Musizieren und Sport – Im Bild der Öffentlichkeit erscheint der Prototyp eines Berufsmusikers weit entfernt vor jenem eines Berufssportlers. Dies beginnt schon bereits mit dem äußerlichen Aspekt, dem Habitus als auch der pauschalen charakterlichen Zuordnung. So kennt man Musiker, insbesondere jene im klassischen Musikbereich, als mit schwarzem Frack bekleidet und während des Spielens selten schwitzend, mit beherrschter oft statischer Positionierung des Rumpfes und der unteren Extremitäten und grundsätzlich eher introvertiert.
Sportler hingegen ordnet man bei der Betrachtung ihrer Berufsausübung immer mit sichtbarer und meist schneller Beweglichkeit, leichter Kleidung, schwitzenden Körperoberflächen und manchmal auch schmerzverzehrten Gesichtszügen ein. Aus Sicht eines Musikphysiologen, der neben der klinischen Tätigkeit als Unfall- und Handchirurg über viele Jahre Musiker medizinisch im klinischen Bereich und präventiv-gesundheitsbezogenen an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst betreut, zeigt sich andererseits, dass sich in den letzten Jahren auch in deren Bereich eine deutliche Steigerung des Bewusstseins für die körperlichen Aspekte dieses Berufes entwickelt hat und auch durchaus beides – also sportliche Aktivitäten und das Musizieren – als vereinbar zeigen. Galt der Musiker früher fast als Sportverächter, so sehen wir heute auch gerade im Bereich der Musikhochschulen eine Vielzahl sportlich aktiver Musiker und es ist sicherlich korrekt festzustellen, dass ein Teil dieser Aktivitäten auch daher rührt, dass eben auch Musiker im Rahmen ihrer Berufstätigkeit durchaus eine Reihe von komplexen medizinischen Problemen entwickeln können, die oftmals auch jenen von Sportlern gleichen. Als begeisterter Ruderer stelle ich auch immer wieder fest, dass das Erlebnis des „Flows“ im 4er-Ruderboot durchaus dem „Flow“ beim Spielen im Streichquartett ähnelt, wenn es richtig gut läuft bzw. klingt.
Übrigens wurde vor vielen Jahren Arnold Schwarzenegger in seiner Kolumne „Ask Arnold“ einer amerikanischen Bodybuilder-Fachzeitschrift von einem jungen Gitarristen um Hilfe und Tipps gefragt, der ihm schilderte, dass er trotz sportlicher Aktivitäten bei bestimmten Gitarrentechniken in den letzten Wochen mehr und mehr Schmerzen sowie auch Bewegungseinschränkungen erlitten habe. Kurzgefasst äußerte Schwarzenegger größtes Verständnis für dessen Beschwerden und berichtete, dass er in den 1970er Jahren, auf dem Höhepunkt seiner körperlichen Leistungsfähigkeit, eine Rolle als Schauspieler in dem Film Mr. Universum zugesagt hatte. In der Rolle des Joe Santo sollte er nicht nur einen jungen ambitionierten Anwärter auf den Titel des Mr. Universum spielen, sondern auch als Geiger zu sehen sein. Schwarzenegger berichtet, dass er hier authentisch sein wollte und sehr intensiv Geige geübt habe. Er habe noch nie in seinem Leben solche Schmerzen, vor allen Dingen im Bereich der oberen Extremitäten, erlitten und schließt daraus, dass große Muskelmassen nicht das wesentliche Rezept für gutes Spiel und Ausdauerfähigkeit mit einem Musikinstrument darstellen. Aus aktuellem Anlass muss natürlich auch darauf hingewiesen werden, dass die medizinischen wie auch sozialen und kulturellen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das professionelle Leben von Musikern wie auch von Sportlern eine extreme Dramatik beinhalten.
Medizinische Versorgung von Musikern
Was sicher Musiker und Sportler gemeinsam haben, ist die Notwendigkeit eines langwierigen intensiven Trainings, welches die Musiker als Üben und Proben bezeichnen. Hierbei kommt es je nach Instrument und Instrumentaltechnik zu sehr spezifischen selektiven Belastungen einzelner Gelenke, Muskelgruppen, wie auch des Sehnen/Bandapparates, welche, auch wenn sie von außen gesehen oft lange nicht so eindrucksvoll erscheinen wie bei vielen Sportarten, dennoch erhebliche Überlastungsreaktionen der betroffenen Gewebe provozieren können. Dies erklärt auch die relativ hohen Erkrankungsraten im Bereich professioneller Musiker, insbesondere im Bereich von Orchestermusikern. Im Unterschied zu Sportlern muss allerdings leider festgestellt werden, dass im Rahmen der Berufsausbildung auf Ebene der Musikschulen, Konservatorien und Musikhochschulen oftmals auf diese späteren Effekte im professionellen Musikleben kaum hingewiesen wird bzw. auch relativ wenig Präventionsstrategien vermittelt werden. Dies ist auch der Grund, warum Mitte der 1990er Jahre die Deutsche Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin gegründet wurde, um hier einerseits auch ähnlich der Sportphysiologie und Sportmedizin bessere Erkenntnisse entwickeln zu können, aber auch vor allem in die musikausbildenden Institutionen hineinzuwirken und – wie in den letzten Jahren auch geschehen – die präventiven Maßnahmen zu fördern. Diese Aktivitäten gehen über die Ausbildungsstätten hinaus auch in die Orchester hinein. Hier bleibt allerdings festzustellen, dass Orchestermusiker in der Regel sozial relativ gut abgesichert sind und mächtige Gewerkschaften besitzen, deutlich problematischer ist es für freiberuflich tätige Musiker, insbesondere im Bereich der Kammermusik, bei denen Erkrankungen und Verletzungen relativ schnell existenzbedrohend sind.
Verletzungen bei Musikern
Verletzungen sind bei Musikern natürlich auch von großer Bedeutung, wenn sie auch im Vergleich zu Sportlern tätigkeitsbedingt deutlich seltener sind. Ihre Folgen erfordern neben einer adaptierten unfallchirurgischen Therapie in der Regel ein übergreifendes Konzept, welches insbesondere ergonomische Fragen der jeweiligen Musikinstrumente, aber auch deren Spieltechniken einbeziehen müssen. Als Beispiel sei die Anfertigung eines neuen Bogens für einen Violaspieler genannt, der nach Proben seines Orchesters im Dunkeln gestürzt war und sich eine letztlich nicht rekonstruierbare Defektwunde seines rechten Daumens zugezogen hatte. Die technische Anpassung des Daumens an den Bogen zeigte sich in der Phase der Rehabilitation als äußerst problematisch, so dass die zuständige Berufsgenossenschaft die Spezialanfertigung eines Bogens finanzierte und der Musiker wieder an seinen Arbeitsplatz im Orchester zurückkehren konnte. Ein weiteres Fallbeispiel einer Mittelhandfraktur soll die individuellen Besonderheiten bei Musikerverletzungen verdeutlichen (aus Blum J.: Diagnostik und Behandlung von Musikererkrankungen in den medizinischen Fachgebieten – Orthopädie, Handchirurgie und Traumatologie. In: Spahn C., Richter B., Altenmüller E. (Hrsg.) – Musikermedizin Schattauer-Verlag, 2011):
„Ein 38-jähriger Pianist hatte sich versehentlich bei häuslichen Werkarbeiten mit einem Hammer auf linken Handrücken geschlagen. Dadurch erlitt er eine dislozierte Mehrfragmentfraktur des 3. linken Mittelhandknochens, kompliziert durch einen dabei eingetretenen Innenrotationsfehler. Aufgrund der Fehlstellung bestand die Indikation zur operativen Versorgung, der Innenrotationsfehler hätte mit Sicherheit zu einer Treffungenauigkeit an der Tastatur, aber auch eine verzögerte Feinmotorik des Fingers zur Folge gehabt. Die operative Behandlung bestand in einer offenen Reposition (somit Beseitigung des Rotationsfehlers) und Osteosynthese mit einer 1.5 mm-Minifragmentplatte und –schrauben aus Titan. Die damit verbundene Übungsstabilität ermöglichte auch eine frühe Beübbarkeit des Fingers, eine Gipsbehandlung wäre deutlich riskanter in Hinsicht der Entwicklung einer posttraumatischen Steifheit angrenzender Gelenke. Bereits ab dem ersten postoperativen Tag wurden Bewegungsübungen der Finger (Extension, Flexion), ab dem 3. postoperativen Tag auch Spreizübungen durchgeführt. Intensive Physio- und Ergotherapie erfolgte ab dem 6. postoperativen Tag, dann nochmals deren Steigerung nach Wundheilung ab dem 10. postoperativen Tag. Das Klavier wurde ab dem 5. postoperativen Tag mit einbezogen. Knöcherne Konsolidierung der Fraktur bestand nach 7 Wochen, der Abschluss der Rehabilitationsphase nach insgesamt 9 Wochen. Dann erfolgte der Repertoireaufbau, das erste öffentliche Konzert konnte nach 16 Wochen gegeben werden.“
Überlastungsschäden bei Musikern
Instrumentalisten sind praktisch während des gesamten Musizierens an ihre spezifischen Instrumente gekoppelt. Diese Instrumente besitzen jeweils sehr spezifische Charakteristiken, die wiederum sehr individuelle Anforderungen an den Körper des Musikers stellen. Hier ist der Umstand zu berücksichtigen, dass es sich zum größten Teil um historische Modelle handelt, die teilweise über Jahrhunderte auch in der heutigen Form schon bestanden und deren Spieltechniken weit in die Vergangenheit zurück reichen. Oftmals wird nicht das Instrument an den Musiker adaptiert, sondern der Musiker muss sich an das Instrument adaptieren. Der ergonomische Grundgedanke ist hierbei eher unterentwickelt, was auch gleichermaßen für die Accessoires der Musikinstrumente gilt, wie etwa Kinnhalter oder auch die Bestuhlung im Orchester. Die pathogenen Funktionen solcher ergonomischer Details wurden lange Zeit unterschätzt und finden erst in der Neuzeit eine deutliche Beachtung, welche zu präventiven Verbesserungen bezüglich Haltung, wie auch Technik mit dem Instrument führen konnte. Hierzu zählen allerdings auch generell die Arbeitsbedingungen im Konzertsaal, den Proberäumen, in Tonstudios und auch den jeweiligen Tourneen, die allesamt eine Mitwirkung auf die Entstehung von musikermedizinischen Erkrankungen haben können. Dementsprechend ist es auch einer der Schwerpunkte der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin, in diesem ergonomischen Bereich sowohl wissenschaftlich, wie auch beratend tätig zu sein.
Für die Entstehung von Überlastungsschäden bei Musikern sind allerdings auch Übe- und Trainingskonzepte verantwortlich, die sehr selektiv und kontinuierlich bestimmte Muskels-, Sehnen-, Band- und Kapselstrukturen belasten. Gerade technisch schwierige Passagen werden oftmals sehr kraft- und geschwindigkeitsintensiv über längere Zeiträume beübt. Im Gegensatz zum Sport finden nicht selten keine ausreichenden körperlichen Vorbereitungen statt. Gerade an den Konservatorien und Musikhochschulen wird oft aufgrund der Raumknappheit die begrenzte Übezeit genutzt, um direkt an die schwierigen Passagen zu gehen. Wird teilweise noch ein kleines Aufwärmprogramm integriert, fehlt meist das im Sport übliche „Cool down“ am Ende. Die häufigsten berufsspezifische Erkrankungen des Bewegungsapparates bei Musikern sind in Tabelle 1 und 2 aufgeführt. Aufgabe der Musikermedizin ist es, durch Kenntnisse des Musizierens und der damit verbundenen Techniken einerseits die individuellen Ursachen in Bezug zu den musikalischen Details zu erkennen, gegebenenfalls auch psychosomatische Querverbindungen aufzudecken, aber andererseits insbesondere den Therapiemodus nicht klassisch-schulmedizinisch entweder konservativ oder operativ zu beschränken, sondern hier wiederum in die Therapie Korrekturen und Ergänzungen der Spieltechnik zu integrieren, in bestimmten Fällen aber auch Veränderungen ergonomischer Details der Instrumente oder der Spielumgebung anzustoßen.
Fazit & Ausblick
Professionellen und semi-professionellen Musikern steht nicht das gleiche hochwertige und dichte Netz einer berufsspezifischen medizinischen Versorgung zur Verfügung, wie für Sportler. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass man bei Musikern in der Öffentlichkeit eher das künstlerische-intellektuelle Format im Vordergrund sieht und die tatsächlich vorhandenen hohen körperlichen Anforderungen unterschätzt. Dennoch hat sich in den letzten 30 Jahren in Deutschland, aber auch anderen Ländern, wie beispielsweise in den USA, eine eigene medizinische Szene entwickelt, die zunehmend Hilfe suchenden Musikern kompetente und berufszentrierte medizinische Angebote bieten kann. Die Deutsche Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin (www.dgfmm.org) koordiniert und vermittelt diese Aktivitäten, die sich nicht auf medizinische Sprechstunden für Musiker beschränken, sondern vor allem auch präventiv durch Seminare und Vorlesungen in die musikausbildenden Institutionen in Deutschland hineinwirken. So verfügen mehr und mehr deutsche Hochschulen für Musik über Dozenturen und Professuren für Musikphysiologie und Musikermedizin. Es sei nicht unerwähnt, dass Forschung und Lehre in diesem Bereich durchaus vielfältig von der Sportphysiologie und Sportmedizin inspiriert wurden.
Weiterführende Literatur
Altenmüller E. – Neurologische Erkrankungen bei Musikern. Springer-Verlag 2020
Blum J. (Hrsg.): Medizinische Probleme bei Musikern. Thieme-Verlag 1995
Blum J.:Die Hand des Musikers – Musikphysiologische und Musikermedizinische Aspekte Handchir Mikrochir Plast Chir (2000) 32: 299-310
Blum J.: Orthopädie, Handchirurgie und Traumatologie. In: Spahn C., Richter B., Altenmüller E. (Hrsg.) – Musikermedizin – Diagnostik und Behandlung von Musikererkrankungen in den medizinischen Fachgebieten. Schattauer-Verlag, 2011
Spahn C., Richter B., Altenmüller E. (Hrsg.) – Musikermedizin – Diagnostik und Behandlung von Musikererkrankungen in den medizinischen Fachgebieten. Schattauer-Verlag, 2011
Spahn C.: Musikergesundheit in der Praxis: Grundlagen, Prävention, Übungen. Henschel-Verlag 2015
Türk-Espitalier A.: Musiker in Bewegung: 100 Übungen mit und ohne Instrument Zimmermann-Verlag 2008
Autoren
ist Chefarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, seit 2013 Zentrumsleiter des Zentrums für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie am Klinikum Worms (akademischen Lehrkrankenhaus der Universität Mainz). Neben einer Professur apl. für Unfallchirurgie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat er eine Professur für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main und ist Gründer und langjähriges Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin (www.dgfmm.org).