Das normale Altern wird stereotyperweise oft mit einem universellen Rückgang in Gehirnstruktur und -funktion und damit einhergehend nachlassenden motorischen und kognitiven Funktionen assoziiert. Insbesondere die Bereiche Gedächtnis und Exekutivfunktionen zeigen Leistungseinbußen, was sich in einer Atrophie von Gehirnregionen zeigt, die diese kognitiven Domänen, nämlich der Hippocampus und der präfrontale Kortex (PFC), bedienen.
Beim pathologischen kognitiven Altern ist der strukturelle und funktionelle Rückgang viel dramatischer und mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden. Leichte kognitive Beeinträchtigung (Mild Cognitive Impairment, MCI) bezeichnet den klinischen Zustand zwischen normalem Altern und früher Demenz dar. MCI ist durch einen Rückgang der kognitiven Fähigkeiten (insbesondere des Gedächtnisses) gekennzeichnet, der größer ist als derjenige, der im normalen Alter auftritt, aber nicht schwer genug, um als Demenz eingestuft zu werden. Demenz ist ein allgemeiner Begriff für jede Krankheit, die eine Veränderung des Gedächtnisses und/oder der Denkfähigkeiten hervorruft, die schwerwiegend genug ist, um die Alltagstätigkeiten einer Person zu beeinträchtigen (Autofahren, Einkaufen, das Ausbalancieren eines Tablets, Arbeit, Kommunikation usw.) (Abb. 1). Aus der aktuellen Studienlage geht hervor, dass eine wirksame Prävention von nachlassenden kognitiven Funktionen [MCI] und (Alzheimer)Demenz (AD) noch nicht Realität ist. Dies könnte sich zwar zukünftig ändern, z. B. durch Fortschritte in der pharmakologischen Forschung, jedoch wird in den letzten Jahren zunehmend gefordert, sich auf potenziell protektive Lebensstilfaktoren (u. a. Schlaf, Ernährung, Bewegung) zu konzentrieren, um das Risiko kognitiver Störungen zu verringern. Körperliche Aktivität ist dabei eine vielver-sprechende, primär verhaltensorientierte und nicht-pharmakologische Strategie zur Verzögerung oder Abwendung der schädlichen Auswirkungen des Alterns auf die Gesundheit des Gehirns [1].
Körperliche Aktivität, Inaktivität und Sedentariness
Körperliche Aktivität bezieht sich auf jedes menschliche Verhalten, die Bewegung z. B. in Haushalt, Sport oder Freizeit mit sich bringt, die von den Skelettmuskeln erzeugt wird, zu einem erhöhten Energieverbrauch (gemessen über Grundumsatz, Thermogenese und aktivitätsbezogenen Energieverbrauch) und verbesserter körperlicher Fitness führt ([2, 3], Abb. 2). Körperliche Inaktivität bezieht sich auf einen unzureichenden Umfang an moderater bis hoher Aktivität und gilt als das größte Gesundheitsproblem des 21. Jahrhunderts. Nachweislich sterben mehr Menschen an inaktivitätsbedingten Folgen als durch Rauchen, Diabetes und Fettleibigkeit zusammen. Sie wird als viertgrößter Risikofaktor für die weltweite Sterblichkeit eingestuft, wobei in Deutschland jährlich ~ 7,5 % der gesamten Todesfälle darauf zurückgeführt werden [4]. Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, das sitzende Verhalten (engl. Sedentariness) von körperlicher Inaktivität zu unterscheiden. Sedentariness wird definiert als jegliche Art von Verhalten, die im Wachzustand in sitzender, zurücklehnender oder liegender Haltung mit geringem Energieaufwand (≤ 1.5 metabolisches Äquivalent der Aufgabe) durchgeführt wird. Sie gilt als unabhängiger Prädiktor für das metabolische Risiko, selbst wenn eine Person die aktuellen Richtlinien für körperliche Aktivität erfüllt [5]. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung [6] gibt Empfehlungen für verschiedene Bewegungsdimensionen für ältere Erwachsene ab 65 Jahren (Abb. 3). In Deutschland erfüllen etwa 42 % der Erwachsenen ab 65 Jahren die Empfehlungen für Ausdauer- und 26 % für Krafttraining [7]. Eine weitere, weit weniger optimistische Studie zeigte, dass ältere Erwachsene in Deutschland 78,8 % ihrer Wachzeit mit sedentären Verhaltensweisen, 18,6 % in Aktivitäten mit moderater Intensität und nur 2,6 % in moderater bis hoher Intensität verbringen [8].
Exekutive Funktionen (EF)
EF sind ein Überbegriff für die übergeordneten „top-down“ kognitiven Prozesse, die die Koordination von Denken und Handeln ermöglichen und die mit verhaltens- und neurophysiologischen Methoden gemessen werden. Die EF bestehen aus einer Reihe von Grundfähigkeiten, die die Hemmung präpotenter Reaktionen (Inhibition), den Wechsel zwischen mentalen Repräsentationen (kognitive Flexibilität) und die Aktualisierung von im Arbeitsgedächtnis gehaltenen Repräsentationen umfassen [9]. Die Leistungsfähigkeit in jedem dieser verschiedenen Bereiche wurde als wichtige Determinante für das Gesundheitsverhalten identifiziert [10]. Die Fähigkeit, unerwünschte Reaktionen zu hemmen, kann beispielsweise dazu beitragen, gesundheitsschädliche Verhaltensweisen, wie z. B. Rauchen oder übermäßigen Alkoholkonsum, zu vermeiden. Eine altersbedingte Beeinträchtigung in den Bereichen Arbeitsgedächtnis und Hemmung von Impulsen ist weitgehend nachgewiesen [11]. Das normale Altern scheint auch durch eine allgemeine Verringerung der kognitiven Flexibilität gekennzeichnet zu sein, die als Aufmerksamkeitswechsel und Aufgabenverlagerung definiert wird [12].
Effekte körperlich-sportlicher Aktivität auf die Gehirngesundheit sowie die kognitive Leistungsfähigkeit
Studien bei gesunden älteren Erwachsenen: Studien, die die Auswirkungen von langfristiger, körperlicher Aktivität auf die kognitive Funktionen bei gesunden älteren Erwachsenen untersuchten, belegen bestenfalls moderate Effekte für Aktivitäten mit mittlerer bis starker Intensität auf die kognitive Leistungsfähigkeit [13,14]. Die Effektstärken sind am größten bei den Maßen der EF, der globalen Kognition und der Aufmerksamkeit. In einer Metaanalyse von 39 RCT verbesserte das zumeist durchgeführte Ausdauertraining die EF, das episodische Gedächtnis, die visuell-räumliche Funktion, die Wortflüssigkeit, die Verarbeitungsgeschwindigkeit und die globale kognitive Funktion [15]. Zudem fallen die Effekte für das aerobe Training im Vergleich zu Krafttraining oder multimodalen Interventionen (Kraft und Ausdauer) meist höher aus. Ein kürzlich erschienenes systematisches Review [16] bestätigt jedoch, dass sich durch Krafttraining erhebliche Veränderungen in der funktionellen Hirnfunktion hervorrufen lassen, insbesondere im PFC, die wiederum mit Verbesserungen der EF einhergingen. Darüber hinaus führt Krafttraining zu einer geringeren Atrophie der weißen Substanz und zu kleineren Läsionsvolumen der weißen Substanz. Studien mit bildgebenden Verfahren zeigen, dass aerobes Training das rechte und linke anteriore Hippocampusvolumen vergrößern [13,17]. Allerdings dürfen auch hier Befunde nicht überinterpretiert werden, da bislang nur wenige langfristig angelegte Studien mit ausreichender Stichprobengröße die Auswirkungen von Trainingsinterventionen auf das Hippocampusvolumen bei älteren Erwachsenen untersucht haben [18]. Ältere Erwachsene, die sich mit einer geringeren Anzahl an sitzenden Aktivitäten beschäftigen, schneiden bei einer Vielzahl von EF als auch Gedächtnisaufgaben besser ab als ihre überwiegend sitzenden Altersgenossen. Darüber hinaus scheint die Zeit, die in verschiedenen Arten von sitzenden Aktivitäten (Fernsehen, Lesen, Musik hören usw.) verbracht wird, unterschiedlich mit den EF zu korrelieren [19]. Es sind jedoch weitere Studien erforderlich, um die am stärksten betroffenen Altersbereiche, Geschlechtsunterschiede, Dosis-Wirkungs-Parameter, die zur Optimierung der Aktivitätseffekte erforderlich sind, sowie Hirn-Biomarker zu bestimmen [14].
Studien bei älteren Erwachsenen mit MCI oder AD: Zahlreiche prospektive Beobachtungsstudien, die Personen über längere Zeiträume verfolgten geben Hinweise darauf, dass größere Umfänge an körperlicher Aktivität mit einem verringerten Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und Demenz verbunden sind [14]. In diesen Studien werden kognitiv gesunde Personen über einen längeren Zeitraum verfolgt, um zu bestimmen, ob körperliche Inaktivität und Sedentariness mit einem Risiko für die Entwicklung kognitiver Beeinträchtigung verbunden ist. Beispielsweise ergab eine Metaanalyse von Sofi et al. [20] mit 15 prospektiven Studien mit einer Dauer von 1 bis 12 Jahren und mehr als 33.000 Teilnehmern, dass höhere Umfänge von körperlicher Aktivität mit einem um 38 % verringerten Risiko für kognitive Beeinträchtigung verbunden sind. Eine weitere Metaanalyse von 10 prospektiven Studien mit mehr als 20.000 Teilnehmern berichtete, dass höhere Aktivitätsumfänge mit einem um 40 % verringerten Risiko, an Demenz zu erkranken, assoziiert war [21]. Bewegung ist ebenso ein möglicher Ansatz zur Behandlung der Symptome von Demenz, was darauf hindeutet, dass Bewegungsinterventionen zur Verbesserung der Kognition bei Personen mit einer klinischen Demenzdiagnose beitragen können [14,22]. Beispielsweise ermitteln Groot und Kollegen [23] über 18 RCTs von 802 Demenzpatienten hinweg einen standardisierten Gesamtmittelwertsunterschied von 0,42 für hochfrequente als auch niederfrequente Interventionen; dieser Effekt war auch signifikant für Personen mit AD oder in Studien, die AD und Nicht-AD-Demenz kombinierten. Allerdings verweisen Erickson und Kollegen [14] auch darauf, dass angesichts der erheblichen Heterogenität in den Studiendesigns, des Mangels an angemessener Beschreibung wichtige Parameter der körperlichen Aktivität (Art, Umfang, Häufigkeit, Intensität) sowie der erheblichen Variabilität der verwendeten kognitiven Tests es bestenfalls eine moderate Evidenz dafür gibt, dass Bewegungsinterventionen die kognitive Leistungsfähigkeit bei Personen mit einer aktuellen Demenzdiagnose verbessern.
Welche Mechanismen werden für die Zugewinne in der kognitiven Leistungsfähigkeit herangezogen?
Während die potenziellen positiven Auswirkungen von Bewegung auf die Kognition und die Gehirngesundheit bei älteren Erwachsenen gut bekannt sind, sind die Mechanismen, die dieser Assoziation zugrunde liegen, noch nicht vollständig verstanden. Die meist untersuchte Hypothese, die die positive Wirkung habituell körperlicher Aktivität auf die kognitive Leistungsfähigkeit erklärt, ist die so genannte neurotrophe Hypothese (Abb. 4). Hier wird angenommen, dass Ausdauertraining auf molekularer und zellulärer Ebene Neuroplastizität anregt. So führt die trainingsbedingte erhöhte zentrale Zirkulation von neurotrophen und Wachstumsfaktoren (BDNF, IGF-1, VEGF) zur Hochregulation von Neurogenese, Synaptogenese, Gliogenese und Angiogenese. Durch die Hochregulierung der gliogenen und neurogenen Prozesse erhöht aerobes Training das Volumen der weißen Substanz, während Gliogenese, Neurogenese und Synaptogenese das Volumen der grauen Substanz erhöhen. Diese strukturellen Veränderungen werden wahrscheinlich durch eine verbesserte zerebrovaskuläre Funktion als Folge von körperlicher Aktivität hervorgerufen. Daher kann die Angiogenese die strukturellen Veränderungen des Volumens der grauen und weißen Substanz durch eine verbesserte zerebrovaskuläre Funktion und Perfusion vermitteln. Dies ist entscheidend für das neuronale Wachstum und die Synapsenbildung, da eine größere Blutversorgung für die Bereitstellung ausreichender Nährstoffe zur Unterstützung der neuronalen Entwicklung unerlässlich ist. Zudem führen trainingsinduzierte Strukturveränderungen zu einer erhöhten Effizienz der neuronalen Aktivierung und Kommunikation. Letztendlich führt Bewegung durch diese Mechanismen zu verbesserten kognitiven und motorischen Funktionen. Aus der Perspektive der neurotrophen Hypothese führt ein aktiver Lebensstil zu dauerhaften Veränderungen, die die Struktur und die Funktionsfähigkeit des Gehirns und folglich die kognitive Gesundheit positiv beeinflusst [17].
Es wurden auch alternative Hypothesen vorgeschlagen, wie z. B. die neuroinflammatorische Hypothese (Verringerung von neurodegenerativen Erkrankungen des Gehirns durch Modifikation der gliavermittelten Neuroinflammation; [24]) sowie die Aufwands[Effort] Hypothese. Letztere besagt, dass es einen bidirektionalen Zusammenhang zwischen sportlicher Aktivität, willentlicher Kontrolle und den EF gibt: während einerseits Übung und Training zu einer Verbesserung der Konnektivität neuronaler Ressourcen und damit einer besseren kognitiven Leistungsfähigkeit führt, so ist andererseits die Aufnahme bzw. Aufrechterhaltung gesunden Verhaltens (hier körperliche Aktivität) von den Kontrollmöglichkeiten sowie der Effektivität der EF abhängig [25].
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass körperliche Aktivität, insbesondere aerobes Training, aber auch eine nur gering ausgeprägte sitzende Lebensweise durch eine Reihe von Mechanismen das Potenzial hat, die Gesundheit des Gehirns im Alter zu unterstützen. Zusätzlich zu den Vorteilen für das Herz-Kreislauf-System hat körperliche Aktivität positive Auswirkungen auf Biomarker im Blut, physiologische und psychologische Faktoren, die eng mit den kognitiven Funktionen verbunden sind. Besonders vielversprechend sind Multikomponenten-Interventionen, die körperliche Aktivität mit geistiger Stimulation und sozialen Aktivitäten kombinieren.
Literatur
[1] Schott N, Krull K. Stability of Lifestyle Behavior – The Answer to Successful Cognitive Aging? A Comparison of Nuns, Monks, Master Athletes and Non-active Older Adults. Front Psychol. 2019;10:1347. Published 2019 Jun 7. doi:10.3389/fpsyg.2019.01347
[2] Caspersen CJ, Powell EC, Christenson GM: Physical activity, exercise, and physical fitness: definitions and distinctions for health-related research. Public Health. 1985, 100: 126–131.
[3] Pettee Gabriel KK, Morrow JR, Jr., Woolsey AL. Framework for physical activity as a complex and multidimensional behavior. J Phys Act Health. 2012;9(Suppl 1):S11-8.
[4] Siefken, K & Titze, S. The global observatory for physical activity presents a portrait of physical activity worldwide. Deutsche Zeitschrift fuer Sportmedizin, 2016,67(3):64-67.
[5] Tremblay MS, Aubert S, Barnes JD, Saunders TJ, Carson V, Latimer-Cheung AE, Chastin SFM, Altenburg TM, Chinapaw MJM, SBRN Terminology Consensus Project Participants. Sedentary Behavior Research Network (SBRN) – Terminology Consensus Project process and outcome. Int J Behav Nutr Phys Act. 2017 June 10;14(1):75.
[6] Rütten A, Pfeifer K. Nationale Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung. FAU, Erlangen-Nürnberg 2016.
Autoren
ist promovierte Sportwissenschaftlerin und Direktorin des Instituts für Sport- und Bewegungswissenschaft an der Universität Stuttgart. Seit 2010 hat sie dort die Professur für Psychologie und Bewegungswissenschaften.