Die Definition von Schmerzen (nach IASP) stellt den Ausdruck und das Erleben auf die gleiche Ebene wie die sensorische Wahrnehmungskomponente [1]. Dieses Konzept integriert psychosoziale Aspekte, anstatt sie ihnen gegenüberzustellen. Daraus entsteht die Notwendigkeit, Schmerzen als multimodales Phänomen zu behandeln, mit entsprechenden Implikationen für die Diagnostik und Therapie.
Bezogen auf Rückenschmerzen ist es zumindest im Akutstadium dennoch meist möglich, anhand somatischer Untersuchungen (z. B. körperliche und neurologische Befunderhebung und Erfassung der Schmerzphänomenologie) den spezifischen vom nicht-spezifischen Rückenschmerz zu unterscheiden. Im chronifizierten Stadium ist diese Differenzierung aufgrund von iatrogenen Faktoren und sekundären psychosozialen Folgen oft deutlich schwieriger aber auch nicht im alleinigen Fokus. Die Prävalenz des nicht-spezifischen Rückenschmerzes beträgt knapp 5 % aller GKV-Versicherten [2]. Kreuzschmerzen sind die häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit und muskuloskelettale Erkrankungen die zweithäufigste Ursache für Erwerbsunfähigkeit [3]. Von einer Schmerzchronifizierung spricht man im Allgemeinen bereits bei einer Schmerzdauer von sechs Wochen. Psychosoziale Aspekte werden bereits früh im Krankheitsverlauf zu wesentlichen Prognosefaktoren. Zu den arbeitsbezogenen Chronifizierungsmechanismen werden neben konkreten lokalen Bedingungen und Ausgestaltung des Arbeitsplatzes unspezifische psychosoziale Faktoren wie geringe Qualifikation, geringer Einfluss auf die Arbeitsgestaltung, Konflikte und Kränkungserlebnisse (erlebtes Mobbing) und drohender Arbeitsplatzverlust gezählt. Auch iatrogene Faktoren wie die Dauer der Krankschreibung, Immobilisierung sowie die Überbetonung somatischer Befunde und Krankheitskonzepte verschlechtern die Prognose, an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Mangelnde Fitness, Rauchen, Alkoholkonsum und Übergewicht sind Faktoren der Lebensführung, die mit einem negativen Outcome assoziiert sind [4]. Zufriedenheit im Beruf ist jedoch der wichtigste prognostische Faktor hinsichtlich der Dauer bis zur Rückkehr an den Arbeits-platz (Boeing-Studie) [5]. Das Gefühl von sozialer Zurückweisung, Ausgrenzung oder fehlender Wertschätzung kann sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich zur Wahrnehmung von Schmerzen beitragen. Neurobiologische Grundlage ist eine Überlappung von emotionalen und physiologischen funktionellen Schmerzkreisläufen. Funktionelle Bildgebungsstudien haben vor allem den vorderen Gyrus cinguli als eine der relevantesten cerebralen Schaltstellen identifiziert [6].
Stressinduzierte Hyperalgesie
Eine rein biomechanische Orientierung bei der Diagnostik und Behandlung von Rückenschmerzen, insbesondere, wenn die akute Krankheitsphase länger als vier Wochen dauert, wird dem klinischen Problem also oft nicht ausreichend gerecht [4]. Psychische Komorbiditäten, insbesondere depressive Syndrome aber auch Angststörungen, sind mit der Diagnose von Rückenschmerzen assoziiert und sollten erfasst und bei Vorliegen konsequent behandelt werden [7]. Wenn auch die genauen Mechanismen dieser Komorbiditäten noch unklar sind, so spielt die zentrale Neurotransmission unter Beteiligung der Monoamine Serotonin und Noradrenalin sowohl bei der Depression als auch bei der deszendierenden Schmerzinhibition eine bedeutende ätiologische und auch therapeutische Rolle [8]. Zudem finden sich Rückenschmerzen vermehrt bei Personen mit psychischen Traumata. Besonders frühe Stresserfahrungen bereits in der Kindheit, in der das Gehirn besonders vulnerabel ist, können zu einer Sensitivierung nozizeptiver Systeme führen. Das hierauf aufbauende Konzept wird Stressinduzierte Hyperalgesie genannt. Über eine vermehrte Ausschüttung des Corticotrotropin-Relesing-Hormons, eine Aktivierung der Hypothalamus-Hypophsen-Nebennierenrinden-Achse sowie eine Sympathikusaktivierung bei gleichzeitiger Dysfunktion des deszendierenden monoaminergen schmerzinhibitorischen Systems kommt es zu einer nachweisbaren Senkung der Schmerzempfindungsschwelle [9].
Während im akuten Stadium der Behandlung von Rückenschmerzen vor allem die medikamentöse Symptomkontrolle im Vordergrund steht, sollte bereits früh darauf geachtet werden, soweit klinisch vertretbar Bewegung beizubehalten und eine Inaktivierung zu verhindern. Anderenfalls droht, dass durch Vermeidungsverhalten aus Angst, die Krankheit zu verschlechtern (Konzept der „fear avoidance“), im Sinne eines Circulus vitiosus sekundäre Schmerzfolgen durch Immobilisierung eintreten, die einer Chronifizierung Vorschub leisten können. Ferner stärken Maßnahmen, die die Patienten aktiv gegen ihren Schmerz einsetzen, das Bewusstsein, Kontrolle über ihre Krankheit erlangen zu können und verhindern die Ausbildung eines Zustands der erlernten Hilflosigkeit. Körperliches Training und Sport als Formen der regelmäßigen, strukturierten und idealerweise angeleiteten Bewegung wurden als wirksam zur Behandlung von nicht-spezifischen Rückenschmerzen nachgewiesen [4]. Weiterhin ungeklärt ist, welche Arten von Training und sportlicher Betätigung am besten wirksam sind, so z. B. ob Krafttraining gleich wirksam wie Ausdauertraining ist [10]. Muskuläres Training kann im Einzelfall vielmehr zu einer Beschwerdezunahme führen, wenn
Anspannungszustände ätiologisch sind. Hier wirken Entspannungsverfahren wie die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson oder EMG-Biofeedback lindernd.
Chronischer Rückenschmerz im Leistungssport
Chronischer Rückenschmerz ist ein häufiges Phänomen auch im Leistungssport. In einer Untersuchung an über 900 Spitzenathleten in Deutschland berichteten 55 % über Rückenschmerzen innerhalb des letzten Jahres. Bei über der Hälfte davon traten die Beschwerden im Bereich des unteren Rückens auf [11]. Stress war in einer weiteren Studie mit dem Auftreten von lumbalen Rückenschmerzen bei Wettkampfsportlern assoziiert [12]. Besonders häufig sind auch Athleten in der Adoleszenz betroffen [13], bei denen sich körperliche und psychische Adaptationsprozesse an die sportlichen Herausforderungen überlagern können. In einer brasilianischen Studie waren bei Nachwuchsathleten das Gefühl von Einsamkeit, Übergewicht und ethnische Faktoren, nicht aber körperliche Belastungsfaktoren mit der Rückenschmerzprävalenz assoziiert [14].
Fazit
Gerade Sportler und ihre Therapeuten richten den Fokus naturgemäß tendenziell eher auf die somatischen und biomechanischen Aspekte [15]. Das birgt die Gefahr, die psychosoziale Komponente in der Schmerzdynamik zu vernachlässigen. Insofern erscheint eine gezielte Aufklärung und Weiterbildung von Betroffenen, Betreuern und Therapeuten über psychosoziale und psychosomatische Schmerzmechanismen wichtig und wünschenswert. Inzwischen wurden erste Screeninginstrumente zur Diagnostik dieser Faktoren erfolgreich für den Einsatz bei Leistungssportlern evaluiert (Übersicht: [16]).
Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Literatur
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Autoren
ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Neurologie mit Zusatzbezeichnungen Spezielle Schmerztherapie und Geriatrie. Er war Oberarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Uniklinik RWTH Aachen und ist aktuell Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie, Klinikum Christophsbad Göppingen. Außerdem ist Dr. Henkel Leiter des Referats Sportpsychiatrie und -psychotherapie der DGPPN.
ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und für Neurologie. Er ist Oberarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomtik, Uniklinik RWTH Aachen. Außerdem absolvierte er eine Weiterbildung in Psychosomatischer Schmerztherapie (DGPM).