Das British Journal of Sports Medicine (BJSM) veröffentlichte kürzlich eine Studie der Forschungsgruppen „Football Research Group“ um Jan Ekstrand aus Schweden und der „Isokinetic Medical Group“ um Francesco Della Villa aus Bologna. Ziel der Studie war die Darstellung der Re-Ruptur-Rate von vorderen Kreuzbandrupturen im Profifußball sowie deren wissenschaftliche Aufarbeitung.
Grundlage der Studie ist die weltweit größte Datensammlung an Verletzungen im Profifußball, der UEFA Injury Study, bei der seit nun 20 Jahren Verletzungsdaten der Vereine aus der UEFA Champions League gesammelt werden. Das Fazit dieser Studie ist, dass knapp jeder fünfte Profifußballer der 118 Studienteilnehmer mit einer vorderen Kreuzbandruptur eine erneute Ruptur erlitten hat. Schwerpunktmäßig hat es besonders diejenigen Spieler getroffen, die eine isolierte oder eine Nicht-Kontakt-Verletzung bei der primären Ruptur erlitten haben. Außerdem wurde ein leichter Trend zu einer Risiko-Minimierung für eine Re-Ruptur erkannt, wenn das Return-to-Training nach der Verletzung länger dauerte.
BJSM-Studie, Della Villa F et al 2021: https://bjsm.bmj.com/content/55/23/1379
Interpretation der Studie
Berücksichtigt man die gegebenen Limitationen eines solchen Studienprojektes mit den unterschiedlichen durchgeführten operativen Techniken der VKB-Plastik in Europa im Laufe der letzten 20 Jahre, sowie der rein epidemiologischen Berichterstattung über die Teamärzte und nicht durch die Operateure der VKB-Plastik, ist trotzdem von interessanten Daten zu sprechen. Die für diesen Studientyp recht große Studienpopulation repräsentiert für den weltweiten Profisport sicherlich diejenige Gruppe, bei der der zeitliche, sportliche und finanzielle Druck auf den Spielern und Clubs enorm hoch ist, sodass der Einfluss auf den OP-Zeitpunkt, die Reha-Phase und/oder die Rückkehr auf dem Platz dementsprechend hoch ist. Die Tendenz der länger notwendigen Reha-Phase bis Spieler in das Teamtraining einsteigen, ist ein wichtiges Ergebnis, um Druck vom Spieler zu nehmen. Die Zeitangaben sind hierbei nur indirekte Marker und können nicht verallgemeinert werden, deshalb ist es in jedem Einzelfall zu empfehlen, den zeitlichen Verlauf einer Reha nach einer VKB-Plastik mit regelmäßigen Funktionstestungen zu versehen und zu individualisieren, bei Profis sicherlich dreimal vor jeweils dem allgemeinen Return-to-Sports, Return-to-Teamtraining oder Return-to-Competition. Die Tatsache, dass isolierte Nicht-Kontaktverletzungen des vorderen Kreuzbandes eine Häufung für Re-Rupturen darstellen, kann auf eine individuelle Schwäche der Neuromotorik, eine Überbelastung des muskuloskelettalen Systems oder eine Besonderheit der Anatomie bei dem Betroffenen hindeuten. Diesem Aspekt sollte größte Bedeutung zugeordnet werden, sodass geschlussfolgert werden kann, dass nach einer VKB-Ruptur im Profifußball eine direkte Unfallanalyse gestartet werden muss, damit nach dem Return-to-Competition weiteren Verletzungen vorgebeugt werden. Eine solche Analyse möglicher Risikofaktoren bei entstandener VKB-Ruptur wird aktuell selbst im Profisport selten bis gar nicht praktiziert, sollte aber bei schwer erklärbaren Nicht-Kontakt-Rupturen angestrebt werden. Dass gerade isolierte VKB-Rupturen ein Trigger für Re-Rupturen sein sollen, könnte man einem gewissen Widerspruch vorwerfen, denn Begleitverletzungen an Binnenstrukturen des Kniegelenkes, wie Bändern oder Menisken, führen gewöhnlicher Weise durch verbleibende Instabilitäten, Rezidiv-Beschwerden und Imbalancen eher zu Folgeproblemen. Allerdings könnte diese Thematik gerade für Kniechirurgen eine wichtige Message sein und bei der kritischen Bewertung eines solchen Risikofaktors kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei den isolierten VKB-Rupturen auch um komplexere Unfallfolgen handeln könnte, die allerdings bisher übersehen wurden. Hierbei sind weniger begleitende Meniskus- oder Knorpelverletzungen zu nennen, welche während der durchgeführten arthroskopischen Operation gut zu identifizieren und zu behandeln sind. Es muss eher diskutiert werden, inwiefern begleitende partielle Rupturen des Außen- und Innenbandes hierbei nicht ausreichend detektiert oder adressiert werden. Insbesondere wenn der radiologische Befund von einer isolierten VKB-Ruptur spricht, muss neben der eigenen Bewertung der bildgebenden Diagnostik auch die tatsächliche klinische Stabilität der Kollateralbandstrukturen und deren Unversehrtheit überprüft werden, denn anteromediale bzw. -laterale sowie posteromediale bzw. -laterale Instabilitäten können leicht übersehen werden. Die Beantwortung einer solchen kritischen Bewertung dieser Ergebnisse ist mit dem Datensatz der UEFA Injury Study nicht komplett nachzuweisen, könnte aber eine plausible Erklärung sein, die auch dem praktischen Alltag in der Kniechirurgie entspricht.
Daten des „Kreuzbandregisters im Deutschen Sport“
Die Daten der UEFA Injury Study decken sich allerdings nicht komplett mit den Verletzungsdaten der vorderen Kreuzbandrupturen im Deutschen Sport. Im seit inzwischen sechs Jahren existierenden Register für vordere Kreuzbandrupturen von Amateur- und Profisport der Sportarten Fußball, Handball, Basketball und Eishockey, wurden fast 18 % Re-Rupturen im Fußball registriert, teilweise mit großen Unterschieden zwischen Profis und Amateuren. Die gleichzeitige Berücksichtigung der Ausfallzeiten von Amateuren und Profis zeigte allerdings genau das Gegenteil, dass nämlich im Fußball Profis signifikant weniger Re-Rupturen aufwiesen als Amateurfußballer, obwohl sie im Schnitt ca. 140 Tage früher wieder im aktiven Spielbetrieb partizipieren als Amateure. Der Vergleich der unterschiedlichen Spielklassen ist hierbei dem unterschiedlichen medizinischen Setting geschuldet, deutet aber auch darauf hin, dass das frühere Einsteigen der Profis nicht unbedingt als zu früh bewertet werden kann und der mittlere Return-to-Competition-Zeitpunkt von ca. 251 Tagen gegebenenfalls doch deutlich länger ist, als von betroffenen Spielern häufig erwartet wird. Ein Tribut, den Profifußballer für die frühere Rückkehr zahlen müssen, scheint aber die Rate an Folgeverletzungen an anderen Körperregionen zu zeigen, welche im „Kreuzbandregister im Deutschen Sport“ deutlich erhöht ist im Vergleich zu den Amateuren.
Wissenschaftliches Fazit und Praxisdefizit
Als wissenschaftliches Fazit zeigt sich allein bei der Betrachtung dieser Fragestellung, dass bestimmte Studienpopulationen (hier Fußballer in der Champions League) nicht unbedingt Rückschlüsse auf andere Fußball-Gruppen und Leistungsklassen zulassen. Aus diesem Grund ist es von großer Wichtigkeit, dass für den Amateur- und Leistungssport in Deutschland eigene Analysen durchgeführt werden. Diese Daten sind essentiell, um Schlussfolgerungen für den eigenen Praxisalltag ziehen zu können. Berücksichtigt man die Studienlage in Deutschland, so zeigt das „Kreuzbandregister im Deutschen Sport“ in ersten Auswertungen, dass es gravierende Unterschiede zwischen Profis und Amateuren gibt, allerdings, dass frühere Rückkehrzeiten nach Verletzungen nicht unbedingt Hauptverursacher für negative Verläufe sein müssen. Es gilt eher, diese Unfallsituationen noch intensiver durch Spieler, Vereine oder Ärzte zu analysieren und die tatsächlichen Einflussfaktoren auf Re-Rupturen zu finden. Gerade bei Nicht-Kontakt-Verletzungen muss davon ausgegangen werden, dass die Prävention von Re-Rupturen mit einer sofortigen Analyse von Einflussfaktoren beginnen sollte. Die (gegebenenfalls unentdeckten) Einflussfaktoren, die zur primären VKB-Ruptur führten, können auch nach erfolgter Rückkehr auf den Platz dazu führen, dass das Risiko einer Re-Ruptur ansteigt. Aus diesem Grund sollte die Situation genutzt werden, um direkt nach Auftreten der primären Verletzung eine Analyse der Einflussfaktoren und des Unfallmechanismus durchzuführen. Weitere Einflussfaktoren, wie der Verletzungszeitpunkt zu Saisonbeginn oder die kurzfristige Belastungssteigerung, sind zwei Einflussfaktoren, welche bereits durch wissenschaftliche Literatur nachgewiesen werden konnten.
Autoren
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er ist Gesellschafter SportDocsFranken in Nürnberg sowie am Universitätsklinikum Regensburg tätig. Außerdem ist Professor Krutsch Mitglied der Medizinischen Kommission des DFB + Task Force Sportmedizin & Spielbetrieb DFB & DFL, Vereinsarzt 1. FC Nürnberg, Gründer des „Kreuzbandregister im Deutschen Fußball“ und wiss. Beirat der sportärztezeitung.
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistenzarzt in der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Regensburg (Prof. Dr. Dr. V. Alt). Er ist Autor mehrerer Originalarbeiten zu Sportverletzungen sowie Ärztlicher Koordinator des „Kreuzbandregister im Deutschen Sport“.