Metabolische Erkrankungen nehmen weltweit an Bedeutung zu und körperliche Bewegung als Ansatzpunkt für deren Prävention und Behandlung spielt eine übergeordnete Rolle. Alleine in Deutschland gibt es aktuell ca. 8 Mio. Menschen mit einer diagnostizierten Diabeteserkrankung [1].
Die häufigste Form, Typ 2-Diabetes, beruht auf einer verminderten Insulinwirkung, von der zunehmend auch jüngere Menschen betroffen sind. Das Risiko, an einem Typ 2-Diabetes zu erkranken, setzt sich aus der individuellen genetischen Prädisposition, der so genannten Suszeptibilität und des Lebensstils der Person zusammen. Populationsweit haben sich innerhalb der letzten Dekaden weniger die genetische Architektur, sehr stark jedoch die Lebensstilfaktoren verändert. Der besorgniserregende Anstieg der Diabeteserkrankungen und das zunehmend geringere Durchschnittsalter bei Diagnose sind in unserer Gesellschaft vornehmlich auf Überernährung und Verringerung der körperlichen Aktivität zurückzuführen. Die aus einer solch chronisch positiven Energiebilanz häufig entstehende Adipositas stellt einen der Hauptrisikofaktoren für eine Diabetesentstehung dar.
Warum wird nun Sport so nachdrücklich im Rahmen der Prävention, aber auch Behandlung einer Diabeteserkrankung empfohlen? Natürlich kann regelmäßige körperliche Aktivität bei der Reduzierung des Körperfetts und der langfristigen Gewichtskontrolle helfen. Sogar bei bereits an Typ 2-Diabetes Erkrankten führt in einem Großteil der Fälle eine Gewichtsabnahme zu einer deutlichen Verbesserung der glykämischen Kontrolle. Eine bereits 2018 in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie zeigt sogar eine Remission des Diabetes in 86 % der Fälle nach einer Gewichtsabnahme von 15 kg [2]. Physische Aktivität ist jedoch nicht nur indirekt über die Reduzierung des Körperfettanteils an der Verbesserung der Glukosehomöostase des Körpers beteiligt, sondern wirkt auch ganz direkt auf den Skelettmuskel und dessen Physiologie. Der Skelettmuskel spielt für die Diabetesentstehung eine entscheidende Rolle, denn er ist für 70 – 90 % der postprandialen, also insulinstimulierten, Glukoseaufnahme aus dem Blut verantwortlich [3]. Insulin aktiviert eine Signalkaskade, die zu Phosphorylierung und Aktivierung verschiedener Serin-Threonin-Kinasen, insbesondere der Proteinkinase AKT, führt. Die Proteinkinase AMPK hingegen wirkt in ähnlicher Funktion wie AKT, wird jedoch über einen Anstieg von AMP nach Muskelkontraktion aktiviert. Parallel zum AMPK-vermittelten Signalweg ist bekannt, dass die kleine GTPase Rac1 eine wichtige Funktion in der kontraktionsstimulierten Glukoseaufnahme innehat. Diese wird im Gegensatz zur AMPK aber nicht über eine Änderung im Energiezustand der Zelle, sondern über den mechanischen Stress aktiviert, der durch die Muskelkontraktion selber verursacht wird. Sowohl AKT als auch AMPK phosphorylieren eine Vielzahl an für den Energiestoffwechsel des Muskels wichtigen Faktoren. Zwei davon, die zueinander stark homologen Proteine TBC1D1 (TBC (Tre-2/Bub2/Cdc16) domain family, member 1) und TBC1D4 (AS160, Akt substrate of 160 kDa) gehören zur Familie der RabGTPase-aktivierenden Protein (RabGAPs) und regulieren die Aktivität kleiner Rab-GTPasen, die wiederum an einer Vielzahl von Transportvorgängen innerhalb der Zelle beteiligt sind [4]. Sowohl Insulinstimulierung als auch Muskelkontraktion erhöht über diese Signalkaskaden die zelluläre Glukoseaufnahme aus dem Blutstrom über eine verstärkte Translokation des Glukosetransporters GLUT4. Interessanterweise ist im Muskel diabetischer Patienten zwar die insulinstimulierte, jedoch nicht die kontraktionsvermittelte Glukoseaufnahme gestört [5]. Für Diabetiker könnten diese Signalwege einen wichtigen Ansatzpunkt für neue Therapien bedeuten.
Aktuelle Studie am DDZ
In einer aktuellen Studie am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) in Düsseldorf wurde nun die kontraktionsstimulierte Glukoseaufnahme im Skelettmuskel genauer untersucht. In einem murinen Modell wurden die bisher bekannten Signalproteine für die insulin- und kontraktionsstimulierte Glukoseaufnahme inaktiviert. Dabei zeigte sich, dass das regulatorische Netzwerk aus zwei miteinander verknüpften Systemen besteht, dem AKT/TBC1D1/4-Signalweg und dem AMPK/Rac1-Signalweg, die einander kompensieren können. Nur die kombinierte Inaktivierung aller dieser Faktoren war in der Lage, die kontraktionsvermittelte Glukoseaufnahme in den Muskel vollständig zu inhibieren [6]. Dieser duale Mechanismus könnte nun auch die Grundlage für die lang bekannte Additivität der Wirkungen von Insulin und Muskelkontraktion bei der Glukoseaufnahme und die daraus resultierende Verbesserung der Insulinwirkung durch Sport bilden. Die Gründe für diese verschiedenen, auf den ersten Blick redundanten Stoffwechselwege sind wahrscheinlich in unserer Evolution zu finden und ein Indiz für eine extrem hohe Bedeutung dieser zellulären Prozesse. Die Aufnahme von Glukose als wichtigstem Energiesubstrat in den Muskel spielt eine essentielle Rolle in der Fortbewegung, vor allem aber auch während des Fluchtverhaltens. Sollte in einem dieser Mechanismen eine Störung auftreten, wären Flucht und Bewegung weiterhin gesichert. Für Diabetiker bedeutet dies in der Zukunft, dass es sicher auch pharmakologisch wirksame Ansatzpunkte für Therapien geben könnte. Auch im Rahmen einer Diabetesprävention ist es denkbar, dass gerade in jungen, sportlich aktiven Menschen deren genetische Suszeptibilität gegenüber Diabetes bestimmt wird und, auf Basis der im Rahmen der Grundlagenforschung beschriebenen Prozesse, in der Zukunft individualisierte Trainingsprogramme entwickelt werden könnten.
Die neuen Befunde der Studie könnten außerdem die Medizin bei der Beantwortung der Frage unterstützen, warum einzelne Menschen in der Verbesserung ihrer Glykämie unterschiedlich auf Sport ansprechen. Jüngst zeigte eine neue Analyse der Deutschen Diabetes-Studie (GDS) am DDZ, dass sich Typ 2-Diabetiker anhand ihrer Stoffwechseleigenschaften und zirkulierenden Blutfaktoren in unterschiedliche Subgruppen aufteilen lassen, die sich maßgeblich hinsichtlich ihres Risikos, diabetesbedingte Komplikationen zu entwickeln, unterscheiden [7]. Diabetes-Patienten bestimmter Subgruppen könnten in Zukunft von einer präzisionsmedizinischen Behandlung profitieren, die auf den neuen Erkenntnissen der grundlagenwissenschaftlichen Studie aufbaut.
Literatur
[1] https://www.diabetesde.org/
[2] Lean ME, Leslie WS, Barnes AC, Brosnahan N, Thom G, McCombie L, Peters C, Zhyzhneuskaya S, Al-Mrabeh A, Hollingsworth KG, Rodrigues AM, Rehackova L, Adamson AJ, Sniehotta FF, Mathers JC, Ross HM, McIlvenna Y, Stefanetti R, Trenell M, Welsh P, Kean S, Ford I, McConnachie A, Sattar N, Taylor R. Primary care-led weight management for remission of type 2 diabetes (DiRECT): an open-label, cluster-randomised trial. Lancet. 2018 Feb 10;391(10120):541-551. doi: 10.1016/S0140-6736(17)33102-1. Epub 2017 Dec 5. PMID: 29221645
[3] Evans PL, McMillin SL, Weyrauch LA, Witczak CA. Regulation of Skeletal Muscle Glucose Transport and Glucose Metabolism by Exercise Training. Nutrients. 2019 Oct 12;11(10):2432. doi: 10.3390/nu11102432. PMID: 31614762 Free PMC article. Review.
[4] Mafakheri S, Chadt A, Al-Hasani H. Regulation of RabGAPs involved in insulin action. Biochem Soc Trans. 2018 Jun 19;46(3):683-690. doi: 10.1042/BST20170479. Epub 2018 May 21. PMID: 29784647 Review.
[5] Jessen N, Goodyear LJ. Contraction signaling to glucose transport in skeletal muscle. J Appl Physiol (1985). 2005 Jul;99(1):330-7. doi: 10.1152/japplphysiol.00175.2005. PMID: 16036906 Free article. Review.
[6] Originalpublikation: Wendt, C., Espelage, L., Eickelschulte, S., Springer, C., Toska, L., Scheel, A., Bedou, A. D., Benninghoff, T., Cames, S., Stermann, T., Chadt, A., Al-Hasani, H. Contraction-mediated glucose transport in skeletal muscle is regulated by a framework of AMPK, TBC1D1/4 and Rac1. Diabetes 2021, DOI: https://doi.org/10.2337/db21-0587. PMID: 34561225
[7] Zaharia OP, Strassburger K, Strom A, Bönhof GJ, Karusheva Y, Antoniou S, Bódis K, Markgraf DF, Burkart V, Müssig K, Hwang JH, Asplund O, Groop L, Ahlqvist E, Seissler J, Nawroth P, Kopf S, Schmid SM, Stumvoll M, Pfeiffer AFH, Kabisch S, Tselmin S, Häring HU, Ziegler D, Kuss O, Szendroedi J, Roden M; German Diabetes Study Group. Risk of diabetes-associated diseases in subgroups of patients with recent-onset diabetes: a 5-year follow-up study. Lancet Diabetes Endocrinol. 2019 Sep;7(9):684-694. doi: 10.1016/S2213-8587(19)30187-1. Epub 2019 Jul 22. PMID: 31345776
Die im Artikel erwähnte Studie am DDZ [6]: Wendt, C., Espelage, L., Eickelschulte, S., Springer, C., Toska, L., Scheel, A., Bedou, A. D., Benninghoff, T., Cames, S., Stermann, T., Chadt, A., Al-Hasani, H. Contraction-mediated glucose transport in skeletal muscle is regulated by a framework of AMPK, TBC1D1/4 and Rac1. Diabetes 2021, DOI: https://doi.org/10.2337/db21-0587. PMID: 34561225
Autoren
ist Molekularbiologin und stellv. Leiterin der AG Pathobiochemie im Institut für Klinische Biochemie und Pathobiochemie des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ) in Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.