Der Schulterschmerz zählt zu den häufigsten muskuloskeletalen Beschwerdebildern in der orthopädischen Praxis. Bei zahlreichen Sportarten ist zudem eine Belastung des Schultergelenkes durch Aktionen über Kopf ausgesprochen hoch. In der sportmedizinischen Praxis sind diese Fälle sowohl zahlreich als auch besonders hartnäckig.
Überkopfsportarten
Die Auflistung der Überkopfsportarten, in denen es besonders häufig zu Schulterüberlastungsschäden kommt, liest sich wie ein abwechslungsreiches Programm der Olympischen Spiele: hier sind zunächst einmal die Ballsportarten Volleyball, Beachvolleyball, Handball und Basketball zu finden. Auch die Racketsportarten Tennis, Badminton und Tischtennis sind vertreten. In den Individualsportarten kommt es besonders beim Turnen, bei bestimmten Disziplinen der Leichtathletik – beispielsweise Speerwerfen, Hammerwerfen, Kugelstoßen und Stabhochspringen – sowie beim Schwimmen zu erhöhter Schulterbelastung insbesondere bei Delfin-Schwimmern. Auch die bei uns zunehmend populären US-Sportarten American Football und Baseball ist die Schulterbelastung extrem hoch.
Epidemiologe
49 % der Volleyballspieler klagen über chronische Beschwerden im Schulterbereich, im Tennis wird die Häufigkeit der behandlungsbedürftigen Schulterbeschwerden mit 24 % angegeben, beim Turnen sind es 28 %. Insgesamt ist die Rate der Überlastungsbeschwerden wesentlich höher als die der akuten Verletzungen.
Schulterpathologie
Hauptursache der Schulterbeschwerden ist in vielen Fällen eine Störung der Schulterblattbeweglichkeit: die Skapuladysfunktion. Es zeigt sich eine mangelnde Koordination des Schulterblattes im Bewegungsablauf und eine fehlende dorsale Schulterblattfixierung, oft mit einer funktionellen Skapula alata assoziiert. Während beispielsweise bei der regulären Wurf- und Schlagbewegung der Oberarm die schnelle Vorwärtsbewegung einleitet und das Schulterblatt an der Wirbelsäule muskulär kontrolliert fixiert ist, kommt es bei der Skapuladysfunktion bzw. -dyskenesie häufig zu einer Initialbewegung des Schulterblattes und die Schlagarm folgt hinterher. Dieses führt zu einer Ventralisierung und Kranialisierung des Humeruskopfes und zunächst zu einem funktionellen Impingements (engl. „Zusammenstoß“) unter dem vorderen Schulterdach. Kombiniert ist diese im Bewegungsmuster tief verankerte Fehlfunktion und fehlerhafte neuro-muskuläre Ansteuerung häufig mit einer vermehrten und oft bereits fixierten BWS-Kyphose. Auf dieser Grundlage entwickeln sich die meisten der im Folgenden beschriebenen Schulterpathologien.
Hier ist zunächst das GIRD (Glenohumerales Innen-Rotations-Defizit) zu nennen. Dabei kommt es in erster Linie zu einer Einschränkung der Innenrotation am dominanten Arm. Es findet sich eine Kombination verschiedener Merkmale, die hier aufgelistet sind:
GIRD
- Mangelnde Aufrichtung der BWS / fixierte Kyphose
- Vordere Pseudolaxizität
- Hintere Kapselkontraktur
- Verkürzung des Pectoralis major
- Protraktion der Skapula
- Innenrotationsdefizit
- Verkürzung der korako-klavikulären Distanz
Im weiteren Verlauf bildet sich ein Impingement-Syndrom, bei dem es durch eine Störung der Humeruskopfzentrierung zu einem Engpass von Humeruskopf und Schulterdach kommt. Solange dieser Engpass funktioneller Natur ist, handelt es sich um ein sekundäres Impingement. Als primäres Impingement hingegen werden Verengungen des Subakromialraumes durch strukturelle Ursachen im Sinne einer mechanischen Einengung bezeichnet. Begünstigend hierzu sind zunächst einmal anatomische Varianten wie z. B. ein hakenförmiges Akromion (klassifiziert n. Bigliani und Morrison) oder eine sehr weite Überdachung der Schulter (CSA = critical shoulder angle). Darüber hinaus sind es die degenerativen Veränderungen, die dann die subakromiale Enge weiter begünstigen. Bei Überkopfsportlern ist die AC-Gelenksarthrose häufig zu finden (Outlet-Impingement). Demgegenüber bezeichnet das Non-outlet-Impingement die Einengungen durch eine Bursitis und Tendinitis der Sehnen der Rotatorenmanschette. Bestehen die Engpassyndrome und Tendinitiden für längere Zeit, finden sich, besonders in der Supraspinatussehne, oft Verkalkungen. Hierfür scheint es eine genetische oder stoffwechselbedingte Disposition zu geben. Im fortgeschrittenen Stadium des Impingement-Syndroms finden sich degenerative Rotatorenmanschettenrupturen (siehe unten). Traumatische Läsionen sind – auch im Sport – eine Rarität. Das Vorliegen einer Sehnenpathologie verschlechtert die Prognose der konservativen Therapie deutlich.
Auch ein anderer anatomischer Komplex, das Labrum und der Bizepssehnenanker, sind beim Überkopfsportler verletzungsanfällig. Einerseits entstehen hier Überlastungsschäden durch chronische und repetitive Irritation des superioren Labrums bei Dezentrierung des Humeruskopfes, andererseits besteht die Gefahr von akuten Verletzungen durch entsprechende Traumata, z. B. durch eine Außendrehung und Elevation des Oberarmes. Die häufigste Lokalisation ist dabei anterior-superiore Labrum. Der Bizepssehnenanker selber ist nicht durchgängig betroffen. Die Sportler klagen über belastungsabhängige Beschwerden, besonders in Elevation und Außenrotation. Die Beschwerden werden nicht selten verkannt und die Sportler nicht adäquat oder unter der Diagnose Impingement behandelt. Komplizierend kommt hinzu, dass die Diagnose ausschließlich im MRT gesichert werden kann, häufig sogar erst im Arthro-MRT, d. h. nach Gabe von intraartikulärem Kontrastmittel. Die Therapie ist immer operativ, eine konservative Therapie einer Labrumläsion ist nicht möglich.
Neurologische Erkrankungen
Es gibt auch zwei primär neurologische Krankheitsbilder, die bei Überkopfsportlern häufig vorkommen und den Sportmediziner vor differentialdiagnostische Herausforderungen stellen kann. Hier gibt es zunächst die Läsion des Suprascapularis, die „Volleyballschulter“. Im Profivolleyball hat diese Erkrankung eine Prävalenz-Rate von ca. 25 %! Es kommt dabei zu einer Läsion des Nervus suprascapularis in der Incisura suprascapularis am oberen Schulterblattrand. Es resultiert eine Lähmung und Atrophie überwiegend des M. infraspinatus – im fortgeschrittenen Stadium oft an einer „Delle“ unter der Spina zu sehen. Tückisch ist, dass diese Schädigung meistens schmerzfrei ist und deswegen oft nicht oder zu spät bemerkt wird. Die Ätiologie ist nicht eindeutig geklärt. Es ist einerseits auf anatomische Veränderungen, beispielsweise eine spinogleonidale Cyste, oder aber auf funktionelle Störungen des Schulterblattes zurückzuführen. Diagnostisch zielführend sind eine MRT-Darstellung und eine Neurographie des M. infraspinatus. Therapeutisch notwendig ist eine rechtzeitige operative Dekompression mit Durchtrennung des Lig. suprascapularis, entweder minimal-invasiv oder in offener OP. Ist der Nerv aber bereits nachhaltig geschädigt und der M. Infraspinatus schon atrophiert, ist nicht mehr mit meiner Restitutio zu rechnen (s. u.). Auch die neuralgische Schulteramyotrophie wird oft verkannt. Im Rahmen einer Neuritis des Plexus brachialis, z. B. postinfektiös, kommt es zu einem massiven und unspezifischen Schulterschmerz. Leitsymptom ist neben der massiven Schmerzperiode eine neu aufgetretene und einseitige Skapula alata. Auch hier droht unbehandelt eine persistente Lähmung. Therapeutisch hat sich in meiner Praxis eine Kortisonstoßtherapie bewährt. Eine evidenzbasierte Vorgehensweise gibt es jedoch derzeit noch nicht.
Diagnose
Zur Diagnosefindung ist eine genaue Sportanamnese essenziell. Die Sportart, die Trainingsintensität aber auch die Spezialisierung spielen eine sehr große Rolle. So sind im Volleyball die Außen- oder Diagonalangreifer wesentlich höheren Schulterbelastungen ausgesetzt als Zuspieler, Mittelangreifer oder Libero. Delfinschwimmer haben eine höhere Belastung als Brustschwimmer usw. Neben der ausführlichen Schmerzanamnese gehören zur Diagnosesicherung dann klinische Untersuchung, Sonographie, Röntgen und MRT – im Profisport eigentlich unabdingbar. Bei speziellen Fragestellungen können noch ergänzend weitere Untersuchungen wie Arthro-MRT nach intraartikulärer Kontrastmittelgabe, Neurographie und Laboruntersuchungen, z. B. auf neurotrope Viren, hinzukommen. Ganz besonders wichtig ist hierbei, dass sich die Diagnosestellung nicht nur auf die vordergründige Diagnose (beispielsweise „Impingementsyndrom“) beschränkt, sondern dass zusätzlich auch nach den zu Grunde liegenden Ursachen gesucht wird, also der ursprünglichen und eigentlichen Störung. Hier finden sich dann oft Skapuladysfunktionen, vermehrte BWS-Kyphose, eine GIRD oder eben strukturelle Veränderungen wie ein hakenförmiges Akromion.
Therapie
Ziel der Therapie muss, neben der Bekämpfung von Schmerz und Inflammation, die Beseitigung dieser auslösenden Ursache sein. Wird diese nicht beseitigt, ist selbst bei zunächst scheinbar erfolgreicher Therapie die Rückfallquote hoch. Dieses gilt sowohl für die konservative Therapie als auch selbstverständlich für die operative Therapie. Die Inflammation lässt sich effektiver lokal als systemisch bekämpfen. Orale nicht-steroidale Antiphlogistika haben keinen nachhaltigen Effekt im Bereich der Schulter, die Nebenwirkungsrate ist recht hoch. Postoperativ sollte beispielsweise vollständig auf NSARs (bes. Ibuprofen) verzichtet werden. Es gibt Hinweise, dass Ibuprofen die Reparaturvorgänge im Sehnenbereich behindert, was insbesondere postoperativ nach Rekonstruktion einer Rotatorenmanschette ein höchst unerwünschter Effekt ist. Eine effektive Therapie der akuten inflammatorischen Prozesse – subacromial, glenohumeral oder im AC-Gelenk – ist eine Injektionstherapie, unter Beachtung der sterilen Kautelen. Hier bieten sich je nach Schwere und Ausprägung biologische (Traumeel®), autologe (PRP, ACP® oder RegenLab®), visco-supplementierende (Hyaluronsäure, bspw. TendoPlus® oder SportVis®) oder steroidhaltige Therapeutika an. Kortikoide sind in diesem Fall am schnellsten wirksam („quick and dirty“), es sollte aber die sowohl die Gesamtmenge der injizierten Substanzen als auch die Galenik beachtet werden. Kristallsuspensionen erhöhen die Komplikationsrate der Sehnenschäden, während lipophilisiertes Dexamethason (Lipotalon®) weniger Schädigungen der Sehnenmatrix verursachen soll. Sehnenverkalkungen lassen sich gut mit der extrakorporellen, fokussierten Stoßwellentherapie behandeln.
Besonders wichtig ist es, dass sich nach der Therapie einer Inflammation die Beseitigung der Grundursache anschließt. Das sollte eine Übungstherapie zur Stabilisierung des Schultergürtels, die Behebung bestehender Bewegungseinschränkungen und Dysbalancen einschließen. Beim Überkopfsportlern finden sich fast durchgängig Störungen der Skapulafunktion und oft zusätzlich Ungleichgewichte der Rumpfhaltung und – muskulatur, in der Regel vermehrte BWS-Kyphosen. Manchmal ist es ausreichend, dem Sportler entsprechende Trainingshinweise zu geben, z. B. zur Aufrichtung der BWS oder der Kräftigung der Außenrotatoren des Schultergelenkes. Bei komplexen Fehlhaltungen sollte sich jedoch eine gezielte Physiotherapie anschließen. Hier ist eine enge Zusammenarbeit der Sportmediziner mit der physiotherapeutischen Abteilung und auch dem Trainerstab erforderlich. Denn nicht selten wird neben den speziellen physiotherapeutischen Übungen dann auch eine Anpassung der sportartspezifischen Technik oder auch der schulterbelastenden Trainingsumfänge erforderlich. Es wird nicht selten eine neuro-muskuläre Neuprogrammierung der jahrelang bestehenden Bewegungsabläufe, z. B. der Wurf- oder Schlagtechnik notwendig.
Wann operieren?
Wenige Operationsindikationen sind so diskutabel wie die Schulterarthroskopien. Klare Indikationen sind Labrum-Läsionen und dehiszente Rotatorenmanschettenrupturen. Teilrupturen sind nicht unbedingt operationspflichtig. Grundsätzlich sollte der klinische Verlauf entscheidend für die Vorgehensweise sein. Ist eine Schultersymptomatik über längere Zeit persistierend und wird keine beschwerdefreie Leistungsfähigkeit erreicht, besteht eine relative Operationsindikation. Für Überkopfsportler bedeutet das jedoch in der Regel eine 4–6-monatige Spielpause. Somit ergibt sich immer wieder die Situation, dass bei bestehender OP-Indikation die Saison- und Karriereplanung dieser Therapie aber entgegensteht.
Fallbeispiel Jonas Reckermann
Beispielhaft dafür war die Schulterverletzung von Jonas Reckermann vor den Olympischen Spielen 2012 in London, die – nach dem Gewinn der Goldmedaille im Beachvolleyball – zu einer Schulterarthroskopie und letztendlich mit zum Karriereende beigetragen hatte. Im Jahr 2002 – im Alter von 23 Jahren und im dritten Jahr seiner Profikarriere – fiel bei Jonas eine Infraspinatusatrophie an der dominanten rechten Schulter auf. Im Herbst 2002 wurde dann eine (offene) Neurolyse des N. suprascapularis vorgenommen, durch die es leider nicht zu einer Reinnervation des M. infraspinatus kam. Dieses wurde 2007 dann im Rahmen einer MRT-Untersuchung als fettige Degeneration des Muskels verifiziert. Zu diesem Zeitpunkt traten erstmals stärkere belastungsabhängige Schulterbeschwerden auf. Zusätzlich fanden sich bereits 2007 diskrete Zeichen einer Rotatorenmanschettenaffektion (Ellman 1). In den folgenden Jahren klagte Jonas rezidivierend über Schulterbeschwerden, die aber durch physiotherapeutische Maßnahmen, insbesondere Stabilisierung der Rumpfmuskulatur, immer wieder zu beherrschen waren. Im Frühling 2012, in der direkten Vorbereitung auf die olympischen Spiele in London, nahmen die Beschwerden derart zu, dass Jonas nicht mehr schmerzfrei trainieren konnte. Im Vordergrund standen subakromiale Schmerzen als klassisches Impingement bei einer kleinen Läsion der Supraspinatussehne, aber auch die AC-Arthrose war symptomatisch. Kompliziert wurde die Situation zusätzlich noch durch eine schon Jahre bestehende Subluxation des Sternoclaviculargelenks, welches die muskuläre Stabilisierung des Schultergürtels weiter erschwerte. Zu den täglichen intensiven physiotherapeutischen Sitzungen, vom zeitlichen Aufwand mit der Trainingszeit vergleichbar, wurden Injektionen insbesondere in das AC-Gelenk notwendig. Knapp drei Monate vor den Olympischen Spielen eskalierten die Beschwerden derart, dass Jonas keine andere Möglichkeit sah, als sich kurzfristig operieren lassen. Damit stand sein erklärtes Traumziel, eine Olympische Medaille zu gewinnen, auf dem Spiel. Wir vereinbarten jedoch eine weitere konservative Vorgehensweise und Intensivierung der bisherigen Therapie. In einem hinreißenden Finale am Horse Guards Parade an der Downing Street in London besiegte Jonas dann mit seinem Partner Julius Brink den amtierenden Weltmeister, das brasilianische Duo und Cerutti / Rego, und krönte seine beeindruckende Karriere mit der Goldmedaille. Er war während des Turniers nicht beschwerdefrei, aber leistungsfähig. Wenige Wochen nach diesem Erfolg wurde Jonas an der Schulter operiert. Neben der subacromialen Erweiterung wurde auch eine AC-Gelenksteilresektion vorgenommen. Die Nachbehandlung benötigte jedoch zu viel Zeit, sodass Jonas sich für die Saison 2013 nicht rechtzeitig vorbereiten konnte. Dieses und letztlich eine zusätzliche Rückenverletzung führten dann zum Rücktritt vom Leistungssport. Heute ist Jonas absolut beschwerdefrei, ist sportlich auch Überkopfaktiv und arbeitet als Sportlehrer.
Fazit
Schulterverletzungen gehören zu den häufigen und hartnäckigen Krankheitsbildern in der sportmedizinischen Praxis. Im Vordergrund der Behandlungsstrategie muss die Beseitigung der eigentlichen Ursache stehen. Wichtig ist die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Der Sportmediziner muss sein Handeln eng mit dem Physiotherapeuten und dem Trainer abstimmen – der Sportler steht im Mittelpunkt.
Literatur beim Verfasser: literaturanfrage@kass.de
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit eigener Praxis für Orthopädie und Sportmedizin in Düsseldorf. Er ist betreuender Mannschaftsarzt der Tischtennismannschaft von Borussia Düsseldorf und leitender Verbandsarzt des Deutschen Tischtennisbundes (DTTB) sowie Sportarzt im DBS für die Para-Tischtennis Nationalmannschaft. Nach vier Einsätzen bei Olympischen Spielen war er 2019 bei den European Games in Minsk leitender Arzt im DOSB (CMO = Chief Medical Officer).