Wenn man über Regenerative Medizin im Allgemeinen und Stammzellen im Besonderen spricht, ist es notwendig, zumindest einige Aspekte der Physiologie dieser Zellen zu klären. Viele Laien denken bei „Stammzelltherapie“ automatisch an embryonale Stammzellen. In Wirklichkeit gibt es aber derzeit keine klinische Anwendung für embryonale Stammzellen.
Dies basiert nicht nur auf ethischen Bedenken und dem Risiko der Entwicklung bestimmter Tumore aus embryonalen Stammzellen, sondern auch auf der Tatsache, dass es sich bei diesen Zellen nicht um die eigenen Zellen der Patienten handelt. Dies kann Transplantatabstoßungsreaktionen hervorrufen und verhindert, dass Zellen, die von embryonalen Stammzellen stammen, sich in das Wirtsgewebe integrieren können. Auch für die sogenannten induced pluripotent stem cells (induzierte pluripotente Stammzellen; iPS-Zellen) fehlen klinische Anwendungen, nicht nur wegen der Komplexität des Verfahrens, sondern insbesondere aufgrund des Risikos der Krebsentstehung durch diese Zellen.
Anwendung in der regenerativen Medizin
Um die allgemeine Idee hinter der Anwendung von Stammzellen in der regenerativen Medizin besser zu verstehen, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass unter physiologischen Bedingungen die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Organfunktion hauptsächlich durch lokale Zellen erreicht wird, einschließlich sogenannter geweberesidenter Stammzellen. Im Falle eines akuten Traumas oder einer Krankheit kann jedoch der plötzliche Bedarf an neuen Zellen während der Heilungsreaktion die Plastizität der lokalen Zellpopulationen übersteigen. Darüber hinaus ist die Fähigkeit der geweberesidenten Stammzellen, wieder in den Zellzyklus einzutreten und sich asymmetrisch zu teilen, eingeschränkt, was schließlich das Ausmaß der Selbsterneuerung (und damit die Selbstheilungskräfte des Körpers) nach einem größeren Verlust von Zellen im geschädigten Gewebe limitiert. Andererseits ist im erwachsenen Körper eine weitere Art von Stammzellen vorhanden, die das Potenzial hat, sich zu Zellen aller drei embryonalen Keimblätter (Ektoderm, Mesoderm, Entoderm) zu entwickeln (differenzieren). Diese Zellen, die als vascular associated, pluripotent stem cells (vaskulär assoziierte pluripotente Stammzellen; vaPS-Zellen) bezeichnet werden, befinden sich in den Wänden kleiner Blutgefäße. Da Blutgefäße die Grundlage für die Bildung von Gewebe und Organen in einem sich entwickelnden Körper sind, finden sich diese vaPS-Zellen auch in jedem Organ des erwachsenen Körpers. Inwieweit diese vaPS-Zellen an der physiologischen Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Organfunktionen beteiligt sind, ist derzeit nicht bekannt. Anders als embryonale Stammzellen und iPS-Zellen verfügen die vaPS-Zellen jedenfalls nicht über ein eigenes, intrinsisches Programm zur Bildung von neuem Gewebe, sondern werden als Reaktion auf bestimmte Signale aktiv, die von erkranktem Gewebe abgegeben und weitergeleitet werden. In Anbetracht dieses grundlegenden Unterschieds sind die vaPS-Zellen zu einer attraktiven Option für regenerative Therapiezwecke ohne das Risiko einer malignen Transformation geworden.
Solange die oben genannten lokalen Selbstheilungskräfte des Körpers ausreichen, um im Falle eines Traumas oder einer Erkrankung physiologische Körperstrukturen und -funktionen wiederherzustellen, sollten sich alle Behandlungsanstrengungen primär darauf konzentrieren. Eine Vielzahl von Methoden, darunter Physiotherapie, Osteopathie, extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT), Lasertherapie und die Injektion von plättchenreichem Plasma (PRP), können durch die Stimulierung der lokalen Regeneration wertvolle Beiträge leisten. Allerdings kann die örtlich begrenzte Selbstheilungskraft des Körpers irgendwann erschöpft sein. Als Folge können physiologische Körperstrukturen und -funktionen nicht mehr durch den lokalen Stammzellpool wiederhergestellt werden. Liegt ein solcher Zustand bei Schädigungen des Bewegungsapparates vor, haben weitere konservative Maßnahmen ein hohes Versagensrisiko. Diese Maßnahmen werden dann nicht oder nur begrenzt wirken, weil die Zellen, die die Reparatur bewirken sollen, einfach nicht mehr vorhanden sind oder nicht ausreichend auf die Stimulation reagieren können. Genau hier setzt der gezielte Einsatz körpereigener vaPS-Zellen an, denn diese können aus dem körpereigenen Fettgewebe gewonnen und isoliert werden. Praktisch jeder von uns hat eine gewisse Körperfettmenge, die der Organismus entbehren kann und die durch Mini-Liposuktion am Bauch, den Flanken oder den Oberschenkeln ambulant, risikoarm und ohne Vollnarkose gewonnen werden kann; 100 g Fettgewebe sind in den meisten Fällen ausreichend. Die sogenannten adipose derived regenerative cells (aus Fettgewebe isolierte regenerative Zellen; ADRCs), die die vaPS-Zellen enthalten, können dann unter Verwendung relativ einfacher Technologien aus dem Fettgewebe isoliert werden. ADRCs sind eine Mischung aus Zellen, einschließlich vaPS-Zellen, Vorläuferzellen, Zellen der Wände der Blutgefäße (Perizyten, Endothelzellen, Endothelvorläuferzellen und Fibroblasten) und Blutzellen.
Bis vor einigen Jahren hielt man es für notwendig, im nächsten Schritt die Stammzellen aus den ADRCs zu isolieren und vor dem therapeutischen Einsatz im Labor (d.h. in Zellkultur) zu vermehren, woraus sogenannte adipose derived stem cells (von Fettgewebe abgeleitete Stammzellen; ADSCs) resultieren. Es gibt jedoch inzwischen gute Belege dafür, dass nicht kultivierte ADRCs kultivierten ADSCs für die Regeneration von Sehnen und Knochen überlegen sind. Einer der Gründe dafür ist, dass nicht kultivierte ADRCs Zelltypen enthalten, die in kultivierten ADSCs nicht mehr zu finden sind. Die Verwendung von frischen, nicht kultivierten ADRCs anstelle von kultivierten ADSCs hat zwei weitere wichtige Vorteile für die Patienten: (i) Da die Zellen nicht in einem Labor kultiviert werden, wird das mögliche Risiko einer Kontamination durch Bakterien und Viren vermieden, und (ii) die Behandlung mit nicht kultivierten ADRCs ist ein echtes Point-of-Care-Verfahren. Innerhalb von ca. zwei Stunden (d. h. während derselben Behandlung) kann das Fettgewebe durch Mini-Liposuktion gewonnen und die ADRCs an die Stelle im Körper injiziert werden, wo sie benötigt werden.
Studien und Anwendungsergebnisse
Durch eine große Anzahl von Tierstudien ist belegt, dass Behandlungen von Pathologien des Bewegungsapparates mit ADRCs sicher sind (d. h. die Behandlungen führen nicht zur Entstehung von Krebs und anderen unerwünschten Nebenwirkungen) und Behandlungen mit ADRCs oder ADSCs führen zu einer signifikanten Verbesserung der Struktur und Funktion eines geschädigten Organs oder Gewebes. Basierend auf diesen äußerst positiven Ergebnissen wurde vor einigen Jahren mit der Behandlung menschlicher Patienten speziell mit nicht kultivierten ADRCs begonnen. Wir waren an einer von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) genehmigten Machbarkeitsstudie beteiligt, die zum ersten Mal zeigte, dass bei Patienten mit symptomatischem Teilriss der Rotatorenmanschette (symptomatic partial thickness rotator cuff tear; sPTRCT) ohne signifikante Verbesserung durch konservative Behandlung über sechs Wochen eine einzige Anwendung von ADRCs zu einer schnellen und lang anhaltenden Verbesserung der klinischen Situation führte, mit einer Verbesserung des Gesamtscores des American Shoulder and Elbow Surgeons Standardized Shoulder Assessment Form (ASES) von 58,7 ± 19,2 (Mittelwert ± Standardfehler des Mittelwerts) vor der Behandlung auf 86,1 ± 4,9 24 Wochen nach der Behandlung und 89,4 ± 4,9 ein Jahr nach der Behandlung (Hurd et al., J Orthop Surg Res 2020;15(1):122). Die Ergebnisse einer Kontrollgruppe von Patienten, die mit einer Kortikosteroid-Injektion (einer Standardtherapie für sPTRCT in den USA) behandelt wurden, waren statistisch signifikant schlechter als die Ergebnisse der Patienten, die mit ADRCs behandelt wurden (in der Kontrollgruppe betrug der mittlere ASES-Wert 50,6 ± 6,7 vor der Behandlung, 60,8 ± 6,2 24 Wochen nach der Behandlung und 68,4 ± 4,4 ein Jahr nach der Behandlung). Das schlechte Abschneiden der Standardtherapie (Injektion von Kortikosteroid) ist im Nachhinein nicht wirklich verwunderlich, wenn man bedenkt, dass bei Erschöpfung der lokalen Selbstheilungskräfte des Körpers die Injektion von Kortikosteroid durchaus zu einem Rückgang der Entzündung (und somit der Schmerzsymptomatik) in der betroffenen Schulter führen kann, aber eben nicht zur Heilung. Um die Ergebnisse dieser ersten Pilotstudie in einer größeren Population von Patienten zu verifizieren, läuft derzeit eine randomisierte kontrollierte Studie an 246 Patienten mit sPTRCT in den USA. Es sollte auch erwähnt werden, dass nach der Anwendung von ADRCs keine spezielle Nachbehandlung erforderlich ist. Dementsprechend können Patienten unmittelbar nach der Anwendung von ADRCs zur Routineversorgung zurückkehren.
Fazit
Zusammenfassend fügt sich der Einsatz von ADRCs bei der Behandlung von Pathologien des Bewegungsapparates (einschließlich Sehnen) nahtlos in moderne orthopädische Behandlungskonzepte ein. Die Patienten erhalten eine Behandlung mit körpereigenen Selbstheilungskräften, die von einer „gesunden“ Stelle an eine andere, reparaturbedürftige Stelle des Körpers übertragen werden. Dies spiegelt einen natürlichen und intrinsisch vorhandenen Mechanismus des Körpers wider, Stammzellen aus Fettgewebe (allerdings in oft nicht ausreichender Menge) zu mobilisieren und Zellen zur Selbstheilung in geschädigte Organe und reparaturbedürftiges Gewebe zu transferieren.
Autoren
ist Inhaber des Lehrstuhls II der Anatomischen Anstalt der Ludwig-Maximilians Universität München und wissenschaftlicher Beirat der sportärztezeitung.
ist Mediziner, Wissenschaftler, Erfinder und erfolgreicher Unternehmer (u.a. Gründer des
IsarKlinikums München). Er ist Executive Chair von InGeneron, Inc. (Houston, TX, USA). Die in der beschriebenen Studie von Hurd et al. [12] verwendete Methode zur Isolierung von UA-ADRCs wurde von InGeneron entwickelt.
ist einer der weltweit führenden klinischen und akademischen Experten für Sehnenpathologien und -regeneration, mit akademischen Berufungen und Anstellungen in Italien (Universität Salerno) und GB (Queen Mary University of London, London, England; Keele University School of Medicine, Stoke-on-Trent, England).