Auf den Tag summiert, sitzen Menschen immer mehr: durchschnittlich sechs bis
zehn Stunden [1]. Besonders problematisch wird es dann, wenn etwa Lkw-Fahrer ohne großartige Pause nahezu neun Stunden ununterbrochen hinter dem Steuer sitzen [2]. Denn langes Sitzen kann sich negativ auf die Gesundheit auswirken [3]. In der Fachliteratur finden sich vermehrt Hinweise darauf, dass sich langes ununterbrochenes Sitzen negativ auf den Bewegungsapparat auswirken kann [4, 5, 13].
Zahlreiche Studien bestätigen das, was sich allgemein spüren lässt: nach langem Sitzen fühlt sich der Körper unangenehm verspannt an [6, 7]. Nicht selten entwickeln sich aus diesem unangenehmen Empfinden ernsthafte Rückenschmerzen [8, 9]. Dabei mangelt es nicht an Möglichkeiten, der Entstehung von Schmerzen und Verspannung präventiv entgegen zu wirken: regelmäßige Sitzunterbrechungen oder die Nutzung von Stehschreibtischen etwa. Allerdings fällt es vielen Menschen schwer, dem regelmäßig nachzugehen [10]. Einigen Personengruppen bleiben diese Möglichkeiten sogar gänzlich verwehrt. Dazu gehören Berufskraftfahrer oder Lokführer. Um dem entgegen zu wirken, besteht die Notwendigkeit einer Interventionsmöglichkeit, welche sich einfach in nahezu jeden Alltag integrieren lässt und zugleich das Potenzial besitzt, Muskelverspannungen zu lösen. In Bezug auf Muskelverspannungen liegt der Gedanke an klassische Massagen nahe. Allerdings lassen sich diese nur schwer mit der Forderung nach einfacher Integration in den Alltag vereinen. Die Lösung könnte in der Anwendung einer Selbstmassage mit einer handelsüblichen Hartschaumrolle liegen. Wenngleich die Lösung so einfach erscheint, gibt es bis heute keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit eine Selbstmassage bei Muskelverspannungen. Mehr noch: bislang gibt es ebenso wenig messbare Nachweise dafür, dass sich der Rücken durch langes Sitzen überhaupt verspannt.
Studiendesign
Aus diesem Grund wurde eine Studie mit insgesamt 59 Teilnehmern (männlich und weiblich) durchgeführt. Zunächst mussten alle Teilnehmer viereinhalb Stunden sitzen. Anschließend wurden zwei Gruppen gebildet. Die eine Gruppe wendete nach dem Sitzen acht Minuten lang eine Selbstmassage an. Der Bewegungsablauf bestand darin, sich gegen die Rolle gelehnt mit dem Rücken an die Wand zu stellen und sich durch langsame Auf- und Abwärtsbewegungen selbst den Rücken zu massierten (Abb. 1). Die andere Gruppe pausierte ebenfalls acht Minuten im Stehen – allerdings ohne Massage. Bei allen Teilnehmern wurden drei Messungen zur Steifheit der Rückenmuskulatur vorgenommen: vor dem Sitzen, nach dem Sitzen und nach der jeweiligen Pause im Stehen mit oder ohne Selbstmassage.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie wurden erstmals in der Januar-Ausgabe der Fachzeitschrift „Applied Ergonomics“ veröffentlicht [4]. Es zeigte sich, dass langes Sitzen Rückenverspannungen hervorrufen kann. Auch zeigte sich, dass die durch das Sitzen steif gewordene Rückenmuskulatur mittels der Selbstmassage wieder gelockert werden konnte. So kam es im Bereich der Lendenwirbelsäule zu einer signifikanten Steifigkeitszunahme der Muskulatur von bis zu 17,1 % (p < 0.001). Während diese erhöhte Steifigkeit bei der Kontrollgruppe, welche für acht Minuten ohne Selbstmassage pausierte, erhalten blieb, fiel die Steifigkeit in der Selbstmassage-Gruppe um durchschnittlich 23,7 % ab (p < 0.001). Abbildung 2 visualisiert die Veränderung der Muskelsteifigkeit, in einem repräsentativen Vergleich zwischen einem Teilnehmer der die Pause mit und einem der die Pause ohne Selbstmassage verbracht hat. Ein ähnlicher Verlauf konnte für den Bereich der Brustwirbelsäule nachgewiesen werden. Auch hier nahm die Muskelsteifigkeit über die viereinhalb Stunden sitzen um bis zu 21,1 % zu (p < 0.001). Das anschließende Pausieren im Stehen führte bei der Kontrollgruppe zu keiner weiteren Steifigkeitsänderung. In der Interventionsgruppe dagegen konnte nach der achtminütigen Selbstmassage eine mittlere Steifigkeitsreduktion um 20,9 % gemessen werden (p < 0.001). Neben den objektiven Daten konnten auch Daten zur subjektiven Einschätzung der Selbstmassage erhoben werden. Dabei zeigte sich, dass alle Teilnehmer der Interventionsgruppe die Selbstmassage als gesundheitsfördernde Maßnahme empfunden hatten. Weiterhin schätzen etwa 90 % der Teilnehmer die Intervention als hilfreich ein und zeigten sich offen gegenüber dem Gedanken, die Selbstmassage in den Alltag zu integrieren.
Fazit
Die Ergebnisse der Studie sprechen dafür, dass bereits acht Minuten Selbstmassage mit einer handelsüblichen Hartschaumrolle ausreichen, um nach viereinhalb Stunden permanentem Sitzen die dadurch steif gewordene Rückenmuskulatur wieder zu lockern. Als mögliche Erklärung für den Anstieg der Muskelsteifigkeit können mikrostrukturelle Änderungen in der Muskulatur angenommen werden [11]. Die beobachteten Effekte der Selbstmassage dagegen unterstützen die Vermutung einer Steifigkeitsabnahme im Muskel in Folge einer gesteigerten Durchblutung [12]. Von Bedeutung könne die Selbstmassage besonders für diejenigen werden, die berufsbedingt lange ohne Unterbrechung sitzen müssen. Zum Beispiel Lkw- oder Busfahrer, teilweise aber auch Büroangestellte. Weitere Vorteile liegen darin, dass sich die achtminütige Selbstmassage flexibel in jeden Alltag integrieren lässt und der Nutzen – das wohltuende Gefühl einer klassischen Massage – unmittelbar zu spüren ist. Auch könne der Gedanke, mit solch simpler Maßnahme etwas für die Gesundheit zu tun, dazu motivieren, die Selbstmassage regelmäßig durchzuführen. Gleichwohl: die Selbstmassage sollte ein Teil regelmäßiger Sitzpausen sein, diese jedoch nicht ersetzen. Die allgemeine Empfehlung, präventiv aller 30 bis 60 Minuten für kleine Aktivitäten kurz aufzustehen, als über Stunden am Stück sitzen zu bleiben, um dann mit der Massage entgegenwirken zu können, bleibt weiter bestehen.
Anmerkung der Redaktion Foam-Rolling findet sich ebenso als Regenerationsmaßnahme in den aktuellen Handlungsempfehlungen der REGman-Studie. Siehe dazu auch: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fphys.2019.00376/full
Literatur
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2. Nolle, T., 2005. Mobile Berufe – Eine Untersuchung der Arbeitsbedingungen Mobile Berufe – Eine Untersuchung der Arbeitsbedingungen und der Ernährung im Hinblick auf die Gesundheit.
3. Hamilton, M.T., Hamilton, D.G., Zderic, T.W., 2007. Role of low energy expenditure and sitting in obesity, metabolic syndrome, type 2 diabetes, and cardiovascular disease. Diabetes 56 (11), 2655–2667. 10.2337/db07-0882.
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5. Thorp, A.A., Kingwell, B.A., Owen, N., Dunstan, D.W., 2014. Breaking up workplace sitting time with intermittent standing bouts improves fatigue and musculoskeletal discomfort in overweight/obese office workers. Occupational and environmental medicine 71 (11), 765–771. 10.1136/oemed-2014-102348.
6. Cardoso, M., McKinnon, C., Viggiani, D., Johnson, M.J., Callaghan, J.P., Albert, W.J., 2018. Biomechanical investigation of prolonged driving in an ergonomically designed truck seat prototype. Ergonomics 61 (3), 367–380. 10.1080/00140139.2017.1355070.
7. El Falou, W., Duchêne, J., Grabisch, M., Hewson, D., Langeron, Y., Lino, F., 2003. Evaluation of driver discomfort during long-duration car driving. Applied ergonomics 34 (3), 249–255. 10.1016/S0003-6870(03)00011-5.
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12. Solomonow, M., 2012. Neuromuscular manifestations of viscoelastic tissue degradation following high and low risk repetitive lumbar flexion. Journal of electromyography and kinesiology : official journal of the International Society of Electrophysiological Kinesiology 22 (2), 155–175. 10.1016/j.jelekin.2011.11.008.
13. Eriksson Crommert, M., Lacourpaille, L., Heales, L.J., Tucker, K., Hug, F., 2015. Massage induces an immediate, albeit short-term, reduction in muscle stiffness. Scandinavian journal of medicine & science in sports 25 (5), e490-6. 10.1111/sms.12341.
14. Chau, J.Y., Grunseit, A.C., Chey, T., Stamatakis, E., Brown, W.J., Matthews, C.E., Bauman, A.E., van der Ploeg, Hidde P., 2013. Daily sitting time and all-cause mortality: a metaanalysis. PLoS One 8 (11) e80000. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0080000.
Autoren
ist Mitarbeiter der Professur Bewegungswissenschaft an der Technischen Universität Chemnitz. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der funktionellen Anatomie des menschlichen Bewegungsapparates. Um zu verstehen, wie sich der Alltag auf den Körper des Menschen auswirkt, nutzt er Ansätze der Biomechanik und Evolutionsbiologie.
ist Promotionsstudent an der Technischen Universität Chemnitz in Zusammenarbeit mit der Mercedes Benz AG. Im Rahmen seines Promotionsvorhabens setzt er sich mit den Auswirkungen von langem Sitzen auf den menschlichen Bewegungsapparat auseinander. Seine Fragestellungen sind durch sportwissenschaftliche und biomechanische Ansätze geprägt.