Die TSG 1899 Hoffenheim gilt nicht nur für Insider im internationalen Profifußball als Vorreiter der Digitalisierung und strukturierter Datenerfassung. Gemeinsam mit ihrem Technologiepartner SAP haben sie mit der Softwarelösung SAP Sports One den Grundstein gelegt, von der in den vergangen Jahren nicht nur die gesamten Arbeitsprozesse im Profifußball, sondern in vielen Sportarten profitieren konnten und in Zukunft profitieren werden.
Trotz dieser beeindruckenden Erfolgsstory steht selbst der Branchen Primus Ende 2019 in der Kritik, durch den Verzicht auf eine Operation die Karriere eines Spielers leichtsinnig aufs Spiel gesetzt zu haben. Dieser Beitrag soll weder dazu beitragen, die kontrovers geführte Diskussion um die Behandlung eines Kreuzband- und Meniskusrisses zu befeuern, noch zu beurteilen, ob medizinische Behandlungsschritte den höchsten medizinischen Standards entsprechen. Vielmehr soll dieser Beitrag dem Leser einen Einblick in die unterschiedlichen Perspektiven eines Klubs am Beispiel des 1. FC Nürnberg ermöglichen und Argumente gegen die zum Teil sehr oberflächlich geführte Diskussion „kurzfristiger sportlicher Erfolg vs. langfristige gesundheitliche Schäden“ liefern.
Sportbezogene Informationen & Entscheidungen
Die Steuerung im Profifußball funktioniert nach ähnlichen Mechanismen wie die Steuerung von Unternehmen mit klassischen Geschäftsmodellen. Die Top-Kennzahl ist jedoch auf den ersten Blick der Tabellenplatz nach dem Spieltag, anstatt klassisch ergebnisorientierte Kennzahlen, wie beispielsweise EBIT. Um mittelfristig seine sportlichen und wirtschaftlichen Ziele zu erreichen, müssen aber auch die entscheidenden Werttreiber gesteuert werden (Abb. 1). Der 1. FC Nürnberg arbeitet daher seit 2012 mit SAP zusammen und hat im Rahmen einer Co-Innovationspartnerschaft seine gesamten Arbeits- und Entscheidungsprozesse durch eine Cloud basierte Standardlösung optimieren können. Neben den klassischen finanziellen Transaktionen wurden erstmals mit Hilfe von SAP Sports One sämtliche sportbezogene Informationen (Training, Fitness und Prävention, Medizin, Scouting, etc.), für die operative Steuerung der jeweiligen Entscheidungsträger auf einer Plattform zusammengefasst. Zielsetzung ist dabei immer, die bestmögliche Informationsqualität in Echtzeit zur Verfügung zu stellen und damit die Spielerverfügbarkeit durch optimale Prävention und Leistungssteuerung sicherzustellen.
Die Menge an auswertbaren Informationen ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Neben den selbst generierten Daten können externe Daten von Dienstleistern erworben werden (Abb. 2). Die automatisierte Datenerfassung, -kontrolle und -veredelung ermöglicht es dem 1. FC Nürnberg, den Aufwand in administrativen Prozessen, wie z. B. der Flut von Sensoren-, Spiel- und Trainingsdaten durch künstliche Intelligenz und Algorithmen zu minimieren und sich auf die Entscheidungsfindung und nicht auf die Entscheidungsherbeiführung zu konzentrieren.Die adressatengerechte Aufbereitung der Informationen für Spieler, Physiotherapeut, Arzt, Trainer, Co- Trainer, Leistungsdiagnostiker, Analyst und Management spielt hier eine Schlüsselrolle (Abb. 3). Da allen Beteiligen sämtliche für sie notwendigen Informationen in Echtzeit zur Verfügung stehen, kann stärker datengetrieben und faktenbasiert diskutiert und entschieden werden.
Im Fußball werden kritische Entscheidungen häufig auf dem Spiel- bzw. Trainingsplatz getroffen. Ganz entscheidend dabei ist, in welcher Phase der Saison man sich befindet bzw. wie viele Spiele ein Spieler in einer bestimmten Zeitspanne zu absolvieren hat (Liga, Pokal, internationale Wettbewerbe, Nationalmannschaft). Nur wenn das Trainerteam die relevanten Informationen in den entscheidenden Spiel- oder Trainingsmomenten zur Verfügung hat, können die richtigen Impulse gesetzt und Entscheidungen (wie z. B. Auswechslung, Einzel- vs. Gruppentraining, Kraft- vs. Rehabilitationstraining) getroffen werden (Abb. 4).
Akzeptanz von Analysen
Beim 1. FC Nürnberg konnte darüber hinaus beobachtet werden, dass die Analysen breitflächiger vom Trainerteam und von Spielern genutzt werden, wenn sie über mobile Endgeräte abrufbar sind. Die nutzerfreundliche Darstellung und Bedienung von Reporting Apps erleichtert die Auswertung der für die jeweilige Person entscheidungsrelevanten Daten und erhöht die Akzeptanz von Analysen. Die mobile Dateneingabe und der mobile Zugriff auf Informationen führen insbesondere im medizinischen Bereich bei Prävention, Behandlung und Leistungssteuerung zu besseren Entscheidungen. So wird beispielsweise bei der Erfassung der Verletzung der Trainer per automatischer Nachricht sofort informiert und ist nun nicht mehr in der Lage, den Spieler für zukünftige Trainingseinheiten technisch ohne weiteres zu planen. Wird der Spieler in der Praxis dennoch für ein Spiel, Trainingseinheit eingesetzt, könnte dies im Reporting des Managements automatisch erkennbar sein und intensive Diskussionen über „kurzfristiger sportlicher Erfolgs vs. langfristige gesundheitliche Schäden“ im Management auslösen. Abschließend bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass die Dynamik der Digitalisierung im Profifußball so schnell voranschreitet wie noch nie. Dies wird für Mitarbeiter, Spieler und Dienstleister neue Tätigkeitsbereiche im Profifußball schaffen. Weiterhin werden alle Beteiligten akribisch an dem Thema „Spielerverfügbarkeit“ arbeiten, um immer jüngeren Nachwuchsspielern Einsatzminuten im Profifußball zu ermöglichen und Karrieren von Spielern zu verlängern. Einsatzminuten von jungen klub- bzw. verbandsausgebildeten Spielern werden bei der Verteilung der TV Gelder in der sogenannten Nachwuchssäule berücksichtig. Dadurch konnte der 1. FC Nürnberg die für die Konsolidierung der wirtschaftlichen Verhältnisse wichtigen Erträgen neben denen aus Spielertransfer generieren. In der Saison 2017/18 schaffte man trotzt intensiver Konsolidierung den sportlichen Wiederaufstieg in die 1. Bundesliga (Abb. 5).
Fazit
Nicht nur für den 1. FC Nürnberg wird der Wettbewerbsdruck im Profifußball u.a. durch die zu erzielenden TV-Gelder immer größer. Die Spieler werden bei ihrem Debüt immer jünger und absolvieren immer mehr Spiele in kürzeren Abständen. Eine Schlüsselposition, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, kommt dabei der Sportmedizin zu. Dieser Beitrag soll dazu beitragen, genau diese Schlüsselposition aufzuzeigen und die Diskussion um die Digitalisierung der Sportmedizin im Spitzensport zu befeuern.
Autoren
verantwortet seit 2012 die Finanzen beim 1. FC Nürnberg. Neben seiner Dozenten-Tätigkeit an Hochschulen und Kongressen ist er Mitglied in der Kommission Finanzen der Deutschen Fußball Liga (DFL).
ist Director Global Business Development Sports, SAP und begleitet seit 2014 internationale Klubs, Verbände und Ligen auf und neben dem Platz bei den Herausforderungen der digitalen Transformation.
ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und leitet das Curathleticum Nürnberg. Außerdem war Dr. Brem von 2007-2021 Mannschaftsarzt des 1. FC Nürnberg (Fußball) und ist aktuell Vereinsarzt der Nürnberg Falcons BC (Basketball) sowie Mannschaftsarzt HCE (Bundesliga Handball) sowie wiss. Beirat der sportärztezeitung.