Im Sommer 2020 hörte ich, Alexander Gimbel, über einen Radiobeitrag und die sozialen Medien eine Berichterstattung über Dirk Leonhardts Weltrekordversuch im Ultratriathlon (www.ultradad.de). „Welches Training und welche Willenskraft stecken da wohl dahinter?“, dachte ich mir und wurde neugierig. Bald darauf lernte ich Dirk kennen.
Er war beim Radfahren am frühen Morgen mit einem stehenden Auto kollidiert, hatte sich eine Platzwunde an der Oberlippe zugezogen und musste genäht werden. Durch den Sturz, die Vorbelastung beim Schwimmen und die ersten 1.000 Radkilometer hatte er muskuläre Probleme im Hals-Nacken-Bereich, um die ich mich erstmal notdürftig kümmerte. Zudem hatte er sich bereits einen starken Sonnenbrand beim Schwimmen zugezogen. Beim späteren Laufen kamen noch Blasen an den Füßen, eine Knochenhautentzündung am Schienbein und ein Erguss im Fußgelenk dazu. Beim gleichzeitig laufenden Interview für eine Zeitung ließ er keinen Zweifel, dass er seine für den Tag geplante Distanz am Abend bewältigt haben wird.
Welche Armada an Beratern, Ärzten, Trainern, Physiotherapeuten etc. steht hinter ihm? Keine. Wie groß ist sein Supporter-Team? Seine Familie, Verwandte, Freunde und einige Leute, die er beim Wettkampf kennenlernte. Hat das Event etwas mit Gesundheit zu tun? Sicherlich nicht! Wie hat Dirk das geschafft? Mit seiner mentalen Stärke, seinen „guten Genen“ und seinen Vorerfahrungen als Ultraathlet. Was können wir als Sportler und Trainer von ihm lernen, auch wenn wir keine Ultradistanzen im Blick haben? Dies möchten wir, Dr. Bernd Gimbel und Alexander Gimbel, in diesem Beitrag darlegen.
Leistungsbestimmende Faktoren und deren Training bei Ultradistanzen
Alleine die Vorstellung von Dirks Leistung und Leiden treibt den meisten Sportlern den Schweiß auf die Stirn. Dennoch gibt es immer wieder einige, die sich dieser Herausforderung stellen und dafür ein zeitraubendes, teilweise auch monotones Training auf sich nehmen. Im Wettkampfsport steht die Verbesserung der leistungsbestimmenden Faktoren im Fokus des Trainings. Der Weg zum Ziel bei Ultradistanzen ist lang, wodurch besonders der Ausdauerkomponente und der mentalen Stärke eine herausragende Bedeutung zukommen. Um den Trainingsprozess bestmöglich zu gestalten, wird Diagnostik eingesetzt, um zu Beginn, die aktuelle Leistungsfähigkeit festzustellen und im Verlauf, die Leistungsentwicklung zu überprüfen. Ohne sportmedizinischen Check zur Überprüfung des Gesundheitszustandes sollte niemand, unabhängig der Leistungsklasse, sein Training beginnen.
Energiebereitstellung über die Ausdauer optimieren
Unabhängig davon, ob es darum geht „durchzukommen“ oder der Wettkampf mit dem Erreichen eines bestimmten Zeitziels bzw. einer Platzierung verbunden ist, die langen Umfänge bei Ultradistanzen weisen der Ausdauerkomponente eine dominante Rolle zu und stellen eine besondere Herausforderung für die Energiebereitstellung dar. Dies bedeutet, die nur begrenzt zur Verfügung stehenden Kohlenhydratspeicher zu schonen und stattdessen optimal die nahezu unbegrenzt vorhandenen Fettdepots zu nutzen, um über die Dauer der Belastung dem Gehirn und dem zentralen Nervensystem noch ausreichende Glukosemengen für ihre Arbeit zur Verfügung zu stellen (ca. 5 g / Std.). Der Fettstoffwechsel liefert die energetische Grundlage für die Ultra-Ausdauerleistungen. Athleten müssen ihren Körper darauf vorbereiten, möglichst effizient Fette zu „verbrennen“. Da diese Betaoxidation an das Vorhandensein von Sauerstoff gebunden ist, ist auf eine möglichst hohe maximale Sauerstoffaufnahmekapazität (VO2max) zu achten. Durch den hohen Anteil an oxidativer Energiebereitstellung liegt der Laktatwert nur gering über dem Ruhewert zwischen 1 und 2 mmol/l Blut.
Der Goldstandard der Ausdauerdiagnostik – die Spiroergometrie – mit ergänzenden Laktatmessungen kann wertvolle Daten über die aktuelle Leistungsfähigkeit, die Energieversorgung und mittels Folgediagnostiken die Entwicklung der beiden leistungsbestimmenden Parameter VO2max sowie das Verhältnis von Fett- zu Kohlenhydratstoffwechsel liefern. Auf der Basis der Ergebnisse können wir als Trainer den Trainingsprozess effizienter gestalten und seine Wirkung besser kontrollieren. Unsere Erfahrung lehrt, dass ohne das Vorhandensein von objektiven Daten, die Trainer häufig „im Trüben fischen“ und wertvolle Trainingszeit verschwenden. Viele Trainingseinheiten finden ohne Variation an der Dauerleistungsgrenze statt. Dadurch entwickelt sich Monotonie im Kopf und Leistungsstagnation im Körper. Mittlerweile wird eine Kombination aus einem umfangreichen Low-Intensity-Training (LIT) mit 55 – 65 % der VO2max und einem High-Intensity-Interval-Training (HIIT) mit Intensitäten von 90 – 100 % der VO2max im Verhältnis 80 / 20 % des zeitlichen Umfangs (Drei-Zonen-Modell) von vielen Trainern in den Ausdauerdisziplinen bevorzugt. Training an der Dauerleistungsgrenze findet kaum statt. Die Trainingssteuerung erfolgt bei derartig hohen Umfängen zunehmend über die Wattleistung, die sich aus den diagnostischen Ergebnissen ergibt. Sie wird über spezielle Sensoren am Laufschuh oder am Rad gemessen und den Athleten rückgemeldet.
Ausdauer allein führt nicht zum Ziel
Weder für den Gesundheits-, noch für den Leistungssportler ist ein alleiniges Ausdauertraining zielführend. Auch die anderen Fitnessfaktoren (motorische Fähigkeiten) Kraft, Beweglichkeit, Koordination und Schnelligkeit sind je nach Trainingsziel mit unterschiedlichen Schwerpunkten relevant. Die große muskuläre Beanspruchung bei Ultradistanzen erfordert ein hohes Maß an Kraftausdauer und vor allem an Rumpfstabilität, um die Wirbelsäule in ihrer physiologischen Position bei den lang andauernden Bewegungszyklen der oberen und unteren Extremitäten zu halten. Um muskuläre Dysbalancen im Rumpf vor Trainingsbeginn zu erkennen, bietet sich als Diagnostik eine biomechanische Funktionsanalyse der Wirbelsäulen stabilisierenden Muskulatur (BMFA) an. Dabei werden isometrisch die Kraftverhältnisse der Muskelgruppen, die die Bewegungen der Wirbelsäule in allen Ebenen (Flexion, Extension, Rotation und Lateralflexion jeweils links und rechts) unterstützen, gemessen und mit statistischen Daten verglichen. So können Trainer muskuläre Kraftunterschiede feststellen und im Training ausgleichen. Ergänzt werden kann die BMFA durch das Testen von komplexen Bewegungsmustern, z. B. durch das Functional Movement Screening (FMS), um zusätzliche Informationen über das Zusammenspiel der Muskelketten zu erhalten und das Training funktioneller zu gestalten. Auch Elektromyografie (EMG) – Messungen lassen sich einsetzen, um zu prüfen, ob beispielsweise eine Muskelschwäche durch fehlende Innervation durch den versorgenden Nerven zustande kommt oder der Sportler selbst nicht in der Lage ist, diesen Muskel anzusteuern. Wenn keine Schädigung des Nerven vorliegt, kann der Sportler im Bio-Fedback-Verfahren lernen, ob seine Konzentration auf die Aktivierung des Muskels beim Training erfolgreich war.
Häufig wird beim Training von Ausdauersportarten die Kraftkomponente vernachlässigt. Damit steigt die Gefahr von Verletzungen durch einseitige Belastungen und Überbeanspruchung des myofaszialen Systems. Neben Stabilisierungsübungen spielt das Maximalkrafttraining eine wichtige Rolle, um einen positiven Transfer zur Kraftausdauerleistung zu erzielen. Muskelhypertrophie hat dagegen keine Bedeutung, da der Aufbau von Muskelmasse mit einer Erhöhung des Körpergewichts verbunden ist. In Abhängigkeit des Leistungsniveaus und der Zielsetzung von Athleten ist auch die Schnelligkeit von Bedeutung, um einerseits ausreichend Stehvermögen aufzubauen, andererseits taktische Maßnahmen wie Zwischen- und Endspurts ohne nachfolgende Leistungseinbußen bewältigen zu können. Die Beweglichkeit steht insbesondere im Zusammenhang mit einer guten Schwimm-, Radfahr- und Lauftechnik, da sich über eine bessere Koordination der Bewegungen Energie einsparen lässt. Je länger die Distanz, desto wichtiger sind die Kraft- und Stabilisationsübungen, da bei muskulärer Ermüdung die Technik leidet. Zur Diagnostik von Beweglichkeitseinschränkungen bietet sich die Neutral-Null-Methode an, um beispielsweise Körperseitendifferenzen festzustellen. Diese können dann gezielt durch eine Kombination aus Kraft- und Dehnübungen behoben werden, wenn sie muskulär bedingt sind. Auch Faszientraining kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten, zudem es für mehr Abwechslung im Trainingsprozess sorgt.
Ohne Regeneration kein Erfolg
Die extremen Trainingsbelastungen fordern Zeit für Erholung. Ohne ausreichende Regeneration wird es keinen Erfolg geben. Deshalb ist es wichtig, dass Trainer und Athleten frühzeitig über objektive Daten verfügen und sich nicht nur auf ihr subjektives Empfinden verlassen müssen. Dazu bieten sich die regelmäßige Messung des Ruhepulses, der Herzratenvariabilität (HRV), verschiedener Blutparameter (z. B. CK, CRP, Harnstoff, IGF) oder Speichelproben (z.B. Cortisol) an. Für die Messung der Herz-Kreislaufparameter gibt es mittlerweile mehrere Apps und Biohacking-Produkte, die die Datenerhebung unterstützen und die Auswertung der Ergebnisse anschaulich darstellen. Unsere Erfahrung ist, dass immer noch dem Training weitaus mehr Beachtung geschenkt wird als der Regeneration. Die Gestaltung der Regenerationsphasen kann sowohl aktiv als auch passiv sein. Meist handelt es sich um aktive Pausengestaltungen, mit niedrigeren oder anderen Belastungen als beim Wettkampf. Der Schlaf ist die wichtigste passive Pause. Je höher die Leistung, desto größer ist der (individuelle) Schlafbedarf. Während des Trainingsprozesses bei Ultrahöchstleistungen sind 8 – 10 Stunden mit hoher Qualität angemessen. Aber auch regenerative Maßnahmen wie Physiotherapie, Kälte- und Wärmebehandlungen gehören dazu. Der gesamte Organismus benötigt die Erholung, um sich den Belastungen im Training anzupassen und leistungsfähiger zu werden (Superkompensation). Pausen sind keine verlorene Zeit, sondern dienen dem Trainingsfortschritt.
Ernährung – mehr Energie und schnellere Regeneration
Häufig hören wir, dass sich Athleten viele Gedanken über ihr Equipment machen, die Ernährung aber eher ein Randthema ist. Dabei kann eine hochwertige Ernährung stark zum Trainingserfolg und zur Regeneration beitragen. Über ein Ernährungsprotokoll lassen sich das momentane Ernährungs- und Trinkverhalten der Sportler analysieren und daraus Optimierungsmöglichkeiten ableiten. Häufig ist festzustellen, dass die aufgenommenen Lebensmittel nicht sonderlich hochwertig sind und zu einseitig gegessen wird. Fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag sind für jedermann grundsätzlich empfehlenswert. Diese sollen unterschiedliche Farben aufweisen, um eine möglichst große Variation an Pflanzenstoffen aufzunehmen, die den Organismus mit wichtigen Nähstoffen versorgen, damit u.a. die Stoffwechselketten optimal ablaufen können. Eine Eiweißversorgung von 0,8 g pro kg Körpergewicht pro Tag ist bei „Normalsportlern“ und bis zu 1,4 g pro kg Körpergewicht pro Tag bei hochaktiven Athleten völlig ausreichend. Wichtig ist, nicht ausschließlich an die tierischen Produkte wie Milch, Ei, Fleisch und Fisch, sondern auch an pflanzliche Eiweißquellen wie z. B. aus Hülsenfrüchten und Samen zu denken. „Gesunde“ Fette sollten z. B. über gereinigtes Fischöl, Algenöl, Rapsöl oder auch über z.B. Nüsse aufgenommen werden. Diese sind nicht nur Energieträger, sondern liefern dem Organismus auch antientzündliche Stoffe zur Regeneration. Auch Kurkuma wirkt z. B. antientzündlich. Ingwer hat eine durchblutungsfördernde Wirkung. Die Zufuhr von Kohlenhydraten ist zum Auffüllen der Glykogenspeicher und zur Regeneration in den ersten ca. 6 Stunden nach Belastung besonders wichtig. Häufig wird dies zugunsten einer Gewichtsreduzierung bei Freizeitsportlern vernachlässigt. 1 – 1,5 g Kohlenhydrate pro kg Körpergewicht sollten in dieser Zeit alle 2 Stunden aufgenommen werden.
Bei Ultradistanzen mit einem Kalorienverbrauch von teilw. über 10.000 kcal pro Tag, stellt sich zudem die Frage, wie die Verteilung der Kalorienzufuhr und der Flüssigkeitsaufnahme über die Zeit verteilt werden soll. Da Kohlenhydrate nur begrenzt speicherbar sind, stellen sie die Athleten vor eine große Herausforderung. Viele neigen dazu, sie in flüssiger Form aufzunehmen, da dadurch das Verdauungssystem entlastet wird. Ob Riegel, Gels oder in Flüssigkeit ist individuell verschieden, sollte aber akribisch geplant werden. Fest steht: Zu wenig Kohlenhydrate können zu einem Leistungseinbruch führen, zu viele dagegen nicht aufgenommen werden und Magen-Darm-Probleme verursachen. Die Kohlenhydratversorgung steht mit der neuesten Technologie an Blutzuckermessern für Sportler (Messung über die Haut) momentan stark im Fokus. Sie stellen eine optimale Möglichkeit dar, den Wirkungsmechanismus zwischen Nährstoffaufnahme und Energiebereitstellung zu überwachen.
Der Erfolgsfaktor: Mentale Stärke
Die lange Belastungsdauer bei den Ultradistanzen ist mit einer enormen Anforderung an die Psyche der Athleten verbunden. Dennoch wird dieser Komponente im Training meist wenig Beachtung geschenkt. In vielen Fällen reift die mentale Stärke erst nach vielen Jahren mit zunehmender Erfahrung. Damit vergeht kostbare Zeit. Trotz hoher Trainingsumfänge keimt bei den Athleten manches Mal der Gedanken, nicht genügend Trainingskilometer geleistet zu haben oder sich nicht ausreichend ihren Partnern, Familien und Freunden zu widmen. Während des Trainings und Wettkampfs ist viel Zeit, nachzudenken. Negative Gedanken und Gefühle wirken allerdings leistungshemmend und blockieren den Erfolg. Besser ist es deshalb, sich auf das gesetzte Ziel und die damit verbundenen Benefits zu fokussieren, damit körperliche Schmerzen und Monotonie-Empfinden keine Gedanken des Aufgebens und damit Scheitern des Vorhabens aufkeimen lassen. Es gilt, im Geist positive Bilder zu malen. Die Psychologie nennt dies „Anker setzen“. Auch Mentaltraining erfordert Analysen, um die Persönlichkeitsstruktur der Athleten besser einzuschätzen und individuelle Mentalstrategien zu entwickeln. Meist sind die Athletiktrainer darauf nicht geschult. Deshalb ist es sinnvoll, diese Aufgabe anderen Experten zu übertragen.
Fazit
Dirk Leonhardts Vorbereitung auf den Weltrekord war erfolgreich. Im athletischen Bereich und bei der Ernährung hätte es Optimierungspotenzial gegeben. Umso deutlicher zeigt dies die enorme mentale Stärke, seine vierte Triathlon-Disziplin. Die hat er übrigens in der Zwischenzeit erneut unter Beweis gestellt. Er fuhr mit dem Rad in sieben Tagen 2.100 km durch 15 Länder von Maastricht in den Kosovo. Neuer Weltrekord!
Fotos: © Nils Thies
Autoren
hat an der Universität Bayreuth den Diplomstudiengang Sportökonomie (Doppeldiplom Sportwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre) mit Schwerpunkt Gesundheit und Fitness abgeschlossen. Er ist Geschäftsführer der KörperManagement® KG, die Persönliches KörperManagement (Personal Training) und Betriebliches KörperManagement (Betriebliche Gesundheitsförderung) anbietet.