Arthrose in den Hüftgelenken (Coxarthrose) ist eine der häufigsten degenerativen Gelenkerkrankungen. Empfohlene therapeutische Basismaßnahmen sind Physiotherapie, bei Übergewicht und Adipositas die Reduktion des Körpergewichts sowie bei Bedarf die medikamentöse Analgesie [1].
Chirurgischer Hüftgelenkersatz, meist in Form der Totalendoprothese (Hüft-TEP), steht am Ende der Behandlungskaskade. Deutschland nimmt mit einer Rate von 3 pro 1.000 Einwohner gleichwohl unverändert einen Spitzenplatz in der Häufigkeit von Hüft-TEP-Eingriffen ein [2] – obwohl seit 2021 national konsentierte evidenzbasierte Kriterien für die Indikationsstellung für eine Hüft-TEP vorliegen [3]. Demnach setzt die Indikation für eine Hüft-TEP sowohl den radiologischen Nachweis fortgeschrittener morphologischer Veränderungen im Gelenk (Kellgren & Lawrence Grad 3 oder 4) als auch einen dokumentierten Leidensdruck voraus, z. B. erfasst anhand von Schmerzen, Funktions- oder Lebensqualitätsbeeinträchtigungen, die trotz mindestens dreimonatiger Physiotherapie und anderer empfohlener Maßnahmen anhalten.
Rolle der Physiotherapie
Lässt sich durch physiotherapeutische Behandlung ein chirurgischer Gelenkersatz bei Coxarthrose verhindern oder zumindest hinauszögern? Diese Frage hat unlängst eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe im Auftrag und finanziert vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitsweisen (IQWiG) untersucht [4]. Angeregt wurde dieses Projekt durch die entsprechende Frage einer Bürgerin im Rahmen des sogenannten ThemenCheck Medizin-Verfahrens des IQWiG. Die Untersuchung der Frage erfolgte in Form eines sogenannten Health Technology Assessment (HTA) und gliederte sich in drei Hauptteile: die Untersuchung von Nutzen und Schadensrisiken, die systematische Bewertung der gesundheitsökonomischen Konsequenzen und die Bewertung ethischer, rechtlicher, soziokultureller und organisationsbezogener Implikationen. Die Bewertung des Nutzen-Schaden-Verhältnisses bildete die Grundlage auch der anderen Hauptteile. Hierfür wurde eine umfangreiche systematische Literaturübersicht inklusive Metaanalysen erstellt. Eingeschlossen wurden randomisiert-kontrollierte Studien (RCT), in denen Physiotherapie mit keiner oder jeglicher anderen Form der Behandlung verglichen worden war.
Direkte Evidenz: Wirkt Physiotherapie auf das Risiko von Hüft-TEP?
Insgesamt konnten für die Nutzenbewertung 14 Studien eingeschlossen werden. Allerdings wiesen nur sieben dieser Studien eine ausreichende Ergebnissicherheit auf, um daraus Aussagen zu Nutzen und Schadensrisiken abzuleiten. Drei dieser Studien – durchgeführt in Schweden, Finnland bzw. den Niederlanden – lieferten Daten im Sinne der direkten Evidenz: In diesen Studien wurde der Effekt zwölfwöchiger physiotherapeutisch angeleiteter Übungen von Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit auf die Rate von Hüft-TEP untersucht. In zwei Studien fanden die Übungen als Gruppenangebot statt, in einer als Individualübung. Alle drei Programme umfassten zusätzlich Anleitungen für das selbstständige Üben; und in zwei Studien wurden nach mehreren Monaten mehrere angeleitete „Booster“-Übungseinheiten angeboten. In zwei Studien erhielten die Patienten der Prüfgruppe ebenso wie die der Vergleichsgruppe eine Schulung zu Bewegung und Lebensstil bei Coxarthrose, in der dritten Studie bestand die Begleit- bzw. Vergleichsintervention aus der hausärztlichen Standardversorgung.
Für den Beobachtungszeitpunkt ca. 2,5 Jahre nach Therapieende ergab die Metanalyse von zwei dieser drei Studien (insgesamt 211 Patienten) eine knapp signifikante Reduktion des relativen Risikos einer Hüft-TEP (relatives Risiko (RR) 0,56, 95 %-Konfidenzintervall (KI) 0,3196; 0,9975). Allerdings war die Ergebnissicherheit mehrfach eingeschränkt, u. a. aufgrund von Unsicherheiten bei der Gruppenzuordnung, fehlender Verblindung und unvollständiger Ergebnisdaten. Daher wurde dieses Ergebnis nicht als Beleg, sondern als ein Hinweis für einen Nutzen im Vergleich zur Versorgung ohne diese physiotherapeutisch angeleiteten Übungen eingestuft. Das breite Konfidenzintervall zeigt außerdem statistische Unsicherheiten über die genaue Größe des zu erwartenden Effektes an. In den beiden betreffenden Studien lag das Risiko für eine Hüft-TEP in der Prüfgruppe zwischen 8 und 20 %, in der Vergleichsgruppe zwischen 14 und 36 %. Für frühere Beobachtungszeitpunkte zeigten die Metaanalysen keine signifikante Reduktion des Hüft-TEP-Risikos, auch wenn bei allen Vergleichen die Prüfgruppe numerisch jeweils ein geringeres Risiko für einen Gelenkersatz aufwies. Aus einem der drei RCT liegen Ergebnisse aus einer Langzeitbeobachtung im Mittel knapp fünf Jahre nach Studienbeginn vor. Diese Ergebnisse verweisen ebenfalls auf ein signifikant geringeres Hüft-TEP-Risiko in der Prüfgruppe (42 % versus 63 %, RR 0,66, 95 %-KI 0,44; 0,96). Dieses Ergebnis wurde, da aus nur einer Studie mit mäßiger Ergebnissicherheit stammend, als Anhaltspunkt für einen Nutzen gewertet.
Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass physiotherapeutisch angeleitete Übungen von Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer sehr wahrscheinlich ein gewisses Potenzial haben, das Risiko von Gelenkersatz zu reduzieren. Allerdings bleibt die genaue Größe des zu erwartenden Effekts unklar. Ebenso lässt sich den Daten nicht entnehmen, über welche Zeitdauer dieser Effekt aufrechterhalten werden kann. Dafür fehlen Langzeitdaten und vor allem Daten aus Vergleichen von Programmen unterschiedlicher Intensität, Frequenz und Dauer. In den Studien, die dem abgeleiteten Anhaltspunkt bzw. Hinweis für einen Nutzen zugrunde liegen, wurden vergleichsweise junge Patienten (mittleres Alter um oder unter 65 Jahre) mit überwiegend niedrigen Graden morphologischer Veränderungen (ca. 75 % Kellgren-Lawrence Grad ≤ 2) eingeschlossen. Die Effekte physiotherapeutischer Übungen bei morphologisch stärker fortgeschrittener Coxarthrose bleiben also unklar. Hierfür wären auch Studien zum direkten Vergleich von Physiotherapie versus Hüft-TEP erforderlich, die bisher nicht vorliegen.
Indirekte Evidenz: Beeinflusst Physiotherapie den Leidensdruck?
Aus den eingeschlossenen drei Studien zu den multifunktionellen Übungen konnten keine Anhaltspunkte, Hinweise oder Belege für einen Nutzen hinsichtlich der Schmerzen, Funktionsfähigkeit oder Lebensqualität, also des Leidensdrucks, abgleitet werden, jeweils gemessen mindestens drei Monate nach Therapieende. Zwar fanden sich vereinzelt signifikante Effekte zugunsten der Übungsprogramme, jedoch erfüllten die Effektstärken nicht die für diesen Bericht definierten Kriterien für die Einstufung als relevanter Effekt. Zukünftige Forschung sollte daher stärker in den Blick nehmen, wie das Wirksamkeitspotenzial multifunktioneller Übungen gesteigert werden könnte, sowohl im Hinblick auf den Leidensdruck als auch auf das Risiko von Gelenkersatz.
Ebenfalls sollten in den Studien unerwünschte Effekte systematischer erfasst und berichtet werden, denn zu diesem für die Bewertung des Schadenrisikos wichtigen Endpunkt lagen oft keine Daten vor. Jedoch wurde für ein kombiniertes Programm aus multifunktionellen Übungen und manueller Therapie ein Hinweis auf ein erhöhtes Schadensrisiko festgestellt, vor allem aufgrund von vermehrten Schmerzen in der Hüftregion. Die unerwünschten Effekte wurden von den Studienautoren als mild eingestuft; dennoch wurde auf der Basis der vorliegenden Daten das Nutzen-Schaden-Verhältnis dieses kombinierten Programms als ungünstig eingeschätzt. Weitere Ergebnisse des Berichts beziehen sich auf das Nutzen-Schaden-Verhältnis physikalischer Interventionen, bestehend aus unterschiedlichen Ultraschallanwendungen oder Balneotherapie. Die Ergebnisse dieser insgesamt drei Studien mit jeweils weniger als 50 Patienten sind inkonsistent und haben durchweg eine mäßige Ergebnissicherheit.
Evidenzbasierte Therapieentscheidung: Patientenpräferenzen berücksichtigen
Die Bewertung der gesundheitsökonomischen Konsequenzen erbrachte kein klares Ergebnisbild zugunsten oder zuungunsten physiotherapeutischer Behandlung im Vergleich zur chirurgischen Versorgung. Aus ethischer, rechtlicher und soziokultureller Sicht stellte sich der Entscheidungsprozess der Patienten als ein zentrales Thema heraus. Patienten haben subjektiven Bedarf für und Anspruch auf umfassende, verständliche Information zu allen empfohlenen Behandlungsoptionen mit ihren zu erwartenden günstigen und ungünstigen Effekten. Diese Information sollte Grundlage einer gemeinsamen Entscheidungsfindung über die Therapieziele und die jeweils aktuell präferierten Behandlungsmethoden sein. Der Bericht gibt eine Übersicht über die Faktoren, die die Adhärenz zu physiotherapeutischen Übungsprogrammen beeinflussen und bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden sollen. Parallel zu dem HTA-Bericht hat das IQWiG außerdem eine strukturierte Entscheidungshilfe veröffentlicht, die die Klärung individueller Präferenzen und partizipative Entscheidungsprozesse unterstützen kann [5].
Literatur
- Moseng T, Vliet Vlieland TPM et al. EULAR recommendations for the non-pharmacological core management of hip and knee osteoarthritis: 2023 update. Ann Rheum Dis. 2024;83(6):730-740. doi: 10.1136/ard-2023-225041.
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. Evidenz- und konsensbasierte Indikationskriterien zur Hüfttotalendoprothese bei Coxarthrose; S3-Leitlinie [online]. 2021. https://register.awmf.org/assets/guidelines/187-001l_S3_Indikationskriterien_Hüfttotalendoprothese_bei_Coxarthrose_2021-04.pdf. [Zugriff: 04.08.2025]
- Health at a Glance 2023. OECD Indicators. Hip and knee replacement. 07.11.2023. https://www.oecd.org/en/publications/health-at-a-glance-2023_7a7afb35-en/full-report/hip-and-knee-replacement_687dec46.html [Zugriff: 04.08.2025]
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Hüftarthrose; Kann Physiotherapie eine Operation verzögern oder vermeiden? HTA-Bericht im Auftrag des IQWiG [online]. 2025 [Zugriff: 04.08.2025]. https://dx.doi.org/10.60584/HT22-03.
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Entscheidungshilfe: Hüftarthrose: Kommt ein künstliches Hüftgelenk für mich infrage – und welche Alternativen habe ich? 31.01.2024, https://www.gesundheitsinformation.de/entscheidungshilfe-hueftarthrose-kommt-ein-kuenstliches-hueftgelenk-fuer-mich-infrage-und-welche-alternativen-habe-ich.html [Zugriff: 04.08.2025]
Autoren
Professur Evidenzbasierte Pflege. Sektionsleitung für Forschung und Lehre in der Pflege, Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Lübeck. Mitglied des gf. Vorstands Netzwerk Evidenzbasierte Medizin.
(Stand 2025)