Die Bewegungstherapie zählt zu den vielseitigsten und wirksamsten Supportivtherapien in der Onkologie. Über 450 randomisierte Studien belegen ihre Machbarkeit, Sicherheit und Wirksamkeit [1, 2]. Dennoch ist der Zugang zu dieser Therapie für Krebspatienten unzureichend, insbesondere während der akuten Behandlung und außerhalb großer Zentren [3]. Angesichts der dramatisch steigenden Krebsinzidenz in den kommenden Jahrzehnten ist eine zügige Verbesserung der Versorgungssituation dringend erforderlich [4].
Die Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT) ist ein evidenzbasiertes bewegungstherapeutisches Versorgungsmodell, das an der Uniklinik Köln entwickelt wurde und gezielt auf die besonderen Anforderungen von Krebspatienten unter akuter medizinischer Behandlung abgestimmt ist. Das OTT-Modell basiert auf vier zentralen Säulen: (1) niederschwellige und barrierefreie Zugänglichkeit und effizientes Zuweisungsmanagement, (2) personalisierte und evidenzbasierte Bewegungstherapie, (3) standardisierte Aus- und Fortbildungsprogramme für Fachkräfte sowie (4) ein Qualitätsmanagementsystem, das eine Therapeuten- und Standortzertifizierung umfasst. Die modular aufgebaute Bewegungstherapie richtet sich an alle Krebspatienten vor, unter und, bei persistierenden Nebenwirkungen, nach medizinischer Therapie mit einem identifizierten Bedarf an körperlicher Aktivität. Die Therapie basiert auf einer umfassenden Anamnese durch spezialisierte OTT-Therapeuten und beinhaltet individuelle Bewegungskonzepte, abgestimmt auf Krankheitsstadium, Therapie und Risiken. Die Programme umfassen Ausdauer-, Kraft- und symptomorientierte Trainingsmodule, u. a. zur Behandlung von Fatigue oder Polyneuropathie. Die schrittweise Reduktion der Betreuung fördert Eigenverantwortung und nachhaltige Verhaltensänderungen. Nach Abschluss wird eine nahtlose Weiterversorgung durch regionale Nachsorgeprogramme (z. B. Rehasport) angebahnt. Der Kernstandort an der Uniklinik Köln ist im Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) verortet, welches im Verbund mit Aachen, Bonn und Düsseldorf (CIO ABCD) als eines der größten onkologischen Spitzenzentren Deutschlands über 100.000 Patienten pro Jahr behandelt. Die Einbindung in das Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) ermöglicht eine enge Vernetzung mit interdisziplinären Teams und effektive Patientenzuweisung, unterstützt durch digitale Systeme, CIO-Lotsen und Tumorboards. Seit 2012 haben sich 2.340 Patienten für das OTT-Programm an der Uniklinik Köln registriert, davon 1.523 aktiv trainiert.
OTT-Akademie
Ein Kernelement des OTT-Versorgungsmodells ist die leichte Adaptierbarkeit durch Kliniken und Niedergelassene, welche insbesondere durch ein standardisiertes Aus- und Fortbildungsangebot, und Qualitätsmanagementsystem realisiert wird. Das Ausbildungsprogramm vermittelt wissenschaftlich fundierte Kenntnisse und qualifiziert die Absolventen zur Kooperation mit den Gesetzlichen Krankenkassenversicherungen (GKV) auf der Basis bereits bestehender Selektivverträge. Die Qualitätsstandards und Schulungsinhalte werden kontinuierlich aktualisiert, um den neuesten Erkenntnissen der onkologischen Bewegungsmedizin Rechnung zu tragen. Die OTT-Akademie adressiert den Mangel an Bewegungstherapeuten und vermittelt wissenschaftlich fundierte Inhalte. Seit 2015 wurde die Zahl der zertifizierten Therapeuten auf 850 in Deutschland, Österreich und der Schweiz verdreifacht.
Abrechnung und Finanzierung
Das OTT-Konzept wird inzwischen von den ersten gesetzlichen Kostenträgern (AOK Rheinland/Hamburg, DAK, TK, BKK Nordwest) im Rahmen der Integrierten / Besonderen Versorgung (SGB V §140a) anerkannt und finanziert. Darüber hinaus wurde die OTT im März 2019 von der Bund-Länder-Kommission als beihilfefähig eingestuft und seit 2020 suksessive von allen privaten Krankenkassen in die Leistungskataloge aufgenommen. Neben den bestehenden Selektivverträgen nutzt die OTT die Möglichkeit der Kostenübernahme durch Einzelanträge. Insbesondere bei privaten Kostenträgern kann sich, im Falle einer Kostenablehnung, ein Widerspruch des Patienten durchaus lohnen. Das Konzept der OTT wird von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) empfohlen, orientiert sich an den onkologischen S3-Leitlinien und ermöglicht eine adäquate Versorgung von Krebspatienten. Mit 190 abgerechneten Fällen im Jahr 2024 erreichte das OTT an der Uniklinik Köln einen Kostendeckungsgrad von 88 %, was die langfristige Finanzierbarkeit des Programms unterstreicht.
Fallbeispiel
Anamnese
Das Fallbeispiel handelt von einer 41-jährigen Patientin, ungefähr 1,70 m groß und 59 kg schwer ist. Sie ist Nichtraucherin. Die Patientin befindet sich in einem guten Gesundheitszustand, ohne bekannte internistische Erkrankungen. Außerdem ist sie regelmäßig körperlich aktiv und trainierte in Vorbereitung auf einen Triathlon mehrmals pro Woche. Wegen eines auffälligen Tastbefundes unterzog sie sich im Februar 2024 einer gynäkologischen Untersuchung. Nach einer bildgebenden Untersuchung (MRT) der Brust wurde im Juni 2024 ein DCIS der Mamma links mit folgender Klassifikation diagnostiziert: cTis, cN+, G2, M0. Es folgt eine medizinische Behandlung nach S3 Leitlinien – im August 2024 erhielt die Patientin ihren ersten Chemotherapiezyklus nach dem EC-Protokoll. Dieses Protokoll wurde an Tag 15 wiederholt. Insgesamt waren vier Zyklen vorgesehen. Im Anschluss erfolgte eine 12-wöchige Therapie mit Paclitaxel. Eine brusterhaltende Operation wurde im Januar 2025 durchgeführt mit einer postoperativen Bestrahlung (Gesamtdosis 50.4 Gy) und anschließender endokrinen Brustkrebstherapie (AI + GnRH + Ribciclib).

Maximalkraft; HIIT, hochintensives Intervalltraining
Intervention
Nach der Baseline-Untersuchung im August 2024 führte die Patientin nach einer Phase der Gewöhnung, zweimal pro Woche ein intensives Hypertrophie-Übungsprotokoll durch, mit 8 – 12 Wiederholungen und drei Sätzen mit 70 – 80 % des h1RM als Krafttraining und ein Ausdauertraining mit 70 – 80 % ihrer maximalen Wattzahl auf einem Crosstrainer-Ergometer für jeweils zehn Minuten. Mit dem Hintergrund einer geplanten Therapieumstellung auf Paclitaxel und einer möglichen neurotoxischen Wirkung der Chemotherapie wurde frühzeitig und präventiv das Modul zur Behandlung einer Polyneuropathie ergänzend zum Kraft- und Ausdauertraining eingebaut. Angelehnt an die Forschungsarbeiten hier ein kombiniertes Programm aus sensomotorischen Inhalten und der Einsatz einer Ganzkörper-Vibrationsplatte integriert. Da es sich bei der medizinischen Therapie der Patientin um eine neoadjuvante Chemotherapie handelt, wurde das Übungsprotokoll nach 12 Trainingseinheiten angepasst. In Vorbereitung auf die Operation wurde das Trainingsprogramm weiter intensiviert, indem ein exzentrischer Widerstand mit 30 % des konzentrischen h1RM zum Einsatz kam. So positiv die Wirkung einer hormonablativen Therapie bezüglich der Tumorbehandlung ist, so problematisch sind indes die Nebenwirkungen auf den Knochen. Mit Ausblick auf die geplante endokrine Langzeittherapie und der Stellenwert der Knochenprotektion ist es zwingend erforderlich, sogenannte Impact-Übungen wie Stampfen, Klatschen oder kleine Sprünge zu implementieren – alles unter dem Augenmerk des individuellen Frakturrisikos. Eine weitere wichtige Maßnahme ist das Gleichgewichtstraining, welches auch Inhalt der Polyneuropathie-Behandlung ist.

Ausblick
Erfreulich ist, dass sich bis zur Abschlussuntersuchung der Patientin keine Polyneuropathien entwickelt haben. Die Kraftwerte konnten an allen Geräten um durchschnittlich ca. 30 % gesteigert werden. Die Ausdauerleistung blieb konstant. Der Patientin wurde empfohlen, weiterhin an Kraft- und Ausdauergeräten zu trainieren und auch separate Ausdauereinheiten (über 30 Minuten) einzubauen. Außerdem ist es sinnvoll, die erlernten Übungen aus dem Modul Knochenprotektion weiter anzuwenden.
Literatur
1. Christensen JF, Simonsen C, Hojman P. Exercise Training in Cancer Control and Treatment. Compr Physiol. 2018;9(1):165–205. doi:10.1002/cphy.c180016 Cited in: PubMed; PMID 30549018.
2. Campbell KL, Winters-Stone KM, Wiskemann J, May AM, Schwartz AL, Courneya KS, Zucker DS, Matthews CE, Ligibel JA, Gerber LH, Morris GS, Patel AV, Hue TF, Perna FM, Schmitz KH. Exercise Guidelines for Cancer Survivors: Consensus Statement from International Multidisciplinary Roundtable. Medicine & Science in Sports & Exercise. 2019;51(11):2375–90. doi:10.1249/MSS.0000000000002116 Cited in: PubMed; PMID 31626055.
3. Mina DS, Langelier D, Adams SC, Alibhai SMH, Chasen M, Campbell KL, Oh P, Jones JM, Chang E. Exercise as part of routine cancer care. Lancet Oncol. 2018;19(9):e433-e436. doi:10.1016/S1470-2045(18)30599-0 Cited in: PubMed; PMID 30191843.
4. Sung H, Ferlay J, Siegel RL, Laversanne M, Soerjomataram I, Jemal A, Bray F. Global Cancer Statistics 2020: GLOBOCAN Estimates of Incidence and Mortality Worldwide for 36 Cancers in 185 Countries. CA Cancer J Clin. 2021;71(3):209–49. doi:10.3322/caac.21660 Cited in: PubMed; PMID 33538338.
Autoren
ist Sportwissenschaftler (M.A.) und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für Integrierte Onkologie, Klinik für Innere Medizin I, Uniklinik Köln.
ist Diplom-Sportwissenschaftlerin und Leiterin der OTT am Centrum für Integrierte Onkologie, Klinik für Innere Medizin I, Uniklinik Köln.
ist Diplom-Sportwissenschaftler und leitet die Arbeitsgruppe Onkologische Bewegungsmedizin am Centrum für Integrierte Onkologie, Klinik für Innere Medizin I, Uniklinik Köln.
ist Sportwissenschaftlerin (M.A.) und Leiterin der OTT am Centrum für Integrierte Onkologie, Klinik für Innere Medizin I, Uniklinik Köln.