Cryo-Thermo-Therapie oder Kältetherapie umfasst den gezielten Einsatz von Kälte als Therapeutikum. In Abhängigkeit seiner Applikationsform kann Kälte dabei unterschiedlich physiologische Prozesse induzieren.
Dabei muss man zunächst die Behandlungsoberfläche unterscheiden. Die lokale Kälteapplikation zielt auf eine punktuelle Beeinflussung eines Lokalbefundes ab:
- Analgetisch: Lokal führt Kälte zur Hemmung von Schmerzfasern sowie einer veränderten neuronal-synaptischen und zentralen Verarbeitung
- Abschwellend: Kälte (meist in der Kombination mit Druck) führt durch die Vaskonstriktion zu einem Rückgang von Schwellungen (cave: reaktive Vasodilatation)
- Anti-Pyretisch: Kälte kann bspw. in Form von Wadenwickeln genutzt werden, um bei Infekten aufkommende Überwärmungen einzudämmen
- Muskulär entspannend: Über Hemmung der Motoneuronen wirkt Kälte einem (spastischen) muskulärem Hypertonus entgegen, verbessert die Durchblutung und fördert die Regeneration
Die systemische Kälteapplikation erweitert dabei das therapeutische Spektrum um:
- Immunsystem stärkend und anti-inflammatorisch: Durch Inhibition der Histamin-Sekretion, Aktivierung des Parasympathikus und Modulation von Entzündungs-Zytokinen stärkt die Cryotherapie das Immunsystem und wirkt Entzündungen entgegen
- Stress abbauend: Einerseits durch Stärkung des Vagustonus als auch durch Kreuzadaption auf den Stressor „Kälte“ führt die regelhafte Kältetherapie zum Stressabbau
- Schlaf und Stimmung fördernd: die entzündungshemmenden, hormonellen und Vagus-aktivierenden Wirkungen sind stimmungsaufhellend und unterstützen einen gesunden Schlaf
- Regenerativ: der Einsatz von thermischen Wechsel- und Kältebädern führt zu einem optimierten Abtransport von zellulären Stoffwechselendprodukten
Darüber hinaus kann die Kältetherapie zur Beeinflussung des Metabolismus und der allgemeinen Gesundheit genutzt werden: a) Induktion braunen Fettgewebes: Kälte-Therapie führt zur Induktion von beigen und braunem Fettgewebe. Dadurch erhöht und optimiert sich der Energieverbrauch. b) Autophagie induzierend: Durch regelhafte Kältetherapie werden so genannte Cold-Shock-Proteine induziert, die zu zellulären Reparaturprozessen wie Autophagie führt.
Kälte kann in unterschiedlichen Aggregatzuständen sowohl in fester Form (Eis, Kompressen oder Peloide), trockener Form (Luft, Gas) oder flüssiger Form (Wasser) mit unter- schiedlichen Temperaturen appliziert werden. Dabei werden unterschiedliche physikalische Prozesse (Konvektion, Konduktion, Radiation und Verdunstung) der thermischen Übertragung genutzt. Mitunter können durch Nutzen von Gasen oder Elektrizität Temperaturen von weit unter –100 °C erreicht werden.
In diesem Zusammenhang ist auf den Gebrauch der Kältetherapie als systemisch medizinischer Ansatz durch Exposition auf einen Großteil der Körperoberfläche genauer einzugehen. Die Teil- und Ganzkörper-Cryotherapie unterscheidet sich dabei auf die großen Teilbereiche der:
Eis- oder Kältebäder
Hierbei handelt es sich um 3 – 10 °C kalte Wasserbäder, in denen ein Großteil des Körpers eingebracht wird. Durch die thermische Konvektion und Konduktion kommt es zu einem schnellen Wärmeabtransport, sodass bereits nach 10 – 15 Minuten ein therapeutischer Nutzen eintritt. Hierbei sind medizinische Risiken, wie die kardiovaskuläre Überbelastung und der Kälteschock zu erwähnen. Aufgrund seiner systemischen Belastung ist eine Therapie erst nach ärztlicher Konsultation zu empfehlen.
Eissauna
Unter Einsatz von Gasen (zumeist Stickstoff) wird der Großteil des Körpers unter Aussparung der Akren und des Kopfes mit einem Gasgemisch von etwa –150 °C umflutet. Durch Vermischung mit der Umgebungstemperatur wird jedoch selten eine Kühlung von weniger als –80°C erreicht. Durch die inhomogene Kälteverteilung ist eine dauerhafte Bewegung unter lokale Verbrennungsgefahr notwendig. Wir sprechen offiziell von einer Teilkörper-Kälte-Therapie (Partial-Body-Cryotherapy; PBC). Vorteil der Cryosauna sind die geringeren Energiekosten und das schnelle Abkühlen der Luft (ohne dauerhaften Gebrauch).
Kryokammer
Diese Kammersysteme kühlen unter Verwendung von Elektrizität die Luft eines vollständigen Raums auf bis zu –130 °C ab und stellt somit die einzige wirkliche Ganzkörper-Kälte-Therapie (Whole-Body-Cryo-Therapy; WBC) dar. Die Therapiedauer beträgt insgesamt wenige Minuten. Auch hier werden die Akren geschützt. Es kommt aufgrund der homogenen Temperaturverhältnisse zu einem schnellen Absinken der Hautoberfläche sowie der Körperkerntemperatur, die jedoch aufgrund der Radiation weitaus schonender als bei Eisbädern ist.
Die systemische Ganzkörper-Kälte-Therapie wird dabei vor allem bei lokalen und systemischen Entzündungen wie Rheumatoider Arthritis, Psoriasis/Neurodermitis, Poly-Arthrose oder Schmerzsyndromen/Fibromyalgie verwendet. In den Händen von erfahrenen Therapeuten kann das therapeutische Spektrum umfassend ausgeweitet werden und findet mittlerweile auch in der Prävention eine umfassende Anwendung.
Ein besonderer Hinweis sollte auf den Einsatz unterschiedlicher Temperaturen in der WBC/PBC gerichtet werden. Um einen systemischen Effekt, der über die anti-inflammatorische Gelenkwirkung hinaus geht, zu erreichen, muss die Hautoberfläche großflächig um 5 °C sinken. Dies wird nur in Systemen mit mindestens –110 °C erreicht. Alle anderen Systeme können keine sichere Veränderung des Organismus auf systemisch-zellulärer Ebene (Hormone, Cytokine, Enzyme) induzieren.
Einsatz im Sport
Ein regelhafter Einsatz der Kältetherapie im Sport findet ebenfalls statt, wobei eine zielgerichtete Anwendung zwingend notwendig ist:
- Kälte- und Wechselbäder finden vor allem in der Regeneration weiterhin regelhaft statt und sind wissenschaftlich mit einer relativ hohen Evidenz versehen.
- Cryokammern (PBC, WBC) werden vor allem bei (atraumatischen) Gelenkschwellungen sowie zur Optimierung des ANS und Immunsystems durchgeführt. Hierbei ist von großer Bedeutung, dass der Einsatz von WBC direkt nach Hypertrophie-Training den Trainingseffekt unterdrückt.
- Die lokale Eisbehandlung von muskulären Verletzungen ist nicht unumstritten. Es gibt experimentelle Hinweise auf Heilungsverzögerungen, sodass hier vor allem die Kompression unter Zuhilfenahme von kaltem Wasser statt Eisbeutel in den Vordergrund der Verletzungsversorgung und Schwellungsprophylaxe gerückt ist.
Eine relativ junge Form der Kältetherapie ist die neuroreflektorischen hyperbare Kältetherapie. Hierbei handelt es sich um eine lokale Therapieform, bei der auf –78 °C gekühltes CO2 mit Überdruck auf ein Hautareal gezielt appliziert wird. Die Haut wird dabei innerhalb kürzester Zeit unter thermischer Kontrolle auf 4 °C herabgekühlt. Anders als bei der lokalen Eistherapie kommt es daher nicht zu Schäden auf Zellebene, die den Heilungsprozess verlangsamen (Membranschäden und Dehydratation), sondern man nutzt vielmehr die gewollten Aspekte der Kryotherapie. Es kommt wie oben beschrieben zu einer lokalen Herabregulation neurogener Strukturen, vornehmlich des Schmerzreizes und des Muskeltonus. Anti-phlogistische, regenerative Ergebnisse durch Herabregulation von pro-inflammatorischen Gewebshormonen und Stimulation des Lymphgewebes werden klinisch beschrieben, bedürfen aber noch wissenschaftlicher Evidenz. Interessant ist, dass die Ergebnisse über die lokale Applikation hinaus, möglicherweise aufgrund der neuronalen Wirkung auch auf systemischer Ebene nachweisbar sind. Diese Therapie findet sowohl in der Sportmedizin, postoperativen Versorgung als auch in der Therapie von chronischen Leiden statt.
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Worseck, Dr Josephine. Die Heilkraft der Kälte: Mit Kälte das Immunsystem stärken, Stress reduzieren und leistungsfähiger werden. riva, 2020.
Die Kraft aus der Kälte
Winfried Papenfuß /Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage / Dezember 2022, edition k,
ISBN 978-3-938912-11-9, EUR 28,00 (DE)
Autoren
ist Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin und seit 2018 Mannschaftsarzt von RB Leipzig. Zuvor war er als Gründungsmitglied des Athleticums am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf seit 2012 für die medizinische Betreuung des HSV, zunächst für das komplette NLZ, von 2014 – 2017 auch stellvertretend für die Bundesligamannschaft zuständig. Spezialgebiete: konservative Orthopädie, alternative Heilmethoden, Mikronährstofftherapie. Außerdem ist er wiss. Beirat der sportärztezeitung.