Die medizinische Betreuung im Alltag des Nachwuchsfußballes stellt eine echte Herausforderung dar, denn oft fehlen die entsprechend notwendigen Strukturen in den Vereinen. Auch Verletzungen und insbesondere Über- und Fehlbelastungen stellen in der medizinischen Betreuung der Nachwuchsfußballer ein erhebliches Problem dar.
Das Gleiche gilt auch für die Prävention, da in den Vereinen in erster Linie die Spielerausbildung im Vordergrund steht. Präventionskonzepte finden sich meist nur in Nachwuchsleistungszentren von Profi-Vereinen. Eine weitere Herausforderung ist die Senkung des Mindestalters im Profifußball.
Betreuung
Eine strukturierte medizinische Betreuung findet im breiten Nachwuchsfußball in den Vereinen quasi nicht statt. So existieren bislang keine verbindlichen Empfehlungen für die sportmedizinische Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die im Verein Fußball spielen [1]. Bei der Betreuung sind die Fußballvereine in der Regel auf ehrenamtliche Helfer angewiesen. Oft fehlt hier bereits ein ärztlicher Ansprechpartner für den Verein. Im Trainings- und Spielbetrieb wird in der Regel kein medizinisches Personal (Rettungs-/Notfallsanitäter, Physiotherapeuten, Ärzte) eingebunden. Oft fehlen auch ausgebildete Ersthelfer in den Vereinen. Die Trainer sind daher bei der Einschätzung von Beschwerden und Verletzungen im Trainings- und Spielbetrieb oft überfordert und alleine gelassen. In den meisten Fällen (60 %) sind die Trainer der Jugendteams für die Erste-Hilfe verantwortlich. Nur in 11 % der Fälle ist ein Arzt anwesend [2]. Auch bei der Untersuchung der medizinischen Ausstattung kann man feststellen, dass immerhin zwar ein Großteil (61 von 73 Teams, 84 %) der Mannschaften über einen Erste-Hilfe-Koffer verfügen. Der Inhalt passt jedoch häufig nicht zu den auftretenden Verletzungen [2 – 4]. Ein entsprechend ausgestatteter Erste-Hilfe-Koffer ist hier sinnvoll. Bei der DFB-Akademie findet man eine entsprechende Empfehlung zur Ausstattung solch eines Erste-Hilfe-Koffers [5].
Insgesamt resultiert aus dieser Situation, dass Verletzungen, Überlastungen der Spieler oft zu spät erkannt oder falsch bewertet werden. Spieler werden hier in Folge daher eventuell zu früh oder zu spät aus dem Trainings-/Spielbetrieb genommen. Auch spielen die unterschiedlichen und teils falschen Erwartungshaltungen der Trainer, Eltern und Spieler eine bedeutsame Rolle und erschweren die ärztliche Betreuung im Verein. Anders sieht die Situation bei angegliederten (Bundesliga) Nachwuchsleistungszentren (NLZ) der Profi-Vereine und der DFB-Auswahlmannschaften aus. In diesen NLZ finden sich klare Strukturen und Zielsetzungen. Ein Beispiel ist das NLZ des SV Darmstadt 98 (2. Bundesliga). Dort wird ein Netzwerk aus betreuenden Ärzten eingebunden. Neben der spielerischen Ausbildung findet man im NLZ u.a. ein Team für Physiotherapie, pädagogische Betreuung, Prävention, Psychologie und Spezialtrainer (Athletik, Technik, Individual) [10]. Hier gelten ganz andere Voraussetzungen. Das vorrangige Ziel der Nachwuchsleistungszentren ist die Entwicklung der Spieler für die erste Mannschaft oder zumindest das Erzielen von Einnahmen durch den Transfer von marktfähigen Jugendspielern [6]. Die Investition in die Ausbildung von Nachwuchsspielern entwickelt sich daher zu einer zentralen strategischen Komponente der Lizenzvereine. Auf dieser Grundlage führte die UEFA offizielle Richtlinien für europäische Fußballvereine ein, die die Mindestanforderungen an die Vereinsinfrastruktur festlegt [7 – 9]. Der Übergang vom NLZ in den Profifußball stellt für Spieler die größte Hürde dar. Das wichtige Screening findet bereits im Alter von 14 – 16 Jahren statt. In den letzten Jahren ist eine Senkung des Mindestalters im Fußball zu beobachten. Seit der Spielzeit 2020/21 besteht eine Spielberechtigung bereits ab 16 Jahren und 6 Monaten für den Profifußball.
Verletzungen
Die häufigsten Verletzungen im Nachwuchsfußball sind Prellungen, Verstauchungen und Hautverletzungen an Beinen und Füßen. Diese treten besonders während eines Spiels am dominanten Bein durch Kontakt mit anderen Spielern auf. Schwerere Verletzungen, wie Brüche oder Zahnverletzungen, zeigen sich dagegen sehr viel seltener [2]. Vielmehr spielen Überlastung und Fehlbelastungen, mit daraus resultierenden Beschwerden und Folgeschädigungen, eine größere Rolle im Nachwuchsfußball. Im Fokus stehen die möglichen Schädigungen der Apophysen im Wachstumsalter. Die Apohysen sind als schwächstes Glied in der Muskel-Sehnen-Knochenkette besonders anfällig, bei übermäßiger Beanspruchung oder abrupten Belastungen. Daraus resultieren Verletzungen mit akuten und chronischen Avulsionen. In der alltäglichen praktischen Betreuung und Behandlung von Nachwuchsspielern beobachtet man häufig Apophysenüberlastungen und Schäden an den unteren Extremitäten: an Hüften, Kniegelenken (Apophysitis tuberositas tibiae) und an den Fersen [13 – 15]. Intensives Training und Trainingsfehler, mit einer zu hohen Belastung und ein nicht an das biologische Alter des Spielers angepasste Trainingsintensität, sind Ursache dieser übermäßigen Beanspruchung. Es gilt weiterhin ein „Too much, too soon” [11].
Prävention
Eine zentrale Maßnahme der Prävention im Nachwuchsfußball ist eine systematische Trainingsplanung, um eine mechanische Überbelastung im Wachstumsalter zu vermeiden [11]. Insbesondere auch im Hinblick auf das sinkende Eintrittsalter im Profifußball. In erster Linie ist ein begleitendes Athletiktraining für die jungen Spieler essenziell. Im sportartbezogenen Athletiktraining zur Verletzungsprophylaxe ist ein großer Wert auf neuromuskuläres Stabilitäts-training zu legen. Ziel ist die Verbesserung des Zusammenspiels von Nerven- und Muskelsystem innerhalb sportart-spezifischer Bewegungsmuster, damit es zu einer besseren Kontrolle der gelenkumgreifenden Muskulatur und einer damit situationsadäquaten Muskelaktivierung kommt [16]. Ziel bei den Nachwuchsspielern ist hier insbesondere die Verbesserung der Rumpfstabilisierung und die Stabilität der Beinachse. Dies kann in Form von rumpfstabilisierenden Übungen (Core Stability) und Training der Beckengürtelmuskulatur oder auch mit beinstabilisierenden Übungsprogrammen „Stop X“ [17] und ähnlichem umgesetzt werden.
Eine sportmedizinische orthopädische Untersuchung mit der Früherkennung von Statik und Stabilität der Beinachse (Hüfte, Knie und Sprunggelenk, Fuß), mit gegebenenfalls zusätzlicher exakter Bildgebung ermöglicht die Diagnose von Frühstadien, z. B. apophysärer Strukturschäden [11]. Auch ist das Erkennen von Knorpelschäden möglich, die oft bereits im adoleszenten Alter entstehen [18]. Die Früherkennung ist hier enorm wichtig, da das Fortsetzen des Trainings bei Apophysenschäden, Knorpelschäden zu ausgeprägten Verformungen und Umbauprozessen führen, die oft nachhaltig die Belastbarkeit des Bewegungsapparates beeinflussen. In der Frühphase können viele dieser Schädigungen durch Trainingspausen und konservative Maßnahmen vermieden werden. Trainingssteuerung ist hier Prävention. Verletzungen heilen in Ruhe. Auch ist es enorm wichtig, die sportartspezifische Belastbarkeit eines Spielers frühzeitig zu erkennen und falsche Erwartungen von Spielern, Eltern, Trainern und Beratern zu reduzieren. In der täglichen Praxis werden Spieler jedoch erst oft spät und nicht zur Prävention, sondern erst bei Auftreten von Beschwerden, Verletzungen und deren Folgen vorgestellt. Der Virologe Christian Drosten prägte in der Corona Pandemie erneut denn Satz: „There is no glory in prevention“. Eine Aussage, die leider immer noch auch für weite Teile im Nachwuchsfußball Gültigkeit hat.
Literatur
[1] Sportmedizinisches Konzept für die Nachwuchsleistungszentren des Bayerischen Fußball Verbandes Gerling et al. (Leistungssport2014)
[2] Krutsch, W., Voss, A., Gerling, S., Grechenig, S., Nerlich, M., & Angele, P. (2014). First aid on field management in youth football. Archives of orthopaedic and trauma surgery, 134(9), 1301 – 1309.
[3] Franklin, C. C., & Weiss, J. M. (2012). Stopping sports injuries in kids: an overview of the last year in publications. Current opinion in pediatrics, 24(1), 64 – 67.
[4] Adirim, T. A., & Cheng, T. L. (2003). Overview of injuries in the young athlete. Sports medicine, 33(1), 75 – 81.
[5] https://www.dfb-akademie.de/studie/erste-hilfe-im-nachwuchsfussball/-/id-15000124
[6] Relvas H, Littlewood M, Nesti M, Gilbourne D, Richardson D (2010) Organizational structures and working practices in elite European professional football clubs: Understanding the relationship between youth and professional domains. Eur Sport Manag Q 10:165–187. doi: 10.1080/16184740903559891
[7] departments in football – An explorative study into English and German elite youth academies. Sport Perform Sci Reports 1:1 – 3
[8] 3. Boyle I (2015) Developing a performance management framework for a national sport organisation. Sport Manag Rev 18:308–316. doi: 10.1016/j.smr.2014.06.006
[9] Arenas. Lucas, Nachwuchsfußball, sportärztezeitung 2021, https://sportaerztezeitung.com/rubriken/training/9771/nachwuchsfussball/
[10] https://www.sv98.de/home/lilien/organisation-ausbildung/organigramm/
[11] Apophysenschäden im Sport , Der Orthopäde, Ausgabe 2/2021, PhD Dr. Markus Neubauer, Univ. Prof. Dr. Stefan Nehrer
[12] Barber Foss KD, Myer GD, Hewett TE (2014) Epidemiology of basketball, soccer, and volleyball injuries in middle-school female athletes. Phys Sportsmed 42(2):146 – 153
[13] Niethard FU, Pfeil J, Biberthaler P (2009) Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart
[14] Orthopädie und Unfallchirurgie,Tobias Golditz, Morbus Osgood-Schlater
[15] R. Wolff ,Apophysenausrisse, Abt. Sportmedizin, Institut für Sportwissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin, DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN Jahrgang 51, Nr. 9 (2000 )
[16] Trainingsprogramm zur Verletzungsprävention im leistungsorientierten Amateurfußball ,DISSERTATION zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) an der Fakultät für Psychologie, Pädagogik und Sportwissenschaft der Universität Regensburg vorgelegt von Birgit Fellner, 2019 ,Institut für Sportwissenschaft Lehrstuhl Prof. Dr. Petra Jansen
[18] Pädiatrie: Grundlagen und Praxis[5.Aufl.],Pädiatrie, Autoren: Sean Nader und Sylvie Marx ,Kniegelenkerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie. Er leitet die Orthopädisch-Chirurgische Praxis am Elisabethenstift (OCP Darmstadt) und ist Unfallarzt (D-Arzt). Eine weitere Betätigung von ihm ist die Ärztliche Betreuung des NLZ Fußball U14-U16 des SV Darmstadt 98 sowie der Fußballjugendmannschaften der DJK/SSG Darmstadt.