Als Marit Bjørgen, die erfolgreiche, norwegische Skilanglaufspezialistin ihre Trainingsstruktur detailliert offengelegt hat, feilten etliche Stützpunkttrainer hierzulande merklich an der Trainingsplanung für ihre Athletinnen und Athleten. Auch für Amateure und Volksläufer ergaben sich neue Aufschlüsse – war Bjørgen doch das Abbild von Kontinuität, Verletzungsfreiheit und Erfolg. Krafteinheiten wurden plötzlich ernster genommen, mittlere Intensitätsbereiche schienen von nun an fast vernachlässigbar.
Skilanglauf gilt zweifellos seit Jahren als eines der Aushängeschilder im Gesundheitssport. Bei der typischen zyklischen Ausdauersportart, die bei mittleren Intensitäten einen hohen präventiven Effekt auf Herz-Kreislauf Erkrankungen hat, handelt es sich um ein wahres Präventionsparadebeispiel. Noch dazu gelenkschonend, an der frischen Luft, ohne direkten Gegnerkontakt. Klassischer Stil und freie Technik (Skating) unterscheiden sich dabei deutlich in ihren sportmotorischen Abläufen.
Klassischer Skilanglauf
Während zu Zeiten Bjørn Dæhlies der Diagonalschritt „en vogue“ war, spielt sich heute im Profibereich der Großteil der Rennen im Doppelstockschub ab. Beim traditionellen Vasaloppet in Schweden werden die 90 Kilometer von den Eliteläufern „durchgeschoben“, das heißt vollständig in der Doppelstocktechnik absolviert. Hierbei leistet die Muskulatur der oberen Extremität den Bärenanteil, eine starke Körpermitte ist für eine optimale Kraftübertragung das ausschlaggebende Kriterium. Anders verhält es sich beim Diagonalschritt, welcher eine gezielte Beinabdruckphase abverlangt. In der Ebene erfolgt danach eine lange Gleitphase, am Berg fällt diese nur kurz aus, hier ist Explosivität gefragt.
Skatingstil
Skatingprofis „tanzen“ förmlich auf dem Schnee: Effektiv, rhythmisch und mit einem exzellent ausgeprägten Gleichgewichtssinn. Um maximalen Vorschub zu erzielen, ist bei der Skatingtechnik eine optimale Bewegungsabstimmung zwischen der oberen und der unteren Extremität gefragt. Rhythmus und Timing sind hier ausschlaggebend. Hüfte und Becken müssen für einen effizienten Krafttransfer bestmöglich stabilisiert werden, ebenso wie die Knie- und Fußgelenke. Die verschiedenen Teiltechniken des Skatingstils werden je nach Geländeprofil eingesetzt. Bei der Skatingtechnik 1:1 erfolgt auf jeden Beinabdruck ein Stockschub. Beim Bergschritt dagegen erfolgt der Stockeinsatz nur zu einer Seite, das heißt nur auf jeden zweiten Beineinsatz. Beim Skating 1:2, der sogenannten Armschwung- oder Pendelschritttechnik, werden die Stöcke ebenfalls nur auf jeden zweiten Beinabdruck eingesetzt. Im Gegensatz zum Bergschritt kommt es hier aber zu einer viel längeren Gleitphase. Könner generieren in diesem Stil sehr hohe Geschwindigkeiten. Schneller ist nur noch der reine Schlittschuhschritt ohne Armeinsatz, welcher spätestens im Zielsprint zum Einsatz kommt.
Verletzungsmuster
Gesundheitssport par excellence hin oder her. Es handelt sich trotzdem um einen Sport, der von vielen Athleten, insbesondere in den skandinavischen Ländern, extrem ehrgeizig betrieben wird. Auch hierzulande boomt Skilanglauf. Seit der Coronapandemie ist insbesondere Skating zum Trend geworden. Volksmarathons erstrecken sich oft über mehr als 50 Kilometer. Vielfach wiederkehrende Verletzungs- und Überlastungsmuster sind vorprogrammiert, nicht nur im Hochleistungsbereich. Lumboischialgien sind im klassischen Bereich ein häufiges Beschwerdebild. Muskuläre Dysbalancen können zum Hypertonus in der tiefen Lendenmuskulatur führen und schränken die notwendige Flexibilität ein, insbesondere beim Einsatz diagonaler Zugkräfte. In der Skatingtechnik spielt die Beinachse eine herausragende Rolle. Hier besteht besonders in der Abdruckphase die Gefahr, durch ein Genu valgum die Patella nach lateral zu verschieben. Die Folge können Überlastungen der lateralen Linie sein und zu Synoviitis, Entzündungen der Hoffer’schen Fettkörper und Gelenkerguss führen. Ellenbogen- und Schulterbeschwerden sind oft schlicht durch Überlastung verursacht. Insbesondere wenn im Sommer mit Skirollern auf Teer trainiert wird. Hier erfolgt beim intensiven Stockeinsatz ein hoher mechanischer Reiz auf die Gelenke.
Gezielte Prävention
Eine systematische Trainingssteuerung sollte in hohem Maße auch präventive Aspekte berücksichtigen, um Verletzungen in der Hochsaison vorzubeugen. Ein Blick in Marit Bjørgens Kindheit zeigt, dass sie schon in jungen Jahren tatkräftig auf dem elterlichen Hof anpacken musste. Ähnliches gilt für Petter Northug und andere Weltklasseathleten. Hierdurch wurde der Grundstein für die gelenkstabilisierende Muskulatur gelegt. Skilanglauf erfordert neben Krafteinsatz enorme Stabilisierungsarbeit. Die physischen und motorischen Voraussetzungen müssen dahingehend entwickelt werden, dass die Kontrolle über die Körperposition und das Gleichgewicht zu jeder Zeit gegeben sind, auch noch auf den letzten Kilometern einer Trainings- oder Wettkampfstrecke. Gelenkstabilität lautet also die Zauberformel im Skilanglauf. Bei 15 bis 20 Trainingswochenstunden sollten mindestens 1–2 Stunden für gezieltes Krafttraining aufgewendet werden. Der zeitliche Schwerpunkt der Krafteinheiten liegt dabei in der Nebensaison. Ist die weiße Pracht erst einmal da, kann optimalerweise jede Technikform muskulär problemlos kontrolliert werden.
Trainingsplanung
Die Monate April und Mai stehen bei Skilangläufern im Zeichen von Entspannung. Hier sind lockere Skitouren und erste Frühjahrsradausfahrten das höchste der Gefühle. Von Juni bis August erstreckt sich die erste Grundlagenperiode, in der eine möglichst breit gefächerte Grundlagenausdauer geschaffen wird. Zu mehr als 50 % kann das Training sportartunspezifisch erfolgen, das heißt auch Rennrad, Kajak, Laufen, Wandern oder Mountainbiken sind gute Alternativen. Es wird im tiefen Pulsbereich trainiert, im Bereich von 75 % des Maximums. Durchschnittlich 90 % ihres Trainings absolvierte Marit Bjørgen im niedrig intensiven Bereich. Die Trainingsdauer überschreitet bei solchen Einheiten aber zumeist die zwei Stundenmarke. Oberstes Ziel ist eine verbesserte Laufökonomie, sodass der Organismus die maximale Sauerstoffaufnahme besser auszunützen vermag. Von August bis November erstreckt sich die zweite Grundlagenperiode. Der Anteil intensiver Einheiten macht nun rund 20 % aus. Erfolgsversprechende Methoden sind Schrittsprünge am Berg, beispielsweise als Pyramidenserien (20 Sprünge, 30, 40, … bis 100 und wieder zurück), welche das nötige Standvermögen sichern sollen. „Bergrollern“ ist ein Trainingstool, das sich aus keinem Athletentrainingstagebuch wegdenken ließe. Im Doppelstockschub geht es auf Skirollern den Berg hinauf, das ideale Kraftausdauertraining. Grundsätzlich wird die Oberkörperarbeit von Skilangläufern oftmals unterschätzt. Wer sich jedoch professionell auf die Saison vorbereitet, integriert Zugbewegungen aller Art in die Vorbereitung.
Präsaisonales Training
Die Monate November und Dezember gelten als Spezialtrainingsperiode. Spätestens jetzt sollten sich auch Hobbyläufer „zuschalten“ und eine entsprechende Saisonvorbereitung absolvieren. Profis trainieren zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich auf Schnee, meist in Skandinavien. Dabei wird sehr viel ohne Stöcke gelaufen, um das Skigefühl- und die Haltungskontrolle optimal aufzubauen. Der November gilt als lupenreiner Trainingsmonat. Die Umfänge werden nochmals deutlich erhöht. Neben der Grundlagenausdauer wird jetzt hart an der Wettkampfform gearbeitet. Längere Tempoläufe – idealerweise auf Skiern – finden nun regelmäßig statt. Das Credo lautet, auch im ermüdeten Zustand die Technik noch sauber umsetzen zu können. In den Wettkampfwochen schließlich werden die Umfänge deutlich reduziert. Ruhige Ausdauereinheiten wechseln sich an den Tagen vor einem Wettkampf mit kurzen, aber intensiven „Antritten“ ab, um den Körper in optimale Form für Tag X zu bringen.
Sinnvolle Ernährungsstrategien – Vitamine gegen Infekte
Der leistungssteigernde Effekt jeder Trainingseinheit lässt sich durch sinnvolle Ernährungsstrategien nochmals positiv beeinflussen. Gerade in den härteren Phasen, in denen zunehmend hochintensive Blöcke absolviert werden, ist auf eine ausgewogene kohlenhydrat- und kalium- sowie flüssigkeitsreiche Ernährung zu achten. Belastungsphasen mit niedrigen Intensitäten sollten zur Optimierung des Fettstoffwechsels durch eine kohlenhydratreduzierte, dafür aber fett- und proteinreiche Kost unterstützt werden. Unmittelbar nach dem Training – dies gilt insbesondere für kraftbetonte Einheiten – fördert eine gezielte Proteinzufuhr die Regenerations- und Anpassungsprozesse. Wenn mit den ersten Frostnächten die Erkältungszeit beginnt, sind bedarfsgerechte Vitaminzusätze, insbesondere die ausreichende Zufuhr von Zink und Vitamin D zu berücksichtigen. Ich empfehle von Oktober bis März Vitamin D3 & K2 kombiniert zu substituieren, aufgrund der synergetischen Wirkung. Pauschalempfehlungen zur richtigen Trinkmenge im Training kann es nicht geben. Sie hängt vom individuellen Schweißverlust von der Dauer, Intensität und von der Außentemperatur ab und nimmt bei Höhentraining nochmals massiv zu. Isotonisch bis hypotonisch konzentrierte Getränke, die sich für Grundlageneinheiten eignen, sind beispielsweise Saftschorlen im Verhältnis 1:2 (ein Teil Saft und zwei Teile Wasser) mit einer Prise Salz.
APP-TIPP
Das Schweizer Bundesamt für Sport in Magglingen (BASPO) hat in Zusammenarbeit mit Swiss-Ski eine sehr lehrreiche Skilanglauf Technik-App entwickelt. Hier demonstrieren (ehemalige) Mitglieder der Schweizer Nationalmannschaft alle Schrittarten der Klassik- und Skating-Technik. Die App ist unter der Sucheingabe „Skilanglauf-Technik Bundesamt für Sport BASPO“ abruf bar und lässt sich für fünf Franken herunterladen.
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KURS -TIPP
Sigrun Hannes bietet in der kommenden Wintersaison 2022/23 Technikkurse im Allgäu an. Auf den Loipen des Oberallgäus werden im Skating-Stil technische Elemente vermittelt, welche bei den Teilnehmenden einerseits noch mehr Freude am Langlauf auslösen und andererseits aus sportmedizinischer und präventiver Sicht ein fundiertes Know-How vermitteln. Infos HIER
Autoren
ist M.Sc. Sportwissenschaftlerin und hat sich mit „Gesundheitssport und Prävention“ in Bad Dürrheim (Süddeutscher Raum) selbstständig gemacht. Als leidenschaftliche Skilangläuferin bietet sie im Winter Skilanglauf-Technikkurse an, wobei sie neben der Leistungssteigerung bei den Teilnehmern ein besonderes Augenmerk auf präventive und sportorthopädische Aspekte legt. An der Seite erfolgreicher Skilangläufer wie Remo Fischer, Thomas Freimuth und dem aktuellen Langlaufbundestrainers Peter Schlickenrieder hat sie bereits zahlreichen Interessierten die Langlauftechnik nähergebracht und die Leidenschaft für Skilanglauf geweckt und gefördert.