Innerhalb der großen Gruppe der Mikronährstoffe hat Vitamin D in jüngerer Zeit eine besondere Beachtung erfahren. Es hat in seiner biologisch aktiven Form den Charakter eines Hormons und ist an einer Vielzahl von Schlüsselfunktionen beteiligt, die auch für die Sportmedizin von großer Bedeutung sind.
Lange Zeit im Fokus: die skelettale Bedeutung des Vitamin D
Schon frühzeitig nach seiner Entdeckung vor knapp 100 Jahren wurde die große Bedeutung von Vitamin D für die Knochenbildung erkannt [1, 2]. Dies führte dazu, dass sich die Forschung auf die skelettale Gesundheit fokussierte und Vitamin D primär mit Knochengesundheit assoziiert wurde. In jüngerer Zeit zeigen allerdings immer mehr Studien die herausragende Bedeutung von Vitamin D für die allgemeine Körpergesundheit und den Zusammenhang mit einer Vielzahl chronischer Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 oder Hypertonie und anderen kardiovaskulären Erkrankungen [3 – 6]. Vitamin D kann auf physiologische Weise im Körper hergestellt werden. Für diese endogene Synthese ist Sonnenlicht unverzichtbar. Nach Zwischenschritten in Haut und Leber entsteht in der Niere Calcitriol, die biologisch aktive Form des Vitamin D (Abb. 1). Als Transkriptionsfaktor reguliert es nach seiner Bindung an den Vitamin-D- Rezeptor die Expression unterschiedlicher Proteine in der Zelle.
Booster des Immunsystems bei chronischen und infektiösen Erkrankungen
Interessanterweise exprimiert die Mehrheit der Körperzellen Vitamin-D-Rezeptoren auf ihrer Oberfläche, was die Bedeutung von Vitamin D weit über das Skelettsystem hinaus aufzeigt. In seiner aktiven Form kann Vitamin D als Hormon in die Synthese unterschiedlicher Zytokine regulierend eingreifen [7]. Dabei inhibiert es die Produktion proinflammatorischer Zytokine, während es die Synthese antiinflammatorischer Signalmoleküle hochreguliert [8]. Es unterstützt die Differenzierung der Lymphozyten in Th2-Zellen und in regulatorische T-Zellen [7]. Diese antiinflammatorische und immunmodulierende Wirkung könnte seine Bedeutung für die Prävention und Therapie infektiöser und chronischer Erkrankungen erklären. Studien zeigen seine antivirale Wirkung im Zusammenhang mit Influenzainfektionen [9, 10]. Auch in der aktuellen COVID-19-Pandemie wird der Nutzen von Vitamin D zunehmend aufgezeigt [11, 12].
Bedeutung von Vitamin D für die Sportmedizin
Aus den dargestellten Aspekten ergeben sich wichtige Gesichtspunkte für die Sportmedizin. Die skelettale Wirkebene ist für einen stabilen Bewegungsapparat, der auch extremen Belastungen standhält, ebenso bedeutsam wie für eine rasche und vollständige Frakturheilung nach Verletzungen. Der antiinflammatorische Aspekt in Verbindung mit einem verringerten Entzündungsgrad der Muskulatur ist für eine rasche Heilung im Zusammenhang mit Mikroverletzungen bei hoher Trainings- und Wettkampfbelastung bedeutsam [13]. Auch die immunmodulatorische Ebene ist im Hinblick auf das besonders beanspruchte Immunsystem des Leistungssportlers von nicht zu unterschätzender Bedeutung, gerade im Hinblick auf virale Erkrankungen. Von speziellem Interesse für die Sportmedizin sind die Erhöhung der maximalen Sauerstoffaufnahme [14] und die verbesserte Belastbarkeit des kardiopulmonalen Systems [15]. Im Zusammenhang mit 0Aufbau und Leistungsfähigkeit der Muskulatur wird eine besondere Bedeutung für Muskelfasern des Typs II herausgestellt, z. B. für Fußballer [16]. Insgesamt spricht vieles dafür, dass Vitamin D Leistung und Regeneration fördert und die Verletzungsanfälligkeit senkt (Abb. 2). Allerdings zeigen hier neuere Untersuchungen inkonsistente Ergebnisse, es besteht noch großer Forschungsbedarf. Unklarheit herrscht insbesondere in Bezug auf den individuell optimalen Vitamin-D-Status [17].
Bestimmung des Vitamin-D- Spiegels und die Definition einer Hypovitaminose
Die dargestellten Erkenntnisse zeigen die Bedeutung eines angemessenen Vitamin-D-Spiegels. Zu seiner Bestimmung ist die 25[OH]D-Serumkonzentration als verlässlicher Marker anerkannt [18]. Je nach Untersuchungslabor wird die Vitamin-D-Konzentration in Nanogramm per Milliliter [ng/ml] oder in Nanomol per Liter [nmol/l] angegeben, wobei 1 nmol/l äquvalent ist zu 0,4 ng/ml. Die Definition eines gesunden Vitamin-D-Spiegels und einer Hypovitaminose wird kontrovers diskutiert. In der Literatur wird ein Spiegel von unter 30 ng/ml [75 nmol/l] als Vitamin-D-Mangel angesehen [19 – 21]. Viele Studien berichteten über einen allgemeinen Vitamin-D-Mangel in unterschiedlichen Ländern, auch in Deutschland [19, 22, 23]. In einer aktuellen Pilotstudie an medizinischem Personal einer Universitätsklinik hatten von 24 teilnehmenden Personen 85,7 % einen Vitamin-D-Mangel mit einem Wert von unter 30 ng/ml, wobei 45,8 % sogar einen Wert von unter 10 ng/ml hatten [24].
Aktuelle Richtlinien für die Vitamin-D-Supplementierung
Da die endogene Vitamin-D-Synthese in den meisten Fällen aufgrund limitierter Sonnenbestrahlung unzureichend ist, sollte der Vitamin-D-Bedarf des Körpers exogen in Form von Nahrung oder Nahrungsergänzungsmitteln erfolgen. Allerdings reicht die Einnahme von Vitamin D über die Ernährung nicht aus, weshalb eine weltweite, meist unterschätzte Pandemie des Vitamin-D-Mangels besteht [18, 19]. Die Menge des aufgenommenen Vitamin D kann in zwei Einheiten ausgedrückt werden: Mikrogramm [µg] und Internationale Einheiten [IE]. Ein Mikrogramm ist äquivalent zu 40 internationalen Einheiten [1 µg entspricht 40 IE]. Die aktuellen Dosisempfehlungen nationaler und internationaler Einrichtungen basieren hauptsächlich auf einer Einschätzung des Bedarfs für die Knochengesundheit. Sie variieren stark und liegen im Bereich von 400 bis 4.000 IE/d [23, 25 – 27]. Die US-amerikanische Organisation GrassrootsHealth sammelte Daten über die Unbedenklichkeit einer täglichen Dosis von 10.000 IE/d, ohne unerwünschte Nebenwirkungen zu beobachten [28]. Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit ordnet eine tägliche Dosis von 10.000 IE/d als unbedenklich ein, empfiehlt aber, 4.000 IE/d nicht zu überschreiten [25]. Eine Sichtung der Sicherheitsdaten in randomisierten kontrollierten klinischen Studien mit einer Tagesdosis von 5.000 bis 10.000 IE/d zeigte keine Vitamin-D-Intoxikation. Lediglich in Studien aus den 1930er- und 1940er-Jahren mit extrem hohen Tagesdosen von Vitamin D zwischen 60.000 und 600.000 IE/d wurde über Hyperkalzämie als Folge der unphysiologisch hohen Dosen berichtet [24].
Dosisempfehlung für gesunde Erwachsene
Basierend auf den gesichteten Daten empfehlen die Autoren, einen Vitamin-D-Spiegel zwischen 40 und 80 ng/ml im Serum anzustreben. Die aktuelle Studienlage belegt mit zunehmender Evidenz, dass eine relativ hohe Tagesdosis notwendig ist, um diese Werte zu erreichen. Die Dosierung sollte individuell unter Laborkontrolle erfolgen. Bei einem Vitamin-D-Mangel im Hinblick auf den genannten Grenzwert (weniger als 40 ng/ml) sollte eine tägliche Dosis von 10.000 IE/d für drei Monate verabreicht werden, um den Mangel auszugleichen. Als Erhaltungsdosis für einen Vitamin-D-Wert im Bereich von 40 bis 80 ng/ml eignet sich eine tägliche Dosis von 5.000 IE/d. Wenn es zu einer Überschreitung dieses Bereiches kommen sollte (> 80 ng/ml), empfiehlt es sich, die Dosis auf 1.000 IE zu reduzieren. Der Vitamin-D-Wert sollte alle drei Monate kontrolliert werden, um die Dosis dem individuellen Bedarf anzupassen (Abb. 3). Im Falle von eingeschränkten Organfunktionen oder metabolischen Erkrankungen sollte die Dosis entsprechend individualisiert werden.
Wenn Vitamin D über einen längeren Zeitraum gegeben wird, sollte es mit Vitamin K2 (MK-7) kombiniert werden, um die bei Vitamin D grundsätzlich mögliche Hyperkalzämie auszuschließen [29]. Vitamin K2 sorgt dafür, dass die von Vitamin D im Darm absorbierten und in den Nieren rückresorbierten Mineralien vom Blut in die Knochen gelangen. Das Verhältnis der beiden Vitamine sollte 100 μg Vitamin K2 auf 10.000 IE Vitamin D sein. Bisher ist wenig bekannt über das Ausmaß des kurzfristigen individuellen Bedarfs an Vitamin D in Extremsituationen. Hierzu gehören große Operationen, aber auch Phasen sportlicher Spitzenleistungen. Hier kann es sinnvoll sein, für einen begrenzten Zeitraum den genannten Dosisbereich deutlich zu überschreiten und Laborkontrollen in kürzeren Abständen durchzuführen.
Literatur
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Autoren
ist leitender Oberarzt und Stellvertreter des Klinikdirektors, Klinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie Universitätsklinikum Frankfurt und hat Doktortitel in Medizin
und Zahnmedizin.
ist aufgrund seiner Pionierarbeit in der Keramikimplantologie einer der bekanntesten und erfahrensten biologischen Zahnärzte in Europa. Er ist Gründer und Inhaber von SDS Swiss Dental Solutions AG und der Swiss Biohealth Clinic in Kreuzlingen.
ist Zahnärztin in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum, Goethe Universität Frankfurt am Main und studiert und promoviert zusätzlich in Medizin. Von 2016 bis 2017 war sie wiss. Mitarbeiter im FORM-Lab.
ist Facharzt für Allgemeinmedizin. Er war langjährig in eigener Praxis sowie im medizinisch-wissenschaftlichen Bereich tätig, seit 2019 bei der SDS Swiss Dental Solutions AG und in der Swiss Biohealth Clinic in Kreuzlingen.