Kombinationstherapien gewinnen in der konservativen Therapie immer weiter an Bedeutung. Schon 2019 betonten Schmitz und Toussaint in der sportärztezeitung, dass z. B. bei der Behandlung von Tendinopathien „Kombinationstherapien verschiedene molekulare und zelluläre Wirkmechanismen aufweisen und dadurch den Heilungsprozess begünstigen, was eine schnellere Wiederaufnahme des Sports ermöglichen und die Prävention eines Rezidivs der Erkrankung oder Verletzung verbessern kann (Superior combination therapy, sportärztezeitung 02.19).“ Wir haben uns dazu mit Dr. Christian Sturm von der Klinik für Rehabilitationsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover unterhalten, der aufzeigt, dass für jede passende Aufgabe ein passendes Werkzeug vorhanden sein muss und gerade auch die Kombination zu einer erfolgreichen und individuell angepassten Behandlung führen kann.
Lieber Christian, innerhalb der konservativen Therapien nehmen Kombinationstherapien einen immer höheren Stellenwert ein und zeigen eine Vielzahl von positiven Ergebnissen. In der sportärztezeitung weisen wir regelmäßig darauf hin, so z. B. auch Prof. Dr. Christoph Schmitz und Dr. René Toussaint 2019 in ihrem Artikel Superior combination therapy, in dem die Autoren auf eine Kombination von Stoßwellentherapie und CO2– Kryotherapie eingegangen sind. Du verfügst an der Klinik für Rehabilitationsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover ebenfalls über viel Erfahrung im Bereich der konservativen Therapie. Welche Entwicklungen siehst Du dabei und was für eine Bedeutung haben Kombinationstherapien bei Dir?
Wir sehen immer wieder den Trend, dass Patienten unzufrieden sind mit der Gerätediagnostik. Man kommt beim Arzt kaum zu Wort, wird kaum oder gar nicht untersucht, dann aber zum Röntgen oder MRT geschickt. Von dem Befund des Gerätes hängt dann die Therapie ab, die sich oft nur im Bereich der IGeL-Maßnahmen findet. Leider wird häufig auch aus dem Gerätebefund eine OP-Indikation abgeleitet, ohne dass es mit dem klinischen Befund und den beschriebenen Beschwerden abgeglichen wird. Gute Kombinationen aus dem Bereich der konservativen Maßnahmen, gerne auch sinnvoll ergänzt durch IGeL-Maßnahmen, führen aber oft zu guten Ergebnissen auch ohne OP.
Du sagst, dass die Basis jeder konservativen Therapie immer auf der manuellen Untersuchung liegen sollte. Darin stimmt übrigens auch Dr. Müller-Wohlfahrt mit Dir überein (vgl. dazu Artikel Dr. Müller-Wohlfahrt zu Muskelverletzungen in der sportärztezeitung 04.21). Wieso hat die manuelle Untersuchung für Dich eine solch große Bedeutung?
Aus meiner Erfahrung lernt man im Medizinstudium nicht unbedingt gute körperliche Untersuchung am Bewegungsapparat (auch wenn wir uns dafür z. B. an der MHH viel Mühe geben). Selbst in der Facharztausbildung zum Orthopäden und Unfallchirurgen bearbeitet man das Thema selten systematisch, da alle irgendwie davon ausgehen, dass man es kann und jeder in seinem Aufgabenbereich gefangen ist. Ich selbst habe zumindest eine gute, ganzheitliche und funktionelle körperliche Untersuchung erst in den Kursen für Manuelle Medizin gelernt. Dort sind mir viele der so genannten „Verkettungen“ erst bewusst geworden.
In der Praxis wendet Ihr in der physikalisch-rehabilitativen Medizin auch eine Kombination aus Stoßwellentherapie und Manueller Therapie an. Wo und bei was findet diese Kombination Anwendung und was kann sie konkret leisten? Wieso ist gerade diese Kombination für Dich so wirksam?
Manuelle Therapie kann bei aktivierten Triggerpunkten auch durchaus wehtun, gerade bei Versionen wie dem FDM (Faszien-Distorsions-Modell). Wir setzen Stoßwelle myofaszial besonders dort ein, wo die Triggerpunktbehandlung mit dem therapeutischen Daumen zu schmerzhaft ist und es daher zu muskulären Abwehrspannungen während der Therapie kommt. Mit den speziellen Köpfen der Stoßwelle für myofasziales Gewebe ist das dann schonender, schmerzärmer möglich, bei ähnlicher Wirksamkeit. Auch bei großen Arealen hypertoner Muskulatur kann man mit der Stoßwelle gut arbeiten, ohne selbst einen schmerzenden Daumen zu bekommen vom Behandeln. Besonders wichtig ist die Stoßwelle aber auch bei den vielen Störungen der Sehnenübergänge von Muskel zu Sehne und von Sehne zum Knochen. Da leistet sie mit den speziellen sensibleren Köpfen Großartiges an Achillessehne, Patellasehne und co. Manuelle Therapie und Stoßwelle kombiniert ist wie das passende Werkzeug für die passende Aufgabe: an Skalenuslücke oder Trapeziusursprung möchte man keine Stoßwelle einsetzen, da ist der therapeutische Daumen dann doch passender (Anmerkung der Redaktion: Siehe dazu auch Artikel Schmitz „Behandlung von myofaszialem Schmerzsyndrom und Triggerpunkten“)
Du bist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, aber auch Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Macht Dich diese Kombination offener und „mutiger“ für die Kombination verschiedener konservativer Therapieoptionen?
Erst einmal ist die Kombination gut zum Abwägen verschiedener Optionen: wenn man weiß, wie eine OP abläuft, kann man auch deren Chancen und Risiken gut einschätzen. Die Physikalische und Rehabilitative Medizin hat mir damals Kenntnisse über Methoden vermittelt, an die ich früher nie gedacht hätte. Das Spektrum ist ja doch riesig, was man als Chirurg nicht wirklich immer im Blick hat. Das endet ja oft bei Krankengymnastik und Lymphdrainage. Je mehr Erfahrung man dann über die Jahre mit den Methoden hat, umso mehr sieht man Synergien und umso mutiger wird man in der Tat, auch mal was zu probieren, was so nicht in den alten Lehrbüchern steht.
Natürlich spielt auch die Evidenz eine wichtige Rolle. Kommen wir zurück zur Stoßwellentherapie, bei der es mittlerweile eine Vielzahl guter und aussagekräftiger Studien aus unterschiedlichen Bereichen gibt, z. B. ganz aktuell die Studie Return to play after treating acute muscle injuries in elite football players with radial extracorporeal shock wave therapy von Morgan / Hamm / Schmitz / Brem. Wie sieht die Evidenzlage in Form einer Kombination Stoßwellentherapie / Manuelle Therapie aus?
Das alte Problem dabei ist immer das Studiendesign: man müsste da mindestens dreiarmig werden, um Manuelle Therapie, Stoßwellentherapie und die Kombination miteinander zu vergleichen, am besten sogar noch mit einem Arm ohne eine der Maßnahmen oder einem Placebo. Das bedeutet dann aber enorme Fallzahlen in der Kalkulation für gute Signifikanz und das ist in den physiotherapeutischen Abteilungen oder Praxen dann häufig schwer zu organisieren, zumal es nur wenige Sponsoren für gute Forschung in dem Bereich gibt.
Weitergedacht – auf welchen Feldern und mit welchen Methoden / Anwendungen siehst Du prinzipiell große Potenziale im Bereich der Kombinationstherapien? Was bedeutet dies im Umgang mit den Patienten auch in Bezug auf Compliance? Hierbei ist sicher von Bedeutung, dass die Kombination meist ein eigener Weg des Behandlers und Patienten sein muss.
Behandlung sollte immer individuell angepasst sein, dafür sind wir Ärzte ja da. Sonst könnte sich auch jeder Patient seine Maßnahmen im Internet selbst suchen und anwählen. Gerade die Kombination erfordert Erfahrung und Hintergrundkenntnisse zu Anatomie, Physiologie und Pathologie. Wichtig ist die Edukation der Patienten: wenn die Betroffenen verstehen, warum wir welche Maßnahme einsetzen wollen und warum sie auch üben müssen und etwas beitragen sollen, dann ist die Therapie auch erfolgreicher, weil sie nachhaltiger umgesetzt wird. Wenn Patienten das Gefühl haben, dass es bei der Therapie nur um das Geld geht, werden sie schnell verschwinden und der Erfolg bleibt oft aus. Verständnis und gemeinsame Entscheidungsfindung ist also wichtig.
Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Leitlinie Gonarthrose, für die es 2022 eine Überarbeitung geben wird und die sicherlich das Thema konservative und natürliche Behandlungen forcieren wird. Einerseits die adäquate wie zielgerichtete Bewegungstherapie, (um den Begriff Sport zu vermeiden (Leistung)), andererseits auch das Gewichts- Entzündungsmanagement. Wie sind hier Deine Hoffnungen und Erwartungen?
Wir haben es an der S3-Leitlinie Indikationskriterien zur Hüfttotalendoprothese gesehen, die 2021 raus kam: eine gute konservative Therapie soll immer der Indikation zur OP vorangehen, sofern kein Notfall vorliegt. Dabei Edukation für den Patienten zur Krankheit und den Umgang damit als wichtig eingestuft, aber auch die Bewegungstherapie speziell international als entscheidend eingestuft. Beim Thema Gewichtsreduktion erbrachte die Recherche keine eindeutige Evidenz dafür, obwohl wir ja von Studien wissen, die den positiven Effekt belegen. Dies kann an dem alten Dilemma liegen, dass es keine Empfehlungen gibt, solange keine guten Studien vorliegen, auch wenn die Logik und Biomechanik etwas anderes vermuten lassen. Gewichtsreduktion also praktisch gedacht sicher ein sinnvoller Ansatz, z. B. auch mit einem telemedizinischen Ansatz, worauf eine aktuelle Studie aus Australien hindeutet (https://www.acpjournals.org/doi/10.7326/M21-2388). Kombinationsbehandlungen stehen vor der Herausforderung sich beweisen zu müssen, um auch in diese Leitlinien zu kommen. Aus der Erfahrung der vergangenen Jahre, wird dies leider dauern.
Inwieweit siehst Du in der Anwendung von Injektionstherapien einen Mehrwert? Und falls es einen Mehrwert gibt, welche Injektionstherapien hältst Du für sinnvoll und ergänzend?
Auch Injektionstherapien haben ihren Platz im Werkzeugkasten einer guten Behandlung und sind sinnvoll, wenn anderes versagt oder als Ergänzung. Gerade bei Injektionen bin ich nie für den alleinigen Ansatz, so etwas muss immer in ein Gesamtkonzept eingebunden sein. Beispielsweise, um Entzündungsreaktionen in einem Knie zu reduzieren, bevor man Stabilisierungsübungen startet. Hierbei sollte man auch immer offen sein für neue Erkenntnisse. So gab es 2021 z. B. interessante Studien (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32679294/), die auf eine Überlegenheit von PRP Injektionen gegenüber Hyaluron hingedeutet haben. Das hätten viele vorher auch nicht erwartet, da ja auch in der Leitlinie Gonarthrose Hyaluron bereits als sinnvolle Option auch wissenschaftlich genannt wurde und sicherlich auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Therapie der Gonarthrose spielen wird. Ohne die Bedeutung oder Wirkung einer Option zu negieren und abzuschwächen, findet man also immer wieder auch neue Optionen mit guten Ergebnissen. Da sieht man wieder, wie wichtig gute wissenschaftliche Forschung ist, um alles immer wieder zu hinterfragen und damit für unsere Patienten immer das Beste herauszuholen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Autoren
studierte an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) Medizin und ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Er ist Leiter der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin in der Klinik für Rehabilitations und Sportmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Darüber hinaus ist Dr. Sturm Sprecher der Kommission Digitalisierung der Deutschen Gesellschaft für Physikalische und
Rehabilitative Medizin (DGPRM). Er ist Sportmediziner, Arzt für Manuelle Medizin und für spezielle Schmerztherapie.