Die Förderung der Gesundheitskompetenz bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ist angesichts steigender psychischer und körperlicher Belastungen von zentraler Bedeutung. Sportärzt*innen, Physiotherapeut*innen und Sportwissenschaftler*innen spielen hierbei
eine wichtige Rolle, um durch präventive Maßnahmen und verständliche Gesundheitsinformationen zur langfristigen Förderung der Gesundheit beizutragen.
Die aktuelle Gesundheitslage von Kindern und Jugendlichen in Deutschland gibt Anlass zur Sorge, insbesondere bei jungen Menschen aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status [1, 2]. Die Prävalenz psychischer Auffälligkeiten bei 7- bis 17-Jährigen liegt bei 23 % und mehr als ein Viertel berichtet über eine geringe Lebensqualität [3].
Auch die körperliche Aktivität ist unzureichend: Nur 10,8 % der Mädchen und 20,9 % der Jungen sowie 12,4 % der gender-diversen Jugendlichen bewegen sich in einem Umfang, der laut Empfehlungen der WHO gesundheitlich förderlich ist [4]. Zudem sind 26,3 % der 5- bis 17-Jährigen übergewichtig und 8,8 % dieser Gruppe sind adipös [5]. Diese Entwicklungen verdeutlichen die Dringlichkeit präventiver Maßnahmen, da das in jungen Jahren erlernte Gesundheitsverhalten den Gesundheitszustand und das Verhalten im Erwachsenenalter prägt. Der Stärkung der Gesundheitskompetenz (GK) von Heranwachsenden kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu, da eine höhere GK mit positiven gesundheitlichen Verhaltensweisen und einem besseren subjektiven Gesundheitszustand zusammenhängt [6, 7]. Um langfristig positive Effekte auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu erzielen, ist dies ein entscheidender Ansatzpunkt.
Das Konzept Gesundheitskompetenz
GK beinhaltet das Wissen, die Motivation und die Fähigkeiten von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen in verschiedenen Formen zu suchen, zu verstehen, zu bewerten und zu nutzen. Dies befähigt sie, im Alltag fundierte Entscheidungen und Urteile in den Bereichen Krankheitsbewältigung, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung zu treffen, die ihre Lebensqualität über die gesamte Lebensspanne erhalten oder verbessern [8, Übersetzung 9]. Im digitalen Informationszeitalter, mit sowohl steigenden fachlich korrekten, aber auch inkorrekten Informationen, ist auch die digitale Gesundheitskompetenz (dGK) von hoher Bedeutung [10]. Laut einer Studie weisen 24,4 % der Schüler*innen (11-, 13- und 15-Jährige) in Deutschland eine geringe GK auf [11], bei Erwachsenen liegt der Anteil sogar bei 58,8 % [12]. Bezogen auf die digitale GK zeigen Kinder und Jugendliche Schwierigkeiten mit dem Schutz der Privatsphäre oder der Bewertung der online gefundenen Informationen [13]. Dies verdeutlicht den Bedarf an Maßnahmen zur Förderung der GK für alle Altersgruppen.
Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Gemäß dem relationalen Konzeptverständnis beeinflussen sowohl individuelle Fähigkeiten als auch Kontext- und Rahmenbedingungen die GK [14]. Die Verantwortung für die Förderung von Gesundheit und GK liegt nicht nur beim Einzelnen, sondern auch bei der Gesellschaft, die entsprechende Strukturen schaffen muss. Die Kommune spielt dabei eine Schlüsselrolle, indem sie als Dachsetting die sektorenübergreifende Zusammenarbeit verschiedener Akteur*innene koordiniert [15]. Für Sportärzt*innen, Physiotherapeut*innen und Sportwissenschaftler*innen bedeutet dies, sich aktiv in kommunale Netzwerke einzubringen und mit Gesundheitsdienstleistern zusammenzuarbeiten, um ganzheitliche Bewegungs- und Gesundheitsprogramme zu unterstützen und die Bevölkerung zu einem gesünderen Lebensstil zu motivieren.
Ansatzpunkt für Sportärzt*innen, Physiotherapeut*innen, und Sportwissenschaftler*innen
Auf individueller und organisationaler Ebene können Sportärzt*innen, Physiotherapeut*innen und Sportwissenschaftler*innen die GK fördern. Ärzt*innen und Physiotherapeut*innen sind oft die wichtigste Informationsquelle für Patient*innen [vgl. 16, 17]. Essenziell ist somit eine patient*innenzentrierte Kommunikation, die Informationen verständlich und zur gemeinsamen Entscheidungsfindung nutzbar macht [17]. Empfohlene Kommunikationsstrategien sind die Methoden Chunk-and-Check, Teach-Back und Ask-Me-Three, ergänzt durch einfache Sprache und visuelle Hilfen [17]. Doch auch Gesundheitsberufe benötigen die entsprechenden Fähigkeiten [16]. Die HLS-PROF-GER-Studie deutet darauf hin, dass viele Ärzt*innen mangelhaft auf die Förderung der GK vorbereitet sind, fast zwei Drittel der teilnehmenden Ärzt*innen sind wenig mit dem GK-Konzept vertraut [18]. Auch die professionelle digitale GK wird als schwierig angesehen, da viele Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit digitaler Informationen bestehen. Es besteht ein Optimierungsbedarf in Ausbildung und Rahmenbedingungen: Bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich ausreichend Zeit und passende Räumlichkeiten für Patientengespräche, sind entscheidend, um die GK wirksam zu stärken [18].
Ausblick – Gesundheitskompetenz weiterdenken
Die strukturelle Förderung der GK ist ein entscheidender Ansatzpunkt, um langfristig positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland zu erzielen, denn es reicht nicht nur, die GK der Einzelnen als Ansatzpunkt zu nutzen: Es ist notwendig, gesellschaftliche Strukturen zu schaffen, die Gesundheitsförderung unterstützen und den Zugang zu Gesundheitsinformationen erleichtern. Interprofessionelle Zusammenarbeit und eine effektive Kommunikation sind dabei zentral [16, 17]. In der heutigen Zeit, in der die Stabilität der Systeme auf unterschiedlichen Ebenen, die unsere Gesundheit unterstützen, gefährdet ist [vgl. 19], wird es zunehmend wichtig, sich darüber hinaus mit der planetaren GK auseinanderzusetzen [20]. Diese ist die Fähigkeit, Informationen gezielt zu suchen, zu verstehen, kritisch zu bewerten und anzuwenden, um fundierte Entscheidungen für die eigene Gesundheit und die des Planeten zu treffen (ebd.). Sportärzt*innen, Sportwissenschaftler*innen und Physiotherapeut*innen können Bewegung als Ansatzpunkt nutzen, um durch Co-Benefits sowohl die individuelle Gesundheit der Patient*innen als auch die des Planeten zu fördern [vgl. 21]; Co-Benefits bezeichnen dabei die positiven Nebeneffekte, die durch gesundheitsfördernde Maßnahmen wie körperliche Aktivität erreicht werden, die gleichzeitig Umweltressourcen schonen und die Klimabelastung reduzieren [22].
Durch Rahmenbedingungen, die automatisch gesundes Verhalten fördern, können Menschen befähigt werden, aktiv und gesundheitskompetenter ihre Gesundheitsversorgung mitzugestalten, die Effizienz des Gesundheitssystems zu steigern und gesundheitliche Ungleichheiten zu reduzieren [vgl. 9]. Sportärzt*innen, Physiotherapeut*innen und Sportwissenschaftler*innen können hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten.
Literatur
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Autoren
ist Dipl.-Erziehungswissenschaftlerin und Gesundheitspädagogin am Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Zudem ist sie Vizepräsidentin für Forschung und Transfer an der Hochschule Gesundheit und Vorstandsmitglied des Promotionskolleg NRW.
ist Physiotherapeutin und hat Gesundheits-und Pflegemanagement (B.A.) sowie Evidence-based Health Care (M.Sc.) studiert. Sie arbeitet als wiss. Mitarbeiterin und Doktorandin an der Hochschule für Gesundheit Bochum sowie an der Ev. Hochschule RWL im Masterstudiengang Management.
ist Ergotherapeutin (B.Sc.) und hat einen M.Sc. in Environmental Sustainability. Sie arbeitet als wiss. Mitarbeiterin in an der Hochschule für Gesundheit Bochum und ehrenamtlich bei der KLUG AG ErgoLogoPhysio.