„Relative Energy Deficiency in Sports“, kurz RED-S ist ein komplexes Syndrom, welches als Folge einer geringen Energieverfügbarkeit auftritt (siehe Abbildung). Im weitesten Sinne kann RED-S als Erweiterung der Triade der sporttreibenden Frau („Female Athlete Triad“) verstanden werden, welche zuerst Mitte der 1990er Jahre als das gemeinsame Auftreten von gestörtem Essverhalten, Amenorrhoe und Osteoporose beschrieben wurde.
Die Ätiologie der Symptome der Triade und somit auch von RED-S liegt, wie bereits erwähnt, primär in einer geringen Energieverfügbarkeit. Dies bedeutet, dass die Menge der Energiezufuhr über die Nahrung nach Abzug des Energieverbrauchs durch sportliche Betätigung zu gering ist, um grundlegende physiologische Prozesse aufrechtzuerhalten. Als Folge dessen schaltet der Körper in ein „Energiesparprogramm“: Es kommt zu einer Unterdrückung von nicht-essentiellen Prozessen (z. B. Reproduktion, Wachstum) und einer Mobilisation von körpereignen Energiereserven (Fettgewebe, Muskelgewebe), um alle überlebenswichtigen Körperfunktionen aufrechtzuerhalten. Bei Frauen können z. B. Menstruationsstörungen bis hin zum Ausbleiben der Regelblutung als wichtiges Signal für eine Unterdrückung der Reproduktionsfunktion dienen. Bei Männern ist eine Diagnose in Ermangelung eines so deutlichen Warnsignals schwieriger. Zu den am häufigsten beschriebenen Symptomen eines Energiedefizits zählen u. a. eine erhöhte Verletzungs- und Infektanfälligkeit sowie gastrointestinale Beschwerden.
Fallbeispiel Ausdauersportler
Wie divers die Symptome eines RED-S sind und wie schwierig es sein kann, diese in der Praxis richtig zu deuten, zeigt in aller Härte der Fall eines unserer Autoren, nämlich von Simon Hoyden, ehemaliger Weltmeister (Langstrecke) und deutscher Meister (Kurz- und Langstrecke) im Duathlon. Als Langstreckenläufer lief er bereits mit 17 Jahren die 10 km in 33 Minuten und öffnet sich 2002 die Tür in den Leistungssport. Von Beginn an hat Hoyden, trotz athletischen und robusten Körperbau, mit einer hohen Verletzungs- und Infektanfälligkeit zu kämpfen. 2010 erlangt er ein Sportstipendium (Langstreckenlauf) in den USA. Verletzungen erschwerten das Lauftraining, sodass Hoyden nach Abschluss des Stipendiums den Weg zum Triathlon/Duathlon einschlägt. Trotz regelmäßiger Beschwerden und Trainingsausfällen wird er 2014 und 2016 deutscher Meister im Duathlon (Kurz- und Langdistanz) sowie 2015 Weltmeister in der Langdistanz. 2017 erhält er die Diagnose Chronisches Erschöpfungssyndrom. Im Verlauf der Jahre hat Simon Hoyden immer wieder mit Symptomen zu kämpfen, welche einen normalen Trainingsrhythmus und auch das soziale Leben erschweren. Die von Hoyden subjektiv wahrgenommen Symptome sind in Tabelle 1 gelistet und werden nachfolgend exemplarisch auf Basis von vorliegenden Befunden im Kontext eines RED-S diskutiert.
Tab. 1 Überblick der Symptome
Wahrgenommene Symptome |
» Häufige Infekte und Verletzungen
» Muskelschmerzen & -krämpfe » Müdigkeit & Erschöpfung↑ » Stresslevel & Nervosität↑ » Schlafstörungen » kalte Hände & Füße » Nachtschweiß » Kopfschmerzen » Wassereinlagerungen » Verdauungsprobleme » Libido↓ » Depressive Verstimmungen » Konzentration↓ |
Knochengesundheit und Verletzungen
Achillodynie, Schleimbeutelentzündungen, Läuferknie ITBS, überwiegend jedoch Tibiakantensyndrom. Auffällig waren lange Heilungsperioden (ca. 3 Monate) und nicht erfolgreiche Therapien. Rückblickend liegt die Vermutung eines nicht diagnostizierten Ermüdungsbruchs in der Tibia nahe. Eine Untersuchung der Knochenstruktur hätte für Klarheit sorgen können. Ein erhöhtes Risiko für Stressfrakturen ist aufgrund der verminderten Knochengesundheit bei Sportlern (männlich und weiblich) mit RED-S häufig zu beobachten. In der Praxis sollten Sportärzte dementsprechend für ein Auftreten von Stressfrakturen bzw. andere Verletzungen des Skelettsystems sensibilisiert sein.
Endokrinologisch
Bereits 2003 wurde eine latente Hypothyreose diagnostiziert. Eine Behandlung und Ursachenerforschung blieb aus. Forschungsergebnisse zeigen jedoch deutlich, dass Störungen des Schilddrüsenhormonhaushalts einem RED-S zuzuordnen sein können. Als Hormon, welches maßgeblich an der Regulation des Energiestoffwechsels beteiligt ist, kommt es als Folge eines Energiemangels zu einer Absenkung von T3. 2009 wurde erneut eine latente präklinische Hypothyreose mit tendenziell erniedrigtem T3 festgestellt, wobei TSH noch im Normbereich war. Eine Supplementierung mit 200 mg Jod verlief erfolglos. Eine Autoimmunthyreoditis wurde ausgeschlossen. Symptome, welche einer Schilddrüsenunterfunktion entsprachen (Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Verstopfung, Konzentrationsschwäche, Leistungsverlust und Gewichtszunahme), versuchte man von 2010 einschleichend mit L-Thyroxin und Thybon, erfolglos, zu lindern. Durchgeführte Speicheltest zeigten verminderte Testosteronwerte und eine fehlende circadiane Rhythmik im Cortisol. Ein Morbus Addison wurde durch einen ACTH Stresstest ausgeschlossen. Den vorliegenden Hormonmangel versuchte man durch die Gabe von 10mg Hydrocortison (HC) (5 – 2,5 – 2,5 mg) auszugleichen.
„Am zweiten Tag der Therapie konnte ich erstmals seit 3,5 Monate wieder Sport treiben. Nach ca. 5 Wochen bin ich wieder beschwerdefrei im Trainingsalltag und kann meinen Alltag bewältigen“, vermerkte Hoyden im Trainingstagebuch. Auch hier blieb ein langfristiger Behandlungserfolg aus. HC wurde abgesetzt. Es folgten Wechselphasen aus Training und Trainingsphasen, je nach Schweregrad der auftretenden Symptome. Vor dem Hintergrund eines möglichen RED-S sind solche hormonellen Veränderungen nicht verwunderlich. Wie bereits erwähnt, stellt der Körper im Energiemangel nicht lebensnotwendige Funktionen ein, was zu einer Absenkung von Hormone, die den Energiehaushalt und Reproduktion regulieren, führt. Insbesondere der Testosteronmangel kann bei von RED-S betroffenen Männern zu einem Verlust der Libido führen – so wie auch phasenweise von Hoyden berichtet.
Metabolisch
Im Rahmen einer Leistungsdiagnostik in 2009 wird bei subjektiver maximaler Ausbelastung (HF von 187) eine maximale Laktatkonzentration von 3,76 mmol/l gemessen, was auf eine Glykogenverarmung hinweist. Es wird vermutet, dass eine Dysregulation zwischen hoher ventilatorischer Ausbelastung und niedriger metabolischer Ausbelastung vorliegt. Der Grund soll eine metabolische Myopathie wegen hoher CK-Werte sein, was sich aber nicht bestätigt.
Hämatologisch, kardiovaskulär, gastro-Intestinal und psychologisch
Ab 2003 sind die Eisendepots (u. a. Ferritinwert ,HB, Hämatokrit) bei Hoyden nur knapp ausreichend oder unterhalb des Normbereichs. Nach Infekten traten u. a. Herzrhythmusstörungen, Herzrasen, erhöhte HF Werte (Ruhe & Belastung) auf. Eine Myokarditis wird ausgeschlossen. Bereits 2004 liegt bei Hoyden ein Sportlerherz vor. Die HF Werte waren zunächst in schlechten Phasen erhöht, später konnte die HF auch unter Belastung nicht mehr angehoben werden. Es zeigten sich Verdauungsstörungen, wie z. B. Verstopfung und Bauchkrämpfe. Aufgrund starker Müdigkeit war für Hoyden die Bewältigung des Alltags herausfordernd. Eine Teilnahme am Training und sozialen Leben war im Alter von 27 Jahren kaum möglich. Diese Beeinträchtigungen
waren begleitet von depressiven Verstimmungen.
Wie geht es Simon Hoyden heute?
2017 begann Hoyden eine Therapie (Aminosäureninfusionen, Supplementierung von Mikronährstoff) zur Behandlung des Erschöpfungssyndroms, die später auch mit einer Erhöhung der Nahrungszufuhr und verminderten Training einherging. Durch die verbesserte Nährstoffzufuhr und Minimierung des Trainings wurden Symptome gelindert. Heute bestehen keinerlei Einschränkungen im Alltag. Rückwirkend steht für Hoyden fest, dass deutlich zu wenig Energie, im Alltag und vor allem während den Trainingseinheiten zugeführt wurde. Eine adäquate Zufuhr von Energie oder Makronährstoffen wurde von Trainern nie thematisiert.
Fazit
Trotz fortschreitender Forschung und Aufmerksamkeit ist RED-S nach wie vor in der Praxis zu unbekannt. Aufgrund der hohen Prävalenz, insbesondere in Ausdauersportarten, sollten Sportmediziner für Symptome, die mit RED-S in Zusammenhang stehen können, sensibilisiert sein. Bei der Behandlung eines RED-S ist es vor allem wichtig, die Ursache zu erkennen – wobei die Ernährung eine zentrale Rolle einnimmt. Daher sollten im Rahmen einer Behandlung auch Ernährungsberater einbezogen werden.
Literatur
[1] Mountjoy, M., Sundgot-Borgen, J., Burke, L., Carter, S., Constantini, N., Lebrun, C., Meyer, N., Sherman, R., Steffen, K., Budgett, R., & Ljungqvist, A. (2014). The IOC consensus statement: Beyond the Female Athlete Triad—Relative Energy Deficiency in Sport (RED-S). British Journal of Sports Medicine, 48(7), 491–497. https://doi.org/10.1136/bjsports-2014-093502
Autoren
ist TÜV Rheinland zertifizierter Personaltrainer und Diplom Personaltrainer (IST). Er ist selbstständiger Personalfitnesstrainer und Inhaber „PULS 190 effektiv trainieren“ in Dortmund und Weltmeister sowie deutscher Meister Duathlon.
ist Biologin, promovierte im Fachbereich Humanernährung und arbeitet heute als wiss. Mitarbeiterin und Dozentin an der Technischen Universität München. Im Rahmen ihrer Forschung beschäftigt sie sich intensiv mit den Ursachen und Folgen von RED-S. Darüber hinaus arbeitet sie auch aktiv als Ernährungsberaterin mit Sportlern (männlich und weiblich) zusammen.
ist Diplom-Ernährungswissenschaftler und leitet seit 2019 die Professur für Bewegung, Ernährung und Gesundheit an der Technischen Universität München. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit dem Zusammenspiel von Ernährung und Sport zur Optimierung der körperlichen Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Im Rahmen dieser Forschung bestehen zahlreiche Kooperation mit Sportfachverbänden und dem Olympiastützpunkt Bayern.