Unsere Füße sind das Fundament des menschlichen Körpers. Sie sorgen für Halt, Fortbewegung und Gleichgewicht. Im Gegensatz zum Fundament eines Hauses müssen uns unsere Füße sowohl statisch stützen, wenn wir aufrecht und am Platz sind, als auch dynamisch unterstützen – wenn wir aktiv sind.
Sie sind ein Meisterwerk der Natur mit 26 Knochen (ohne Sesambeine), 114 Bändern und 33 Gelenken. In der Fußsohle selbst befinden sich über 100-mal mehr Propriozeptoren als in anderen Körperregionen [10]. Diese senden ihre Information zusammen mit der Position der Gelenke, der Spannung / Entspannung der Bänder, der Muskeln und der Haut an das ZNS weiter. Gerade im Leistungssport kommen Verletzungen der Füße und der Beinachse eine große Bedeutung zu. Im VBG-Sportreport 2019 findet sich nach Analyse des Unfallgeschehens in den zwei höchsten Ligen der Männer (Basketball, Eishockey, Fußball, Handball) prozentual Tab. 1.
Daraus resultierend stellt die sensomotorische Integration in der Reha sowie der Prävention einen wirkungsvollen Mechanismus dar, um etwaigen Verletzungen des Fußes vorzubeugen oder zu rehabilitieren. Das Verständnis der neurologischen Integrationsmechanismen sowie ein biomechanisches Verständnis des Fußes sind dafür die Grundlage.
Neurologie und Integration
Die Hauptaufgabe unseres Gehirns und Nervensystems ist es, unser Überleben zu sichern. Jede Situation und Handlung wird sofort bewertet, ob von ihr potentiell eine Gefährdung für uns ausgeht. Im Mittelpunkt stehen alle lebenserhaltenden Funktionen, die autonom ablaufen können. Die reflexiven Verschaltungen dienen ebenfalls der Gewährleistung von Sicherheit, wie bspw. unsere Schutzreflexe sowie die reflexive Stabilisierung unseres Körpers. Sportliche Performance und Höchstleistungen sind demnach in der Priorität unseres Gehirns nachgeordnet, getreu dem Motto “Survival and Saftey first – Performance second!” Das menschliche Nervensystem empfängt Input, interpretiert und analysiert diesen und reagiert dann mit einem Output. Diese komplette neurologische Schleife ist in der Trainingsbetrachtung wichtig, gerade wenn es darum geht unsere Basis – die Füße – nach Verletzungen und im Performancebereich zu trainieren. In diesem Artikel wollen wir Bewegung als Output betrachten, wohin gegen vegetative Anpassungen (Herz-, Atmenfrequenz, etc.) als Output seperat betrachtet werden können. Alle Sinnensinformationen (sensorischer Input) über den Zustand unserer Umgebung (Exterozeption) und des Körpers (Propriozeption und Interozeption) werden permanant gesammelt und an das Gehirn weitergeleitet. Dieser Input wird dann vom Gehirn analysiert, schließlich integriert und interpretiert. Daraufhin kommt es zu einem Output (Efferenz), bspw. einem motorischen Output (Muskelkontraktion am Fuß). Je besser die Qualität und Quantität der eintreffenden Information ist, umso besser ist in der Regel auch der motorische Output.
Es gibt also verschiedenen Möglichkeiten für den Trainer und Therapeuten, den Input für das Nervensystem zu beeinflussen. Unterschiedliche Sinnensreize haben eine unterschiedliche Priorität für das Nervensystem und beeinflussen diese in unterschiedlichem Maße. Dabei folgt das Nervensystem der Hirarchie nach Wichtigkeit: Visuelles System > Vestibuläres System > Propriozeption. Eine Kombination der unterschiedlichen Systeme in Reha- und Trainingsprozess für Athletinnen und Athleten ist oftmals am Erfolgversprechendsten. Im weiteren Verlauf setzen wir unseren Fokus in der Arbeit mit dem Fuß auf den propriozeptiven Teil. Jede Bewegung gibt uns eingehende Informationen, die es zu verarbeiten gilt. Grundlage dafür ist das biomechanische Bewegungsverständnis und seine -möglichkeiten.
Biomechanik des Fußes
Unser gesamter Körper besteht aus 207 Knochen, 360 Gelenken und 639 Muskeln, die sich alle in drei Bewegungsebenen bewegen und mit der Schwerkraft, unserer Körpermasse und den Bodenreaktionskräften reagieren [13]. Einmal in Bewegung gesetzt, tickt unser Gehapparat fast so gleichmäßig wie ein Uhrwerk. Mit jedem Schritt wird ein Teil der Vorwärtsenergie in Sehnenspannung und einem sanften Anheben der Körpermasse zwischengespeichert (Energiespeicherkapazität), um dann fast verlustfrei in Vortrieb zurückverwandelt zu werden [2, 3, 5, 9]. Jede Form von Gelenkbewegung (Winkeländerungen), Spannungsänderungen in Sehnen und Bändern (Bindegewebsstrukturen) sowie Längenänderungen der Muskulatur werden als Input an unser Gehirn weitergeleitet. Gibt es biomechanische Einschränkungen aufgrund von etwaigen Traumata (Verletzungen, Operationen, Narben) oder „Nicht“-Nutzung, ist die Qualität und Quantität der im ZNS ankommenden Information verändert (fehlendes / fehlerhaftes Bodymapping). Dies hat unmittelbaren Einfluss auf unseren Output (bspw. die Stabilisationsfähigkeit des Fußes bei Landung).
Wenn wir gehen, sprechen wir von Gangzyklen. Ein Zyklus (100 %) ist der Zeitraum, der zwischen zwei aufeinander folgenden initialen Bodenkontakten desselben Fußes liegt und kann in eine Stand- (60 %) und eine Schwungphase (40 %) unterteilt werden [8]. Das Verständnis der korrekten biomechanischen Abläufe nach dem Aufsetzen des Fußes auf den Boden (closed chain) sind wichtig, um gegebenenfalls Abweichungen erkennen zu können (Ganganalyse, manuelle Untersuchung, Testing des Fußes). Setzt das Fersenbein (Calcaneus) des Schwungbeins auf dem Boden (Initial Contact) auf, initiiert der Bodenkontakt und die sich gleichzeitig über dem Fuß nach vorne verschiebende Körpermasse eine dreidimensionale biomechanische Kettenreaktion. Diese setzt sich nach vorne in den Fuß sowie der Beinachse entlang folgend nach oben zum Becken hin fort [7] (Tab. 2).
Hier gibt es verschiedene Interventionsmöglichkeiten, um über eine verbesserte Beweglichkeit und Ansteuerungsfähigkeit des Fußes den sensorischen Input zu verbessern. Rollt der Fuß von der Ferse weiter in Richtung Vorderfuß ab, kommt es im Vorderfuß zu einer Abduktion, Dorsiflexion sowie einer Inversion. Der Rückfuß durchläuft eine Adduktion, Plantarflexion und Eversion [7, 12]. Dem Talus wird eine maßgebliche Aufgabe zuteil, da er eine primäre Sagittalebenenbewegung zum Unterschenkel hin in eine Transversalebenenbewegung umwandelt („Torqueconverter“; Innenrotation der Beinachse) [6]. Dabei kommt es zu einer Längung der die Beinachse umgebenden Muskeln (load), die die Bewegung abbremsen, uns vor dem Fallen schützen und in der Vortriebsphase des Beins (Schwungphase) die gespeicherte Energie wieder abgibt (explode).
Dies ist umso wichtiger zu verstehen, um gegebenenfalls Interventionen des Fußes auf dem Behandlungstisch nachahmen zu können (open chain). Die Hände des Therapeuten werden hier “zum Boden” und simulieren das Feedback des Bodens (Bodenreaktionskraft) auf den Fuß. Dabei können die Ebenenbewegungen des Fußes abgebildet werden. Manuelle Interventionen können über den Druck, die auf den Fuß einwirkenden Kraft sowie die Bewegungsgeschwindigkeit (Sequenzierung) des Trainers & Therapeuten modelliert werden. Es gilt also, die 5 Teilphasen der Standphase manuell abzubilden. Innerhalb der Standphase unterscheidet man zwei Aufgaben, denen jede Phase zugeordnet werden kann: Der initiale Kontakt (Teilphase 1 „Initial Contact“) sowie die Belastungsantwort (Teilphase 2, „Loading Response“) dienen der Aufnahme der Körperlast („Weight Acceptance“). Die mittlere Standphase (Teilphase 3, „Mid Stance“) und die terminale Standphase (Teilphase 4, „Terminal Stance“) dienen dem monopedalen Stützen („Single Limb Support“), während dessen das gesamte Körpergewicht auf einem Bein lastet. Die fünfte Teilphase ist die Vor-Schwungphase („Pre-Swing“) [9].
Die Körpermasse und die Erdanziehung, die normalerweise die 3-dimensionale Kettenreaktion auslösen, sind auf dem Behandlungstisch nicht wirksam. Dies berücksichtigend ist eine manuelle Intervention mit dem Fuß des Athleten auf dem Boden nach Möglichkeit vorzuziehen, um den sensorischen Input möglichst realitätsnah abzubilden. Die manuelle Intervention kann man mit den im Folgenden genannten sensorischen Input kombinieren, was oftmals noch bessere Resultate erzeugt.
Sensorischer Input am Fuß für Reha und Performance
Unser Gehirn erstellt ununterbrochen Landkarten der Wahrnehmung und Orientierung unseres Körpers im Raum. Um dabei eine gute Vorhersehbarkeit der Bewegung zu haben, benötigt das Gehirn möglichst viele Informationen, und zwar von dort, wo die Bewegung stattfindet. Das sind in erster Linie die Gelenke sowie ihre umliegenden Strukturen. So ist unser Gehirn in der Lage, anhand der von den verschiedenen Gelenken des Körpers eintreffende Signale (Lage & Winkelveränderung im Verhältnis zur Zeit) die Bewegungsgeschwindigkeit der Körperteile zueinander zu berechnen. Unser Körper erhält darüber jeweils zeitaktuell die Information seiner 3-dimensionalen Ausrichtung und Position im Raum. All diese im Gehirn zusammenlaufenden Signale werden über verschiedenartige Sensoren vermittelt. Der Tastsinn beinhaltet die drei Qualitäten Druck (Merkel-Zellen, Ruffini-Körperchen), Berührung (Meissner-Körperchen, Harrfollikelsensoren) und Vibration (Vater-Pacini-Körperchen). Der Temperatursinn nimmt Veränderungen der Hauttemperatur wahr und unterscheidet zwischen Wärme- und Kälteempfindungen (Kalt- und Warmsensoren). Die Tiefensensibilität (Muskelspindeln, Golgi-Sehnenorgan, Gelenksensoren) informiert das Gehirn über die Position und Bewegung des Körpers [1, 4, 11].
Die verschiedenen Rezeptortypen können am Fuß gezielt stimuliert werden (Input). Diese Interventionen liefern von Sportler zu Sportler sehr unterschiedliche Resultate (Output) und müssen individuell überprüft werden. Ein Indiz, ob der applizierte Reiz einen positiv modulierenden Effekt für das Nervensystem (Integration & Interpretation) hatte, kann eine Vergrößerung des Bewegungsradius, eine verbesserte Ansteuerungsfähigkeit oder auch ein reduziertes Schmerzempfinden in der Region eines Traumas sein. Folgende Techniken können flächig oder punktuell angewendet werden:
- leichte oberflächliche Berührung (mit der Hand / Taping) oder Vibration (niedrig-/hochfrequent Hz) auf/unter dem Fuß sowie vor und/oder während der Bewegung
- festerer Druck auf das Gewebe (Kompressionstechniken, Flossing)
- Wärme- und/oder Kältestimulation (Wärme- oder Coolpacks)
- Druck auf die Region mit einem scharfkantigen und stumpfen Gegenstand (klein- & großflächig)
Um den sensorischen Input beim Athleten bestmöglich zu applizieren, ist eine ausführliche Anamnese unerlässlich. Dazu gehört u. a. die Erfassung von periphere Neuropathien, orthopädischen Operationen, etwaige Narben, Narben, Tattoos, Nervenschädigungen, Bänderdehnungen und Operationswunden. Die betroffenen Regionen ergeben in der zentralen Verschaltung oft unklare Körperkarten und können über die oben genannten Techniken verbesserte werden. Nicht zu vergessen ist, dass all die aus der Peripherie eintreffenden Informationen im ZNS mit den Informationen des visuellen und vestibulären Systems integriert werden. Erst diese Integration ermöglicht es eine vollständige Körperlandkarte im dreidimensionalen Raum zu erstellen.
Fazit
Die Integration von zusätzlichen sensorischen Input in die Trainings- und Rehabilitationsroutine führt zu einer Verbesserung des Rezeptorinputs. Wird der Stimulus regelmäßig über einen gewissen Zeitraum appliziert, kommt es zu einer dauerhaften Anpassung auf neuronaler Ebene (neuronale Plastizität). Der positiv modulierende zu wählende Input ist für Athleten individuell sehr unterschiedlich und sollte jeweils über einen Test vor und nach erfolgender Intervention bestätigt werden. Im Zuge der ganzheitlichen Reha und/oder des Trainings sollte das visuelle sowie das vestibuläre System ebenfalls Berücksichtigung finden.
Literatur
[1] ABRAIRA, V. E.; GINTY, D. D.: The Sensory Neurons of Touch. In: Neuron. 2013 Aug; 79, 618 – 639.
[2] BRÜGGEMANN, G.-P.; ARAMPATZIS, A.: Energy and performance in sport: Jumping on elastic surfaces. In: HERZOG, W.; JINHA, A. (Eds): XVIIth Congress of the International Society of Biomechanics. Calgary 1999, 28.
[3] BRÜGGEMANN, G.-P.; ARNDT, A.; ARAMPATZIS, A.: Energy, forces and force dis- tribution at the ankle during jumping. In: KYRÖLÄINEN, H.; AVELA, J.; TAKALA, T. (Eds.): Limiting Factors of Human Neuromuscular Performance. European Master of Science in Biology of Physical Activity. Jyväskylä 1990, 41 – 42.
[4] DELMAS, P.; HAO, J.; RODAT-DESPOIX, L.: Molecular mechanisms of mechanotransduction in mammalian sensory neurons. In: Nature Reviews Neuroscience. Mar 2011: 139 – 153.
[5] EARLS, J.: Born to walk. Meyer & Meyer Verlag, Aachen, 2014.
[6] FONTANELLA, C. G.; CARNIEL, E. L.; FORESTIERO, A.; NATALI, A. N. : Investigation of the mechanical behaviour of the foot skin. In: Skin Research and Technology. 2014; 20: 445–452.
[7] HIROSHIGE, T.;, OSAMU, W.; NORIAKI, I.: Effects of calcaneal eversion on three-dimensional kinematics of the hip, pelvis and thorax in unilateral weight bearing. In: Human Movement Science. 2011 Jun; 30(3): 566-73.
[8] MURRAY, M. P.; DROUGHT, A. B.; KORY, R. C.: Walking Patterns of Normal Men. J Bone Joint Surg Am, 1964 (46): 335–360.
[9] PERRY, J.: Ganganalyse – Norm und Pathologie des Gehens. Urban & Fischer Verlag, München/Jena, 2003.
[10] ROHDE, J.: Die sensomotorische Faszilitation (Kurzfusstechnik) nach Janda. Manuelle Medizin 2012; 50: 183-188.
[11] SAAL, H. P.; BENSMAIA S. J.: Touch is a team effort: interplay of submodalities in cutaneous sensibility. In: Trends in Neuroscience. 2014 Dec; 37(12): 689-697.
[12] SPLICHAL, E.: Barefoot Strong – Unlock the Secrets to Movement Longevity, 2015.
[13] WARD, G.: What the foot. Soap Box Books, London, 2013.
Autoren
ist approbierter Tierarzt. Seit über 25 Jahren arbeitet er als Athletiktrainer und Coach im Breiten- und Profisport. Seine Expertise sammelte er durch nationale und internationale Ausbildungen in den Gebieten der Biomechanik (Functional Therapist), Schmerzreduktion und Leistungssteigerung sowie der angewandten Neurologie (Neuroathletik).
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