In der Praxis kommen häufig Patienten mit Schmerzen im Bereich des Gesäßes vor. Die ärztlichen Diagnosen reichen von Piriformis Syndrom bis hin zur lumbalen Diskushernie. Im Folgenden wird speziell auf die nicht spezifischen Gesäßschmerzen eingegangen. Der Erfolg mit konventionellen Therapien bleibt in diesen Fällen leider oft aus. Eine funktionelle Trainingstherapie jedoch kann das Problem an der Wurzel anpacken: nämlich bei den schwachen tiefen Hüft-Außenrotatoren.
Strukturell ist häufig nur eine Reizung der Sehnenansätze am Trochanter oder eine Bursitis Trochanterica zu sehen. Funktionell kann aber viel mehr aus der Befundung herausgelesen werden. Medizinisch-therapeutisch ist die Entzündung schnell unter Kontrolle, der Erfolg hält bei gleichbleibendem Belastungsmuster des Patienten meist nur kurz an. Deshalb gilt: Der mechanische Stress auf die Strukturen rund um das Hüftgelenk muss reduziert werden. Das Verständnis für funktionelle Gesäßprobleme hat glücklicherweise während der letzten Jahre zugenommen, sodass nicht nur mit Schmerzmitteln und Injektionen gearbeitet wird. Die Untersuchung und Analyse der individuellen Bewegungsmuster, der Beweglichkeit und der Kraft helfen, die Therapie in die richtige Bahn zu bringen.
Anatomie
Die tiefen Außenrotatoren der Hüfte sind fächerförmig angelegt und stellen die tiefste Muskelstruktur im Gesäß dar. Folgende sechs Muskeln bilden diese Gruppe: M. piriformis, Mm gemelli internus und externus, Mm obturatorii internus und externus und der M. quadratus femoris. Ihre Hauptfunktion ist die Außenrotation im Hüftgelenk. Sie richten den Femur orthograde in der Beinachse aus. Zusätzlich ergibt sich je nach Position des Beines noch eine ab- oder adduktorische Funktion. Bei einer flektierten Hüfte wirken alle Sechs als transversale Abduktoren. Einzig der M. quadratus femoris kann in einer gestreckten Hüftposition als Adduktor agieren. Der M. Piriformis kann als einziger Muskel der Gruppe die Hüfte bei der Streckung unterstützen.
Befund
Die Befundung der funktionellen Einheit Hüfte beinhaltet eine genaue Untersuchung des Hüftgelenks und der benachbarten Regionen. Es gilt, die komplette Beinachse zu testen. Was passiert beim Gehen, im Einbeinstand, beim Treppe hoch und runter gehen, beim Joggen und beim Hüpfen? Welche Bewegungen provozieren Fehlbelastungen? Anhand der funktionellen Demonstration erkennt man schnell, wo die Fehler im Bewegungsmuster liegen. Wenn das Knie bei der Landung nach innen dreht, kann dies an einer schlechten Fußstabilität liegen oder aus der Hüfte kommen. Schwache Außenrotatoren im Gesäß lassen die Beinachse bei Belastung von oben her nach innen drehen. Auch wenn der Fuß stabil sein sollte, kann die fehlende Kraft der Hüftzentrierung ein Eindrehen der kompletten Beinachse bewirken. Fehlt den Hüftaußenrotatoren die Kraft, entsteht zwangsweise eine Reizung genau dieser Strukturen. Klinisch können die Hauptabduktoren der Hüfte (Mm gluteii medius und minimus) absichtlich geschwächt werden und es entstehen noch lange keine Instabilitätsmomente in der Bein- und Beckenstabilisierung [1]. Dies veranschaulicht, weshalb die Gruppe der tiefen Außenrotatoren eine wichtige Rolle in der Stabilisierung des Hüftgelenkes haben. Eine gute Aktivierung kann die Positionierung des Femurkopfes im Acetabulum verbessern und somit einem Verschleiß vorbeugen [2]. Bei gutem Trainingszustand erzielen die Athleten auch eine bessere dynamische Kontrolle bei Landungen und Richtungswechseln [3].
Krafttest
Die tiefen Außenrotatoren der Hüfte sind fächerförmig aufgebaut. Analog zur darüberliegenden Schicht der Abduktoren. Dieser Aufbau hilft in jedem Beuge- oder Streckwinkel des Hüftgelenkes, eine rotatorische Stabilität zu garantieren. Deshalb sollte die Testung der Außenrotationskraft in verschiedenen Positionen der Hüftbeugung und -streckung ausgeführt werden. Zu empfehlen ist die Messung bei 0°, 45° und 90° Hüftbeugung: Ausschlaggebend ist das isometrische Kraftmoment, welches mit einem Dynamometer gemessen werden kann [4]. Falls schwache Hüftaußenrotatoren vorliegen, kommt oftmals eine schwach ventrale Rumpfmuskulatur hinzu. Häufig wird dies kompensiert mit überspannten Muskeln im unteren Rücken und bei den Hüftinnenrotatoren. Eine vergrößerte Lordose im unteren Rücken führt wiederum zu einer Längenzunahme in den Gesäßmuskeln. Die verlängerten Muskeln haben dann ein vermindertes Leistungspotenzial. Die Hüfte wird dadurch instabiler und die Ansätze der tiefen Außenrotatoren werden vermehrt gereizt. Es lohnt sich, die Becken- und Rückenposition zu bestimmen. Mittels Aufrichten des Beckens kann das funktionelle Längenverhältnis der Hüftmuskulatur positiv beeinflusst werden.
Biomechanik
Beim Gehen entstehen konzentrische und exzentrische Anforderungen an die Außenrotatoren. Hinzu kommen die hauptsächlichen und oft unterschätzten isometrischen Aktivitäten. So funktioniert das Zusammenspiel der Hüftmuskulatur im Detail: In der Schwungbeinphase bewegt sich die ipsilaterale Beckenseite in Gehrichtung nach vorne. Die tiefen Außenrotatoren müssen den Oberschenkel zum Becken konzentrisch außenrotieren, dabei müssen die Hüftinnenrotatoren exzentrisch loslassen. Fehlt diese Ansteuerung, bleibt die Beinachse in einer Innenrotationsstellung stehen. Eine Fehlbelastung im Knie ist so beim Aufsetzen programmiert. Während der Standbeinphase wechselt dann die Belastung. Mit dem Aufsetzen des Fußes setzt eine isometrische Phase ein. Die Hüftstabilisatoren werden im Moment des Aufsetzens isometrisch aktiviert. Die ungenügende Aktivierung bei „initial contact“ scheint bei vielen Hüftproblemen der auslösende Faktor zu sein. Bei der größten Krafteinwirkung erhalten hier die Strukturen den größten Stress. Auf die isometrische Aktivität folgend agieren die Außenrotatoren exzentrisch bremsend bis zum Punkt des „terminal stance“. Die Exzentrik stellt eine erhöhte koordinative Anforderung für die Außenrotatoren dar. Das gezielt langsame Bremsen ist ein wichtiger Bestandteil des Trainings für diese Muskelgruppe.
Training
Das Training beginnt bei der Weiterführung der Krafttestvarianten der Außenrotatoren. In den drei verschiedenen Winkel (0°, 45° und 90° Hüftflexion) versucht der Patient, isometrisch verschiedene Rotationspositionen zu halten. Die isometrische Kraft ist vor allem zwischen 0° und 20° Hüftflexion wichtig, da mit dem „initial contact“ die größte Kraft auf die Stabilisatoren wirkt. Ist die isometrische Kraft ausreichend, geht es weiter mit dem exzentrischen Training. Hier kann sehr gut in einer 0° Hüftflexionsposition mit einem Seilzug oder einem elastischen Band trainiert werden. Das langsame und kontrollierte Bremsen hilft auch beim Lösen von Verspannungen in den Außenrotatoren (Abb. 1 / Übung 1). Weiter ist das konzentrische Aktivieren der Muskeln zu trainieren. Übungen in der Seitenlage in verschiedenen Hüftwinkeln haben sich hier bewährt. Eine Kombination aus Abduktion und Rotation des oberen gestreckten Beines erzielt die größte Aktivierung (Abb. 2 / Übung 2). Hier eignen sich verschiedene Hüftflexionswinkel für eine Abdeckung des ganzen Fächers der tiefen Außenrotatoren. Das Kräftigen in der Seitenlage ist nur bedingt funktionell, somit sollte bei gutem Kraftlevel ins Stehen gewechselt werden. Die konzentrische Arbeit ist vor allem in der Schwungphase des Beines von großer Bedeutung. Hier kann das Knie mittels Seilzug oder einem elastischen Band zur Mitte des Körpers gezogen werden. Der Patient stabilisiert dabei sein Bein orthograde in der Achse. Der nächste Schritt ist die Landung in der „initial contact“ Phase und das Halten der Beinachse (Abb. 3 / Übung 3). Ist die Landung mit voraktivierten Außenrotatoren gut, kann das Setting erschwert werden, bis hin zur sportartspezifischen Belastung. Mit diesem gestaffelten Trainingsaufbau trainiert der Patient seine Schwachstellen, ohne gleich eine Überreizung zu riskieren. Da aber eine akute entzündliche Hüftproblematik sehr schnell überreagiert, ist beim Dosieren des Trainings Feingefühl gefragt.
Literatur
[1] Pohl, Michael B. “Experimentally Reduced Hip-Abductor Muscle Strength and Frontal-Plane Biomechanics During Walking.” Journal of Athletic Training, 2015: 385-391.
[2] Meinders, Evy. “Activation of the deep hip muscles can change the direction of loading at the hip.” Journal of Biomechanics, 2022.
[3] Malloy, Philip. “Hip external rotator strength is associated with better dynamic control of the lower extremity during landing tasks.” The Journal of Strength and Conditioning Research, 2016: 282-291.
[4] Maffiuletti, Nicola A. “Assessment of Hip and Knee Muscle Function in Orthopaedic Practice and Research.” The Journal of Bone and Joint Suergery, 2010: 220-229.
Autoren
ist M. Sc. in Physiotherapie und arbeitet als Leiter Physiotherapie der Spiraldynamik® in Zürich. Sein Schwerpunkt ist die Sportphysiotherapie.