Strukturelle Muskelverletzungen der unteren Extremitäten gehören zu den häufigsten Sportverletzungen überhaupt und können bei Leistungs- und Freizeitsportlern zu langen Trainings- und Wettkampfpausen führen. Die Erforschung der Regenerationsprozesse von Muskelverletzungen ist seit langem im Fokus des wissenschaftlichen und vor allem sportmedizinischen Interesses.
Seit Jahrzehnten wird bei akuten Muskelverletzungen u. a. die Infiltrationstherapie mit Traumeel®S und Actovegin® erfolgreich angewendet [1, 2]. Es wurde berichtet, dass Sportler, die so behandelt wurden, schneller in den Wettkampf zurückkehren konnten als Spieler, die nur Physiotherapie erhielten [3 – 5]. Trotz der Häufigkeit von Muskelverletzungen und zahlreicher Fallberichte über erfolgreiche Therapien gibt es bislang keine abschließende wissenschaftliche Erkenntnis für diese beobachteten Verläufe, sodass die Behandlung aktuell eher auf Expertenmeinungen als auf wissenschaftlich evidenten Studien basiert [1, 2]. Die routinemäßige Anwendung von intramuskulären Injektionen zur Behandlung von strukturellen Muskelverletzungen wird daher bei Sportmedizinern nach wie vor kontrovers diskutiert. Darauf basierend hat sich unsere wissenschaftliche Forschungsgruppe im Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Universitätsmedizin Mainz dieser Thematik angenommen und das Wachstums- und Proliferationsverhalten von Myoblasten unter der Wirkung von Actovegin® und Traumeel®S in vitro analysiert.
Das verwendete Muskelgewebe, bei dem es sich um Überschussmaterial handelte, wurde im Rahmen von notwendigen orthopädischen Eingriffen mit Einverständnis der Patienten entnommen. Die daraus isolierten Muskelzellen wurden mittels Immunfloureszenzfärbung für die Proteine/spezifische Muskelmarker Myogenic factor 5 (Myf5) und MyoD charakterisiert und anschließend mit bzw. ohne Actovegin® und Traumeel®S kultiviert. In unserer kontrollierten in vitro Studie wurde die biologische Wirkung der oben genannten Wirkstoffe allein sowie in Kombination auf humane Skelettmuskelzellen in Hinblick auf Zellviabilität sowie auf die Genexpression der spezifischen Muskelmarker MyoD, Myf5, Neural adhesion molecule (NCAM) und CD31 untersucht. Die Formation von sogenannten Myotubes wurde mittels Myosin-Färbung analysiert.
In unseren Ergebnissen zeigten weder Actovegin® noch Traumeel®S eine toxische Wirkung auf die Muskelzellen. Darüber hinaus konnten wir keinen signifikanten Einfluss auf die Zellviabilität nachweisen. Eine hohe Konzentration von Actovegin® zeigte zwar nach drei Tagen eine hemmende Wirkung auf die Expression von NCAM, hatte jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die Genexpression der Marker MyoD, Myf5 und CD31. Große Mengen von Traumeel®S hemmten nach drei Tagen die MyoD-Genexpression, wobei nach sieben Tagen diese wiederum signifikant gesteigert wurde. Die Kombination dieser beiden Wirkstoffe zeigte keinen signifikanten Einfluss auf die Zellviabilität und die Genexpression der untersuchten Marker. Unsere Studie ist die erste Studie, die zeigen konnte, dass Actovegin® und Traumeel®S humane Muskelzellen überhaupt beeinflussen. Die klinische Relevanz dieser Erkenntnisse wurde in weiteren in vivo Versuchen an Ratten untersucht. Die Ergebnisse der in vivo Versuche sind zur Veröffentlichung eingereicht und werden in der nächsten Ausgabe vorgestellt.
Zusammenfassung der Originalarbeit: Langendorf EK, Klein A, Rommens PM, Drees P, Ritz U, Mattyasovszky SG.
Calf Blood Compound (CFC) and Homeopathic Drug Induce Differentiation of Primary Human Skeletal Muscle Cells. Int J Sports Med. 2019 Nov;40(12):
803 – 809.
Literatur
[1] Mueller-Wohlfahrt HW, Ueblacker P, Haensel L (2010) Muskelverletzungen im Sport. Thieme, Stuttgart New York
[2] Orchard JW, Best TM, Mueller-Wohlfahrt HW et al (2008) The early management of muscle strains in the elite athlete: best practice in a world with a limited evidence basis. Br J Sports Med 42:158 – 159
[3] Reurink G, Goudswaard GJ, Tol JL et al (2012) Therapeutic interventions for acute hamstring injuries: a systemic review. Br J Sports Med 46:103 – 109
[4] Lee P, Rattenberry A, Connelly S, Nokes L (2011) Our experience on actovegin, is it cutting edge? Int J Sports Med 32:237 – 241
[5] J. Gille, S. Bark, J. Herzog, G. Heinrichs, C. Jürgens. (2012). Infiltrationsbehandlung bei Muskelläsionen. Trauma und Berufskrankheit. 2012. DOI 10.1007/s10039-012-1875-8
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit den Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Manuelle Therapie, Spezielle Unfallchirurgie und Spezielle Orthopädische Chirurgie. Er besitzt als Wirbelsäulenchirurg seit 2017 das Masterzertifikat der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG) und ist seit 2021 gemeinsam mit Dr. med. Philipp Appelmann leitender Arzt des GALENOS in Mainz. Außerdem ist er seit 2012 Mannschaftsarzt des 1. FSV Mainz 05 und wiss. Beirat der sportärztezeitung.