Das Training der Füße findet im Trainings- und Therapieraum häufig nur sehr geringe Beachtung – aber warum? Liegt es daran, dass sie im jeweiligen Curriculum, aufgrund ihrer biomechanischen Komplexität, eine zu geringe Berücksichtigung finden? Oder vielleicht an der gängigen Meinung,dass die Füße nicht wirklich trainiert werden können?
Aus biomechanischer Sicht macht diese „Missachtung“ der Füße definitiv keinen Sinn, schließlich übertragen sich ihre Bewegungen auf den gesamten Körper. Ihre Funktion oder Dysfunktion hat einen immensen Einfluss auf das Kniegelenk und die Hüfte bis hin zum Rücken.
Biomechanische Grundlagen
Der Fuß hat eine extrem komplexe Struktur, die sich evolutionär perfekt an die Anforderungen adaptiert hat. Diese Architektur ermöglicht es, dass er einerseits als mobiler Stoßdämpfer und andererseits, wenige Millisekunden später, als stabile Basis für den restlichen Körper dienen kann. Grundlage für diese Funktionsweise sind u. a. die sogenannten Keilbeine (Os Cuneiforme). Ihre trapezförmige Anatomie ermöglicht die schnelle Anpassungsfähigkeit des Fußes auf knöcherner Ebene. Gesteuert werden die Os Cuneiforme zu einem großen Teil über die Bewegung des Fersenbeins (Calcaneus) und die daraus resultierenden Bewegungen im Calcaneocuboid und Talonavicular Gelenk [1]. Befindet sich das Fersenbein in einer Inversion, kommt es durch den trapezförmigen Aufbau der os cuneiforme zu einer Art „Verkeilung“ und somit zu einem stabilen Konstrukt, welches vergleichbar mit einer Bogenbrücke ist – der Fuß „verriegelt“. Durch die entgegengesetzte Bewegung, also die calcaneare Eversion, flacht sich das Fußgewölbe ab, die Keilbeine verlieren ihre Bogenform und somit einen Teil ihrer Kontaktfläche – sie werden mobil. Der Fuß „entriegelt“ und hat die Möglichkeit, sich an den Untergrund anzupassen [2].
Mobilität = Stabilität
Was im ersten Moment paradox klingt, ist ein biomechanisches Meisterwerk. Beim initialen Bodenkontakt bewegt sich das Fersenbein, wie bereits beschrieben, in Eversion und der restliche Fuß bekommt in der Folge Bodenkontakt. In diesem Moment muss im Mittelfuß eine Gegenbewegung, im Sinne einer Inversion, stattfinden, um den Druck möglichst breit auf den Fuß zu verteilen. Das Ziel ist hierbei, die Dreipunktbelastung mit dem Kontakt auf dem Fersenbein und den Matatarsale I und V. Nur wenn diese Bewegungen adäquat dreidimensional ablaufen, werden die entscheidenden Muskeln, wie z. B. der m. tibialis posterior, der m. peroneus longus und auch, durch die einhergehende Dorsalextension, der m. triceps surae adäquat exzentrisch belastet. Zusätzlich können ihre Sehnen Energie aufnehmen, in der zweiten Phase freisetzen und so zu einer möglichst guten und ökonomischen Bewegung beitragen. Wenn der Körper in die mittlere Standphase übergeht, muss der Fuß, für die Abdruckphase, in eine stabile Position zurückgeführt werden. Hierzu dienen die vorher exzentrisch aktivierten Muskelgruppen, die das Fersenbein wieder in die Inversion bringen und das Fußgewölbe aufrichten. Auch hierbei muss zwingend eine Gegenbewegung des Vorfußes, im Sinne einer Eversion, stattfinden, damit der Abdruck kraftvoll über den Großzehenballen erfolgen kann. Geschieht dies nicht, so kann es Überlastungssyndrome zur Folge haben, da die Muskulatur keine stabile Basis hat und somit bei jedem Schritt deutlich mehr Energie aufbringen muss, um den gleichen Kraftoutput zu generieren.
Training der Füße
Basierend auf dem kurzen Abriss zur Biomechanik wird klar, dass ein Training des Fußes mit Einbeinständen auf unspezifisch instabilen Untergründen der Komplexität des Fußes bei weitem nicht gerecht wird. Ein „sensomotorisches“ Training basiert funktionell auf der adäquaten Mobilität, welche die Sensorik „füttert“. Die Mobilisation sollte daher im ersten Schritt spezifisch erfolgen, um, im weiteren Verlauf, der Muskulatur die Möglichkeit zu geben, funktionell trainiert zu werden. Die Mobilisation kann grob in zwei Bereiche unterteilt werden. In der ersten Phase, der Stoßdämpfungsphase, wird die Fähigkeit der calcanearen Eversion, gepaart mit einer Inversion im Vorfuß und einer Dorsalextension im oberen Sprunggelenk benötigt. Um die nötige Stabilität zu gewinnen, braucht der Fuß in der zweiten Phase die Inversion im Rückfuß und Eversion im Vorfuß, zusammen mit der Beweglichkeit im Großzehengrundgelenk. Fehlt in dieser Phase z. B. die Eversion im Vorfuß, resultiert eine aufsteigende Ursache-Folge-Kette, bei der der Kontakt des Großzehenballens nur durch eine Valgisierung im Kniegelenk erfolgen kann. Häufig wird diese funktionelle Mobilisation sowohl im Training als auch in der Therapie vernachlässigt. Bei einer gern bagatellisierten Verletzung, dem Supinationstrauma, zeigen Patienten häufig auch noch Jahre nach einer solchen Verletzung eine Einschränkung in der Stoßdämpfungsphase, was im späteren Verlauf zu anhaltenden Schmerzen und kompensationsbedingten Überlastungen führen kann.
Nach der Mobilisation folgt das sensomotorische Training auf einem stabilem oder einem funktionell instabilem Untergrund. Das Training sollte optimaler Weise barfuß, auch ohne Socken erfolgen, um die Sensorik der Füße maximal anzusprechen [2]. Hierbei kann die Positionierung des Körpers im Raum dazu genutzt werden, dem Körper eine indikationsspezifische Aufgabe zu stellen. Beispielsweise vermeidet ein Patient nach einer operativ versorgten Achillessehnenruptur häufig die Eversion im Rückfuß, da diese Bewegung einen exzentrischen Reiz auf das zu heilende Gewebe ausübt. Im späteren Rehabilitationsverlauf muss dieses Schonverhalten behoben werden. Hierbei hilft kein Stabilisationstraining auf unspezifisch instabilen Untergründen. In diesem konkreten Beispiel wäre es eine Option, durch eine Außenrotation der Hüfte, gepaart mit einer Dorsalextension im oberen Sprunggelenk, diese Bewegung neuromuskulär anzubahnen und dabei die Stabilisation zu schulen. Eine andere Möglichkeit wäre ein funktionell instabiler Untergrund, wie er durch das „BlackBoard“ ermöglicht wird. Hierbei kann, durch die frei einstellbare Achse, das Fersenbein isoliert in Eversion oder Inversion beschleunigt werden. Dies ermöglicht ein funktionelles, indikationsspezifisches Stabilisationstraining.
Fazit
Die dreidimensionale Biomechanik des Fußes ist faszinierend, wenn auch sehr komplex. Schon kleinste Veränderungen können dabei, im Sinne einer aufsteigenden Ursache-Folge-Kette, einen enormen Einfluss auf den restlichen Körper haben. Daher ist es notwendig, dass der Fuß im Training und in der Therapie, auch bei Sportverletzungen z. B. am Knie und Hüftgelenk, funktionell berücksichtigt wird.
Literatur
[1] Blackwood CB et al. “The midtarsal joint locking mechanism“ Foot Ankle Int 26:1074-1080, 2005
[2] Neumann, D. “Kinesiology of the Musculoskeletal System”, Mosby 2010
[3] Shinohara et al (2013): “Five-toed socks decreasestatic postural control among healthy individuals as measured with time-to-boundary analysis” American Society of Biomechanics Annual Meeting. State College, PA, 2009
Autoren
ist Dipl. Sportwissenschaftler und arbeitet als Rehabilitations- und Präventionstrainer bei Bayer 04 Leverkusen. Parallel ist er Geschäftsführer der BlackBoard GmbH & Co KG