Eine Zunahme der Anzahl der Wettkämpfe, eine höhere Leistungsdichte und eine stärkere Differenzierung in einzelnen Disziplinen wirken sich im Leistungssport nachhaltig auf die Regeneration aus. Die Trainingsmethoden werden zunehmend komplexer und intensiver, um eine noch höhere Leistung zu erreichen. Viele Prozesse des Leistungssports sind nur noch schwer optimierbar, sodass der Regeneration und der Optimierung der Erholungsprozesse eine zunehmende Bedeutung zukommt.
Regeneration ist ein Prozess zur Wiederherstellung des physiologischen Gleichgewichtszustandes. Sie steht in Bezug zur vorausgehenden Belastung und zur Wiederherstellung der vorhergehenden Funktion. Während des Trainingsprozesses und der Wettkämpfe kommt es zu einer Ermüdung, diese ist Voraussetzung für Anpassungsprozesse, die eine Leistungssteigerung nach sich ziehen. Die Ermüdung als auch die Erholungsprozesse finden auf verschiedenen Ebenen statt.Hierzu gehören die Muskulatur, das autonome Nervensystem, das neuromuskuläre System, das zentrale Nervensystem sowie auch das Hormonsystem. Zunehmende Bedeutung bei der Optimierung der Reparationsprozesse stellt die Stressminimierung dar. Die Messung der Ermüdungsindikatoren umfasst sportmedizinisch Laborwerte, psychomotorische Tests als auch einfache motorische Testuntersuchungen. Diese Tests müssen wiederholbar sein und von Einflussfaktoren möglichst unabhängig.
Die Diagnostik hinsichtlich der Ermüdungsprozesse ist eine Grundaufgabe der sportmedizinischen Betreuung. Auch im leistungsorientierten Breitensport zeigt sich eine Tendenz zu noch höheren Trainingsumfängen. Dies beobachten mein Team und ich bei ergospirometrischen Untersuchungen und den daraus resultierenden Trainingsbesprechungen. Nicht selten werden Wochentrainingsstunden von 25 Stunden und mehr auch bei berufstätigen Hobbysportlern durchgeführt. Dadurch bleibt immer weniger Zeit für regenerative Prozesse, die Verletzungsanfälligkeit ist dadurch erhöht, die Leistungszunahme wird nicht im gewünschten Maß erzielt. Zudem geben die Sportler einen enorm hohen Stresspegel an, welcher sich nachhaltig negativ auf die Leistungsentwicklung auswirkt. Viele Untersuchungen haben in den letzten Jahren den Einfluss von Stressfaktoren auf die Immunkompetenz bestätigt. Im nordischen Skisport werden 90 % der Trainings.- und Wettkampfausfälle durch Infekte der oberen Atemwege hervorgerufen, somit ist die Stressbewältigung im Leistungssport auch zur Infektvorbeugung wichtig.
Aus heutiger sportmedizinischer Sicht ist die Regeneration auf verschiedene Bausteine aufgebaut: 1. Trainingsplanung, 2. Ernährung, 3. Stressvermeidung und Schlaf
1. Trainingsplanung
Die Trainingsplanung ist ein enorm wichtiger Aspekt in der Regeneration. Physiologische Variablen sollten hier beachtet werden. Zudem ist die individuelle Gestaltung der Trainingsplanung notwendig, um Probleme des Übertrainings zu vermeiden. Hier ist eine wichtige Schnittstelle des Athleten zum Trainer und Sportmediziner. Seit Jahren gibt es viele laborchemische Messungen, welche die Ermüdungsindikatoren messen können. Hierunter gehören die Werte Kreatinkinase (CK) als Indikator der muskulären Mikroschädigung, der Quotient aus freiem Testosteron und Cortisol als Parameter des anabol-catabolen Gleichgewichts. Als wichtiger Indikator zählen sicherlich auch die Harnstoffmessungen als Marker der metabolischen Beanspruchung und des Proteinkatabolismus. Die Messungen der Harnstoffwerte im täglichen Trainingsbetrieb erfordern jedoch eine hohe Routine und eine präzise Anwendung. Zur täglichen Trainingssteuerung sind die Harnstoffwerte aber enorm wichtig und zielführend. Ein signifikanter Zusammenhang der trainingsbedingten Ermüdung und der regelrechten Erholung wurde wissenschaftlich mehrfach nachgewiesen [1, 2]. Vorteil der Harnstoffmessungen und der CK Bestimmungen sind die relativ geringen Kosten. Jedoch ist hier ein engmaschiges Monitoring mit häufigen Messungen notwendig. Die Einteilung, dass die CK Werte eher im Kraft und Schnellkraftsportarten und die Harnstoffmessungen eher im Ausdauerbereich Anwendung finden, ist aufgrund der zunehmenden Komplexität der Trainingsbelastungen nicht mehr gültig. Am Beispiel des Skilanglaufs zeigt sich, dass durch neue Techniken und Verbesserung des Materials die ehemalig eher als ausdauerlastige Sportart inzwischen mit vielen Kraftausdauerkomponenten gepaart ist und somit eine Komplexität der laborchemischen Untersuchungen notwendig ist. Dies bedarf jedoch einer hohen Erfahrung des Sportmediziners und des Trainers.
Wichtige Indikatoren zur Messung der Trainingsbelastung sind natürlich weiterhin die Herzfrequenzmessungen. Hier sollten die Dokumentationen von Ruhe und Erholungsherzfrequenzen akribisch vom Sportler dokumentiert werden. Die Ruheherzfrequenz ist eine seit Jahrzehnten etablierte Größe zur Darstellung des autonomen Nervensystems und ist einfach messbar. Diese sollte vom Sportler frühmorgens im Liegen durchgeführt werden. Erhöhte Ruheherzfrequenzwerte zeigen erste Anzeichen einer Überbelastung. Erhöhte Werte können jedoch auch bei beginnenden Infekten vorliegen. Ein weiterer Indikator zur Messung der Ermüdung ist die Herzfrequenzvariabilität (HRV), welche ebenfalls nicht invasiv dargestellt werden kann. Diese sind jedoch im Trainingsbetrieb noch schwer integrierbar aufgrund der komplexen Messvorgänge. Daher finden diese Messungen in der täglichen Anwendung noch kaum Gebrauch.
2. Ernährung zur Stressminimierung
Jede Trainingsbelastung zieht katabole Prozesse nach sich. Diese Effekte lassen sich bei regelrechter Regeneration und regelrechter Trainingsbelastung zur Leistungssteigerung und zur Superkompensation nutzen. Wichtig ist hierbei die Geschwindigkeit der Anpassungserscheinungen. Diese sind durch die Ernährung signifikant beeinflussbar. Wichtig hierbei ist, dass schon vor dem Trainingsbeginn als auch während des Trainings und danach die Ernährung auf die jeweilige Trainingseinheit individuell abgestimmt ist. Dies beinhaltet die Kenntnisse der Ernährungswissenschaft im Sport anzuwenden. Der Verdauungstrakt enthält ebenso viele Nervenzellen wie das Rückenmark. Der Darm hat unter anderem Einfluss auf den Nervus Vagus und schüttet ständig Hormone aus. Somit besteht vom Darm ausgehend ein enormer Einfluss auf die Gehirnaktivität. Das Stressempfinden, die Emotionen und die geistige Leistungsfähigkeit werden also entscheidend vom Darm und somit von der Ernährung bestimmt. Es existieren Studien, die Zusammenhänge zwischen einer gestörten Darmflora und Stressempfinden darlegen. Viele Untersuchungen legen nahe, dass die Gabe probiotischer Bakterien zur Stärkung des Darms große Effekte auf die Psyche und das seelische Gleichgewicht haben. Die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm beeinflusst u.a. die Emotion und die geistige Leistung. Auch das Verhalten und das Glücksempfinden sowie die Schmerztoleranz und somit die sportliche Leistung sind beeinflusst vom Nervensystem. Die Hälfte des „Glückshormons“ Dopamin stammen nicht aus dem Gehirn, sondern aus dem Darm. Dieser Botenstoff spielt eine wichtige Rolle für das körpereigene Belohnungssystem und löst Glücksgefühle aus.
Sportliche Aktivitäten lösen Entzündungsprozesse im Körper aus. Daher ist eine Stress reduzierende Ernährung leistungssteigernd. Eine Zufuhr von zuckerhaltigen Getränken während und nach dem Sport erhöhen die oxidative Belastung, verschiedene Fettsäuren, Polyphenole, Vitamin C (in hoher Dosierung d. h 1 – 2 g/Tag) und verschiedene Aminosäuren erniedrigen den oxidativen Stress. Hierzu gehören vor allem die Aminosäuren Isoleucin, Phenylalanin, Tyrosin, Prolin, Tryptophan und Arginin. Hohe Wirkung zeigen Polyphenole und Trytophan aus der Montmorency-Kirsche [3]. Individuell gemischte Getränke, die auf die jeweiligen Trainingsreize abgestimmt sind, optimieren die Regeneration. Beim traditionellen Vasa Lauf, einem Skilanglauf über 89 Km in Schweden wird seit Jahrzehnten den Athleten und Hobbysportlern Blaubeersaft während des Wettkampfs und nach dem Wettkampf gereicht. Die regenerative Wirkung wurde wissenschaftlich bewiesen [4].
Beispiel für eine „stressreduzierende“ Mahlzeit:
- Post-Workout-Shake direkt nach dem Training
- 30 g Pulver = 22 g reines Eiweiß
- Pflanzliches Eiweiß ohne chem. Zusätze & Süßstoffe
- Kohlehydrate ca. 6 – 10 g pro kg Körpergewicht
- Quinoa, Hirse, Kamutnudeln, Jasberry- oder Vollkornreis
- Eiweiß ca. 1,5 g pro kg Körpergewicht
- Lachs, Steak, Geflügel, Tofu, Hülsenfrüchte, Pilze
- Gemüse ca. 200 g, wechselnd nach Saison möglichst biologisch
- Fette: Leinöl, Hanföl, Chiasamen, Nüsse, Avocado
Die Themen „Regeneration“ und „Proteine“ gehören zusammen. Entscheidend bei der Auswahl der Proteine ist aber auch die biologische Wertigkeit. Eine sehr gute Orientierungshilfe für Sportler zur Wertigkeit der Nahrung gibt die ORAC-Liste. Diese stellt eine Zusammenfassung der nährstoffdichtesten Nahrungsmittel mit hoher antioxidativer Kapazität dar. Die Einhaltung der Säurebasenbalance ist ein wichtiger Baustein zur Optimierung der Regeneration.
3. Stressvermeidung und Schlaf
Stress ist eine biologische und psychologische Reaktion auf belastende Ereignisse mit einer Aktivierung des autonomen Nervensystems und einer Ausschüttung von Stresshormonen. Hierunter kommt es zu einer Verlangsamung der Regeneration. Stress empfinden die Sportler nicht nur während der Wettkampfphasen, sondern auch in den belastenden Trainingsphasen. Eine Stressminimierung ist somit ein wichtiger Baustein der Optimierung der Regeneration. Psychometrische Skalen und deren Auswertung sind gute Instrumente zur Darstellung von Ermüdung im trainingswissenschaftlichen Bereich. Hier müssen verschiedene Inputs zusammengeführt werden, um objektivierbare Ergebnisse zu erhalten. Diese Tests müssen die derzeitige individuelle psychophysische Beanspruchung des Sportlers schnell und objektivierbar darstellen können. Hierzu dienen die REGman Fragebögen [5] als verlässlicher objektivierbarer Parameter. Vorteile dieser Fragebögen sind die Wiederholbarkeit und die relativ leichte Anwendung. In der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in PyeongChang 2018 wurde im Team der Nordischen Kombination im Deutschen Skiverband ein Regime entwickelt zur Stressminimierung auch im Hinblick auf die Zeitzonenverschiebung, denn die Schlafqualität ist ein wichtiges Kriterium der Leistungsfähigkeit. Die Athleten begannen eine Woche vor dem Abflug nach Südkorea mit der Einnahme von Melatonin 3 mg täglich und Verschiebung der Einschlafzeit täglich um eine Stunde. Zusätzlich verabreichten wir Neurexan Tabletten, um die Schlafqualität zu verbessern und den Stresspegel zu minimieren. Wir stützen uns hier auf die 2016 publizierte randomisierte, doppelt verblindete, placebokontrollierte Studie zur Wirkweise von Neurexan [6]. Diese Studie unterzog 64 Probanden dem Trier Social stress Test, bei dem sie vor und nach dem Test Neurexan oder Placebo einnahmen. Der Anstieg des Stresscortisolgehalts im Speichel wurde durch Neurexan verringert gegenüber Placebo. Ebenso wurde der Anstieg des Plasmacortisols nach Stressbelastung abgeschwächt (Abb. 1). Ebenfalls zeigte sich in dieser Studie ein konstanter Adrenalinspiegel unter Neurexaneinnahme. Eine weitere Studie [7] (Abb. 2) zeigte anhand einer placebokontrollierten, randomisierten Studie im Cross-over-Design, dass die Einnahme von Neurexan im Vergleich zu Placebos eine signifikante Reduktion der Amygdalaaktivität erzielt. Dies bedeutet eine Verminderung der Stressantwort im Bereich der Amygdala nach Einnahme von Neurexan.
Fazit
Die Stressfaktoren beeinflussen die körperliche und somit sportliche Leistungsfähigkeit. Nach den Erfahrungen der letzten Olympischen Spiele 2018 zeigte sich, dass die Athleten, die die Therapie mittels Neurexan, Melatonin und Lichtlampen durchführten, auch in der zweiten Wettkampfwoche eine sehr hohe Leistungsfähigkeit zeigten. Befragungen und Tests der Sportler ergaben eine für die enorme Wichtigkeit der Wettkämpfe sehr niedrige Stresswahrnehmung. Somit konnten in der Nordischen Kombination optimale Wettkampfergebnisse erzielt werden. Auch nach der stressbelasteten Wettkampfphase während der Olympischen Spiele erzielten die Athleten noch sehr gute Ergebnisse bei den anstehenden Weltcups.
Literatur
[1] Sawada et al., 2004.
[2] Meeusen et al., 2013
[3] Bell et al 2016
[4] McLeay et al. 2012
[5] Hitzkechke et al.,2015
[6] Doering et al. 2016
[7] Hermann et al. 2020
Autoren
ist Facharzt für Chirurgie und Allgemeinmedizin. 2004 eröffnete er seine eigene Praxis in Fichtelberg. Als verantwortlicher Teamarzt der deutschen Ski-Nationalmannschaft betreut er seit 2004 das Weltcupteam im nordischen Skisport bei über 100 Weltcupveranstaltungen, 4 Olympischen Spielen und 10 Weltmeisterschaften.