In den letzten Jahren hat sich das Konzept des Velocity Based Training (VBT) als innovative Methode im Krafttraining etabliert. VBT nutzt die Bewegungsgeschwindigkeit während des Trainings als primären Indikator für die Belastung und Leistung des Athleten. Anstatt sich ausschließlich auf das Gewicht zu konzentrieren, ermöglicht VBT eine flexible Anpassung
der Trainingsparameter, basierend auf dem individuellen Fortschritt und der aktuellen Leistungsfähigkeit.
Diese Trainingsmethode verwendet technologische Geräte zur Messung der Bewegungsgeschwindigkeit, typischerweise bei Langhantelübungen. Obwohl das Konzept des VBT nicht neu ist und auf mehrere Jahrzehnte zurückverfolgt werden kann, haben neue Technologien und der Zugang zu Informationen die Anwendung des VBT in den letzten Jahren stetig vorangetrieben [1 – 3]. Athletik- oder Konditionstrainer, Personal Trainer, Physiotherapeuten und andere im Fitnessbereich tätige Fachleute variieren typischerweise Trainingsvariablen wie Intensität, Volumen, Ruhezeiten, Frequenz und Tempo. Während viele dieser Variablen sehr einfach zu messen sind, gestaltet sich die Bestimmung der Trainingsintensität als komplexer und wird üblicherweise als Prozentsatz des individuellen 1RM festgelegt. Dieser traditionelle oder prozentsatzbasierte Ansatz ist problematisch, wenn man die täglichen Schwankungen der Kraft berücksichtigt, die durch Faktoren wie Schlaf, Müdigkeit, Stress oder Ernährung beeinflusst werden. Solche Schwankungen können bis zu 18 % über oder unter dem zuvor ermittelten 1RM liegen, was einer Gesamtvarianz von 36 % entspricht [4]. VBT löst dieses Problem, indem es die Bewegungsgeschwindigkeit als Maß für die Intensität nutzt. Dadurch können Trainer und Athleten mit gezielten Intensitäten trainieren, um spezifische Leistungsziele zu erreichen und das Training präziser auf Faktoren wie Ermüdung, Bereitschaft, Motivation, Verletzungen und unterschiedliche Anpassungsraten abzustimmen.Dies trägt zu einer verbesserten Verletzungsprophylaxe bei, da das Risiko von Über- oder Untertraining deutlich reduziert wird.
1RM-Bestimmung und Last-Geschwindigkeitsprofil
Da Intensität und Geschwindigkeit eine nahezu perfekt lineare Beziehung aufweisen – das heißt, wenn die eine Größe zunimmt, verringert sich die andere entsprechend – ist es unter bestimmten Bedingungen möglich, das 1RM eines Athleten in verschiedenen Übungen durch eine statistische Methode, die als „lineare Regression“ bekannt ist, vorherzusagen [5 – 7]. Diese Methode analysiert die Beziehung zwischen den Variablen und ermöglicht es, anhand der gemessenen Geschwindigkeit bei submaximalen Gewichten Rückschlüsse auf die maximale Kraft des Athleten zu ziehen.
Last-Geschwindigkeitsprofil unter Verwendung von mehreren submaximalen Lasten
Um das 1RM eines Athleten vorherzusagen, muss der Trainer zunächst ein „Last-Geschwindigkeitsprofil“ des Athleten entwickeln. Dabei wird die maximale Geschwindigkeit gegen mehrere submaximale Lasten (mindestens 5 Lasten) bei jeder Last aufzeichnet. Anschließend wird die L-V-Beziehung durch eine lineare Regression modelliert, um das 1RM als die Last zu schätzen, die mit der maximalen Geschwindigkeit (V1RM) des 1RM verbunden ist. Ein möglicher Testablauf könnte aus drei Wiederholungen bei 20 %, 40 % und 60 % des 1RM sowie einer Wiederholung bei 80-90 % bestehen [8-10].
Last-Geschwindigkeitsprofil unter Verwendung der 2-Punkt-Methode
Da die individuelle Last-Geschwindigkeits-Beziehung hochlinear ist, könnte eine Lösung zur Reduzierung der Dauer des Testverfahrens darin bestehen, die individuelle L-V-Beziehung anhand der maximalen Geschwindigkeit zu bestimmen, die nur gegen zwei Lasten aufgezeichnet wurde (2-Punkte-Methode). Diese Methode gilt als eine genaue, schnelle und relativ ermüdungsfreie Methode zur Schätzung des 1RM. Dabei wird die maximale Geschwindigkeit gegen eine leichte Last (ca. 45 % 1RM) und eine schwere Last (ca. 85 % 1RM) aufgezeichnet. Anschließend erfolgt die Modellierung der individuellen Last-Geschwindigkeits-Beziehung und die Bestimmung des 1RM als die Last, die mit dem V1RM verbunden ist [11,12].
1RM Bestimmung unter Verwendung der minimalen Geschwindigkeitsschwelle
Eine weitere Methode zur Messung der 1RM-Geschwindigkeit ist der Repetition to Failure Test (RTF-Test), bei dem der Athlet bis zu seinem minimalen Geschwindigkeitsgrenzwert geführt wird. Der Vorteil dieser Methode ist, dass sie wenig zeitaufwendig ist und kein Last-Geschwindigkeitsprofil erfordert. Der RTF-Test beginnt wie die Erstellung eines Last-Geschwindigkeitsprofils, wird jedoch gestoppt, wenn der Athlet ungefähr 70 % des 1RM erreicht. Anschließend führt der Athlet so viele Wiederholungen wie möglich aus, und die Geschwindigkeit der letzten erfolgreichen Wiederholung wird als 1RM-Geschwindigkeit (V1RM) verwendet. Dieser Wert wird als minimale Geschwindigkeitsschwelle (MVT) bezeichnet [13].
Individualisierung
Ein wesentlicher Vorteil des VBT liegt in der Individualisierung des Trainings. Das VBT-Kontinuum (siehe Abb. 1) ermöglicht es Trainern, das Training präzise an die jeweiligen Fähigkeiten und Ziele der Athleten anzupassen. Durch die Analyse der Bewegungsgeschwindigkeit kann das Training gezielt optimiert werden, um spezifische Leistungsziele zu erreichen. Je nach Trainingsziel, das in einer bestimmten Phase der Periodisierung festgelegt wird, hat der Athlet die Möglichkeit, innerhalb einer VBT-Trainingszone individuell an seinen Kraftfähigkeiten zu arbeiten.

Belastungssteuerung
Ein weiterer bedeutender Vorteil des VBT ist die präzise Steuerung der Belastung. Die während des Trainings erlebte Ermüdung kann dazu führen, dass eine bestimmte Trainingsintensität nicht mehr aufrechterhalten werden kann, häufig bedingt durch die Ermüdung des zentralen Nervensystems (ZNS). Beim Training ist es wichtig, die Veränderungen in der Bereitschaft (Readiness) zu berücksichtigen, die durch Stress oder Ermüdung entstehen. Dabei spielen sowohl die Trainingsbelastung als auch soziale Stressfaktoren eine Rolle. Ein Rückgang der Bewegungsgeschwindigkeit über mehrere Sätze oder Wiederholungen kann Hinweise auf das Stresslevel geben. Im Rahmen des VBT können Cut-Off-Geschwindigkeiten verwendet werden, um das Gewicht zu reduzieren, die Pausenzeiten zu verlängern oder den Satz bzw. das gesamte Workout zu beenden, wenn die konzentrische Geschwindigkeit einer Wiederholung unter einen festgelegten Wert fällt. So kann der Prozentsatz des Geschwindigkeitsverlusts von Satz zu Satz oder zwischen den Wiederholungen überwacht werden. Der Cut-Off-Wert orientiert sich in der Regel an der ersten oder schnellsten Wiederholung eines Arbeitssatzes. Abhängig von den Trainingszielen, der jeweiligen Phase und individuellen Faktoren können beispielsweise folgende Cut-Off-Werte festgelegt werden: für Hypertrophie 30 – 40 %, für Maximalkraft 10 – 30 % und für Schnellkraft weniger als 10 %. In bestimmten Fällen können auch absolute Geschwindigkeitswerte als Cut-Off verwendet werden. [8].
Trainingssteuerung
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, auf den Geschwindigkeitsverlust während des Trainings zu reagieren und Anpassungen in Echtzeit vorzunehmen.
Eine Methode ist die Manipulation der Wiederholungen, die sich besonders gut für das Hypertrophie- oder Kraftausdauertraining eignet. Hierbei wird bei gleichbleibendem Gewicht eine festgelegte Anzahl an Sätzen, beispielsweise acht, durchgeführt. Die Anzahl der Wiederholungen orientiert sich an einer Intensität von 40 bis 70 % des 1RM oder einer Geschwindigkeit zwischen 0,75 und 1,0 m/s. Wird diese Geschwindigkeit um 40 % oder mehr unterschritten, wird der Satz vorzeitig beendet. Eine weitere Möglichkeit ist die Anpassung der Arbeitslast, die besonders im Maximalkrafttraining zum Einsatz kommt. Hierbei wird das Gewicht von Satz zu Satz angepasst, wenn Geschwindigkeitsverluste im Bereich von 10 – 30 % festgestellt werden. Ein Beispiel-Training könnte aus acht Sätzen mit jeweils drei Wiederholungen bestehen, wobei das Gewicht zwischen 60 und 80 % des 1RM oder eine Bewegungsgeschwindigkeit von 0,5 bis 0,75 m/s verwendet wird. Diese Methode dient auch als wertvolles Monitoring-Tool zur Beurteilung der Trainingsbereitschaft eines Athleten. Zusätzlich kann die Satzanzahl verändert werden, was insbesondere im Schnellkrafttraining Anwendung findet. Dabei bleiben das Gewicht und die Wiederholungszahl über alle Arbeitssätze hinweg konstant. Es wird eine bestimmte Anzahl von Sätzen, beispielweise mit jeweils drei Wiederholungen bei 40 – 70 % des 1RM oder einer Geschwindigkeit von 0,75 bis 1,0 m/s, absolviert. Das Training wird beendet, sobald ein durchschnittlicher Geschwindigkeitsverlust für einen Satz von mehr als 10 % festgestellt wird [8 – 10].
Augmented Feedback
Ein weiterer großer Vorteil des VBT ist die Bereitstellung von unmittelbarem Feedback. Dieses direkte Feedback – sei es visuell, verbal oder akustisch – informiert den Athleten über die Ausführung der Bewegung oder das Bewegungsergebnis und kann sowohl kurzfristig als auch langfristig zu signifikanten Leistungssteigerungen führen. Die Veränderungen in der Leistungsfähigkeit gehen mit Verbesserungen in psychologischen Merkmalen einher, wobei Anstiege in Motivation und Wettbewerbsfähigkeit auftreten, wenn Rückmeldungen zur Geschwindigkeitsleistung gegeben werden [11, 12]. Das VBT bietet durch sein objektives Feedback spezifische kinematische Ziele, die i.d.R. effektiver sind als einfache verbale Anweisungen, wie „hebe die Stange so schnell wie möglich“. Die Nutzung von Live-Feedback bietet den Athleten nicht nur sofortige Rückmeldungen zur ausgeführten Bewegung, sondern schafft auch ein wettbewerbsorientiertes Umfeld, das das Engagement und die Motivation der Athleten steigert. Das Setzen eines objektiven Ziels, wie z. B. das Erreichen höherer Geschwindigkeiten, fördert die intrinsische Motivation, insbesondere wenn Athleten bestrebt sind, neue Bestwerte zu erzielen oder ihre Leistungen mit denen ihrer Teamkameraden zu vergleichen [13].
Trainingsplanung
Athleten in den meisten Spielsportarten benötigen vor allem Maximalkraft, Schnellkraft und Kraftausdauer. Da Wettkämpfe und Training während der Saison die verfügbare Trainingszeit einschränken, müssen diese Kraftfähigkeiten häufig von Woche zu Woche, Tag zu Tag oder sogar innerhalb eines einzelnen Trainingstags kombiniert trainiert werden. Dabei kommen verschiedene Trainingsmethoden zum Einsatz, um in möglichst wenigen Einheiten optimale Ergebnisse zu erzielen. Mit Hilfe von VBT können sowohl Geschwindigkeits- als auch Kraftverluste in denselben Einheiten überwacht werden. Abbildung 2 zeigt ein Beispiel für ein Trainingsprogramm, das sich während der Saison auf Maximalkraft und Schnellkraft konzentriert. Die festgelegten Bereiche orientieren sich am Kraft-Geschwindigkeitsprofil des jeweiligen Athleten, das vor Beginn des Programms erstellt werden sollte.

Fazit
VBT hat sich als effektives Instrument zur Verbesserung der sportlichen Leistung etabliert, indem es die Bewegungsgeschwindigkeit als zentralen Parameter für das Training nutzt. Diese Methode ermöglicht eine präzise Steuerung des Trainings, die Überwachung der Anstrengung und individuelle Anpassungen basierend auf der Tagesform des Athleten. Durch sofortiges Feedback werden Athleten motiviert, ihre Leistung zu steigern und ihre Fortschritte visuell nachzuvollziehen. Zudem kann VBT helfen, die Ansammlung von Müdigkeit zu reduzieren, indem es ermöglicht, Sätze zu beenden, bevor die Technik leidet. Erfahrene Kraftathleten profitieren besonders von der Integration geschwindigkeitsbasierter Trainingskonzepte, da dies eine größere Präzision bei der Trainingsplanung bietet sowie die Möglichkeit, ihr Training objektiv zu regulieren. Die Integration dieses Konzepts kann auch als hybrid betrachtet werden, indem sowohl traditionelle Ansätze als auch geschwindigkeitsbasierte Methoden verwendet werden, die auf die individuellen Bedürfnisse der Athleten abgestimmt sind.
VBT sollte daher als Ergänzung zu traditionellen Trainingsmethoden betrachtet werden. Die ordnungsgemäße Implementierung von VBT in das Training erfordert ein gewisses Maß an Fachwissen und die richtige Interpretation der Daten. Traditionelle Methoden und subjektive Bewertungen bleiben einfach zu handhaben und haben sich bewährt. Daher ist es wichtig, die Vorzüge von VBT im Kontext eines umfassenden Trainingsansatzes zu betrachten, um die besten Ergebnisse zu erzielen.
Literatur
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Autoren
ist Athletiktrainer der U16 Nationalmannschaft des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und lehrt Sportwissenschaften an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport. Mit einem Masterabschluss (M.A.) in Sportwissenschaften und umfangreicher Erfahrung als Athletik- und Rehatrainer, insbesondere im Fußball und Eishockey, unterstützt er Athleten dabei, ihre Leistung zu optimieren und Verletzungen vorzubeugen.