viele Studien hinweg als effektive Technik, um körperliche Prozesse positiv zu beeinflussen [2, 3].
Einfluss von Slow-Paced Breathing auf das parasympathische Nervensystem
Slow-Paced Breathing (SPB) ist eine sehr einfache Atemtechnik, durch die der Atemrhythmus, der normalerweise bei zwölf bis achtzehn Atemzyklen pro Minute liegt, auf ca. sechs Atemzyklen pro Minute reduziert wird. In der Regel wird dabei wiederholt vier Sekunden lang entspannt ein- und anschließend sechs Sekunden lang ausgeatmet [4]. Zwar gibt es zahlreiche Studien, welche die positiven Effekte von SPB auf die Gesundheit bekräftigen, die zugrundeliegenden Wirkmechanismen wurden jedoch lange Zeit nur mangelhaft untersucht und verstanden. Mittlerweile ist die Wissenschaft der Auffassung, dass SPB den Vagusnerv stimuliert und auf diesem Wege seine vielfältigen positiven Wirkungen im Organismus zeigt [3]. Der Vagusnerv ist der Hauptnerv des parasympathischen Nervensystems (PNS) und einer der zwölf Hirnnerven, die sich direkt vom Gehirn aus bis in das Körperinnere ziehen. Er hat einen Einfluss auf die Aktivität und Regulation vieler innerer Organe und ist, wie auch der Rest des parasympathischen Nervensystems, für Entspannungsprozesse im Körper zuständig. Der Gegenspieler zum PNS ist das sympathische Nervensystem. Dabei handelt es sich um den Teil des Nervensystems, der für Anspannung und Aktivität zuständig ist. Die Balance dieser beiden Systeme bestimmt den Aktivitätszustand und die Anpassungsfähigkeit des menschlichen Organismus [5].
Die Bedeutung der Herzratenvariabilität
Eine Möglichkeit zur Messung der Aktivität des Vagusnervs und damit auch des PNS besteht darin, die Herzratenvariabilität (HRV) einer Person zu erfassen. Die HRV wird aufgrund ihres direkten Bezugs zum Vagusnerv häufig auch als vagal vermittelte HRV (vmHRV) bezeichnet und beschreibt im Wesentlichen die Variabilität der zeitlichen Abstände zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen in einem bestimmten Zeitraum. Bei einem Puls von 60 Schlägen pro Minute würde unter der Annahme, dass unser Herz wie ein Metronom synchron schlägt, der Abstand zwischen zwei Schlägen immer bei exakt 1000 Millisekunden (ms) liegen. Da sich der menschliche Körper aber ständig an die Umgebung, äußere Reize und innere Prozesse anpasst, verändert sich auch unser Herzschlag permanent. So lassen sich in einer Minute, selbst bei konstanter körperlicher Erregung, eher variable Abstände zwischen den Herzschlägen, die leicht um 1000 ms schwan-
ken, beobachten. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass eine höhere vmHRV, also viel Variabilität in den Abständen zwischen zwei Herzschlägen, ein Zeichen für Gesundheit ist. Außerdem ist zu beobachten, dass mit zunehmender parasympathischer Aktivität auch die vmHRV in der Regel zunimmt [6, 7].
Der Zusammenhang zwischen SPB und HRV
Aufgrund der teilweise unklaren Datenlage und des mangelnden Verständnisses bezüglich der konkreten Wirkung von SPB auf die HRV haben wir in einer Meta-Analyse die folgende Forschungsfrage untersucht: „Inwiefern wirkt sich SPB auf die HRV aus?“ Dabei wurden bereits vorliegende Daten aus 223 Studien, die zuvor nach wissenschaftlichen Kriterien herausgefiltert worden sind, zu dem Thema ausgewertet, analysiert und die Ergebnisse zusammengefasst. Unsere Forschergruppe kam dabei zu dem grundlegenden Ergebnis, dass SPB einen positiven Einfluss auf die vmHRV hat, indem es die Aktivität des parasympathischen Nervensystems erhöht (Abb. 1). [8]
Praktische Implikationen
SPB und die damit einhergehende erhöhte Aktivität des parasympathischen Nervensystems bringt auf vielen Ebenen der Gesundheit und der Stressphysiologie medizinisch relevante Effekte mit sich. Dazu gehören neben der Optimierung der Funktion des autonomen Nervensystems auch das Funktionieren der kardiopulmonalen und neuroendokrinen Systeme, die Verringerung von Angst, Erregung und des Blutdrucks sowie die Erhöhung von Entspannung und Resilienz [2, 9 – 11]. Dementsprechend könnte SPB, das eine kostengünstige, nicht- invasive und einfach umsetzbare Maßnahme darstellt, wertvoll für gesundheitliche Prävention sein oder auch als unterstützendes Verfahren in verschiedenen Kontexten eingesetzt werden. So konnte beispielsweise in einer Studie gezeigt werden, dass Patienten mit einer COVID-19 Erkrankung, bei denen neben der Standardbehandlung regelmäßige SPB-Interventionen durchgeführt wurden, signifikant niedrigere Lungenentzündungswerte aufwiesen als Patienten, die ausschließlich standardmäßig behandelt wurden [12].
Zusätzlich konnten auch im Sport positive Effekte von SPB nachgewiesen werden. Eine Studie unter Einbezug einer Vielzahl an Athleten konnte zeigen, dass regelmäßiges SPB zu einer verbesserten Lungenfunktion und damit einhergehend zu einer erhöhten aeroben Ausdauerleistung führt [13]. Zudem lässt sich SPB einfach in den Alltag eines jeden zur Förderung der eigenen Gesundheit integrieren. Eine Möglichkeit ist beispielsweise SPB mit der täglichen Abendroutine zu verbinden, indem vor dem Einschlafen für eine Dauer von 15 Minuten im regelmäßigen Rhythmus vier Sekunden ein- und anschließend sechs Sekunden ausgeatmet wird. Eine Studie zeigte dahingehend, dass Personen, die über 30 Tage hinweg vor dem Schlafengehen für 15 Minuten SPB durchführen, eine bessere Schlafqualität und höhere nächtliche vmHRV aufweisen, als Personen, die stattdessen im gleichen Zeitraum Social-Media nutzen (Abb. 2) [14].
Original reference: Laborde, S., Allen, M. S., Borges, U., Dosseville, F., Hosang, T. J., Iskra, M., . . . Javelle, F. (2022). Effects of voluntary slow breathing on heart rate and heart rate variability: A systematic review and a meta-analysis. Neuroscience & Biobehavorial Reviews, 138, 104711. doi:10.1016/j.neubiorev.2022.104711
Co-Autoren: P. Ley1, J. Träg1, M.S. Allen3, U. Borges1, 4, F. Dosseville5, T.J. Hosang6, M. Iskra1, E. Mosley7,
C. Salvotti1, L. Spolverato1, N. Zammit1, F. Javelle8
1 Department of Performance Psychology, Institute of Psychology, German Sport University Cologne
2 EA 4260, UFR STAPS, Normandie Universit ́e Caen, France
3 Department of Psychology, University of Wollongong, Wollongong, Australia
4 Department of Social & Health Psychology, Institute of Psychology, German Sport University Cologne
5 INSERM, UMR-S 1075 COMETE, Normandie Universit ́e Caen, France
6 Experimental Psychology Unit, Helmut Schmidt University, Hamburg
7 Solent University, Southampton, UK
8 Department for Molecular and Cellular Sports Medicine, Institute for Cardiovascular Research and Sports Medicine, German Sport University Cologne
Literaturverzeichnis
[1] C. A. Del Negro, G. D. Funk, und J. L. Feldman, „Breathing matters“, Nat. Rev. Neurosci., Bd. 19, Nr. 6, Art. Nr. 6, Juni 2018, doi: 10.1038/s41583-018-0003-6.
[2] M. A. Russo, D. M. Santarelli, und D. O’Rourke, „The physiological effects of slow breathing in the healthy human“, Breathe, Bd. 13, Nr. 4, S. 298–309, Dez. 2017, doi: 10.1183/20734735.009817.
[3] R. J. S. Gerritsen und G. P. H. Band, „Breath of Life: The Respiratory Vagal Stimulation Model of Contemplative Activity“, Front. Hum. Neurosci., Bd. 12, 2018, Zugegriffen: 20. März 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fnhum.2018.00397
[4] L. Sherwood, Fundamentals of Human Physiology, 4. Aufl. Belmont, CA: Cengage Learning, 2011.
[5] P. Brodal, The Central Nervous System: Structure and Function. Oxford University Press, USA, 2004.
[6] G. G. Berntson u. a., „Heart rate variability: Origins, methods, and interpretive caveats“, Psychophysiology, Bd. 34, Nr. 6, S. 623–648, 1997, doi: 10.1111/j.1469-8986.1997.tb02140.x.
[7] S. Laborde, E. Mosley, und J. F. Thayer, „Heart Rate Variability and Cardiac Vagal Tone in Psychophysiological Research – Recommendations for Experiment Planning, Data Analysis, and Data Reporting“, Front. Psychol., Bd. 8, 2017, Zugegriffen: 20. März 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2017.00213
[8] S. Laborde u. a., „Effects of voluntary slow breathing on heart rate and heart rate variability: A systematic review and a meta-analysis“, Neurosci. Biobehav. Rev., Bd. 138, S. 104711, Juli 2022, doi: 10.1016/j.neubiorev.2022.104711.
[9] L. Carnevali, J. Koenig, A. Sgoifo, und C. Ottaviani, „Autonomic and Brain Morphological Predictors of Stress Resilience“, Front. Neurosci., Bd. 12, 2018, Zugegriffen: 20. März 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fnins.2018.00228
[10] A. Chaddha, D. Modaff, C. Hooper-Lane, und D. A. Feldstein, „Device and non-device-guided slow breathing to reduce blood pressure: A systematic review and meta-analysis“, Complement. Ther. Med., Bd. 45, S. 179–184, Aug. 2019, doi: 10.1016/j.ctim.2019.03.005.
[11] M.-A. Vanderhasselt und C. Ottaviani, „Combining top-down and bottom-up interventions targeting the vagus nerve to increase resilience“, Neurosci. Biobehav. Rev., Bd. 132, S. 725–729, Jan. 2022, doi: 10.1016/j.neubiorev.2021.11.018.
[12] E. M. Balint u. a., „A randomized clinical trial to stimulate the cholinergic anti-inflammatory pathway in patients with moderate COVID-19-pneumonia using a slow-paced breathing technique“. medRxiv, S. 2021.12.03.21266946, 10. Dezember 2021. doi: 10.1101/2021.12.03.21266946.
[13] U. Borges, B. Lobinger, F. Javelle, M. Watson, E. Mosley, und S. Laborde, „Using Slow-Paced Breathing to Foster Endurance, Well-Being, and Sleep Quality in Athletes During the COVID-19 Pandemic“, Front. Psychol., Bd. 12, 2021, Zugegriffen: 20. März 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2021.624655
[14] S. Laborde, T. Hosang, E. Mosley, und F. Dosseville, „Influence of a 30-Day Slow-Paced Breathing Intervention Compared to Social Media Use on Subjective Sleep Quality and Cardiac Vagal Activity“, J. Clin. Med., Bd. 8, Nr. 2, Art. Nr. 2, Feb. 2019, doi: 10.3390/jcm8020193.
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Autoren
(PhD) hat in Psychologie und Sportwissenschaft promoviert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Bereich der Sportpsychologie.