Wirft man einen Blick in die öffentliche Sportberichterstattung sind Aussagen wie „Wir brauchen eine Pause, körperlich und mental“ häufig zu finden. Ferner spielt der Aspekt der mentalen Erholung in der sportpsychologischen Beratungs- und Betreuungstätigkeit regelmäßig eine Rolle. Doch welche Möglichkeiten haben Athleten, um sich mental zu erholen?
Zieht man Erkenntnisse aus der Arbeitspsychologie heran, sind Wichtigkeit und Wirkung mentaler Erholungspausen längst ein zentrales Thema und deren Nutzen für den Arbeitskontext weitreichend untersucht [1]. Demgegenüber spielt die mentale Erholung in der Sportwissenschaft erst seit kurzem eine Rolle und die Sportpraxis schreibt dem mentalen Erholungsaspekt zunehmend eine Bedeutung zu. Die letzten Entwicklungen im Leistungssport unterstreichen, dass sowohl die physischen als auch die psychischen Belastungen gestiegen sind [2]. Eine ganzheitliche Perspektive verdeutlicht, dass die Athleten multifaktoriellen Belastungsfaktoren ausgesetzt sind, die sich aus globalen (z. B. Schlafverhalten, unzureichende Erholungspausen, Leistungsdruck), sportspezifischen (z. B. Trainings- und Wettkampfplanung, Wettkampfreisen) und außersportlichen Einflussfaktoren (Doppelbelastung von Sport/Ausbildung) zusammensetzen. Eine sportspezifischere Betrachtungsweise betont zusätzlich, dass die Belastungsstruktur von Sportarten (z. B. Schwimmen, Sportschießen, Moderner Fünfkampf), in denen hohe kognitive Belastungen über einen längeren Zeitraum (z. B. mehrere Wettkämpfe an einem Tag) unter hohen physischen Belastungen gestellt werden, die Gefahr der Entwicklung einer mentalen Ermüdung erhöhen [3]. Dies verdeutlicht, dass sobald die individuelle Belastbarkeit der Athleten von den sportspezifischen und externen Trainings- und Wettkampfbelastungen überschritten wird, die individuellen Ressourcen zur Kompensation möglicherweise nicht mehr ausreichen, sodass ein mentaler Ermüdungszustand resultieren kann. Hieraus leitet sich die sportpraktische Notwendigkeit der Fokussierung auf mentale Erholungsmaßnahmen ab, mit denen einem akuten mentalen Ermüdungszustand positiv entgegengewirkt werden kann.
Mentale Ermüdung und mentale Erholung als zentrale Begriffe
Grundsätzlich wird unter dem Begriff der mentalen Ermüdung ein biopsychologischer Zustand verstanden, der aufgrund langanhaltender kognitiver und mentaler Belastungen entsteht und sich negativ auf die sportliche Leistungsfähigkeit auswirken kann [4]. Die Auswirkungen eines mentalen Ermüdungszustandes können sich auf drei Ebenen widerspiegeln, der psychologisch-subjektiven Ebene, der Verhaltensebene sowie der physiologischen Ebene [5]. Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass eine mentale Ermüdung hauptsächlich als ein gefühlsmäßig subjektiver Zustand wahrgenommen wird und die Auswirkungen sich auf den beiden erstgenannten Ebenen zeigen [6]. Die Kennzeichen auf der ersten Ebene umfassen ein gesteigertes Müdigkeitsempfinden, Aktivierungsmangel sowie eine verminderte Motivation und Aufmerksamkeit [5]. Das höhere Anstrengungsempfinden gilt hierbei als zentral, wodurch die sportspezifische Leistungsfähigkeit negativ beeinflusst wird. Das Hauptmerkmal auf der Verhaltensebene ist die Verminderung der kognitiven und motorischen Leistungsfähigkeit, die sich in einer eingeschränkten Konzentrationsfähigkeit, einer sinkenden Ausführungsgenauigkeit sowie einer Reaktionsverzögerung verdeutlicht. Eine Befragungsstudie zum Verständnis von mentaler Ermüdung ergänzt diese Erkenntnisse, da Aspekte wie eine gedankliche Loslösung, eine eingeschränkte Aufmerksamkeitslenkung sowie eine geringere Disziplin und Begeisterung als typisch beschrieben werden [6,3].
„Mentale Ermüdung ist für mich ein Mangel an Konzentrationsfähigkeit, der Motivation bzw. des eigenen Antriebs zu trainieren oder in einen Wettkampf zu gehen. War ich mental müde, habe ich Probleme gehabt, mich auf die Technikelemente und das eigentliche Rennen zu konzentrieren“. (ehemalige Leistungsschwimmerin und zweimalige Olympiateilnehmerin)
Das Konzept der mentalen Erholung umfasst den Prozess der Zurückgewinnung von kognitiven Fähigkeiten (z. B. Konzentrationsfähigkeit) sowie die Wiederherstellung mentaler Ressourcen durch die Reduzierung mentaler Anforderung während einer ausreichenden Erholungspause [7]. Demnach schließt mentale Erholung sowohl kognitive als auch emotionale Prozesse ein. Das Ziel einer kurzfristigen mentalen Erholung liegt darin, die Leistungsbereitschaft für nachfolgende Belastungsphasen sicherzustellen sowie die dafür benötigten Ressourcen mithilfe passender Erholungsmaßnahmen wiederzuerlangen. In Bezug darauf kommt der Erholungspause eine entscheidende Rolle zu, die es den Athleten ermöglicht, sich mental zu erholen [8]. Dabei erscheint das mentale Abschalten als besonders relevant, um durch einen Wechsel von Beanspruchung und Erholung das individuelle mentale Gleichgewicht wiederzuerlangen.
Mentale Erholungsstrategien im Sport
Eine gegenseitige Bedingung der verschiedenen Ebenen mentaler Ermüdung ist anzunehmen, jedoch erscheint es sinnvoll, dass mentale Erholungsstrategien hauptsächlich auf der subjektiv-psychologischen sowie der Verhaltensebene ansetzen. Typischerweise können psychologische Erholungsstrategien wie Selbstregulationstechniken, Strategien zur Ressourcenaktivierung sowie Entspannungsverfahren genutzt werden, um auf mentale und körperliche Reaktionen zu reagieren [9]. Um genauere Erkenntnisse über mentale Erholung im Leistungssport zu gewinnen, haben Loch und Kollegen den aktuellen Wissensstand zusammengefasst, mit dem Fokus auf mentale Erholungsstrategien für die Wettkampfpausen* [10]. Basierend darauf lassen sich psychologisch-orientierte Maßnahmen, zu denen Atemregulationstechniken, Vorstellungstraining, Maßnahmen zum Kurzschlaf (Powernap) oder das mentale Abschalten (Detachment) gezählt werden können und psychologisch-ergänzende Maßnahmen (z. B. Musik) unterscheiden (siehe Tabelle). Insgesamt können diese Strategien Athleten in der Belastungspause dabei unterstützen, die Stressreaktion zu reduzieren, das Erregungsniveau zu regulieren, das mentale Wohlbefinden zu steigern und Konzentration, Motivation sowie Aufmerksamkeit zu fördern, um nachfolgend das individuelle Leistungsoptimum zu erreichen [3].
Handlungsempfehlungen für die Sportpraxis
Bislang hat sich eine Trennung der Erholungsmaßnahmen von einer körperlichen und einer gesamt-psychischen Betrachtung etabliert, der Fokus sollte zukünftig aber auch auf der mentalen Erholung als eigenständiger Bereich liegen. Hierbei scheint Vermittlung und Erlernen von Selbstregulationsfähigkeiten – bestehend aus Selbstwahrnehmung, Selbstregulation und Selbstkontrolle – einen Nutzen für den mentalen Erholungsprozess zu haben [11]. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Athleten zwar zumeist erlernen, wie sie sich mental auf eine Belastungsphase vorbereiten (switch-on Schalter) aber nicht, wie sie sich in der Belastungspause effektiv mental erholen können (switch-off Schalter), erscheint es notwendig, erste Handlungsempfehlungen für das Konzept der mentalen Erholung im Sport zusammenzufassen [3].
- Mentale Erholung ist ein individueller Prozess, weshalb mentale Erholungsstrategien an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden sollten.
- Athleten sollten erlernen, den eigenen mentalen Zustand einzuschätzen,
um ein akutes Ungleichgewicht von Erholung und Beanspruchung zu erkennen. - Ein regelmäßiges Monitoring (z. B. Einsatz von psychometrischen Instrumenten) von mentaler Ermüdung und Erholung ermöglicht, bewusste Phasen mentaler Erholung zu planen und umzusetzen.
- Selbstgewählte und pro-aktiv eingesetzte Erholungsmaßnahmen können es ermöglichen, bestmöglich auf einen akuten mentalen Ermüdungszustand zu reagieren, um den Erholungsertrag zu erhöhen.
- Die Erarbeitung einer spezifischen Erholungsroutine (z. B. die Kombination von körperlichen und
mentalen Erholungsstrategien) für die Erholungspause ist hilfreich, um den Erholungsstatus zu optimieren.
* Loch, F., Ferrauti, A., Meyer, T., Pfeiffer, M., & Kellmann, M. (2019). Resting the mind – A novel topic with scarce insights. Considering potential mental recovery strategies for short rest periods in sports. Performance Enhancement & Health, 6, 148–155. doi:10.1016/j.peh.2019.04.002.
Literatur
[1] Sonnentag, S., & Fritz, C. (2015). Recovery from job stress: The stressor-detachment model as an integrative framework. Journal of Organizational Behavior, 36(S1), 72-103. doi:10.1002/job.1924
[2] Kölling, S., Loch, F., & Kellmann, M. (2019). Mentale Ermüdung und Erholung. In D. Hackfort (Hrsg.), Sport in Kultur und Gesellschaft (S. 1–13). Berlin: Springer. doi: 10.1007/978-3-662-53385-7_42-1
[3] Loch, F. & Kellmann, M. (2020). Mentale Ermüdung und Erholung. In T. Meyer, A. Ferrauti, M. Kellmann & M. Pfeifer (Hrsg.), Regenerationsmanagement im Spitzensport (Teil 2). Bonn: Bundeinstitut für Sportwissenschaft (BISp).
[4] Boksem, M. A. S., Meijman, T. F., & Lorist, M. M. (2005). Effects of mental fatigue on attention: An ERP study. Cognitive Brain Research, 25(1), 107-116. doi:10.1016/j.cogbrainres.2005.04.011
[5] Van Cutsem, J., Marcora, S. M., De Pauw, K., Bailey, S., Meeusen, R., & Roelands, B. (2017). The effects of mental fatigue on physical performance: A systematic review. Sports Medicine, 47(8), 1569–1588. doi:10.1007/s40279-016-0672-0.
[6] Russell, S., Jenkins, D., Rynne, S., Halson, S. L., & Kelly, V. (2019). What is mental fatigue in elite sport? Perceptions from athletes and staff. European Journal of Sport Science, 19, 1367–1376. doi:10.1080/17461391.2019.1618397.
[7] Balk, Y. A., de Jonge, J., Oerlemans, W. G. M., & Geurts, S. A. E. (2019). Physical recovery, mental detachment and sleep as predictors of injury and mental energy. Journal of Health Psychology, 24(13), 1828 – 1838. doi:10.1177/1359105317705980.
[8] Eccles, D. W., & Kazmier, A. W. (2019). The psychology of rest in athletes: An empirical study and initial model. Psychology of Sport and Exercise, 44, 90–98. doi:10.1016/j.psychsport.2019.05.007.
[9] Kellmann, M., Bertollo, M., Bosquet, L., Brink, M., Coutts, A. J., Duffield, R., … Beckmann, J. (2018). Recovery and performance in sport: Consensus statement. International Journal of Sports Physiology and Performance, 13(2), 240–245. doi: 10.1123/ijspp.2017-0759.
[10] Loch, F., Ferrauti, A., Meyer, T., Pfeiffer, M., & Kellmann, M. (2019). Resting the mind – A novel topic with scarce insights. Considering potential mental recovery strategies for short rest periods in sports. Performance Enhancement & Health, 6, 148–155. doi:10.1016/j.peh.2019.04.002.
[11] Balk, Y. A., & Englert, C. (2020). Recovery self-regulation in sport: Theory, research, and practice. International Journal of Sports Science & Coaching, 15(2), 273-281. doi:10.1177/1747954119897528.
Autoren
hat Sportwissenschaft (M.Sc.) an der Ruhr-Universität Bochum studiert und ist aktuell wiss. Mitarbeiter (u.a. in dem Projekt "Regenerationsmanagement im Spitzensport [REGman])" sowie Doktorand (Forschungsschwerpunkt mentale Ermüdung & mentale Erholung im Sport) am Lehr- und Forschungsbereich Sportpsychologie der Ruhr-Universität Bochum. Zudem ist er als sportpsychologischer Experte (asp) im Nachwuchs- und Leistungssport tätig.