Kinesio Tapes wurden 1973 von dem japanischen Chiropraktiker Kenzo Kase entwickelt und werden seit ungefähr zehn Jahren sowohl im Breiten- und Leistungssport als auch im medizinischen Bereich zu unterschiedlichen Zwecken angewendet. Der Anwendungsbereich ist auch in meiner hausärztlichen Praxis vielfältig und erstreckt sich von Muskelverspannungen /
Rückenmyalgien und Tendopathien über Bruxismus sowie Migräne bis zu postoperativen Lymphabflussstörungen und vielem mehr.
Wie wirkt das bunte Tape?
Der Wirkbereich des Kinesiotapings umfasst multiple Ansätze: Kinesiotapes können Verspannungen lösen, Muskelkraft verbessern, Regeneration beschleunigen und bei Überlastungsschäden helfen. Sie können aktivierend oder beruhigend wirken. Weiterhin können die Tapes durch ein verbessertes propriozeptives Feedback auch einen Muskel „erinnern“, sich in einer bestimmten/korrekten Position zu halten (Memory-Effect). Lin et al. (2011) konnte Veränderungen im EMG nach Taping der Schulter und daraus resultierend eine verbesserte Haltung zeigen (12 Probanden) [1]. Die Tapes sind im Prinzip ähnlich dick und elastisch wie menschliche Haut und passen sich dadurch sehr gut an die natürlichen Bewegungen des Körpers an. Sie haften durch eine klebende Acrylschicht auf der Haut. Die spezielle Klebetechnik wirkt durch sensorische Reize auf die zwischen Haut und Muskulatur liegenden sogenannten Mechanorezeptoren. Diese reagieren auf Druck oder Dehnung. Die taktile Stimulation der Rezeptoren erhöht die motorische Erregbarkeit und damit kommt es zu einer Aktivierung der Muskelzelle. Daher resultiert möglicherweise die verbesserte Kraftentwicklung des getapten Muskels (siehe Csapo et al., 2015). Die Tapes heben die Haut leicht an, was den Druck sofort vermindert und so Schmerzen abklingen lässt. Dadurch kommt es in der Muskulatur zu gesteigertem Stoffwechsel, Verspannungen lösen sich, der Muskeltonus wird reguliert. Das Ganze funktioniert allerdings besonders gut in Kombination mit Bewegung. Nur in Aktion können die Bindegewebsmassage und die Anregung des Stoffwechsels optimal funktionieren. Dabei ist die Klebetechnik entscheidend für die Wirkung des Tapes. Kinesiotapes bestehen aus dehnbarem Textil, meist Baumwolle, Elasthan, Viskose oder einer Mischung. Eine ca. 10 %-ige Vordehnung des Tapes sollte beim Aufkleben gehalten werden. Bei der Längenabmessung orientiere ich mich am vorgedehnten Muskel.
Welche Risiken entstehen durch unprofessionelle Anwendung?
- Zu viel Dehnung kann zu Blasenbildung führen
- Zu wenig Dehnung des Materials mindert die Wirkung
In normaler Position bildet das Tape dann kleine Wellen, welche die Massagefunktion bzw. die Aktivierung bewirken. Darüber hinaus spielt die Klebeausrichtung eine Rolle. Soll das Tape entspannen, klebe ich es vom Ansatz zum Ursprung des Muskels. Ein aktivierendes Tape (etwa vor einer langen Tour oder zur Nackenmuskulatur-Anregung bei Langstreckenrennen), klebe ich ohne Vorspannung und in umgekehrter Richtung – vom Ursprung zum Ansatz.
Häufige Einsatzgebiete des Tapings, speziell bei Radfahrern
- Knie: Wenn die Oberschenkelmuskulatur (durch z. B. geringe Trittfrequenz mit hoher muskulärer Belastung am Berg) stark beansprucht ist und der Anpressdruck auf die Patella zu hoch wird, können sowohl Tendinitiden als auch Chondropathien retropatellar auftreten.
- Nackenverspannungen bzw. Myalgien der Lendenwirbelsäule (Aero-Lenker) können ohne das Risiko von Injektionen und nebenwirkungsfrei gelindert werden.
- Muskelverletzungen heilen schneller durch Stoffwechselaktivierung.
- Tractus iliotibialis-Syndrom, eher bekannt als das typische „Runner’s Knee“, entsteht aber auch bei zu hoch eingestelltem Sattel über die Reizung der ischiocruralen Muskulatur. Hier wirkt ein detonisierendes Tape.
- Tendinitis/Tendopathie: Achillessehnenreizungen z. B. durch ungewohnte oder veränderte Pedaleinstellung. Reduktion der Sehnenspannung, Aktivierung des Lymphabflusses, Verbesserung der Durchblutung.
- Postoperativ: Förderung des Lymphabflusses, schnellere Resorption eines Hämatoms, Verbesserung der Mikrozirkulation.
Zu beachten ist, dass das Taping bei Sportlern immer in Verbindung mit Trainingstipps und/oder Ursachenforschung erfolgen sollte. Kinesiotapes ersetzen kein Training der Rumpfstabilität oder Mobilisierungsübungen. Es ist sinnvoll als ergänzendes Modul zu (Physio-) therapeutischen Maßnahmen (z. B. Logan CA et al., 2017 – zum patellofemoralen Spitzensyndrom). Weiterhin gibt es zwar wenige, aber doch wichtige Situationen, in denen nicht getaped werden darf.
- Bei einer Pflasterallergie oder anderen Hautreaktionen wie Neurodermitis oder Psoriasis
- auf verletzter Haut
- bei Schwangeren im Bauchbereich
- bei sehr großen Ödemen und gleichzeitiger Herzerkrankung
- bei Fieber
- im Bereich von tiefen Venenthrombosen, Krampfadern oder Tumoren
- bei schweren Verletzungen oder strukturellen Schäden ist die Wirkung des Tapes limitier
Eine weitere Anwendungsform sind die so genannten Gitter-Crosstapes. Sie werden auch Akkupunkturpflaster genannt und werden direkt auf Akkupunktur-/ Schmerz- bzw, Triggerpunkte geklebt. Ebenso finden sie auch immer stärkere Anwendung bei der Narbenbehandlung.
Studienlage & Fazit
Die Studienlage ist leider weiterhin unbefriedigend. Die Frage „hilft Kinesiotaping?“ kann klar beantwortet werden: „Vielleicht!“ Auch mit nahezu 1000 Studieneinträgen bei PubMed konnte bei meist niedriger Evidenzklasse oder geringer Teilnehmerzahl der Wirkmechanismus von Tapes bis heute nicht zufriedenstellend belegt werden. Hinweise zur Wirksamkeit, auch zum möglichen Placebo Effekt, sind teilweise gut belegt, allerdings fehlen weiterhin harte wissenschaftliche Studiendaten. Abschließend ist trotz der letztgenannten Einschränkungen hervorzuheben, dass die Anwendung von Kinesio Tapes einfach, weitgehend sicher, günstig und nebenwirkungsarm ist. In Kombination mit weiteren medizinischen Maßnahmen und unter Berücksichtigung der individuellen Techniken ist die Tape Anlage meiner Erfahrung nach ein hervorragender Therapie-Baustein in der Behandlung der Patienten.
Literatur
[1] Lin JJ, Hung CJ, Yang PL. The effects of scapular taping on electromyographic muscle activity and proprioception feedback in healthy shoulders. J Orthop Res. 2011;29:53–57. [PubMed] [Google Scholar]